Gericht | OLG Brandenburg 11. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 07.09.2022 | |
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Aktenzeichen | 11 U 264/21 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2022:0907.11U264.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 03.11.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 14 O 402/20 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beitragsanpassung des Monatsbeitrags in Höhe von 6,08 € in der zwischen den Parteien bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer … im Tarif (X) im Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 30.06.2021 nicht wirksam geworden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 255,36 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.01.2021 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat den der Kläger auf die Beitragsanpassung zum 01.01.2011 im Zeitraum vom 01.01.2018 bis zum 30.06.2021 gezogen hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger in beiden Instanzen zu tragen.
Das Berufungsurteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 4.000,00 € festgesetzt.
I.
Von der Abfassung eines Tatbestandes wird abgesehen, §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist überwiegend begründet. Sie führt zur teilweisen Abänderung des angefochtenen Urteils. Die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen diesbezüglich eine andere – der Beklagten günstigere – Entscheidung:
A. Der Kläger hat gegen die Beklagte aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB lediglich einen Rückzahlungsanspruch der Erhöhungsbeträge, die er aufgrund des Prämienerhöhungsverlangen der Beklagten zum 01.01.2011 im Tarif (X) im Zeitraum vom 01.01.2018 bis zum 30.06.2021 in Höhe von monatlich 6,08 € gezahlt hat. Der daraus resultierende Gesamtbetrag für insgesamt 42 Monate beläuft sich auf insgesamt 255,36 € nebst geltend gemachter und mit der Berufung nicht angegriffener Zinsen. Weitergehende Ansprüche des Klägers bestehen mit Blick auf den Gegenstand des Berufungsverfahrens weder im vorgenannten Tarif (X) noch im Tarif (Y). Hierzu im Einzelnen:
1. Die Berufung der Beklagten moniert zu Recht, dass das Landgericht für die geltend gemachten Forderungen im Tarif (X) eine Verjährung der Ansprüche nicht auch für das Jahr 2017 angenommen hat.
a) Zutreffend ist das Landgericht insoweit noch von der grundsätzlich bestehenden dreijährigen Verjährungsfrist ausgegangen, die mit Kenntnis von der Prämienerhöhung zu laufen beginnt. Auf die dahingehenden zutreffenden Ausführungen des Landgerichts kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden (LGU 10 f.).
b) Eine Verjährungshemmung trat im Streitfall gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB erst durch die Zustellung der Klageschrift an die Beklagte am 29.01.2021 ein. Entgegen der vom Landgericht vertretenen Rechtsauffassung konnte die Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO im Streitfall nicht bereits durch Einreichung der Klage beim Landgericht noch im Jahr 2020 begründet werden. Soll durch die Zustellung die Verjährung nach § 204 BGB gehemmt werden, tritt diese Wirkung nach § 167 ZPO nur dann bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, ist der Begriff „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO im Wege einer wertenden Betrachtung auszulegen (BGH, Urt. v. 25.2.2021 – IX ZR 156/19, BeckRS 2021, 6258 Rn. 18 m.w.N.). Es gibt deshalb keine absolute zeitliche Grenze, nach deren Überschreitung eine Zustellung nicht mehr als „demnächst“ anzusehen ist. Insbesondere muss sich eine Partei Verzögerungen im Zustellungsverfahren, die z.B. durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht sind, grundsätzlich nicht zurechnen lassen (BGH, a.a.O.; vgl. auch Urt. v. 12.09.2019 - IX ZR 262/18, NZI 2019, 993 Rn. 23). Der Partei sind jedoch solche nicht nur geringfügigen Verzögerungen zurechenbar, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter (vgl. § 85 Abs. 2 ZPO) bei gewissenhafter Prozessführung hätten vermeiden können (BGH, a.a.O., Rn. 19). Verzögerungen sind mithin dann zurechenbar, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter durch nachlässiges - auch leicht fahrlässiges - Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen haben. Maßgeblich ist hierbei, um wie viele Tage sich der für die Zustellung der Klage ohnehin erforderliche Zeitraum infolge der Nachlässigkeit verzögert hat (BGH, a.a.O., m.w.N.). Dem Zustellungsveranlasser zuzurechnende Verzögerungen von bis zu vierzehn Tagen, gerechnet vom Tag des Ablaufs der Verjährungsfrist, sind regelmäßig geringfügig und bleiben deshalb außer Betracht (BGH, a.a.O., m.w.N.).
