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Abschiebungsandrohung; gesetzliche Ausreisepflicht; Assoziationsrecht EWG-Türkei; assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht; Erlöschen; Verlassen des Hoheitsgebietes des Aufnahmemitgliedstaats; nicht unerheblicher Zeitraum; ohne berechtigte Gründe; Orientierungsrahmen für Zeitraum; Anwendbarkeit der Daueraufenthaltsrichtlinie; (keine) Anwendbarkeit der Unionsbürgerrichtlinie


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 17.07.2014
Aktenzeichen OVG 7 B 40.13 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 59 Abs 1 AufenthG, § 50 Abs 1 AufenthG, § 4 Abs 1 AufenthG, Art. 7 S 1 EWGAssRBes 1/80, Art 16 Abs 4 EGRL 38/2004, Art 9 Abs 1c EGRL 109/2003

Leitsatz

Zur Konkretisierung des Verlustgrundes des Verlassens des Aufnahme-mitgliedstaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ist die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) genannte Frist von mindestens zwölf aufeinanderfolgenden Monaten heranzuziehen.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das den Beteiligten am 25. November 2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin geändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste am 9. Juli 1988 mit einem Visum zum Familiennachzug zu seiner damaligen Ehefrau, die bis August 1993 als Arbeiterin bei den Sarotti-Werken in Berlin-Tempelhof beschäftigt war, in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihm wurde im Oktober 1993 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis nach dem Ausländergesetz erteilt.

Am 5. August 2003 schloss der Kläger die Ehe mit der türkischen Staatsangehörigen C.... Diese hatte sich zuvor mit dem am 3. November 2001 geborenen gemeinsamen Sohn in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten und ein Asylverfahren erfolglos durchgeführt. Die Ehefrau und das Kind waren am 18. April 2003 freiwillig wieder in die Türkei ausgereist. Ihr im Januar 2004 gestellter Antrag auf Erteilung eines Visums zum Nachzug zum Kläger in die Bundesrepublik Deutschland blieb ohne Erfolg. Die Ehe wurde am 4. Mai 2007 wieder geschieden.

Anlässlich der Übertragung der Niederlassungserlaubnis des Klägers in seinen neuen Pass stellte das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten im Mai 2006 fest, dass der Kläger sich über einen längeren Zeitraum nicht in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hatte, und forderte ihn mit Schreiben vom 21. Juni 2006 auf, Nachweise über seinen Aufenthalt im Zeitraum von September 2004 bis April 2006 vorzulegen.

Mit Schreiben vom 4. Januar 2011 übersandte der Kläger auf entsprechende Aufforderung der Ausländerbehörde eine Bescheinigung des türkischen Generalkonsulats in Berlin über seine Ein- und Ausreisen, aus der sich ausweislich der Auswertung der Ausländerbehörde im Vermerk vom 5. Januar 2011 ergibt, dass er sich im Zeitraum vom 8. Oktober 2004 bis 30. März 2006 ununterbrochen in der Türkei aufgehalten hat. Ausweislich der Melderegisterauskunft war der Kläger zwischen dem 15. Januar 2005 und dem 30. April 2006 nicht in Berlin gemeldet.

Mit Bescheid vom 7. Januar 2011 stellte das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten fest, dass der Kläger verpflichtet ist, das Bundesgebiet zu verlassen, und drohte für den Fall, dass er nicht bis zum 13. Februar 2011 freiwillig ausreist, seine Abschiebung in die Türkei an. Zur Begründung hieß es, der Kläger sei zur Ausreise verpflichtet, weil er keinen Aufenthaltstitel mehr besitze. Es sei anhand der Auflistung der Ein- und Ausreisetermine festgestellt worden, dass er sich im Zeitraum vom 8. Oktober 2004 bis zum 30. März 2006 in der Türkei aufgehalten habe mit der Folge, dass seine Niederlassungserlaubnis gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen sei. Somit sei der Kläger am 1. April 2004 ohne das erforderliche Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 3. Februar 2011 Klage erhoben und des Weiteren die Feststellung begehrt, dass seine Niederlassungserlaubnis nicht erloschen sei. Auf den zugleich gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. August 2011 – VG 15 L 33.11 – die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 7. Januar 2011 angeordnet und zur Begründung angeführt, dass zwar die Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen sei, der Kläger jedoch ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworben habe. Dieses Recht könne nur unter den – hier nicht in Betracht kommenden – Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 1 ARB oder dann verloren gehen, wenn der Ausländer das Hoheitsgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlasse. Nach diesem Maßstab habe die Zeit ununterbrochener Abwesenheit von 18 Monaten zwischen Oktober 2004 und März 2006 das Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 noch nicht zum Erlöschen gebracht. Als Orientierungsrahmen sei Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG heranzuziehen, wonach das Daueraufenthaltsrecht von Unionsbürgern erst nach einer zwei aufeinander folgende Jahre überschreitenden Abwesenheitszeit erlösche.

