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Afghanistan, (kein) Anspruch auf Erteilung von Visa, Geschwisternachzug, Elternnachzug, Sicherung des Lebensunterhalts, Sicherung ausreichenden Wohnraums, außergewöhnliche Härte, dringende humanitäre Gründe


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg Der 6. Senat Entscheidungsdatum 23.05.2025
Aktenzeichen 6 S 26/25 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0523.6S26.25.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen 146 Abs. 4 VwGO, 32 Abs. 1 Nr. 3; 5 Abs. 1 Nr. 1; 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; 36 Abs. 2; 22 Satz 1 AufenthG, 6 Abs. 1 GG, 8 Abs. 1 EMRK, Familienzusammenführungsrichtlinie (RL 2003/86/EG)

Leitsatz

Zu den Fragen, ob beim Geschwisternachzug zu einem Geschwisterkind mit Flüchtlingsstatus der Lebensunterhalt regelmäßig zu sichern ist und ob es mit Blick auf Art. 7 Abs. 1a, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 RL 2003/86/EG europarechtlich geboten ist, von dem Erfordernis der Sicherung ausreichenden Wohnraums abzusehen.

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. April 2025 wird - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung - geändert. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Antrag der Antragsteller zu 2 und 3, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Visa zum Familiennachzug zu erteilen, zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1 wird unter Ablehnung ihres Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Antragsteller mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt. Außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren bezüglich der Ablehnung von Prozesskostenhilfe für die Antragstellerin zu 1 werden nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hinsichtlich der Antragsteller zu 2 und 3 ist begründet (1.). Die ebenfalls zulässige Beschwerde der Antragstellerin zu 1 ist unbegründet (2). Die Antragstellerin zu 1 hat weder erst- noch zweitinstanzlich einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (3.).

1. Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe, die alleiniger Gegenstand der Senatsentscheidung sind (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3, Satz 6 VwGO), rechtfertigen eine Änderung des angefochtenen Beschlusses hinsichtlich der Antragsteller zu 2 und 3.

Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Antragsteller zu 2 und 3 hätten einen Anspruch auf Erteilung von Visa nach § 32 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Zwar sei ihr Lebensunterhalt nicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert und für sie stehe auch kein ausreichender Wohnraum gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG zur Verfügung. Von der Lebensunterhaltssicherung sei aber wegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK im Wege der Atypik abzusehen. Die Ausnahme von der obligatorischen Wohnraumsicherung leitet das Verwaltungsgericht unmittelbar aus der Familienzusammenführungsrichtlinie (RL 2003/86/EG) in Verbindung mit der Rechtsprechung des EuGH im Urteil vom 30. Januar 2024 (C-560/20) ab.

Mit Erfolg macht die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde die Rechtsfehlerhaftigkeit dieser Auffassung geltend. Die Antragsteller zu 2 und 3 haben weder gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG noch aufgrund anderer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften einen Anspruch auf Erteilung von Visa.

Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht bezüglich eines Anspruchs der Antragsteller zu 2 und 3 auf Kindernachzug gemäß § 32 AufenthG das Vorliegen atypischer Umstände angenommen. Diese liegen tatsächlich nicht vor. Vielmehr handelt es sich bei dem vorliegenden Fall der beiden acht und zehn Jahre alten Antragstellern, die zu ihrem 17-jährigen, in Deutschland über den Flüchtlingsstatus verfügenden Bruder nachziehen wollen, abgesehen von der Minderjährigkeit der Geschwister um den typischen Regelfall des Geschwisternachzugs. Besondere gesundheitliche oder sonstige außergewöhnliche Umstände wurden für keines der Geschwister glaubhaft gemacht. Der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg hat mehrfach entschieden, dass der Lebensunterhalt beim Geschwisternachzug regelmäßig zu sichern ist. Der Anspruch der Eltern auf Elternnachzug nach § 36 Abs. 1 AufenthG dient in dieser Konstellation der Ausübung der Personensorge für das in Deutschland lebende unbegleitete minderjährige Kind. Dagegen besteht kein Recht des in Deutschland lebenden Minderjährigen auf Nachzug seiner gesamten Kernfamilie, d.h. einschließlich seiner minderjährigen Geschwister. Sind Lebensunterhalt und Wohnraum für die Geschwister nicht gesichert, ist den Geschwistern eine vorübergehende Trennung von ihren Eltern bzw. einem Elternteil grundsätzlich zumutbar. Gibt es – wie hier – zwei Elternteile, so können sich die Eltern aufteilen, wenn Lebensunterhalt und Wohnraum für die Geschwisterkinder nicht gesichert sind. Ein Elternteil kümmert sich um das minderjährige Kind in Deutschland – hier die Mutter der Antragsteller zu 2 und 3, die sich bereits in Deutschland aufhält –, während sich der andere Elternteil – hier der im Iran verbliebene Vater – um die weiteren Kinder im Ausland kümmert (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 20. Dezember 2024 – OVG 3 S 158/24 – juris Rn. 7, vom 7. Januar 2025 – OVG 3 S 2/25 – juris Rn. 5 und vom 13. Januar 2025 – OVG 3 S 3/25 – juris Rn. 2 ff.).

