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Türke; Neuerteilung der Aufenthaltserlaubnis; keine Verlängerung; kein fristgerechter Verlängerungsantrag; Lebensunterhaltssicherung; Ausnahmefall; besondere atypische Situation; Zumutbarkeit der Rückkehr der Ehefrau in die gemeinsame Heimat; Volljährigkeit der Kinder; Aufklärungsbedarf; (eingeschränkte) Erwerbsfähigkeit; Auslegung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO als Antrag nach § 123 VwGO auf Untersagung der Abschiebung; Aufhebung stattgebenden erstinstanzlichen Beschlusses


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 24.10.2012
Aktenzeichen OVG 11 S 49.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 30 Abs 1 S 1 Nr 2 AufenthG, § 30 Abs 3 AufenthG, Art 6 GG, Art 8 MRK, Art 6a EuFürsAbk, § 80 Abs 5 VwGO, § 123 Abs 1 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. Juli 2012 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Der Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 13. März 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1963 geborene türkische Antragsteller reiste nach Wiederheirat seiner - zwischenzeitlich mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet gewesenen - türkischen Ehefrau erstmals im Oktober 2002 ins Bundesgebiet ein. Hier erhielt er zwecks ehelichen Zusammenlebens in der Folgezeit, zuletzt bis zum 8. Juni 2010, befristete Aufenthaltserlaubnisse.

Seinen erst am 14. Juni 2010 gestellten Verlängerungsantrag lehnte der Antragsgegner unter Androhung seiner Abschiebung durch Bescheid vom 13. März 2012 gemäß § 30 Abs. 3 i.V.m. § 5 Abs.1 Nr. 1 AufenthG im Wesentlichen mit folgender Begründung ab: Die Aufenthaltserlaubnis sei trotz bereits seit Anfang 2005 andauernden „vollständigen“ Bezugs von Leistungen nach dem SGB II durch die Familie zuletzt nur noch wegen der im Haushalt lebenden - 1989 bzw. 1991 geborenen gemeinsamen - minderjährigen Kinder verlängert worden. Diese seien inzwischen volljährig und damit nicht mehr auf familiäre Betreuungsleistungen angewiesen. Er selbst habe zu keinem Zeitpunkt seines hiesigen Aufenthalts eine Erwerbstätigkeit ausgeübt und sei nach einem Gutachten der Bundesagentur für Arbeit vom 26. Juli 2010 - ungeachtet seiner Diabetes-Erkrankung und einer Zehenamputation - für drei bis sechs Stunden bei leichter und körperlich weniger beanspruchender Tätigkeit wenn auch eingeschränkt erwerbsfähig. Seine Ehefrau, aus deren Erwerbseinkünften der Lebensunterhalt zunächst bestritten worden sei, sei bereits seit Ende 2003 nicht mehr erwerbstätig. Auch sie sei nach Sozialisation in der Türkei erst als Erwachsene, nämlich mit ca. 30 Jahren, 1993 ins Bundesgebiet eingereist und es sei ihr deshalb zumutbar, die eheliche Lebensgemeinschaft mit ihm in der Türkei fortzusetzen. Vertrauen in die Verlängerung seines Aufenthaltsrechts nach Erreichen der Volljährigkeit der Kinder habe er nicht haben könne, eine wirtschaftliche Integration fehle, zumindest im Jahre 2005 habe er auch noch keine Deutschkenntnisse besessen. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geböten bei dieser Sachlage und der Bedeutung eigenständiger Lebensunterhaltssicherung nach dem AufenthG keine andere Entscheidung. Ein Anspruch auf Aufenthalt aus dem Assoziationsratsabkommen EWG/Türkei Nr. 1/80 (nachfolgend: ARB 1/80) bestehe nicht.