Mit den Beteiligten am 25. November 2011 zugestelltem Urteil hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 7. Januar 2011 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen auf seine Ausführungen im Beschluss vom 3. August 2011 verwiesen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 13. August 2013, dem Beklagten am 15. August 2013 zugestellt, die Berufung wegen ernstlicher Richtigkeitszweifel zugelassen, soweit im Urteil des Verwaltungsgerichts der Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 7. Januar 2011 aufgehoben worden ist. Der Beklagte hat die Berufung mit am 9. September 2013 eingegangenem Schriftsatz wie folgt begründet: Dem Kläger stehe kein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 zu, da dieses aufgrund seiner 17 ½ - monatigen Abwesenheit aus dem Bundesgebiet erloschen sei. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union verliere der Familienangehörige seine Rechte aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 u.a. dann, wenn er den Aufnahmestaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlasse. Dies sei hier der Fall. Zwar weise der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der Auslegung der Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 und ihrer Verlustgründe darauf hin, dass entsprechende Regelungen, die im Bereich der Freizügigkeit für Unionsbürger und ihre Familienangehörige gelten, soweit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige zu übertragen seien. Allerdings ergebe sich aus der Rechtsprechung auch, dass es nicht möglich sei, die Regelung über den Verlust des Rechts auf Daueraufenthalt von Unionsbürgern auf das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 zu übertragen. In seiner Entscheidung vom 8. Dezember 2011 in der Rechtssache „Ziebell“ habe der Gerichtshof betont, dass die Assoziation EWG-Türkei ausschließlich einen wirtschaftlichen Zweck verfolge und sich auf die schrittweise Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränke. Im Gegensatz dazu sei die Unionsbürgerrichtlinie gerade nicht auf die Verfolgung rein wirtschaftlicher Ziele beschränkt. Sie solle vielmehr den Unionsbürgern die Ausübung ihrer Freizügigkeitsrechte erleichtern und bezwecke, dieses Recht zu stärken. Nur die Unionsbürgerschaft rechtfertige es demnach, dass das Recht auf Daueraufenthalt erst bei einer Abwesenheit von zwei aufeinander folgenden Jahren erlischt. Das Erlöschen des assoziationsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts könne nicht nach gleichen Maßstäben erfolgen. Als unionsrechtlicher Bezugsrahmen sei mangels günstigerer Vorschriften im Assoziationsrecht EWG-Türkei Art. 9 der Richtlinie 2003/109/EG heranzuziehen. Gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) der Daueraufenthaltsrichtlinie verliere ein langfristig Aufenthaltsberechtigter seine Rechtsstellung, wenn er sich während eines Zeitraums von zwölf aufeinander folgenden Monaten nicht im Gebiet der Gemeinschaft aufgehalten habe. Dies sei beim Kläger der Fall. Ein berechtigter Grund für die Abwesenheit des Klägers sei auch nicht ersichtlich.

Der Beklagte beantragt,

das den Beteiligten am 25. November 2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Ausführungen des Verwaltungsgerichts für zutreffend und regt an, das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen. Er gibt außerdem an, seit dem 15. Januar 2011 sozialversicherungspflichtig beschäftigt zu sein.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Streitakte, insbesondere auf die in der mündlichen Verhandlung protokollierten Angaben des Klägers, und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (2 Hefter) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 7. Januar 2011 zu Unrecht stattgegeben, sodass das insoweit stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen ist.

Die Anfechtungsklage ist zulässig. Insbesondere hat sich die Abschiebungsandrohung vom 7. Januar 2011 nicht erledigt, wenn auch die darin gesetzte Frist zur freiwilligen Ausreise bis zum 13. Februar 2011 verstrichen ist. Nach gegenwärtiger Gesetzeslage führt der Umstand, dass die datumsmäßig bestimmte Ausreisefrist abgelaufen ist, ohne dass der Betroffene die Bundesrepublik Deutschland verlassen hat, nicht dazu, dass die Abschiebungsandrohung gegenstandslos wird (vgl. Bauer in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 59 Rn. 23). Auch durch das Entfallen der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht aufgrund des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 3. August 2011 hat sich die Abschiebungsandrohung nicht erledigt, denn die Ausreisepflicht wurde nur unterbrochen (vgl. § 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG bzw. § 50 Abs. 3 AufenthG a.F.).