Vorliegend ist bei der Frage der Zumutbarkeit der Trennung von den Eltern weiter zu berücksichtigen, dass die elterliche Sorge und Betreuung des in Deutschland lebenden Minderjährigen nur bis zu dessen Volljährigkeit erforderlich ist, die in wenigen Tagen, am 31. Mai 2025, eintreten wird.

Soweit die Antragsteller auf die fortgeschrittene Schwangerschaft der Mutter und deren psychische Belastung aufgrund der familiären Gesamtsituation verweisen und geltend machen, die Mutter sei auf die Hilfe ihres Ehemannes angewiesen, ist dem entgegenzuhalten, dass die Mutter in Deutschland eine medizinische und soziale Betreuung im erforderlichen Umfang erhalten wird.

Die Situation der Mutter ist auch deshalb unerheblich, weil die Antragsteller zu 2 und 3 im Iran mit ihrem älteren Bruder zusammenleben, der nach dem von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Altersgutachten, das die Antragsteller nicht mit substantiellen Argumenten in Zweifel gezogen haben, bereits volljährig sein dürfte, und dass die Antragstellerin zu 1, mit der die Antragsteller zu 2 und 3 ebenfalls zusammenleben, bereits fast 17 Jahre alt ist. Ihnen stünde damit, selbst wenn sich auch der Vater zur Ausreise entschließen würde, noch eine hinreichende Betreuung durch eine erwachsene und eine fast erwachsene Person zur Verfügung. Die Ausführungen der Antragsteller zu 2 und 3 zu einer angeblich drohenden Gefahr einer Trennung und Abschiebung einzelner Geschwister aus dem Iran nach Afghanistan sind spekulativ und unsubstantiiert.

Zu Recht verweist die Antragsgegnerin darauf, dass zum jetzigen Zeitpunkt nicht unterstellt werden kann, dass die Antragsteller zu 2 und 3 auf jeden Fall in absehbarer Zeit ohnehin nach Deutschland werden nachziehen können, ohne dass ihr Lebensunterhalt und ausreichender Wohnraum gesichert sein müssten. Denn der Ausgang des von ihrer Mutter in Deutschland bereits in Gang gesetzten Asylverfahrens ist derzeit offen und eine Gewährung internationalen Schutzes für die Mutter steht nicht sicher fest. Ein solches zukünftiges, den Familiennachzug erlaubendes Aufenthaltsrecht kann grundsätzlich nicht vor dem Abschluss des im Bundesgebiet durchzuführenden Asylverfahrens fingiert und bei einem Visumantrag zum Familiennachzug bereits im Vorgriff berücksichtigt werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Januar 2025 – OVG 3 S 3/25 – juris Rn. 8 mit Verweis auf das diese Rechtsauffassung bestätigende BVerfG, Beschluss vom 22. Dezember 2017 – 2 BvR 2801/17 – juris Rn. 6). Falls der Mutter lediglich ein Abschiebungsverbot zuerkannt oder ihr Antrag vollständig abgelehnt wird, müssten Lebensunterhalt und Wohnraum der Antragsteller zu 2 und 3 grundsätzlich gesichert werden bzw. für sie wäre überhaupt kein Nachzug möglich.

