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Rente wegen Erwerbsminderung - versicherungsrechtliche Voraussetzungen - Fragerecht der Betreiligten gg. dem Sachverständigen - Beweisantrag


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 16. Senat Entscheidungsdatum 15.01.2014
Aktenzeichen L 16 R 69/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 43 SGB 6, § 241 SGB 6

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung (EM), hilfsweise wegen teilweiser EM, auf Zeit ab 1. März 2008.

Die 1962 in der Türkei geborene Klägerin hatte keine Berufsausbildung absolviert und war nach ihrer Übersiedlung (Mai 1985) in Deutschland in der Zeit von 1993 bis 30. September 2007 als Reinigungskraft versicherungspflichtig beschäftigt. Während und nach dem Bezug von Arbeitslosengeld (1. Oktober 2007 bis 5. Mai 2008) ging sie bis 31. Mai 2008 einer geringfügigen versicherungsfreien Beschäftigung nach (Versicherungsverlauf vom 14. April 2011).

Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung von 40 anerkannt aufgrund folgender Leiden: Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Wirbelsäulenverformung, Nervenwurzelreizerscheinungen und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Osteoporose, Depression, psychosomatische Störungen, Migräne, Funktionsbehinderung des Hüft- und Kniegelenks beidseits, Funktionsstörung durch Fußfehlform beidseits, chronische Magenschleimhautentzündung, Verwachsungsbeschwerden nach Bauchoperation, Sehminderung, Funktionsbehinderung des Schultergelenks links, Carpaltunnelsyndrom beidseitig, Harninkontinenz, wiederkehrende Harnwegsinfekte (Widerspruchsbescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin vom 26. Januar 2011).

Im Februar 2008 beantragte die Klägerin EM-Rente. Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Allgemeinmediziner Dr. M untersuchen und begutachten. Dieser Arzt bescheinigte der Klägerin ein noch mehr als sechsstündiges tägliches Leistungsvermögen für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen unter Beachtung der aufgezeigten qualitativen Einschränkungen (Gutachten vom 23. April 2008; Zustand nach Hysterektomie ohne Adnexe 3/2008, chronisch rezidivierende Refluxösophagitis mit Zustand nach Antrumgastritis, gering ausgeprägte obstruktive Lungenventilationsstörung in Ruhe mit Grenzbefund zur Lungenüberblähung). Mit Bescheid vom 30. April 2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.

Im Widerspruchsverfahren veranlasste die Beklagte noch ein Gutachten des Chirurgen und Sozialmediziners P. Dieser hielt noch leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten im Umfang von sechs Stunden und mehr zumutbar (Gutachten vom 12. Juni 2008; Zervikalgien mit rezidivierenden Cephalgien, Brachialgien bei Steilstellung, wiederkehrend schmerzhafte Facettenarthrose, Dorso-Lumbalgie bei Fehlhaltung der Wirbelsäule, Spinalkanalenge und Belastungsschmerz, anhaltende somatoforme Schmerzstörung bei bekannter Depression, Omalgie links bei Periarthropathie, mitgeteilt chronisch obstruktive Lungenerkrankung). Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Volle bzw. teilweise EM würden nicht vorliegen. Die Klägerin sei in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen zu arbeiten.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Berlin Befundberichte der behandelnden Ärzte erstatten lassen, und zwar von dem Neurologen A vom 14. Oktober 2008, von dem Arzt K vom 20. Oktober 2008, von dem Frauenarzt Dr. S, von dem Orthopäden K vom 7. November 2008 und von dem Internisten und Rheumatologen Dr. H vom 3. November 2008.

Das SG hat den Facharzt Neurologie und Psychiatrie Dr. A als Sachverständigen eingesetzt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 19. März 2009 (Untersuchungen am 13. Februar 2009 und 9. März 2009) folgende Gesundheitsstörungen der Klägerin mitgeteilt: Somatisierungsstörung, Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom, Zustand nach Hysterektomie ohne Adnexe. Die Klägerin könne täglich regelmäßig und vollschichtig noch körperlich leichte Arbeiten unter Berücksichtigung der aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen im Wechsel der Haltungsarten sowie geistig einfache bis mittelschwere Arbeiten verrichten. Die Klägerin hat Einwendungen gegen dieses Gutachten erhoben; insoweit wird auf den Schriftsatz vom 14. Mai 2009 verwiesen.