Die Klage ist unbegründet, denn der Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für die gerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung ist jedenfalls dann, wenn – wie hier – der Ausländer aufgrund der Androhung noch nicht abgeschoben wurde oder nicht freiwillig ausgereist ist, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 1 C 3.11 – juris Rn. 13). Anzuwenden sind deshalb §§ 59 Abs. 1, 50 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern vom 29. August 2013 (BGBl I S. 3484). Daneben ist die Abschiebungsandrohung auch an der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 (sog. Rückführungsrichtlinie, ABl EG Nr. L 348 S. 98) zu messen, weil es sich bei der Abschiebungsandrohung um eine Rückkehrentscheidung i.S.v. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie handelt (vgl. Bauer, a.a.O., § 59 Rn. 6; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand: Mai 2014, § 59 Rn. 270) und die streitgegenständliche Abschiebungsandrohung nach Ablauf der Umsetzungsfrist (24. Dezember 2010) ergangen ist, sodass die Grundsätze der Direktwirkung von Richtlinien gelten.

I. Voraussetzung für den Erlass einer Abschiebungsandrohung ist zunächst das Vorliegen einer gesetzlichen Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG. Danach ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht. Gemäß § 4 Abs. 1 AufenthG bedürfen Ausländer u. a. für die Einreise in das Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht u.a. aufgrund des Assoziationsabkommens EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht besteht. Ein Ausländer, der ohne einen erforderlichen Aufenthaltstitel einreist, ist damit von vornherein kraft Gesetzes ausreisepflichtig.

1. Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger bei seiner Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2006 ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 nicht mehr besaß.

Zwar hatte der Kläger ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 erworben, nachdem er im Juli 1988 mit einem Visum in die Bundesrepublik Deutschland zu seiner damaligen Ehefrau eingereist war, die in Berlin als Arbeiterin beschäftigt war. Er hatte einen mindestens fünfjährigen ununterbrochenen ordnungsgemäßen Wohnsitz im Inland und während dieses Zeitraums bestand eine familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner ersten Ehefrau.

Dieses Aufenthaltsrecht ist jedoch aufgrund des vom 8. Oktober 2004 bis mindestens zum 30. März 2006 andauernden, ununterbrochenen Aufenthalts des Klägers in der Türkei erloschen. Ausweislich der Bescheinigung des türkischen Generalkonsulats in Berlin vom 18. Oktober 2010 reiste der Kläger am 8. Oktober 2004 in die Türkei ein und erst am 30. März 2006 wieder aus der Türkei aus. Der Senat musste nicht weiter aufklären, ob der Kläger – wie der Beklagte im angefochtenen Bescheid angenommen hat – tatsächlich bereits am 1. April 2006 wieder in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Hiergegen spricht, dass die Bescheinigung des türkischen Generalkonsulats für diesen Tag eine erneute Einreise des Klägers in die Türkei angibt. Denn auch bei dem vom Beklagten zu Grunde gelegten und für den Kläger günstigeren Einreisetermin am 1. April 2006 war das Aufenthaltsrecht aufgrund der ununterbrochenen Abwesenheit des Klägers vom Bundesgebiet seit dem 8. Oktober 2004 erloschen.

Die Frage des Erlöschens eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts beurteilt sich nicht nach nationalem Recht, sondern ausschließlich nach Assoziationsrecht bzw. nach unionsrechtlichen Bestimmungen. Die einmal nach Art. 7 ARB 1/80 erworbenen Rechte sind vom Fortbestand der Voraussetzungen für den Erwerb dieser Rechte unabhängig (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2010 – C 303/08 – [Rs. M. Bozkurt] juris Rn. 40). So können die Rechte, die ein Familienangehöriger einmal nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erworben hat, nicht mehr dadurch erlöschen, dass - wie hier - die Bezugsperson (der türkische Arbeitnehmer) nach ihrem Erwerb nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehörte. Ein nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 als Familienangehöriger erworbenes Beschäftigungs- und Aufenthaltsrecht eines Ehegatten erlischt auch nicht durch Scheidung der Ehe (vgl. EuGH, Rs. M. Bozkurt, a.a.O., Rn. 44).