Der Antragsteller hat gegen den ablehnenden Bescheid des Antragsgegners am 12. April 2012 Klage auf Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, hilfsweise Neubescheidung, erhoben (VG 20 K 106.12). Auf den am selben Tag gestellten Antrag, „die aufschiebende Wirkung der Klage … wiederherzustellen und anzuordnen“, hat das Verwaltungsgericht dem Antragsgegner durch Beschluss vom 11. Juli 2012 im Wege einstweiliger Anordnung untersagt, den Antragsteller bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils im Hauptsacheverfahren abzuschieben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sei unstatthaft. Denn die durch Zeitablauf am 8. Juni 2010 erloschene Aufenthaltserlaubnis könne angesichts des erst am 14. Juni 2010 - und damit verspätet - gestellten Antrags des Antragstellers nicht mehr verlängert werden und damit auch keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG auslösen (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2011 - 1 C 5.10 -, OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Mai 2012 - 2 S 109.11 -, jeweils in juris). Allerdings sei der Antrag „als sinngemäßer Antrag, die Abschiebung im Wege einstweiliger Anordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthaft“. Es bestehe die Gefahr, dass im Falle einer Abschiebung das Grundrecht des Antragstellers aus Art. 6 GG bei einer Trennung der Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau und den volljährigen Kindern vereitelt werde. Dazu müssten die Voraussetzungen einer vorübergehenden Aussetzung der Abschiebung nicht „bereits im Einzelnen glaubhaft gemacht“ werden. Bei einer Folgenabschätzung zugunsten des Antragstellers müsse dann allerdings eine Grundrechtsverletzung in Betracht kommen, die Versagung des Aufenthaltstitels sich also nicht als offensichtlich rechtmäßig erweisen. Das sei vorliegend der Fall. Zwar bestehe vorliegend kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach ARB 1/80, jedoch könne nicht festgestellt werden, dass die Versagung des Aufenthaltstitels nach § 30 AufenthG offensichtlich rechtmäßig sei. Es sei nämlich im Hauptsacheverfahren noch zu klären, ob - wie vom Antragsgegner angezweifelt, allerdings ohne ein Sprachzertifikat angefordert zu haben - der Antragsteller sich gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen könne. Ferner sei zu prüfen, ob die offensichtlich fehlende Sicherung des Lebensunterhalts die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis - auch einer solchen nach § 30 Abs. 1 AufenthG - rechtfertige oder ob ein atypischer Ausnahmefall vorliege. Insbesondere bedürfe es in diesem Zusammenhang der Aufklärung, ob und ggf. aus welchem Grund die volljährigen Kinder noch „zur Bedarfsgemeinschaft gehören“, aus welchen Gründen die Ehefrau derzeit nicht zum Lebensunterhalt beitrage und inwieweit sie in Deutschland verwurzelt bzw. ihr eine Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft in der Türkei zumutbar sei.

II.

Die seitens des Antragsgegners gegen den verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 11. Juli 2012 am 25. Juli 2012 erhobene und am 10. August 2012 begründete Beschwerde ist zulässig und begründet. Dem Antragssteller steht entgegen der verwaltungsgerichtlichen Annahme kein im Wege einstweiliger Anordnung durchsetzbarer Anspruch auf Untersagung der Abschiebung bis zur erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren VG 20 K 106.12 zu. Dessen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes war somit zurückzuweisen.

Allerdings vermag der Senat nicht der Annahme des Antragsgegners zu folgen, das Verwaltungsgericht sei unter Verstoß gegen § 88 VwGO (Überschreitung der Wesensgrenzen der Auslegung) über das Begehren des Antragstellers dadurch hinausgegangen, dass es den ausdrücklich und durch einen „erfahrenen Rechtsanwalt“ gestellten Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in einen Antrag nach § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung umgedeutet habe. Denn hierin liegt im vorliegenden Fall keineswegs eine Überschreitung des ersichtlichen Antragsbegehrens des Antragstellers. Maßgeblich dafür ist nicht etwa die „Fassung“ des Antrags, sondern das „wirkliche Rechtsschutzziel“, wie es sich aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere auch der Begründung des Begehrens, ergibt, wobei dies unbeschadet der gesteigerten Bedeutung anwaltlich gestellter Anträge auch dann gilt, wenn sich eindeutig erkennen lässt, was wirkliches Ziel der Antragsfassung ist (vgl. für die Auslegung eines Klagegehrens: BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2012 - 9 B 56.11 -, juris Rz. 7 f. m.w.N.; für den „umgekehrten“ Fall der Umdeutung eines Antrags nach § 123 VwGO in einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung bei „sachgerechter“ Auslegung: BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2000 - 1 WB 10/00 -, juris Rz. 4).

Am wirklichen Rechtsschutzziel des Begehrens des Antragstellers, bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren VG 20 K 106.12 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorläufigen Rechtsschutz zumindest durch Gewährung von Abschiebungsschutz zu erlangen, kann nicht zuletzt auch nach seinem Antragsvorbringen vom 8. Mai 2012 kein Zweifel bestehen. Der vom Antragsgegner für seine Auffassung herangezogene Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 24. Mai 2012 - 2 S 109.11 -, juris Rz. 12, steht dem schon deshalb nicht entgegen, weil das Gericht dort die Auslegung des Rechtsschutzantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO in einen Antrag auf einstweilige Anordnung auf Untersagung der Abschiebung wegen des im Beschwerdeverfahren nicht aufrechterhaltenen Hilfsantrags, wie er im erstinstanzlichen Verfahren gestellt war, abgelehnt hat und einer entsprechenden Auslegung des Rechtsschutzbegehrens deshalb ein eindeutiger Antrag entgegenstehe.

