Gericht | OLG Brandenburg 2. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 18.02.2014 | |
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Aktenzeichen | 2 U 13/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 07.03.2013, Az. 13 O 205/11, abgeändert und wie folgt gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 37.778,30 € nebst Zinsen in Höhe von jährlich fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.04.2011 aus 37.747,30 € und aus weiteren 31,00 € seit dem 05.05.2011 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin weitere 36.936,32 € nebst Zinsen in Höhe von jährlich fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf jeweils 1.246,60 € seit dem 04.06., 06.07., 04.08., 06.09., 07.10., 04.11., 06.12.2011, und auf jeweils 1.282,26 € seit dem 05.01., 04.02., 06.03., 05.04., 05.05., 06.06., 05.07., 04.08., 06.09., 05.10., 06.11., 06.12.2012, 05.01., 06.02., 06.03., 04.04., 07.05., 06.06., 04.07., 06.08., 05.09., 05.10., 06.11., 05.12.2013 sowie dem 06.01.2014, zu zahlen.
3. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin monatlich beginnend ab Februar 2014 und bis zum ….01.2034 jeweils zum 3. Werktag eines Monats 1.282,26 € zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin zu 23 % und die Beklagte zu 77 % zu tragen. Die Kosten der Berufung haben die Klägerin zu 88 % und die Beklagte zu 12 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Die Revision wird nicht zugelassen.
A.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten den Ersatz von Schäden, die ihr aus einer rechtswidrigen und unter Anwendung unmittelbaren Zwangs durchgeführten Blutentnahme durch Beamte der Bundespolizei am 29.04.2001 entstanden sind und entstehen. Der Senat hat in einer früheren Besetzung die Beklagte mit Urteil vom 16.12.2010, Az. 2 U 24/09, zur Zahlung von Schmerzensgeld und Verdienstausfall für die Zeit vom 01.01.2004 bis 31.12.2008 verurteilt und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den gesamten weiteren materiellen Schaden aus dem Vorfall vom 29.04.2001 zu ersetzen.
Auf dieser Grundlage begehrt die Klägerin mit dem Klageantrag zu 1 Ersatz des Verdienstausfalls sowie der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung in der Zeit vom 01.01.2009 bis zum 31.05.2011 sowie mit dem Klageantrag zu 2 die Verurteilung der Beklagten zur zukünftigen Zahlung eines monatlichen Betrages in Höhe des Verdienstausfalls zuzüglich der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung beginnend ab Juni 2011. Den Verdienstausfall beziffert sie seit 01.01.2009 auf monatlich 1.654,26 € netto. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Beklagte zum Ersatz des Verdienstausfalls und der Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von zusammen monatlich 1.216,60 € bis zum Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters am ….01.2034 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der einzige konkrete Anknüpfungspunkt für die Schätzung des Verdienstausfalls nach § 287 ZPO das Bruttoeinkommen in Höhe von monatlich 1.480,00 € sei, das die Klägerin aufgrund ihres zuvor beendeten Arbeitsvertrages mit der R… GmbH ab dem 01.05.2003 erzielt hätte. Wie bereits das Oberlandesgericht in dem Urteil vom 16.12.2010 ausgeführt habe, komme die schätzweise Annahme eines über den Betrag von 1.480,00 € hinausgehenden Betrages ohne weitere Anknüpfungspunkte nicht in Betracht. Auf dieser Grundlage hat das Landgericht den monatlichen Nettoverdienst errechnet und der Klägerin daneben einen Anspruch auf Ersatz der Krankenversicherungsbeiträge zugesprochen.
Mit ihrer Berufung rügt die Klägerin, das Landgericht habe die Höhe des Verdienstausfalls falsch geschätzt. Bei richtiger Anwendung der §§ 252, 287 ZPO sei davon auszugehen, dass die Klägerin ohne das schädigende Ereignis einen Verdienst in Höhe des Tariflohnes erzielt hätte. Auf dieser Grundlage ergebe sich ein höherer Verdienstausfallschaden, den sie im Einzelnen darlegt. Die sich daraus ergebende Differenz zwischen den erstinstanzlichen Anträgen und der erstinstanzlichen Verurteilung verfolgt sie mit der Berufung weiter.