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union können die Aufenthaltsrechte, die Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 dem Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers gewährt, nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden: Entweder stellt die Anwesenheit des Familienangehörigen des türkischen Wanderarbeitnehmers im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 dar, oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 – C-371/08 – [Rs. Ziebell] Rn. 49, Urteil vom 16. Juni 2011 – C-484/07 – [Rs. Pehlivan] Rn. 62, Urteil vom 22. Dezember 2010, Rs. M. Bozkurt, a.a.O., Rn. 42, Urteil vom 18. Dezember 2008 – C-337/07 – [Rs. Altun] Rn. 62, Urteil vom 18. Juli 2007 – C-325/05 – [Rs. Derin] Rn. 54, Urteil vom 16. Februar 2006 – C-502/04 – [Rs. Torun] Rn. 21; Urteil vom 7. Juli 2005 – C-373/03 – [Rs. Aydinli] Rn. 27, Urteil vom 11. November 2004 – C-467/02 – [Rs. Cetinkaya] Rn. 36 und 38, Urteil vom 16. März 2000 – C-329/97 – [Rs. Ergat] Rn. 45, 46, 48). Der Verlustgrund gilt nicht nur während des drei- beziehungsweise fünfjährigen Zeitraums, in dem die Rechte des Artikel 7 entstehen, sondern auch nach Erwerb der Rechte durch den Familienangehörigen (vgl. EuGH, Rs. Ergat, a.a.O., Rn. 50).

a) Eine zeitliche Grenze, bei deren Überschreitung stets von einem Verlassen des Aufenthaltsstaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum auszugehen ist, hat der Gerichtshof nicht festgelegt. Er betont vielmehr, dass es allein Sache der nationalen Gerichte sei festzustellen, ob der Assoziationsberechtigte die Bundesrepublik Deutschland für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (vgl. EuGH, Rs. Derin, a.a.O., Rn. 43). Der Rechtsprechung lässt sich jedoch entnehmen, dass kurzzeitige Unterbrechungen des Aufenthalts, etwa durch Urlaub oder Besuch der Familie im Heimatland, die ohne die Absicht erfolgen, den Wohnsitz im Aufnahmemitgliedstaat in Frage zu stellen, nicht zu einem Verlust der nach Art. 7 Satz 1 erworbenen Rechte führen (vgl. zu einem Fall des Entstehens der Rechte nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80: EuGH, Urteil vom 17. April 1997 – C-351/95 – [Rs. Kadiman] Rn. 48 und zur Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf das Erlöschen dieser Rechte: EuGH, Rs. Ergat, a.a.O., Rn. 48, 51). Entsprechendes gilt für einen weniger als sechsmonatigen Aufenthalt des Betroffenen in seinem Heimatland, wenn dieser Aufenthalt nicht vom seinem Willen abhängig war (vgl. EuGH, Rs. Kadiman, a.a.O., Rn. 49).

Das Bundesverwaltungsgericht sowie einige Obergerichte haben in der Vergangenheit vertreten, dass zur Konkretisierung des Verlustgrundes des Verlassens des Aufnahmemitgliedstaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum die für Unionsbürger geltende Zweijahresfrist des Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (sog. Unionsbürgerrichtlinie, ABl EG Nr. L 158 S. 77) als „Orientierungsrahmen“ heranzuziehen sei (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 – 1 C 6.08 – juris Rn. 27; OVG Nordrh.-Westf., Urteil vom 6. Dezember 2011 – 18 A 2765/07 – juris Rn. 79; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2010 – OVG 12 B 26.09 – juris Rn. 37).

Der Senat geht allerdings davon aus, dass seit der Entscheidung des Gerichtshofs vom 8. Dezember 2011 in der Rechtssache „Ziebell“ (a.a.O.) als Orientierungsrahmen Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) der Richtlinie 2003/109/EG vom 25. November 2003 (sog. Daueraufenthaltsrichtlinie, ABl EG Nr. L 16 S. 44) heranzuziehen ist, so dass ein Aufenthalt außerhalb des Aufnahmemitgliedstaates von mindestens zwölf aufeinanderfolgenden Monaten in der Regel rechtsvernichtend ist, sofern keine berechtigten Gründe vorliegen (vgl. Gutmann, GK-AufenthG, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 68.1 und Art. 6 ARB 1/80 Rn. 257.3; VG Ansbach, 10. Oktober 2013 – AN 5 K 13.00394 – juris Rn. 31 f.). In der genannten Entscheidung hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit der Frage, wann eine Beschränkung von Aufenthaltsrechten aus Gründen der „öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit“ im Sinne von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gerechtfertigt ist, klargestellt, dass wegen der unterschiedlichen Zielrichtung der jeweiligen Bestimmungen die Regelungen für Unionsbürger in Art. 28 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG, wonach Ausweisungen nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit erfolgen dürfen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nicht entsprechend angewandt werden können, sondern der Maßstab in Art. 12 Richtlinie 2003/109/EG heranzuziehen ist, wonach eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit für eine Ausweisung genügt (EuGH, Rs. Ziebell, a.a.O., Rn. 79). Greift der Gerichtshof für die erste Fallgruppe des Erlöschens von Aufenthaltsrechten nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 auf die Daueraufenthaltsrichtlinie zurück, so muss dies auch für die Auslegung der zweiten Fallgruppe gelten. Denn die in der Rechtssache „Ziebell“ angeführten Gründe dafür, dass auf Assoziationsberechtigte nicht die stärkeren, für Unionsbürger geltenden Garantien entsprechend anwendbar sein sollen, tragen für beide Fallgruppen gleichermaßen.