bb) Gemessen daran erfolgte die Zustellung der (verjährungshemmenden) Klageschrift an die Beklagte erst am 29.01.2021. Grundlage dessen war, dass die dem Kläger am 17.12.2020 zugegangene Gerichtskostenrechnung (vgl. hierzu Anlage KGR B2) zur Zahlung des Kostenvorschusses erst am 18.01.2021 bedient worden war. Auf der Grundlage der vorgenannten Rechtsprechung hat der Kläger bzw. die ihm zuzurechnenden Personen durch zumindest leicht fahrlässiges Verhalten eine nicht nur geringfügige Zustellungsverzögerung herbeigeführt. Dies hat zur Folge, dass die Zahlungsansprüche für den Tarif (X) im Jahr 2017 nicht mehr durchsetzbar sind.
c) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung indessen darauf, dass hier eine vermeintliche Verjährung des „Stammrechts“ im Ergebnis dazu führen solle, dass der Kläger aus der Erhöhung zum 01.01.2011 keinerlei Rechte mehr hergeleitet werden könne. Die Überlegungen, die die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung hierzu anstellt und die zur Annahme der Möglichkeit einer Verjährung des Stammrechts in der privaten Unfallversicherung oder in der Berufsunfähigkeitsversicherung geführt haben, sind auf die hiesige Konstellation nicht übertragbar (vgl. auch OLG Stuttgart, Urt. v. 18.11.2021 – 7 U 244/21, NJOZ 2022, 943, Rn. 31). Die Anknüpfung an das Stammrecht wurde angesichts der Verpflichtung des Versicherers, wiederkehrende Einzelleistungen zu erbringen, damit begründet, dass es den Versicherer unbillig belasten würde, sich Jahre nach einer Leistungsablehnung noch mit einem für abgeschlossen gehaltenen, angesichts des Zeitablaufs typischerweise nur noch unter Schwierigkeiten aufklärbaren Versicherungsfall auseinandersetzen zu müssen (vgl. BGH, Urt. v. 03.04.2019 – IV ZR 90/18, NJW 2019, 1874, Rn. 19 ff.). Derartige Schwierigkeiten hinsichtlich der Aufklärung stellen sich im hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht (OLG Stuttgart, a.a.O.).
2. Ebenfalls zu Recht moniert die Beklagte, das Landgericht habe hinsichtlich der Prämienanpassungen im Tarif (Y) die Heilungswirkung der formell und materiell wirksamen Erhöhung zum 01.01.2017 unberücksichtigt gelassen. Dieser Umstand wird von der Berufungserwiderung des Klägers auch nicht weiter in Abrede gestellt. Infolgedessen kann der Kläger aus den vorangegangenen (unwirksamen) Prämienerhöhungsverlangen zum 01.01.2011 und 01.01.2015 zu seinen Gunsten nichts weiter herleiten. Bis einschließlich 2017 sind etwaige Rückzahlungsansprüche des Klägers verjährt (vgl. oben unter 1.b), so dass im Ergebnis der weitergehende, vom Landgericht für den Tarif (Y) zugesprochene Betrag insgesamt unbegründet und mithin abzuweisen war.
B. Folge der vorgenannten Ausführungen ist es, dass ein Feststellungsinteresse zugunsten des Klägers nur hinsichtlich des unverjährten Teils der klägerischen Haupt- und Nebenforderungen besteht. Dementsprechend war der Feststellungstenor auf jenen Zeitraum zu beschränken, für den der Kläger etwaige Rückforderungen geltend machen kann.
C. Die vorgenannten Ausführungen gelten für den Feststellungsanspruch in Bezug auf die von der Beklagten gezogenen Nutzungen auf die zu Unrecht geleisteten Prämien im Tarif (X) entsprechend.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Berufungsurteiles stützt sich auf § 708 Nr. 10 ZPO sowie auf § 711 S. 1 und 2 i.V.m. § 713 ZPO.
Die Revision wird vom Senat – in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG – nicht zugelassen. Das Urteil des erkennenden Senates beruht im Wesentlichen auf der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall und auf der Würdigung von dessen tatsächlichen Umständen. Divergenzen zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder zu Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte, die höchstrichterlich noch ungeklärte Rechtsfragen mit Relevanz für den Ausgang des hiesigen Streitfalles betreffen, sind nicht ersichtlich. Die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich im Streitfall vielmehr auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zweifelsfrei beantworten. Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch dann, wenn noch eine große Anzahl vergleichbarer Fälle bei Gericht anhängig ist (vgl. statt vieler Senat, Beschl. v. 29.01.2021 – 11 U 113/20, BeckRS 2021, 7532 Rn. 19; Beschl. v. 18.11.2020 – 11 U 50/19, BeckRS 2020, 35720 Rn. 13; vgl. allgemein hierzu BGH, Beschl. v. 01.10.2002 - XI ZR 71/02; Beschl. v. 03.02.2015, II ZR 52/14, Rn. 9 jeweils zit. n. juris; OLG München, Beschl. vom 29.09.2020 - 8 U 201/20, BeckRS 2020, 24517 Rn. 37).