Die Klägerin als Berufungsklägerin beantragt,
1. die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts zu verurteilen, an sie 13.263,83 € nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 09.04.2011 zu zahlen;
2. die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts weiterhin zu verurteilen, an sie monatlich, beginnend ab Juni 2011, einen Betrag in Höhe von 1.654,26 €, jeweils fällig am 3. Werktag eines Monats, nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte als Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil mit dessen Begründung. Darüber hinaus wendet sie ein, dass sie zwischenzeitlich die nach dem erstinstanzlichen Urteil an die Klägerin zu zahlenden Beträge gezahlt hat, was unstreitig geblieben ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
B.
I. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO).
1) Der Berufungsantrag zu 1 war im Lichte der Berufungsbegründung dahingehend zu verstehen, dass über die erstinstanzliche Verurteilung zur Zahlung von 37.384,86 € hinaus die Verurteilung zur Zahlung von weiteren 13.263,83 €, insgesamt damit 50.648,69 € wie in erster Instanz, begehrt wird.
Der Klageantrag zu 2 war seinem Sinn gemäß dahingehend auszulegen, dass er gerichtet ist auf Zahlung des bisher fälligen Gesamtbetrages nebst Zinsen auf die jeweilige Monatsrate für die Zeit ab Juni 2011 bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, d. h. hier bis zum Termin für die Einreichung von Schriftsätzen am 30.01.2014, und ab diesem Tag auf monatliche Zahlung für die Zukunft. Hinsichtlich der beantragten Prozesszinsen geht der in der Berufungsinstanz gestellte Antrag über den erstinstanzlichen Antrag hinaus. Gemäß § 264 Nr. 2 ZPO ist darin jedoch keine zustimmungsbedürftige Klageänderung zu sehen, da nur eine Nebenforderung modifiziert wird.
Die nach ihrem Wortlaut nur auf eine einmalige Zinszahlung gerichteten Zinsanträge in beiden Klageanträgen waren sinngemäß dahingehend zu verstehen, dass der Zinsbetrag wiederkehrend bezogen auf einen Jahreszeitraum beansprucht wird, da ersichtlich die gesetzlichen Ansprüche aus §§ 286 bzw. 291, 288 Abs. 1 BGB geltend gemacht werden sollen.
2) Die im angefochtenen Urteil ausgesprochene Verurteilung zur Zahlung von monatlich 1.216,60 € bis zum Eintritt des Rentenalters unter Nr. 2 des Tenors beruht auf einem offensichtlichen Schreibfehler, denn unter Nr. II der Entscheidungsgründe hat der Einzelrichter den Monatsbetrag mit 1.215,60 € als Summe aus dem zuvor ermittelten Nettoverdienstausfall in Höhe von 938,82 € und den Krankenversicherungskosten in Höhe von 276,78 € berechnet.
II. In der Sache hat die Berufung teilweise Erfolg, da das Landgericht den zu ersetzenden Verdienstausfall zu niedrig bemessen hat.
1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH Urteil vom 09.l1.2010, Az. VI ZR 300/08, zitiert nach Juris, dort Rdnr. 17 ff.) muss der Geschädigte als Grundlage für die nach § 252 Satz 2 BGB, § 287 ZPO vorzunehmende Schätzung des Verdienstausfalls so weit wie möglich konkrete Anhaltspunkte für die Prognose seiner beruflichen Entwicklung dartun und gegebenenfalls beweisen, doch dürfen insoweit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Soweit sich keine Anhaltspunkte ergeben, die überwiegend für einen Erfolg oder einen Misserfolg sprechen, liegt es nahe, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge von einem voraussichtlich durchschnittlichen Erfolg des Geschädigten in seiner Tätigkeit auszugehen. Bei der Bildung der Zukunftsprognose kommen dem Geschädigten die Beweiserleichterung des § 252 Satz 2 BGB sowie § 287 ZPO zugute, eine völlig abstrakte Berechnung des Erwerbsschadens ist jedoch nicht möglich.