Der Gerichtshof hat für die Beurteilung der Frage, ob sich eine Vorschrift des Unionsrechts für eine entsprechende Anwendung im Rahmen der Assoziation EWG-Türkei eignet, folgenden Vergleich von Zweck und Kontext des Assoziierungsabkommens mit Zweck und Kontext des Rechtsakts des Unionsrechts angestellt: Während die Assoziation EWG–Türkei nur ein rein wirtschaftliches Ziel verfolgt und sich auf eine schrittweise Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränkt, stützen sich die in der Richtlinie 2004/38/EG gewährten Rechte auf die Unionsbürgerschaft, die sich allein daraus ergibt, dass eine Person die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, ohne dass es auf die Arbeitnehmereigenschaft ankommt (vgl. EuGH, Rs. Ziebell, a.a.O., Rn. 62). Die Unionsbürgerschaft (vgl. Art. 20 AEUV) ist außerdem dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 8. März 2011 – C-34/09 – [Rs. Zambrano] Rn. 41). Dieser Status rechtfertigt es, dass Unionsbürgern nicht nur ein verstärkter Ausweisungsschutz zukommt, sondern sie auch erst nach einer längeren Abwesenheit vom Aufenthaltsmitgliedstaat ihr Daueraufenthaltsrecht verlieren. Soweit der Gerichtshof in Ausweisungsfällen bei der Auslegung von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 in früheren Entscheidungen auf die für Angehörige der Mitgliedstaaten vormals geltende Richtlinie 64/221/EWG Bezug genommen hat (vgl. z.B. EuGH, Rs. Cetinkaya, a.a.O., Rn. 44) beruhte dies darauf, dass die Arbeitnehmereigenschaft „der gemeinsame Nenner“ des Assoziationsabkommens und der Richtlinie 64/221/EWG war (vgl. Schussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 14. April 2011, Rn. 51, 57). Entsprechendes gilt für die vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung getroffene Aussage, dass auf die türkischen Arbeitnehmer, die die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, soweit wie möglich die im Rahmen der 48, 49 und 50 EWG-Vertrag genannten Grundsätze zu übertragen seien (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juni 1995 – C-434/93 – [Rs. A. Bozkurt] Rn. 19, 20; EuGH, Urteil vom 23. Januar 1997 – C-171/95 – [Rs. Tetik] Rn. 28, 29; EuGH, Rs. Nazli, a.a.O., Rn. 54; EuGH, Rs. Cetinkaya, a.a.O., Rn. 42). Es handelt sich bei den genannten Bestimmungen des EWG-Vertrages (später: Art. 49, 50 und 51 EG-Vertrag; heute: Art. 45, 46 und 47 AEUV) ausschließlich um solche primärrechtlichen Vorschriften, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit betreffen. Die nunmehr für Unionsbürger geltende Richtlinie 2004/38/EG geht indessen über den rein wirtschaftlichen und arbeitnehmerbezogenen Rahmen hinaus. Sie wurde gerade im Hinblick darauf erlassen, den bis dahin bestehenden bereichsspezifischen und fragmentarischen Ansatz des Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechts der Unionsbürger zu überwinden. Sie richtet sich nicht mehr nur an die Personengruppe der Arbeitnehmer, sondern betrifft nach ihrem Art. 1 Buchst. a) die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten genießen (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 14. April 2011, Rn. 51 ff).