Diese Erwägungen gelten, auch wenn die genannten Entscheidungen Fälle des Nachzugs zu einem Geschwisterkind mit subsidiärem Schutzstatus betrafen, in gleicher Weise für den Nachzug zu einem Geschwisterkind mit Flüchtlingsstatus. Denn es besteht eine vergleichbare Sachlage wie in der hier vorliegenden Konstellation einer Referenzperson mit Flüchtlingsstatus. Dass der Aufenthaltstitel der Eltern einer Referenzperson mit Flüchtlingsstatus nicht mit dem Eintritt von deren Volljährigkeit endet, ändert daran nichts. Den Eltern steht hier, wie die Antragsgegnerin zu Recht ausführt, durch ihren Aufenthaltstitel ein volles Jahr in Deutschland zur Verfügung, in dem sie die Möglichkeit haben, den Lebensunterhalt und Wohnraum für den Rest der Familie zu sichern. Nach Eintritt der Volljährigkeit der Referenzperson entfällt für sie zudem das „Dilemma“, sich zwischen mehreren minderjährigen Kindern in verschiedenen Staaten entscheiden zu müssen.

Die dem Urteil des EuGH vom 30. Januar 2024 – C-560/20 – zugrunde liegende Sachverhaltskonstellation ist dagegen mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Das Urteil betraf den Elternnachzug zu einem anerkannten, nicht mehr minderjährigen Flüchtling, dessen volljährige Schwester an einer äußerst schweren Erkrankung (Zerebralparese) leidet und die vollständig und dauerhaft auf die Pflege ihrer beiden Eltern angewiesen ist. Aufgrund dieser außergewöhnlichen Umstände kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass auch der Schwester ein Nachzugsvisum zu erteilen war. Diese Konstellation ist jedoch, worauf die Antragsgegnerin zutreffend hinweist, nicht vergleichbar mit dem vorliegenden Fall, in dem die im Ausland verbliebenen Geschwister minderjährig, aber in keiner Weise beeinträchtigt sind.

Aus der Familienzusammenführungsrichtlinie (RL 2003/86/EG) ergibt sich nichts Gegenteiliges. In Art. 10 Abs. 2 RL 2003/86/EG ist geregelt, dass die Zusammenführung mit weiteren Familienangehörigen, zu denen auch die Geschwister als Verwandte zweiten Grades zählen, von den Mitgliedstaaten gestattet werden kann, sofern der zusammenführende Flüchtling für ihren Unterhalt aufkommt. Dagegen steht der Nachzug zu einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling ohne weitere Bedingungen nach Art. 10 Abs. 3a der Richtlinie lediglich den Verwandten in gerader aufsteigender Linie ersten Grades, d.h. den Eltern, zu. Ein Nachzugsanspruch von Geschwistern käme dabei erst in Betracht, wenn ein Elternteil als Flüchtling anerkannt würde (vgl. hierzu Senatsurteil vom 22. August 2024 – OVG 6 B 4/23 – juris Rn. 30).

Entsprechendes gilt auch für die notwendige Sicherung ausreichenden Wohnraums. Dass dieser für die Antragsteller zu 2 und 3 nicht gesichert ist, steht ihrem Nachzugsanspruch entgegen. Der Senat hat bereits entschieden, dass es europarechtlich mit Blick auf Art. 7 Abs. 1a, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 RL 2003/86/EG nicht geboten ist, die Regelung des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG außer Acht zu lassen (vgl. Senatsurteil vom 22. August 2024 – OVG 6 B 4/23 – juris Rn. 41).

Andere Anspruchsgrundlagen für die Erteilung von Visa zum Familiennachzug scheiden bei den Antragstellern zu 2 und 3 aus, da bei ihnen weder eine außergewöhnliche Härte i.S.v. § 36 Abs. 2 AufenthG noch dringende humanitäre Gründe i.S.v. § 22 Satz 1 AufenthG dargelegt und glaubhaft gemacht wurden. Vielmehr sind die Antragsteller zu 2 und 3 nicht erkrankt oder aus sonstigen Gründen vollständig und dauerhaft auf die elterliche Pflege und Fürsorge angewiesen. Ihre Lebenssituation unterscheidet sich auch sonst nicht wesentlich von der anderer Ausländer in vergleichbaren Lebensumständen in Afghanistan bzw. im Iran. Bei den genannten Normen handelt es sich, wie die Antragsgegnerin mit Recht geltend macht, nicht um allgemeine Auffangtatbestände für anderweitig nicht berücksichtigte Personen, sondern um Regelungen für spezielle, hier nicht gegebene Einzelfälle.