Zutreffend hat das Landgericht einen konkreten Anhaltspunkt für die Schätzung des Verdienstausfallschadens in dem im Arbeitsvertrag mit der R… GmbH für die Zeit ab dem 01.05.2003 vereinbarten Bruttoeinkommen von monatlich 1.480,00 € gesehen. Dass sich der monatliche Bruttoverdienstausfall der Klägerin bis zum 31.12.2008 - nur - auf diesen Betrag belief, ist durch das Urteil des Senats vom 16.12.2010, Az. 2 U 24/09, rechtskräftig und gemäß § 322 Abs. 1 ZPO für die Parteien dieses Rechtsstreits verbindlich festgestellt worden. Die Rechtskraft erstreckt sich neben dem Tenor der Entscheidung auf die die Entscheidung tragenden Gründe. Hierzu zählt die damalige Feststellung der Höhe des Verdienstausfalls. Dem nun erhobenen Einwand der Klägerin, dass bei einem gewöhnlichen Verlauf der Dinge aufgrund des Erfahrungszuwachses der Klägerin auch für die Zeit vom 01.05.2003 bis zum 31.12.2008 von einer Lohnsteigerung auszugehen sei, steht die Rechtskraft des damaligen Urteils entgegen. Unerheblich ist, ob das damalige Urteil der vom Senat in seiner heutigen Besetzung vertretenen Ansicht zur Ermittlung des Verdienstausfallschadens widerspricht, denn selbst wenn es unrichtig wäre, bliebe das Urteil vom 16.12.2010 aufgrund seiner Rechtskraft verbindlich (vgl. Zöller-Vollkommer, 30. Auflage 2014, Vor § 322 Rdnr. 71).
Entgegen der von dem Landgericht - im Einklang mit dem Urteil des Senats vom 16.12.2010, Az. 2 U 24/09 - vertretenen Ansicht ist nach Ansicht des Senats allerdings für den hier streitgegenständlichen Zeitraum als zweiter konkreter Anhaltspunkt die Entwicklung des Lohnindexes zu berücksichtigen, die sich aus den veröffentlichten Statistiken des Statistischen Bundesamtes ergibt. Der Inhalt solcher veröffentlichter amtlicher Statistiken ist als offenkundige Tatsache nicht beweisbedürftig (vgl. § 291 ZPO) und kann verwertet werden, wenn die Parteien zuvor darauf hingewiesen worden sind (vgl. BGH Urteil vom 06.05.1993, Az. I ZR 84/91, zitiert nach Juris, dort Rz. 13), was hier mit der Terminsverfügung vom 23.09.2013 geschehen ist.