b) Ein berechtigter Grund für die über ein Jahr andauernde Abwesenheit aus der Bundesrepublik Deutschland liegt nicht vor. Die Beurteilung, ob berechtigte Gründe für das Verlassen des Aufnahmemitgliedstaates vorliegen, obliegt in erster Linie den nationalen Gerichten (vgl. EuGH, Rs. Derin, a.a.O., Rn. 43). Sie hat sich am Regelungszweck des Art. 7 ARB 1/80 zu orientieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 – 1 C 6.08 – juris Rn. 29). Danach ist zu berücksichtigen, dass das durch Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 eingeführte System für Voraussetzungen sorgen soll, die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu erleichtern. Dies entspricht dem allgemeinen Zweck dieses Beschlusses, die im sozialen Bereich bestehende Regelung für die türkischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen zu verbessern, um schrittweise die Freizügigkeit der Arbeitnehmer herzustellen (vgl. EuGH, Rs. Pehlivan, a.a.O., Rn. 45; Rs. Ergat, a.a.O., Rn. 43). In der ersten Zeit, d. h. vor Ablauf des in Art. 7 Satz 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 genannten Zeitraums von drei Jahren, sollen die Beschäftigung und der Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der sich bereits ordnungsgemäß in dem Aufnahmemitgliedstaat aufhält, durch die Anwesenheit seiner Familienangehörigen gefördert werden. Nach dem Erreichen der Verfestigungsstufe des zweiten Spiegelstrichs soll die Stellung der Familienangehörigen des türkischen Wanderarbeitnehmers dadurch gefestigt werden, dass ihnen selbst Zugang zum Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats gewährt wird, damit sie sich eine gegenüber der Stellung des Wanderarbeitnehmers selbstständige Stellung aufbauen können und auf diese Weise eine nachhaltige Integration der Familie im Aufnahmemitgliedstaat erreicht wird (vgl. Rs. Kahveci und Inan, a.a.O. Rn. 32, 33). Für die aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 abgeleiteten Rechte gilt insgesamt, dass sie sich nach ihrer Entstehung aus der Abhängigkeit von der beschäftigungsbezogenen Rechtsstellung des Stammberechtigten lösen und damit der allgemeinen Integration der Familienangehörigen in den Mitgliedstaat zu dienen bestimmt sind (vgl. EuGH, Rs. Aydinli, a.a.O., Rn. 23; Rs. Derin, a.a.O., Rn. 50). Ob der assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige den Verlusttatbestand erfüllt, hängt somit nach dem Regelungszweck davon ab, ob er den erreichten Integrationszusammenhang durch Aufgabe des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet beseitigt hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der türkische Staatsangehörige im Zeitpunkt seiner Ausreise die Absicht hatte, demnächst zurückzukehren. Auch das weitere Verbleiben im Ausland kann etwa nach einem zunächst nur vorgesehenen zeitlich begrenzten Auslandsaufenthalt nach Sinn und Zweck des Erlöschenstatbestandes im Einzelfall einem Verlassen gleichgesetzt werden. Denn auch in einem solchen Fall kann der Integrationszusammenhang durch die erst nach der Ausreise erfolgte Aufgabe des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet auf Dauer beseitigt werden (vgl. OVG Nordrh.-Westf., Urteil vom 6. Dezember 2011, a.a.O., Rn. 70 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EuGH).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat sich der Kläger ohne berechtigte Gründe in der Zeit vom 8. Oktober 2004 bis mindestens zum 30. März 2006 außerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten. Auf Grundlage der von ihm bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht gemachten Angaben und der sonstigen sich aus der Ausländerakte ergebenden Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger während seines ca. 18-monatigen Aufenthalts in der Türkei seinen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet in einer Weise aufgegeben hat, dass sein Integrationszusammenhang beseitigt wurde. Zwar mag der Kläger im Oktober 2004 zunächst in der Absicht in die Türkei ausgereist zu sein, um seinen dort lebenden Sohn beschneiden zu lassen. Er hat aber jedenfalls nach seiner Ausreise seinen Lebensmittelpunkt freiwillig in die Türkei verlegt. Dies ergibt sich aus den Gesamtumständen seines Aufenthalts. Der Kläger wohnte seit Oktober 2004 gemeinsam mit seiner Frau und seinem Kind in einer von ihm im Jahr 2001 angemieteten Wohnung in Adana. Zuvor hatten seine Frau und das Kind sich bei ihm in Deutschland aufgehalten, mussten das Bundesgebiet jedoch im April 2003 wieder verlassen, nachdem ein von ihnen durchgeführtes Asylverfahren erfolglos geblieben war. Ihr von der Türkei aus im Januar 2004 gestellter Visumantrag auf Familiennachzug zum Kläger nach Deutschland blieb ebenfalls erfolglos. Der Kläger behielt außerdem seine Berliner Wohnung nicht während der gesamten Dauer seines Aufenthalts in der Türkei bei. Er führte in der mündlichen Verhandlung aus, dass sein Vermieter die Räumung der Wohnung und die Abmeldung beim Einwohnermeldeamt veranlasste, nachdem er die Miete nicht mehr bezahlt hatte. Auch bestand offenbar kein Arbeitsverhältnis des Klägers in Deutschland, das für ihn Anlass gewesen wäre, nach einem Besuchsaufenthalt in der Türkei nach Deutschland zurückzukehren. Der Kläger führte außerdem aus, dass seine Frau von ihm erwartete, dass er mit ihr und dem Kind in der Türkei leben sollte, während er ein Familienleben in der Bundesrepublik Deutschland bevorzugt hätte. All diese Umstände sprechen dafür, dass es dem Kläger vorrangig darum ging, auch nach der Beschneidung seines Sohnes in familiärer Lebensgemeinschaft mit seiner Frau und dem Kind zu leben, was sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht realisieren ließ.