Allerdings beanstandet der Antragsgegner zu Recht, dass das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Versagung eines Aufenthaltsrechts nach § 30 AufenthG mit der Begründung in Zweifel zieht, insoweit bestehe noch weiterer Aufklärungsbedarf, der dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müsse. Das ist nicht der Fall, die Versagung vielmehr offensichtlich rechtmäßig.

Zutreffend ist jedoch der rechtliche Ansatz des Gerichts, dass vorliegend die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 AufenthG erfüllt sein müssen. Denn - anders als der Bescheid des Antragsgegners und auch der Antragsteller selbst meinen, die von einer Ermessensentscheidung nach § 30 Abs. 3 AufenthG ausgehen - steht vorliegend keine im behördlichen Ermessen stehende Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Raum, sondern eine (Neu-)Erteilung nach § 30 Abs. 1 AufenthG. Denn eine Verlängerung würde, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, einen noch nicht erloschenen Aufenthaltstitel voraussetzen, d.h. einen „grundsätzlich vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellten Antrag“ (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2011 - 1 C 5.10 -, juris Rz. 14, m.w.N). Dass der Antragsteller einen solchen Verlängerungsantrag nicht rechtzeitig gestellt hat, ist unstreitig.

Dabei kann dahinstehen, ob Aufklärungsbedarf hinsichtlich des Nachweises besteht, dass sich „der Antragsteller gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann“ (vgl. dazu AufenthG-VwV 30 zu Ziffer 30.1.4.2.3.3).

Voraussetzung einer (Neu-)Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG ist jedoch gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Regel die Sicherung des Lebensunterhalts. Letzteres ist gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nur der Fall, wenn der Ausländer den Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Mit dieser allgemeinen Regelvoraussetzung für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die Sicherung des Lebensunterhalts als eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichem Interesse anzusehen ist (vgl. hierzu BT-Drs. 15/420, S. 70). Diese bereits im AuslG 1990 zum Ausdruck kommende Wertung wurde im Rahmen der Neuregelung durch das AufenthG noch verstärkt, indem der frühere Regelversagungsgrund zu einer Regelerteilungsvoraussetzung „heraufgestuft“ wurde. Voraussetzung für eine Ausnahme von dieser Regel ist: „Es müssen entweder besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels muss aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten sein, z.B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist“ (BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 3/08 -, juris Rz. 11, 13 m.w.N.).

Der verwaltungsgerichtliche Beschluss führt insoweit lediglich aus, es bedürfe der dem Hauptsacheverfahren vorbehaltenen Prüfung, ob die offensichtlich fehlende Sicherung des Lebensunterhalts eine Versagung der Aufenthaltserlaubnis rechtfertigt oder ein atypischer Ausnahmefall von der Regelung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliege. Aufzuklären sei in diesem Zusammenhang insbesondere, ob und bejahendenfalls aus welchem Grund die inzwischen volljährigen Kinder noch zur Bedarfsgemeinschaft gehörten, aus welchen Gründen die Ehefrau derzeit nicht zum Lebensunterhalt beitrage und inwieweit sie in Deutschland verwurzelt, eine Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft deshalb in der Türkei nicht zumutbar sei.