Keinen geeigneten Anhaltspunkt für die Schätzung des Verdienstausfalls bieten im vorliegenden Fall allerdings die ebenfalls in veröffentlichten amtlichen Statistiken festgehaltenen Durchschnittslöhne. Der im Jahr 2003 tatsächlich von der Klägerin nach Ablauf der Probezeit erzielbare Monatsverdienst aus dem Arbeitsvertrag mit der R… lag mit 1.480,00 € erheblich unter dem vom Statistischen Bundesamt in der Fachserie 16 - Verdienststrukturen - für das Jahr 2001 ermittelten Durchschnittslohn für Speditionskaufleute in den neuen Bundesländern von monatlich 2.049,83 €, so dass bei einem gewöhnlichen Verlauf der Dinge ohne besondere Anhaltspunkte gerade nicht davon auszugehen ist, dass ihr Verdienstausfall dem statistischen Durchschnittslohn entsprochen hätte. Davon abgesehen sind die den veröffentlichten amtlichen Statistiken zu entnehmenden Daten über Durchschnittslöhne nicht hinreichend aussagekräftig für die Schätzung des Verlaufs des Verdienstausfalls im vorliegenden Fall. In der Fachserie 16 des Statistischen Bundesamtes sind die Verdienststrukturen nur für die Jahre 2001, 2006 und 2010 erhoben worden. Darin ist der durchschnittliche monatliche Bruttoverdienst weiblicher Speditionskaufleute in den neuen Bundesländern für das Jahr 2001 mit 2.049,83 €, im Jahr 2006 mit 1.963,00 € und im Jahr 2010 mit 1.753,00 € ermittelt worden, wobei der letztgenannte Wert als statistisch ungenau ausgewiesen ist. Diese Zahlen bieten keine geeignete Schätzgrundlage für das fiktive Einkommen der Klägerin, weil sie nur für drei einzelne Jahre verfügbar sind und jeweils den Durchschnitt aller erhobenen Verdienste von Speditionskaufleuten darstellen. Dabei können erhebliche Unterschiede zwischen den Einkommen der Angehörigen auch derselben Berufsgruppe bestehen: Die genannte Statistik weist einen an der Stellung im Unternehmen orientierten Unterschied zwischen dem Durchschnittseinkommen von weiblichen Führungskräften (Leistungsgruppe 1 im Sinne von Nr. 6.3 der Verdienststrukturerhebung: 4.369,00 €) und qualifizierten Sachbearbeiterinnen (Leistungsgruppe 3: 2.153,00 €) von mehr als 100 % aus. Angesichts solcher Unterschiede bieten die Durchschnittslöhne keinen verlässlichen Anhaltspunkt für das fiktive Einkommen der Klägerin.
Aus den vorstehenden Gründen ist auch der nach dem Vortrag der Klägerin vom Amt für Statistik … für das Jahr 2010 mitgeteilte Durchschnittslohn von Speditionskauffrauen im Land Brandenburg kein geeigneter Anhaltspunkt für die Schätzung des Verdienstausfalls der Klägerin.
Schließlich ist auch die von der Klägerin als Anlage K 5 vorgelegte Gehaltsübersicht, die unter www.meinchef.de auf der Basis von Nutzereinträgen erstellt wurde, nicht geeignet, das fiktive Einkommen der Klägerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu ermitteln, weil die Übersicht auf der Grundlage von Eintragungen von Internetnutzern erstellt ist, die nicht erkennbar danach ausgewählt worden sind, ob sie statistisch repräsentativ sind.
Als Anknüpfungspunkt für die Entwicklung des Einkommens der Klägerin erscheint hier allein der auf ein Jahr bezogene Nominallohnindex geeignet, der vom Statistischen Bundesamt in der Statistik „Verdienste und Arbeitskosten - Reallohnindex und Nominallohnindex“ festgestellt wird.
Dabei ist der Schätzung der branchenbezogene, nicht der branchenübergreifende Nominallohnindex zu Grunde zu legen, denn nach den oben zitierten Grundsätzen ist von einem typischen Verlauf der fiktiven Erwerbstätigkeit des Geschädigten auszugehen. Da die Klägerin zur Speditionskauffrau umgeschult worden war und bis zum Eintritt der Erwerbsunfähigkeit in diesem Beruf in einer Spedition gearbeitet hat, ist ohne gegenteilige Anhaltspunkte davon auszugehen, dass sie ohne das schädigende Ereignis weiter als Speditionskauffrau tätig wäre, wie sie selbst vorträgt. Damit ist anzunehmen, dass sich die Höhe ihres Verdienstes entsprechend dem Lohnindex für den Wirtschaftszweig „Landverkehr“ verändert hätte, in dem sie beschäftigt war und weiter beschäftigt gewesen wäre.