Die Einlassung des Klägers, allein die Erkrankung des Sohnes habe seine eigentlich geplante Rückreise für einen Zeitraum von dreizehn bis vierzehn Monaten verhindert, ist demgegenüber nicht glaubhaft. Der Kläger hat keine Umstände lebensnah geschildert, die dafür sprechen, dass sein Sohn über einen Zeitraum von über einem Jahr eine derartig schwerwiegende Erkrankung hatte, dass er den ständigen Beistand des Klägers benötigte. Dass der Sohn des Klägers nach der Beschneidung eine mit hohem Fieber verbundene Entzündung bekam, die wegen der Hitze schlecht heilte, erklärt nicht die behauptete lange Dauer und Schwere der Erkrankung, zumal eine Aufnahme des Kindes in das Krankenhaus nicht erforderlich war und nur ein Mal während des angegebenen Zeitraums der Erkrankung von dreizehn bis vierzehn Monaten eine ambulante Behandlung im Krankenhaus stattfand. Dass die klägerische Behauptung, sein Sohn hätte ohne ihn nicht überleben können, nicht glaubhaft ist, ergibt sich auch daraus, dass der Kläger bei seiner Befragung durch den Senat zu einem späteren Zeitpunkt auf Vorhalt einräumte, dass er fünf Monate inhaftiert gewesen ist und während dieses Zeitraums nicht bei seiner Familie gewohnt und sich auch nicht um seinen Sohn gekümmert hat. In dieser Zeit wurde er vielmehr wöchentlich von seiner Frau und dem Kind in dem Gefängnis besucht. Im Übrigen spricht auch der Umstand, dass wöchentliche Besuche der Ehefrau mit dem Sohn im Gefängnis möglich waren, dagegen, dass das Kind sich in diesem Zeitraum in einem besorgniserregenden gesundheitlichen Zustand befand.

Der Senat kann dahinstehen lassen, ob sich der Kläger bei isolierter Betrachtung der Zeit seiner Inhaftierung jedenfalls während dieses Zeitraums aus einem „berechtigten Grund“ in der Türkei aufhielt. Die Inhaftierung des Klägers erstreckte sich nach seinen Angaben lediglich auf einen Abschnitt von fünf Monaten innerhalb eines Zeitraums von mindestens siebzehn Monaten und drei Wochen (8. Oktober 2004 bis 30. März 2006), so dass bei einer Gesamtwürdigung der über zwölf Monate andauernde Aufenthalt bei seiner Familie in Adana genügt, um eine Abwesenheit für einen nicht unerheblichen Zeitraum zu bejahen. Auf Grundlage der Angaben des Klägers ist auch nicht erkennbar, dass er gerade aufgrund seiner Inhaftierung daran gehindert war, in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren. Der Kläger konnte keine nachvollziehbaren Angaben dazu machen, wann innerhalb der gesamten Zeitspanne seines Aufenthalts in der Türkei die Zeit seiner Inhaftierung war. Einerseits gab er an, die Inhaftierung sei im Sommer gewesen, das würde dafür sprechen, dass es sich um den Sommer 2005 gehandelt hat, andererseits meinte er, bald nach der Inhaftierung in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt zu sein, was dafür sprechen würde, dass er erst deutlich später inhaftiert gewesen ist. Da es Sache des Klägers ist, die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen „berechtigter Gründe“ darzulegen (vgl. EuGH, Rs. Ergat, a.a.O., Rn. 50), musste der Senat die näheren Umstände seiner Inhaftierung auch nicht weiter aufklären.

2. Der Kläger war bei seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland auch nicht im Besitz eines – wegen des Fehlens eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts für die Einreise erforderlichen – nationalen Aufenthaltstitels (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Dass die ihm im Oktober 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die nach § 101 Satz 1 AufenthG seit dem 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgalt, durch den längeren Aufenthalt in der Türkei nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen ist, steht zwischen den Beteiligten aufgrund der Bindungswirkung des insoweit rechtskräftig gewordenen Urteils des Verwaltungsgerichts fest (§ 121 Nr. 1 VwGO). Ungeachtet des unterschiedlichen Streitgegenstands der negativen Feststellungsklage, über die rechtskräftig entschieden wurde, und der vorliegenden Anfechtungsklage entfaltet das rechtskräftige Urteil präjudizielle Wirkung dergestalt, dass die entschiedene Frage vorgreiflich für die nun zur Entscheidung stehenden Rechtsfragen ist und eine abweichende Entscheidung und Beurteilung dieser Vorfragen verhindert (vgl. Kilian in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 121 Rn. 65).