2. Die von der Antragstellerin zu 1 dargelegten Gründe, die alleiniger Gegenstand der Senatsentscheidung sind (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3, Satz 6 VwGO), rechtfertigen eine Änderung des angefochtenen Beschlusses hinsichtlich der Antragstellerin zu 1 nicht.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin zu 1, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr im Wege der einstweiligen Anordnung ein Visum zum Familiennachzug zu erteilen, mangels eines Anordnungsanspruchs, insbesondere wegen eines fehlenden Wohnraumnachweises, abgelehnt.

Die unter 1. ausgeführten Gründe gelten für die Antragstellerin zu 1 in gleicher Weise und angesichts ihres im Vergleich zu den Antragstellern zu 2 und 3 höheren Lebensalters – sie wird am 8. Juli 2025 17 Jahre alt – erst recht.

Wie aus der Annahme, die Antragstellerin zu 1 habe im Falle ihrer Abschiebung nach Afghanistan geschlechtsspezifische Verfolgung zu besorgen, auf eine von dem EuGH in der oben genannten Entscheidung vorausgesetzte, von dem Verwaltungsgericht jedoch verneinte vollständige und dauerhafte Abhängigkeit von den Eltern zu schließen sei, klärt die Beschwerde nicht auf.

Nicht schlüssig ist im Übrigen, dass die Familie der Antragstellerin zu 1 sich aus Angst vor einer Abschiebung durch die iranischen Behörden nach Afghanistan im Iran verborgen halte und die Wohnung nicht verlasse, wenn andererseits die Mutter der Antragstellerin zu 1 nach dem Beschwerdevorbringen erfolgreich die Ausstellung eines Ausreisevisums betrieben hat und auch tatsächlich in die Bundesrepublik ausreisen konnte, was offenkundig nicht ohne Wissen und Wollen der iranischen Behörden möglich war.

Die Ausführungen des Vaters der Antragstellerin zu 1 in seinem Brief vom 24. April 2024 und die entsprechenden Hinweise der Beschwerde darauf, was der Antragstellerin zu 1 im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan drohen könnte, sind spekulativ. Die Beschwerde bezeichnet eine Abschiebung der Antragstellerin zu 1 aus dem Iran nach Afghanistan als „höchstwahrscheinlich“ und baut auf dem unterstellten Ereignis weitere Überlegungen zu denkbaren Ereignissen in Afghanistan auf. Dabei unterstellt sie jeweils einen ungünstigen potenziellen Geschehensablauf, bis die Handlungsmöglichkeiten der Antragstellerin zu 1 in der Zusammenschau so verengt erscheinen, dass nach Auffassung der Beschwerde keine andere Wahl mehr bestehe, als den Eltern ins Bundesgebiet zu folgen, diese könnten sie nicht im Iran zurücklassen. Die Beschwerde macht bei alledem nicht glaubhaft, dass der von ihr vorgezeichnete Geschehensablauf mit der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bei Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit eintreten wird.

Zudem bleiben die Ausführungen der Beschwerde vage und unsubstantiiert. So ergibt sich aus dem Brief des Vaters vom 24. April 2024 weder eine konkrete Bedrohung der Antragstellerin zu 1 durch „die Taliban“ noch durch – nicht näher benannte – „persönliche Feinde“ der Familie. Die Personen, von denen die Bedrohung ausgehen soll, werden weder von ihrer Identität her noch von ihren Wohnorten her noch von ihrem Motiv bzw. ihrer Interessenlage her hinlänglich exakt beschrieben. In Bezug auf die in Afghanistan lebende, alleinstehende, angabegemäß an gesundheitlichen „Einschränkungen“ leidende Großmutter der Antragstellerin zu 1 wird ausgeführt, sie könne der Antragstellerin zu 1 nicht den Schutz eines männlichen Familienoberhaupts bieten. Warum der Umstand in dieser Allgemeinheit so außergewöhnlich und die Antragstellerin zu 1 in einer Weise auf den Beistand ihrer Eltern angewiesen sei, dass die Eltern ansonsten ihre Rechte aus der Familienzusammenführungsrichtlinie nicht ausüben könnten, erschließt sich nicht. Ebenso wenig wird deutlich, wie aus einer bekundeten Bedrohung der Familie des Vaters „in der Region Parwan“ durch die Taliban noch vor dem Sturz der afghanischen Regierung folge, die Antragstellerin zu 1 könne in der Region nicht von ihrem dort lebenden Onkel aufgenommen werden. Dieser Schluss ergibt sich auch nicht aus dem allgemeinen Hinweis der Beschwerde auf die Sittengesetze der Taliban oder daraus, es sei zweifelhaft, dass die Antragstellerin zu 1 überhaupt bis in die Region gelangen werde.