Soweit die Klägerin gegen die Verwendung dieser Lohnindizes einwendet, dass es im Speditionsbereich eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Geringverdienern und Aushilfen gebe, deren Beschäftigungsverhältnisse und Löhne in die Statistik einflössen, ist dies unerheblich. Die Klägerin hat diesen Anteil nicht näher beziffert, so dass schon nicht erkennbar ist, dass er statistisch relevant wäre. Im Übrigen hätte der Anteil der Geringverdiener und Aushilfen zwar möglicherweise einen Einfluss auf die Höhe des hier nicht zu Grunde gelegten Durchschnittslohns. Dass der nicht bezifferte Anteil an Aushilfen und Geringverdienern auch die Entwicklung des Lohnindexes zu Lasten der Klägerin verzerren würde, ist dagegen nicht ersichtlich.
Ausgehend von dem für die Zeit bis zum 31.12.2008 bereits rechtskräftig festgestellten Verdienstausfall in Höhe von 1.480,00 € brutto ergibt sich unter Berücksichtigung des branchenbezogenen Nominallohnindexes für den Wirtschaftszweig „Landverkehr und Transport in Rohrfernleitungen“ (Abschnitt 2.1 der genannten Statistik unter H49) folgende Entwicklung:
Jahr | Nominal- | Monatl. | Abzüge | Monatl. | ||||
(2010 = 100) | Verän- | Rentenver—sicherung | Krankenver- | Arbeitslosen- | Renten- | |||
2008 | 99,9 | 1.480,00 € | ||||||
2009 | 100,6 | 0,7% | 1.490,37 € | 143,08 € | 102,84 € | 48,44 € | 230,52 € | 965,50 € |
2010 | 100 | -0,6% | 1.481,48 € | 142,22 € | 102,22 € | 48,15 € | 233,34 € | 955,55 € |
2011 | 101,2 | 1,2% | 1.499,26 € | 143,93 € | 103,45 € | 48,73 € | 233,34 € | 969,82 € |
2012 | 104,2 | 3,0% | 1.543,70 € | 148,20 € | 106,52 € | 50,17 € | 233,34 € | 1.005,48 € |
Für das Jahr 2013, den Monat Januar 2014 und die Zukunft lässt sich der Verdienstausfall derzeit nicht anders schätzen als für das Jahr 2012, denn der Nominallohnindex für das Jahr 2013 ist noch nicht veröffentlicht. Tragfähige Anhaltspunkte, die bereits heute eine Änderung des Verdienstausfalls der Klägerin in der Zukunft mit hinreichender Sicherheit abschätzen lassen, liegen nicht vor. Weder ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für den genannten Wirtschaftszweig eine Einkommenssteigerung vorherzusagen, noch eine Einkommensminderung. Etwaige wesentliche Veränderungen können die Klägerin und die Beklagte mit der Abänderungsklage nach § 323 ZPO geltend machen.
Soweit die Klägerin darauf hingewiesen hat, dass sie bis zu dem hier streitgegenständlichen Zeitraum sechs Jahre Berufserfahrung als Speditionskauffrau gesammelt hätte und deshalb ein höheres Einkommen zu erwarten gewesen wäre, bietet dies keine hinreichende Grundlage für eine Schätzung eines noch höheren Verdienstausfalls. Das durchschnittliche Einkommen von Speditionskaufleuten lag nach den bereits oben zitierten Verdienststrukturerhebungen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2010 unter dem Durchschnitt für das Jahr 2006. Vor diesem Hintergrund ist nicht abstrakt davon auszugehen, dass ein Erfahrungszuwachs in diesem Beruf typischerweise zu einer Einkommenssteigerung geführt hätte.