Mit Gerichtsbescheid vom 16. Dezember 2010 hat das SG die auf Gewährung von Versichertenrente wegen voller EM, hilfsweise wegen teilweiser EM „auf Zeit“ gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Rente wegen voller EM noch einen Anspruch auf Rente wegen teilweiser EM gemäß § 43 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI). Die Klägerin könne täglich mindestens sechs Stunden körperlich leichte Arbeiten mit diversen qualitativen Einschränkungen unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausführen. Auch die Gewährung von Rente wegen teilweiser EM bei Berufsunfähigkeit (BU) scheide angesichts des Geburtsdatums der Klägerin aus.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit Ausnahme der Gewährung von BU-Rente weiter. Sie trägt vor: Das Gutachten von Dr. A sei im Ergebnis unzutreffend. Es sei bereits nicht verwertbar, weil die Untersuchung im Wesentlichen nicht durch Dr. A, sondern durch Dr. S erfolgt sei. Inhaltlich seien die Auswirkungen der Somatisierungsstörung und der Schmerzen nicht plausibel bei der Leistungsbeurteilung berücksichtigt worden. Zudem seien die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet nicht abgeklärt. Ein Schmerzgutachten sei schließlich angezeigt. Die Klägerin legt einen Bericht ihres seit Juli 2009 behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H vom 6. Februar 2011 vor; hierauf wird Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. Dezember 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 30. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 1. März 2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, auf Zeit zu gewähren,

hilfsweise ein Sachverständigengutachten zur Frage der Leistungsfähigkeit der Klägerin von „Antragstellung bis Juni 2010“ einzuholen, Dr. J insoweit mit einem Ergänzungsgutachten zu beauftragen und diesen Arzt ergänzend zur Leistungsfähigkeit der Klägerin von „Antragstellung bis Juni 2010“ zu befragen (Schriftsatz vom 15. Januar 2014).

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung auch unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme für zutreffend. Dem nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergänzend eingeholten Gutachten des Anästhesiologen Dr. J könne nicht gefolgt werden.

Das Gericht hat im Berufungsverfahren erneut Befundberichte der behandelnden Ärzte erstatten lassen, und zwar von dem Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. R vom 12. April 2011, dem Arzt K vom 15. April 2011, dem Augenarzt Dr. T vom 18. April 2011, dem Frauenarzt E vom 20. April 2011, dem Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. M vom 14. April 2011, von dem Orthopäden K vom 11. Mai 2011, von Dr. H vom 15. April 2011, von dem Chirurgen Dr. E vom 13. Juli 2011, von dem Hals-Nasen-Ohrenarzt W vom 15. Februar 2013 und von dem Psychiater Dr. D vom 29. August 2013.

Das Gericht hat die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. L mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Diese Ärztin hat in ihrem Gutachten vom 27. Dezember 2011 (Untersuchungen am 11. und 26. Oktober 2011) eine Somatisierungsstörung diagnostiziert. Die Klägerin könne unter Beachtung der aufgezeigten qualitativen Leistungseinschränkungen täglich regelmäßig noch körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten ausführen. Das Gericht hat ferner den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. G als Sachverständigen eingesetzt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 20. September 2012 (Untersuchung am 17. August 2012) folgende Leiden mitgeteilt: Chronisches Pseudoradikulärsyndrom der Halswirbelsäule, Wirbelsäulenfehlstatik, Hyperkyphosierung der Brustwirbelsäule, geringe rechtskonvexe Thorakalskoliose, chronifiziertes Lumbalsyndrom, mediale Gonarthrose rechts Stadium I nach Kellgren und Lawrence, Retropatellararthrose rechts, laterale Gonarthrose links, klinisch Retropatellararthrose. Die Klägerin könne noch täglich regelmäßig und vollschichtig körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten unter Berücksichtigung der aufgeführten qualitativen Leistungseinschränkungen verrichten. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liege nicht vor.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat das Gericht ferner von dem Facharzt für Anästhesiologie Dr. J ein Sachverständigengutachten erstellen lassen. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 6. Mai 2013 (Untersuchung am 23. April 2013) folgende Gesundheitsstörungen diagnostiziert: Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, somatoforme Schmerzstörung, Fibromyalgiesyndrom, Persönlichkeitsänderung bei chronischen Schmerzen, Depression, chronisches Pseudoradikulärsyndrom der Hals- und Lendenwirbelsäule mit neuropathischen Schmerzen. Die Klägerin könne keine Arbeiten von wirtschaftlichem Wert mehr verrichten und sei auch nicht mehr wegefähig. Der bei diesen Erkrankungen progrediente Verlauf zeige nunmehr das „Endbild einer chronischen Schmerzstörung“, das „wenigstens seit dem Tag der Untersuchung“ bestehe und „im Laufe der Jahre eine komplette Ausprägung“ erfahren habe. Es sei „sehr wahrscheinlich“, dass die erhebliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit „zum Zeitpunkt der Antragstellung“ bestanden habe.