Im Übrigen räumt die Beschwerde selbst ein, die Antragstellerin zu 1 könne in der Obhut ihres Bruders R_____ bleiben, um dann erneut nur darüber zu spekulieren, die Geschwister könnten an ihrem gegenwärtigen iranischen Wohnort „durchaus“ zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgegriffen und abgeschoben oder bei einer gemeinsamen Abschiebung getrennt werden, selbst im Falle des Zusammenbleibens nach einer denkbaren Abschiebung sei „zweifelhaft“, wie der Bruder die Antragstellerin zu 1 vor einer Zwangsverheiratung, Vergewaltigung oder willkürlichen Verhaftung schützen könne, er sei „nicht im gleichen Maße“ wie ein Vater schutzfähig und müsse „auf einen Schlag“ Familienoberhaupt werden, „fraglich“ erscheine, ob er sich und die Antragstellerin zu 1 werde versorgen können, überdies sei er selbst von Zwangsrekrutierung und Entführung bedroht, die Familie sei in der Provinz Parwan bekannt, Vergeltungsmaßnahmen der Taliban erschienen nicht unwahrscheinlich, „sollte“ dem Bruder „etwas“ in Afghanistan zustoßen, werde die Antragstellerin zu 1 auf sich gestellt sein, auch dem Vater der Antragstellerin zu 1 drohe im Falle seiner Abschiebung nach Afghanistan angesichts einer Vorverfolgung Lebensgefahr, weswegen das Recht des schon in Deutschland lebenden Kindes aus der Familienzusammenführungsrichtlinie unterzugehen drohe.

Offen bleibt, warum eine Rechtspflicht der Antragsgegnerin zur Visumerteilung aus dem Umstand folge, die Ausländerbehörde sei sachnäher und für die sozio-politischen Folgen mangelnden Wohnraumnachweises verantwortlich, sie habe dem Nachzug zugestimmt.

Soweit das Verwaltungsgericht mit ausführlicher Begründung einen Anspruch der Antragstellerin zu 1 auf Visumerteilung nach § 22 Satz 1 AufenthG verneint hat, werden durchgreifende Zweifel nicht durch das denkbar allgemein gehaltene Vorbringen dargelegt, vor dem Hintergrund der Gefahr schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen und konkret zu erwartender Nachteile für Leib und Leben dränge sich die Visumerteilung geradezu auf. Im Übrigen spekuliert die Beschwerde erneut nur über Gefahren, die der derzeit mit ihrem Bruder im Iran lebenden Antragstellerin zu 1 „insbesondere“ in Afghanistan drohten.

Unabhängig davon greift die Beschwerde schon den erstinstanzlich angelegten Entscheidungsmaßstab nicht substanziiert an, die Antragstellerin zu 1 müsse vollständig und dauerhaft auf familiäre Hilfe durch ihre Eltern oder den Stammberechtigten angewiesen sein. Dass sie nach diesem Maßstab einen Anspruch auf Visumerteilung nach § 22 Satz 1 AufenthG habe, wird nicht glaubhaft gemacht.

3. Aus den unter 2. genannten Gründen folgt, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Eilantrag hinsichtlich der Antragstellerin zu 1 erstinstanzlich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO biete, nicht zu beanstanden ist und ihr auch für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe nicht zu bewilligen war.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, bezüglich der Prozesskostenhilfe für die Antragstellerin zu 1 i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO und bezüglich des Beigeladenen i.V.m. § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Im Verfahren über die Beschwerde der Antragstellerin zu 1 bezüglich der Ablehnung von Prozesskostenhilfe bedarf es einer Streitwertfestsetzung wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).