Auch dass die Klägerin im Berufungsrechtszug zunächst pauschal vortrug, sie beherrsche fließend mehrere Sprachen (Berufungsbegründungsschrift vom 31.05.2013, Seite 4) und nunmehr, sie verfüge über „sichere Sprachkenntnisse“ in Polnisch, Deutsch, Russisch, Tschechisch und Englisch (Schriftsatz vom 26.01.2013, Seite 2), bietet im konkreten Fall keinen Anhaltspunkt für die Annahme, sie hätte bei gewöhnlichem Verlauf ihrer beruflichen Tätigkeit ein höheres Einkommen erzielt. Trotz der genannten Sprachkenntnisse hat sie im Jahr 2003 tatsächlich ein Einkommen erzielt, das deutlich unter dem vom Bundesamt für Statistik ermittelten Durchschnittseinkommen für Speditionskaufleute im Jahr 2001 lag. Dies lässt erkennen, dass ihre Sprachkenntnisse ihr nicht ohne weiteres ein auch nur durchschnittliches Einkommen sicherten.
Das Landgericht hat auf der Grundlage der eingangs zitierten Maßstäbe zu Recht nicht zu Grunde gelegt, dass die Klägerin ein Einkommen in Höhe des von der Klägerin angegebenen Tariflohns erzielt hätte. Dass die Klägerin bei gewöhnlichem Verlauf ihrer Tätigkeit nach Tarif bezahlt worden wäre, ist streitig. In Erwiderung auf den Vortrag der Klägerin, sie habe bereits mit Wirkung zum 01.11.2002 ein Einkommen in Höhe von monatlich 30,00 € über dem damals geltenden Tarif erzielt, so dass davon auszugehen sei, dass sie jedenfalls ein Einkommen in der in den einschlägigen Tarifverträgen vereinbarten Höhe erzielt hätte, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 11.10.2011 den pauschalen Verweis auf einen Tarifvertrag als nicht ausreichend bezeichnet und damit auch bestritten, dass das fiktive Einkommen der Klägerin nach dem Tarifvertrag zu bemessen sei. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die von der Klägerin vorgelegten Tarifverträge für sie gültig gewesen wären. Tarifverträge gelten nach § 4 TVG nur zwischen den Tarifparteien und ihren Mitgliedern, wenn sie nicht gemäß § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt sind. Die von der Klägerin vorgelegten Gehaltstarifverträge zwischen dem Verband Verkehr und Logistik … e.V. und der Verdi Dienstleistungsgewerkschaft sind nicht in dem Verzeichnis der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aufgeführt. Dem klägerischen Vortrag lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass die von ihr bezeichneten Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt worden seien. Da sie zudem nicht vorgetragen hat, dass sie Mitglied der Verdi Dienstleistungsgewerkschaft gewesen sei, lässt sich im Ergebnis auch nicht annehmen, dass die Tarifverträge für sie gegolten hätten.
2) Aus dem Vorstehenden ergibt sich folgende Höhe der Ansprüche der Klägerin, soweit sie vom Klageantrag zu 1 umfasst sind:
Verdienstausfallschaden im Jahr 2009: 12 x 965,50 € = 11.586,00 €
Verdienstausfallschaden im Jahr 2010: 12 x 955,55 € = 11.466,60 €
Verdienstausfallschaden im Jahr 2011 bis einschließlich Mai 2011: 5 x 969,82 € = 4.849,10 €.
Darüber hinaus hat die Klägerin nach dem insoweit nicht angefochtenen Urteil des Landgerichts Anspruch auf Ersatz der Kosten der freiwilligen Krankenversicherung für die Jahre 2008 bis Mai 2011 in Höhe von 9.876,60 €.
Für den von dem Klageantrag zu 1 betroffenen Zeitraum bis einschließlich Mai 2011 ergibt sich damit als Summe aus den vorstehenden Beträgen ein Gesamtschaden von 37.778,30 €.