Die Beklagte hat in der Folge eine beratungsärztliche Stellungnahme von dem Psychiater G vom 19. Juni 2013 vorgelegt; hierauf wird Bezug genommen. Dr. S hat sich ergänzend zu dem Gutachten von Dr. J und einem zwischenzeitlich vorgelegten Entlassungsbericht des SKrankenhauses (Behandlung der Klägerin vom 7. Mai 2013 bis 24. Mai 2013 wegen gegenwärtig schwerer depressiver Störung) geäußert; auf die Stellungnahmen vom 24. und 30. August 2013 wird verwiesen. Schließlich hat auch Dr. J mit Schreiben vom 4. November 2013 ergänzend Stellung genommen; auch hierauf wird Bezug genommen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen, wegen der medizinischen Feststellungen auf die zum Verfahren eingeholten Befundberichte und die Sachverständigengutachten von Dr. A, Dr. S Dr. G und Dr. J nebst deren ergänzenden Äußerungen Bezug genommen.

Die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten (2 Bände) haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin, mit der diese ihre erstinstanzlich erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG auf Gewährung von - befristeter - Rente wegen voller EM, hilfsweise wegen teilweiser EM, unter Verzicht auf die Geltendmachung eines Anspruches auf BU-Rente (vgl Schriftsatz vom 31. März 2011) weiter verfolgt, ist nicht begründet.

Die Klägerin hat für die Zeit ab 1. März 2008 weder einen Anspruch auf Rente wegen voller EM (§ 43 Abs. 2 SGB VI) noch auf Rente wegen teilweiser EM nach § 43 Abs. 1 SGB VI.

Die Vorschrift des § 43 SGB VI setzt zunächst die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl. §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI) sowie das Vorhandensein von drei Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der EM bzw. BU voraus (vgl § 43 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3, Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI, § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Darüber hinaus müssen volle oder teilweise EM vorliegen (vgl § 43 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 SGB VI, § 240 Abs. 2 SGB VI).

Voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei bzw. mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens vermochte der Senat mit der für einen Vollbeweis erforderlichen Gewissheit keine Tatsachen feststellen, aus denen sich in dem vorliegend streitigen Zeitraum ab 1. März 2008 jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Untersuchung bei Dr. J (23. April 2013) die Annahme voller bzw. teilweiser EM der Klägerin i.S.v. § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI herleiten ließe. Die Klägerin verfügte in dem maßgebenden Zeitraum jedenfalls bis zur Untersuchung bei dem Sachverständigen Dr. G (17. August 2012) noch über ein mindestens sechsstündiges Restleistungsvermögen jedenfalls für leichte körperliche und ihrem Ausbildungs- und Berufsniveau entsprechende einfache geistige Arbeiten, mit dem sie im angegebenen Zeitraum regelmäßig einer vollschichtigen und damit auch mindestens sechsstündigen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen konnte. Ob und ggfs. wann nach dem 17. August 2012 eine quantitative Leistungsminderung in einem die Annahme voller bzw. teilweiser EM rechtfertigenden Umfang eingetreten ist, bedarf keiner abschließenden Beurteilung. Denn isoweit fehlt es - wie noch näher darzulegen sein wird - an der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzung der sog. Drei-Fünftel-Belegung; die Klägerin hat Pflichtbeitragszeiten und rentenrechtliche Zeiten nur bis 5. Mai 2008 zurückgelegt (vgl. Versicherungsverlauf vom 7. Januar 2014).

Dass die Klägerin über ein mindestens sechsstündiges tägliches Leistungsvermögen jedenfalls bis 17. August 2012 verfügte, folgt zur Überzeugung des Senats aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere aus den vorliegenden Gutachten der im Berufungsverfahren bestellten Gerichtssachverständigen Dr. S und Dr. G. Denn diese Sachverständigen haben - im Einklang mit den im Verwaltungsverfahren herangezogenen Gutachtern Dr. M und P - der Klägerin übereinstimmend ein derartiges vollschichtiges bzw. mindestens sechsstündiges Restleistungsvermögen bescheinigt, und zwar durchgehend seit dem 1. März 2008.