Zu Recht beanstandet der Antragsgegner, dass das Verwaltungsgericht damit vorliegend nicht nur auf eine entsprechende Glaubhaftmachung der Anspruchsvoraussetzungen einer einstweiligen Anordnung für das Vorliegen eines atypischen Falles, der eine Ausnahme vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertige, verzichtet habe, sondern sogar auf eine entsprechende Darlegung dieser (Ausnahme-)Voraussetzungen. Anders als im Rahmen der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG sei eine krankheitsdingte Unfähigkeit zur Lebensunterhaltssicherung im Rahmen des § 30 AufenthG nicht vorgesehen. Jedenfalls aber sei auch das nicht belegt. Denn hiernach müsse bei eingeschränkter Erwerbsfähigkeit ein Bemühen oder eine erkennbare Anstrengung, die fortbestehende oder verbliebene Erwerbsfähigkeit zu nutzen, hinzukommen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Dezember 2011 - 2 B 10.11 -, juris Rz. 17). Daran fehle es. Nach dem Gutachten der Bundesagentur für Arbeit vom 26. Juli 2010 sei der Antragsteller im Umfang von drei bis sechs Stunden täglich bei leichten und körperlich wenig beanspruchenden Tätigkeiten wenn auch eingeschränkt arbeitsfähig. Nach deren weiteren Gutachten vom 10. März 2012 sei er nur vorübergehend weniger als drei Stunden täglich arbeitsfähig. Seine Möglichkeiten habe der Antragsteller unstreitig nicht genutzt. Vielmehr habe er seit seiner Einreise im Jahre 2002 nie eine Tätigkeit ausgeübt. Nachweise für eine Arbeitssuche lägen nicht vor. Im Übrigen wäre es auch der Ehefrau zumutbar gewesen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ob die volljährigen Kinder zur Bedarfsgemeinschaft gehörten, sei unerheblich. Dies würde die Höhe des Betrages für die Lebensunterhaltssicherung allenfalls erhöhen. Auch werde der Lebensunterhalt (der Familie) vollständig durch Sozialleistungen bestritten. Der Ehefrau des Antragstellers sei auch die Rückkehr in die Türkei zumutbar, da sie ebenfalls die türkische Staatsangehörigkeit besitze, dort sozialisiert worden und erst im Alter von ca. 30 Jahren nach Deutschland eingereist sei und hier nicht verwurzelt sei, insbesondere auch keine Tätigkeit ausgeübt habe. Die hier lebenden Kinder seien volljährig und bedürften nicht mehr der elterlichen Betreuung als Minderjährige.

Zutreffend rügt der Antragsgegner somit zunächst, dass seitens des Antragstellers im erstinstanzlichen Verfahren nicht einmal behautet, geschweige denn substantiiert dargelegt worden ist, dass die im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder trotz ihrer seit längerem bestehenden Volljährigkeit - sie sind 1989 bzw. 1991 geboren - betreuungsbedürftig und deshalb auf den Antragsteller oder seine Ehefrau angewiesen sind. Woraus das Verwaltungsgericht meint, Anhaltspunkte dafür ableiten zu können - so dürfte der Hinweis des Gerichts ungeachtet der Verwendung der Formulierung „noch zur Bedarfsgemeinschaft gehören“ zu verstehen sein -, wird weder dargelegt noch ist das ersichtlich. Auch im Rahmen der Beschwerdeerwiderung wird insoweit seitens des Antragstellers nichts vorgetragen, vielmehr lediglich erklärt, die 21 bzw. 22 Jahre alten Söhne hätten nicht die Absicht, in die Türkei zurückzukehren.

Das Verwaltungsgericht legt auch nicht einmal im Ansatz dar, wieso es meint, es bedürfe der Aufklärung im Hauptsacheverfahren, aus welchen Gründen die Ehefrau des Antragstellers derzeit nicht zum Lebensunterhalt beitrage, und welcher Anlass zur Annahme besteht, diese sei in Deutschland derart verwurzelt, dass ihr eine Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft in der Türkei nicht zumutbar sei. Für beides fehlt, wie der Antragsgegner zu Recht rügt, schon die gebotene Darlegung im erstinstanzlichen Verfahren.

Unstreitig ist die Ehefrau jedenfalls seit langem (seit Ende 2003), d.h. nicht lange nach Einreise des Antragstellers, keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen. Die vom Verwaltungsgericht eingeholten Auskünfte der Bundesagentur für Arbeit vom 15. Juni 2012 belegen lediglich - neben der jeweils kurzzeitigen Absolvierung eines Deutschkurses bzw. einer Weiterbildung, einer Berufspraxismaßnahme (Marktersatz), einer Trainingsmaßnahme und zweier Integrationskurse - kurze Zeiten der Arbeitsunfähigkeit. Die vorangegangene anwaltliche Mutmaßung im Schriftsatz vom 11. Juni 2012, nach ihrer Erinnerung habe sie erst ab Januar 2005 nicht mehr gearbeitet, „möglicherweise“ sei sie durchgängig krankgeschrieben gewesen, wird durch diese Auskunft eher widerlegt. Jedenfalls hätte es insoweit entsprechenden substantiierten Vortrags des Antragstellers bedurft. Daran hat es im erstinstanzlichen Verfahren gefehlt und diesbezüglich ist auch im Rahmen der Beschwerdeerwiderung trotz des entsprechenden Vortrags des Antragsgegners nichts vorgetragen worden.