Die Klägerin hat aufgrund der Zahlungsaufforderung vom 17.03.2011 auch einen Anspruch auf Verzugszinsen aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Nach § 760 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 843 Abs. 2 Satz 1 BGB ist eine Geldrente grundsätzlich für drei Monate im Voraus zu zahlen. Die Vorschrift ist jedoch nicht zwingend (vgl. Palandt-Sprau, 72. Auflage 2013, §760 Rdnr. 1). Da der Anspruch der Klägerin auf der Annahme beruht, dass sie ein monatliches Einkommen erzielt hätte, ist hier zu Grunde zu legen, dass der zu ersetzende Verdienstausfall jeweils mit der Fälligkeit eines Monatslohnes eintrat bzw. eintritt. Der Anspruch auf Verzugszinsen, den das Landgericht aufgrund der Zahlungsaufforderung der Klägerin vom 17.03.2011 ab dem 09.04.2011 zugesprochen hat, besteht bezüglich des Verdienstausfalls für Mai 2011 erst ab dem 05.05.2011, weil der Betrag vorher nicht fällig war. Da das landgerichtliche Urteil jedoch insoweit nicht angefochten ist, ist die erstinstanzliche Verurteilung insoweit nicht abänderbar. Nur hinsichtlich des in zweiter Instanz für Mai 2011 zusätzlich zuzusprechenden Betrages von 31,00 € (Nettoverdienstausfall von 969,82 € statt zuerkannter 938,82 €) ist der Anspruch auf Verzugszinsen erst ab dem 05.05.2011 begründet.
Für die vom Klageantrag zu 2 erfassten Ansprüche ergibt sich folgende Höhe:
Der Anspruch für den seit der Klageerhebung im Juni 2011 vergangenen Zeitraum berechnet sich unter Berücksichtigung der monatlichen Krankenkassenbeiträge in Höhe von 276,78 € wie folgt:
Für 2011 beträgt die Summe aus dem monatlichen Nettoverdienstausfall (s. obige Tabelle) und den Krankenversicherungskosten 969,82 € + 276,78 € = 1.246,60 €.
Für 2012 und die Folgejahre beträgt die Summe aus dem monatlichen Nettoverdienstausfall und den Krankenversicherungskosten 1.005,48 € + 276,78 € = 1.282,26 €.
Damit ergibt sich ein Schaden für | ||
Juni - Dezember 2011 in Höhe von 7 x 1.246,60 € = | 8.726,20 € | |
2012 in Höhe von: 12 x 1.282,26 € = | 15.387,12 € | |
Januar 2013 - Januar 2014 in Höhe von 13 x 1.282,26 € = | 16.669,38 € | |
insgesamt: | 40.782,70 € |
Für die Zukunft hat die Klägerin nach heutiger Schätzung auf der vorstehenden Grundlage einen Anspruch auf Zahlung von monatlich 1.005,48 € + 276,78 € = 1.282,26 €, der bis zum Tag des voraussichtlichen gesetzlichen Rentenalters zu befristen ist (vgl. BGH NJW-RR 1995, 1272). Gemäß § 35 Satz 2 SGB VI in der seit dem 01.01.2008 geltenden Fassung wird die Regelaltersgrenze mit Vollendung des 67. Lebensjahres erreicht. Dies wird bei der am ….01.1967 geborenen Klägerin am ….01.2034 der Fall sein, wie das Landgericht zutreffend ausgesprochen hat.
Soweit die Beklagte im letzten Schriftsatz unbestritten vorgetragen hat, dass sie die in dem Urteil des Landgerichts zugesprochenen Beträge bereits an die Klägerin gezahlt hat, und damit die Erfüllung einwendet (§ 364 BGB), kann dies im Berufungsrechtszug nicht berücksichtigt werden. Da die Beklagte das erstinstanzliche Urteil nicht angefochten hat, ist es im Umfang der Verurteilung der Beklagten rechtskräftig und nicht abänderbar. Der Erfüllungseinwand kann damit nur noch gegen eine eventuelle Vollstreckung erhoben werden.