Das vollschichtige bzw. mindestens sechsstündige Restleistungsvermögen der Klägerin war jedenfalls bis 17. August 2012 nach den von den Sachverständigen festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen auch nicht derart reduziert, dass es einem Arbeitseinsatz der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter betriebsüblichen Bedingungen entgegenstünde oder entgegen gestanden hätte (vgl § 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Klägerin konnte insoweit nach den von den Sachverständigen getroffenen Feststellungen wegen ihrer Leiden jedenfalls noch körperlich leichte Tätigkeiten im Wechsel der Haltungsarten, auch überwiegend im Sitzen, verrichten. Ausgeschlossen waren Arbeiten in Zwangshaltungen, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten unter besonderem Zeitdruck und im Akkord sowie in Nachtschicht. Bei Beachtung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen bestand aber weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch lag eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 1998 - B 5/4 RA 58/97 R - juris), die eine Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit zur Folge gehabt hätte. Dabei begründet lediglich die „Summierung“ - notwendig also eine Mehrheit von wenigstens zwei ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen als tauglichen Summanden (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R = SozR 4-2600 § 43 Nr. 18) - die Benennungspflicht, nicht aber bereits das Zusammentreffen einer - potenziell - ungewöhnlichen mit einer oder mehrerer „gewöhnlicher“ Leistungseinschränkungen (vgl. BSG a.a.O.). Es lagen zwar bei der Klägerin Leistungseinschränkungen vor, die teilweise über den Rahmen dessen hinaus gingen, was inhaltlich vom Begriff der körperlich leichten Tätigkeiten umfasst wird. Die bei der Klägerin festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen waren aber nicht geeignet, sogar das Feld körperlich leichter Arbeiten zusätzlich wesentlich einzuengen. Sie sind daher von vornherein nicht ungewöhnlich. Denn die vorliegenden Leistungseinschränkungen, im Wesentlichen der Ausschluss von Nachtschicht, von Arbeiten unter Zeitdruck und im Akkord und von Arbeiten in ständigen Zwangshaltungen zählen nicht zu den ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen und schon gar nicht zu den schweren spezifischen Leistungsbehinderungen (vgl. dazu die auf die Vorlagebeschlüsse des 13. Senats ergangenen Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 1 bis 4/95 - GS 2/95 = SozR - 3600 § 44 Nr. 8). Das Gleiche galt hinsichtlich der geistigen Fähigkeiten der Klägerin, die keine nennenswerten Schwierigkeiten zumindest hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen, dem Ausbildungs- und Intelligenzniveau der Klägerin entsprechenden Arbeitsplatz mit einfachen geistigen Arbeiten erkennen ließen; nur eine besondere Einschränkung der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit, die jedenfalls bis 17. August 2012 nicht feststellbar ist, hätte aber eine spezifische schwere Leistungsbehinderung darstellen können (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 104, 117). Auch die Wegefähigkeit der Klägerin war insoweit erhalten. Die Klägerin war nach den schlüssigen Feststellungen von Dr. G in der Lage, täglich viermal eine Fußstrecke von mehr als 500 Metern in mindestens 20 Minuten zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 21. März 2006 - B 5 RJ 51/04 R = SozR 4-2600 § 43 Nr 8 m.w.N.). Einen Rollator benutzte sie erst anlässlich der Begutachtung bei Dr. J am 23. April 2013, der zudem anamnestisch ausgeführt hat, die Klägerin habe diesen Rollator (erst) seit zwei Monaten.