Nichts Anderes gilt für die Annahme des Verwaltungsgerichts, es bedürfe der Aufklärung, in welchem Umfang die Ehefrau des Antragstellers in Deutschland verwurzelt sei, so dass es ihr ggf. nicht zuzumuten wäre, die eheliche Lebensgemeinschaft in der Türkei zu führen. Denn auch diesbezüglich ist trotz entsprechender Ausführungen des Antragsgegners im streitgegenständlichen Bescheid vom 13. März 2012 zur Zumutbarkeit insoweit im erstinstanzlichen Verfahren nichts vorgetragen bzw. dargelegt worden, was Anlass geben könnte, hieran Zweifel zu haben. Auch das Verwaltungsgericht macht hierzu keinerlei Angaben. Die Beschwerdeerwiderung führt ungeachtet des Vorbringens des Antragsgegners lediglich aus, die Ehefrau des Antragstellers habe nach nahezu 20 Jahren nicht die Absicht, in die Türkei zurückzukehren. Dass sich allein aus ihrem langjährigen Aufenthalt in Deutschland eine Unzumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei ergibt, obwohl sie erst mit ca. 30 Jahren nach Deutschland gekommen ist und deshalb den größten Teil ihres Lebens in ihrem Heimatland verbracht hat, ist nicht ersichtlich.

Es besteht aber auch unabhängig von dem vom Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommenen Aufklärungsbedarf kein Anlass, die Abschiebung des Antragstellers im Wege einstweiliger Anordnung zu untersagen. Denn besondere atypische Umstände, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung über die notwendige Sicherung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel beseitigen, sind auch ansonsten nicht dargelegt oder ersichtlich. Zwar sind die Möglichkeiten des Antragstellers zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit krankheitsbedingt derzeit zumindest erheblich eingeschränkt, wobei es das letzte Gutachten des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit vom 10. März 2012 sogar als unwahrscheinlich bezeichnet, dass er künftig in der Lage sein wird, eine Tätigkeit „auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben“. Auch werden zur Wiederherstellung einer „für den 2. Arbeitsmarkt“ ausreichenden Leistungsfähigkeit medizinische Rehabilitationsmaßnahmen dringend empfohlen. Hierauf und auf das Maß seiner derzeitigen Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit bzw. die Frage, ob die Möglichkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch ihn auch mangels jeglicher Qualifikation nur eine „theoretische“ ist - so die Beschwerdeerwiderung -, kommt es jedoch gar nicht an. Denn es ist davon auszugehen, dass der Antragsteller die Sicherung (zumindest) seines Lebensunterhalts durch eigene Erwerbstätigkeit in Deutschland überhaupt nie beabsichtigt hat. So hatte er bereits im Antrag auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug in der Türkei und sodann nochmals nach seiner Einreise im Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 11. Oktober 2002 auf die Frage, aus welchen Mitteln der Lebensunterhalt bestritten werden solle, erklärt „von mein Ehefrau“ bzw. „Familieneinkunft der Ehefrau“. Dementsprechend ist der Antragsteller hier seit seiner Einreise vor zehn Jahren auch unstreitig nie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen. Dass er dazu vor und nach seiner Einreise zunächst willens war und sich auch um eine Arbeitsaufnahme bemüht hat, wie es der Antragsgegner zu Recht fordert, und erst später krankheitsbedingt dazu nicht mehr in der Lage war, hat er im Übrigen selbst nicht einmal behauptet.

Angesichts dessen kann dahinstehen, ob die dauerhafte krankheitsbedingte Unfähigkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen, bzw. ein mangelndes Vertretenmüssen insoweit überhaupt die Annahme eines Ausnahmefalls vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu rechtfertigen vermag (ablehnend: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Mai 2012 - 2 B 8.11 -, juris Rz. 24).

Entgegen der Annahme des Antragstellers - zuletzt auch in der Beschwerdeerwiderung - steht der Ablehnung der (Neu-)Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen fehlender Sicherung des Lebensunterhalts auch nicht Art. 6a Europäisches Fürsorgeabkommen (EFA) entgegen, wonach ein Vertragsschließender einen Staatsangehörigen eines anderen Vertragsschließenden, der in seinem Gebiet erlaubt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, nicht allein aus dem Grund der Hilfsbedürftigkeit zurückschaffen darf. Denn dieses Verbot betrifft nur aufenthaltsbeendende behördliche Maßnahmen „während der Dauer eines erlaubten Aufenthalts, insbesondere während der Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis“ (BVerwG, Urteile vom 24. Juni 1982 - 1 C 136/80 - und vom 29. Juli 1993 - 1 C 25/93 -, jeweils in juris, Rz. 18 ff. bzw. 54 ff.).

Dass der Antragsteller auch keinen Anspruch auf Aufenthalt im Hinblick auf den ARB 1/80 besitzt, hat das Verwaltungsgericht unter Ziffer II.1. seines Beschlusses zutreffend dargelegt. Diesbezüglich hat der Antragsteller auch weder erstinstanzlich noch im Rahmen der Beschwerdeerwiderung Ausführungen gemacht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).