3) Der Anspruch auf Prozesszinsen auf die jeweils fälligen Monatsraten ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Er besteht gemäß § 291 Satz 1 1. HS BGB ab Rechtshängigkeit für den zurzeit der Klagerhebung bereits fälligen Betrag, für die danach fällig gewordenen und zukünftig noch werdenden Monatsraten gemäß § 291 Satz 1 2. HS BGB jedoch erst ab deren jeweiliger Fälligkeit. Für die erst nach dem Ende der Rechtshängigkeit der Ansprüche fällig werdenden Monatsraten besteht kein Anspruch auf Prozesszinsen (vgl. BVerwG 38, 49, 51 f.).
III. 1) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, wobei die gebildeten Quoten auf folgenden Gründen beruhen:
a) Die Klägerin obsiegt mit ihrer Klage in erster Instanz im Verhältnis von 140.109,48 € zu 182.989,49 € = 77 %. Dies ergibt sich aus Folgendem:
Ihr wären zuzusprechen gewesen:
Klageantrag zu 1: | 37.778,30 € | |
Klageantrag zu 2: | ||
Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 24.01.2013 fälliger Betrag: | ||
Juni-Dezember 2011: 1.246,60 €/Monat x 7 Monate= | 8.726,20 € | |
2012 und Januar 2013: 1.282,26 €/Monat x 13 Monate= | 16.669,38 € | |
Zukünftige wiederkehrende Leistung | 76.935,60 € | |
Klageanträge zu 1 und 2 insgesamt: | 140.109,48 € |
Sie hatte beantragt:
Klageantrag zu 1: | 50.648,69 € | |
Klageantrag zu 2: | ||
Bis 24.01.2013 fällig: 1.654,26 €/Monat x 20 Monate = | 33.085,20 € | |
Fünffacher Jahresbetrag: 1.654,26 €/Monat x 12 Monate x 5 = | 99.255,60 € | |
Klageanträge zu 1 und 2 insgesamt: | 182.989,49 € |
b) In zweiter Instanz obsiegt sie im Verhältnis von 6.526,16 € zu 53.620,55 € = 12 %:
Gegenüber dem erstinstanzlichen Urteil werden ihr zusätzlich zugesprochen:
Klageantrag zu 1: 37.778,30 € - 37.384,86 € = | 393,44 € | |
Klageantrag zu 2: | ||
Juni 2011 – Januar 2014: | ||
(1.282,26 € - 1.215,60 €)/Monat x 32 Monate = | 2.133,12 € | |
Fünffacher Jahresbetrag: | ||
(1.282,26 € - 1.215,60 €)/Monat x 12 Monate x 5 = | 3.999,60 € | |
Klageanträge zu 1 und 2 insgesamt: | 6.526,16 € |
Ihre in der Berufung gestellten Anträge haben folgenden Gegenstandswert:
Klageantrag zu 1: | 13.263,83 € | |
Klageantrag zu 2: | ||
Fünffacher Jahresbetrag der Differenz zwischen dem Klageantrag zu 2 und der erstinstanzlichen Verurteilung: | ||
(1.654,26 € - 1.215,60 €)/Monat x 12 Monate x 5 = | 26.319,60 €, | |
Differenz zwischen den jetzt als fällig eingeklagten Beträgen für Juni 2011 bis Januar 2014 und der erstinstanzlichen Verurteilung bezüglich der Beträge für Juni 2011 bis Januar 2014: | ||
(1.654,26 € - 1.215,60 €)/Monat x 32 Monate = | 14.037,12 € | |
Klageanträge zu 1 und 2 insgesamt: | 53.620,55 € |
2) Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 542 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die Entscheidung beruht vielmehr auf den Umständen des Einzelfalls.
V. Der Gebührenstreitwert für die 1. Instanz wird entsprechend den Ausführungen zu B.III.1a) berichtigt und festgesetzt auf 182.989,49 €.
Der Gebührenstreitwert für die Berufungsinstanz wird entsprechend den Ausführungen zu B.III.1b) festgesetzt auf 53.620,55 €.