Aus dem Gutachten von Dr. J, der erstmals anlässlich seiner Begutachtungsuntersuchung am 23. April 2013 eine quantitative Leistungsminderung festgestellt hat, folgt keine andere Beurteilung jedenfalls für die Zeit bis 17. August 2012. Denn dieser Arzt hat auf die - eindeutige und von ihm auch nicht missverstandene - Beweisfrage (Nr. 5), „seit wann“ die von ihm festgestellten Leistungseinschränkungen vorliegen, mitgeteilt, diese „bestehen wenigstens seit dem Tag der Untersuchung der Kl. zur Begutachtung“, d.h. seit dem 23. April 2013. Im Übrigen habe das Erkrankungsbild „im Laufe der Jahre eine komplette Ausprägung erfahren“. Es sei „sehr wahrscheinlich“, dass die erhebliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit „zum Zeitpunkt der Antragstellung“ bestanden habe. Hieraus folgt gerade keine sichere - und im Übrigen auch plausibel herzuleitende - Feststellung eines früheren Eintritts der Leistungsminderung vor dem 23. April 2013, die in Anbetracht des - progredienten - Verlaufs der Erkrankung, der insbesondere im erstinstanzlichen Verfahren noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen (Ärzte A, K und Dr. H) und einen stabilen psychischen Zustand (Arzt A) attestierenden behandelnden Ärzte der Klägerin und der im Verlauf eingeholten und ein noch mehr als sechsstündiges tägliches Leistungsvermögen bescheinigenden Sachverständigengutachten, insbesondere zuletzt von Dr. S (; Untersuchungen am 11. und 26. Oktober 2011), letztlich sogar den eigenen Feststellungen von Dr. J vom Vorliegen einer erheblichen Verschlechterung widersprochen hätte. Die Beantwortung der unmissverständlichen Beweisfrage durch Dr. J ist daher in sich widerspruchsfrei und vollständig erfolgt; schon aus diesem Grund bestand mangels ergänzender Erläuterungsbedürftigkeit keine Veranlassung, den Sachverständigen, wie von der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung beantragt, ergänzend zu der Frage des Leistungsvermögens der Klägerin „seit Antragstellung bis Juni 2010“ zu hören oder persönlich zu befragen. Weshalb es hätte sachdienlich sein sollen, Dr. J nochmals zum Eintritt der von ihm festgestellten quantitativen Leistungsminderung zu hören bzw. zu befragen, obwohl die entsprechende, offen formulierte Beweisfrage naturgemäß auch eine retrospektive Betrachtung umfasst und sich der Sachverständige eingedenk dessen durchaus über den Gesamtzeitraum seit Antragstellung geäußert hat, ist dem Vorbringen der Klägerin nicht zu entnehmen. Ungereimtheiten bzw. Unklarheiten weist das Gutachten insoweit nicht auf. Weiterer Aufklärungs- und Ermittlungsbedarf bestand auch nach Würdigung des Vorbringens der Klägerin nicht. Soweit die Klägerin aber beabsichtigen wollte, mit einer ergänzenden Befragung auf die gerichtliche Überzeugungsbildung im Hinblick auf die - freie (vgl. § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) - Würdigung der Gutachten von Dr. S und Dr. J einzuwirken, besteht kein Befragungsrecht nach den §§ 116 Satz 2 SGG, § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 Zivilprozessordnung (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Januar 2006 - B 1 KR 52/05 B - juris m.w.N.).

Durchgreifende Einwendungen gegen die gerichtlichen Sachverständigengutachten von Dr. S und Dr. G hat die Klägerin zudem nicht aufzuzeigen vermocht. Die Sachverständigen haben anhand der von ihnen erhobenen Befunde eine in jeder Hinsicht nachvollziehbare, dh schlüssig sich auf die einzelnen Funktionseinschränkungen beziehende Leistungsbeurteilung abgegeben, die die Grundlage der gerichtlichen Überzeugung und damit Feststellungen bildet. Insgesamt betrafen die bei der Klägerin festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen jedenfalls bis 17. August 2012 lediglich einen kleinen Teilbereich des allgemeinen Arbeitsmarktes, ließen aber ein weites Feld von Beschäftigungsmöglichkeiten unberührt.

So konnte die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen etwa noch leichte Büro- oder Montier- und Sortiertätigkeiten verrichten (vgl. BSG SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 S. 25). Im Hinblick darauf, dass nach der Leistungsbeurteilung des gerichtlichen Sachverständigen für solche Tätigkeiten keine relevanten Einschränkungen bezüglich der Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit, der Auffassungsgabe und der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit bestanden, konnte und kann die Klägerin auch noch derart einfache Arbeiten nach einer Zeit der Einarbeitung von bis zu drei Monaten vollwertig verrichten.

Für einen zu einem Zeitpunkt nach dem 17. August 2012 eingetretenen Leistungsfall der vollen bzw teilweisen EM sind die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI nicht erfüllt. Der letzte von der Klägerin entrichtete Pflichtbeitrag datiert vom Mai 2008. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind daher letztmals im Juni 2010 erfüllt, zumal nach dem letzten Pflichtbeitrag in Ansehung der Auskunft der AOK zu den Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin vom 9. Januar 2014 auch keine Dehnungstatbestände iSv § 43 Abs. 4 SGB VI vorliegen. Eine Anwartschaftserhaltung nach § 241 Abs. 2 SGB VI scheidet schon deshalb aus, weil die im Mai 1985 nach Deutschland übergesiedelte Klägerin die allgemeine Wartezeit vor dem 1. Januar 1984 nicht erfüllt und auch keine durchgehenden Anwartschaftserhaltungszeiten seit diesem Zeitpunkt aufweisen kann.

Darauf, ob die Klägerin einen ihrem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz in ihrem bisherigen Beruf oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich erhalten konnte, kommt es nicht an. Denn die jeweilige Arbeitsmarktlage, die für leistungsgeminderte Arbeitnehmer - wie die Klägerin - kaum entsprechende Arbeitsplatzangebote zur Verfügung stellte, ist für die Feststellung von voller bzw. teilweiser EM - wie der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt hat - unerheblich (vgl § 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.