3. Der Kläger hat im Anschluss an seine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2006 nicht erneut ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben. Selbst wenn seine – nicht belegten – Angaben in der mündlichen Verhandlung zutreffen und er seit dem 15. Januar 2011 sozialversicherungspflichtig in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt ist, steht dem Erwerb von Rechten nach Art. 6 Abs. 1 ARB/80 dritter Spiegelstrich entgegen, dass hiernach eine „ordnungsgemäße Beschäftigung“ erforderlich ist, die eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraussetzt (vgl. EuGH, Urteile vom 8. November 2012 – C-268/11 – [Rs. Gülbahce] Rn. 39 und vom 19. November 2002 – C-188/00 – [Rs. Kurz] Rn. 48). Eine „ordnungsgemäße Beschäftigung“ liegt hier nicht vor, denn der Kläger besaß seit seiner Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2006 weder ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht noch war er in Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Vielmehr hatte der Beklagte ihm gegenüber am 7. Januar 2011 die angefochtene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung erlassen. Dass der Kläger sich aufgrund der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen diesen Bescheid vorübergehend weiter in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten und eine Beschäftigung ausüben konnte, genügt nicht für eine „ordnungsgemäße Beschäftigung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. (vgl. EuGH, Urteil vom 20. September 1990 – C-192/89 – [Rs. Sevince] Rn. 32).

II. Der Erlass einer Abschiebungsandrohung setzt unter der Geltung der Rückführungsrichtlinie nicht mehr voraus, dass der Ausländer auch vollziehbar ausreisepflichtig ist (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 59 Rn. 45.1; Bauer, a.a.O., § 59 Rn. 6). Unabhängig hiervon ist die Ausreisepflicht des Klägers vollziehbar (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG). Denn der Kläger ist am 1. April 2006 oder zu einem späteren Zeitpunkt unerlaubt eingereist, weil er nach seinem über ein Jahr andauernden Türkeiaufenthalt kein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht mehr besaß und auch nicht in Besitz des erforderlichen Aufenthaltstitels nach dem Aufenthaltsgesetz war (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Dabei ist unerheblich, ob sich der Kläger dieses Umstands bewusst war oder nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 – 1 C 12.11 – juris Rn. 16).

III. Die vom Beklagten festgesetzte Ausreisefrist ist im Hinblick auf die nunmehr maßgebliche Regelung in § 59 Abs. 1 Satz 1 und 4 AufenthG nicht zu beanstanden. Danach ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und dreißig Tagen für die Ausreise anzudrohen; die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls auch für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. Mit dem Gebot einer nach Tagen zu bestimmenden Ausreisepflicht ist eine datumsmäßige Fixierung jedenfalls dann zu vereinbaren, wenn die Ausreisepflicht – wie hier – kraft Gesetzes vollziehbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012, a.a.O., Rn. 18). Dabei ist die aufgrund der Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 3. August 2011 unterbrochene Ausreisepflicht (§ 59 Abs. 1 Satz 6 AufenthG) in der Weise zu ermitteln, dass der Zeitraum zwischen dem Datum des Wirksamwerdens der Abschiebungsandrohung gegenüber dem Betroffenen und dem konkret bestimmten Fristende im Einzelfall berechnet wird. Die danach errechnete gesamte Frist beginnt hier mit Rechtskraft einer die Klage abweisenden Entscheidung erneut zu laufen (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., Rn. 131 ff).

IV. Das Fehlen einer Entscheidung über die Befristung der Wirkung der Abschiebung führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung. Dabei kann offen bleiben, ob § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf Art. 11 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie dahin unionsrechtskonform auszulegen ist, dass vor dem Vollzug der Abschiebung das Einreiseverbot von Amts wegen zu befristen ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. März 2014 – OVG 12 S 113.13 – juris Rn. 17 ff.). Denn das Fehlen einer eventuell notwendigen und von der Ausländerbehörde bislang nicht nachgeholten Befristungsentscheidung würde jedenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung führen, weil nicht bereits die Androhung, sondern erst die Durchführung der Abschiebung nach den Regelungen des Aufenthaltsgesetzes (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) das Einreiseverbot auslöst (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 – 1 C 12.11 – juris Rn. 18).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil der Fall dem Bundesverwaltungsgericht die Gelegenheit zur Klärung der Frage geben kann, unter welchen Voraussetzungen bei einem türkischen Staatsangehörigen, der ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 7 ARB 1/80 erworben hat, nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache „Ziebell“ angenommen werden kann, dass er den Aufnahmemitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat.