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Entscheidung 24 Qs 33/13


Metadaten

Gericht LG Cottbus 4. Große Strafkammer Entscheidungsdatum 28.07.2014
Aktenzeichen 24 Qs 33/13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 27.11.2012, Az. 70 Gs 1673/12, aufgehoben.

2. Dem Verurteilten wird für das gesondert geführte Verfahren nach § 81 g StPO einschließlich des Beschwerdeverfahrens Rechtsanwalt ... zum Pflichtverteidiger bestellt.

3. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Cottbus vom 19.11.2012 auf Anordnung der Maßnahmen nach § 81 g StPO wird zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Strausberg verurteilte den Betroffenen am 22.08.2012 wegen Besitzverschaffung kinderpornographischer Schriften an andere in zwei Fällen und wegen des Sichverschaffens des Besitzes kinderpornographischer Schriften in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre bestimmt. Darüber hinaus wurden ihm eine Auflage sowie eine Weisung erteilt.

Das Urteil ist seit dem 22.08.2012 rechtskräftig.

Nachdem die Staatsanwaltschaft den Antrag gestellt hatte, die Entnahme von Körperzellen beim Betroffenen zur molekulargenetischen Untersuchung zwecks Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters anzuordnen, beantragte der Verurteilte, ihm für dieses Verfahren Rechtsanwalt ... aus ... gemäß § 140 Abs. 2 StPO analog als Pflichtverteidiger zu bestellen, denn die beantragte Anordnung verstieße gegen das Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung. Bei einer Verurteilung wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften könne die Speicherung eines DNA-Musters nicht zur Aufklärung künftiger gleichgelagerter Taten beitragen, wenn der Besitz in Form einer Datenspeicherung auf einem PC oder einem sonstigen Medium zugrunde liege. Mit Blick auf den Grundrechtseingriff und die Erörterung schwieriger rechtlicher Fragen sei eine Pflichtverteidigerbestellung erforderlich.

Mit Beschluss vom 27.11.2011 wies das Amtsgericht den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung zurück. Im Weiteren ordnete es die Entnahme von Körperzellen des Betroffenen und deren molekulargenetische Untersuchung zum Zwecke der Feststellung eines DNA-Identifizierungsmusters mit den entsprechenden Begleitanordnungen an. Zur Begründung wurde ausgeführt, unabhängig von dem Umstand, dass der Wahlverteidiger bisher nicht erklärt habe, er werde für den Fall seiner Bestellung als Pflichtverteidiger das Wahlmandat niederlegen, seien die zu beurteilenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen nicht so schwierig, als dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich wäre. Die Anordnungen nach §§ 81 g und 81 f StPO seien geboten, weil es sich bei den Straftaten, die Gegenstand des Urteils des Amtsgerichts Strausberg vom 22.08.2012 seien, um solche handele, die im Bereich der mittleren Kriminalität anzusiedeln seien und daher grundsätzlich auch geeignet seien, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Angesichts des beim Betroffenen sichergestellten kinderpornographischen Materials müsse hier davon ausgegangen werden, dass die Tathandlungen als schwerwiegend anzusehen seien. Die Art der hier gegebenen Anlasstaten spreche für eine Wiederholungsgefahr. Es würden greifbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es sich bei den Anlasstaten nicht um auf besondere Lebensumstände zurückzuführende Entgleisungen handele, sondern dass vielmehr aufgrund der Persönlichkeit des Betroffenen weitere vergleichbare Straftaten von erheblicher Bedeutung zu erwarten seien. Die regelmäßige Kinderpornographienutzung sei ein diagnostischer Indikator für eine entsprechende Störung der Sexualpräferenz. Das sichergestellte Datenmaterial zeuge zum einen von einer offensichtlich ausgeprägten pädophilen Neigung und zum anderen davon, dass der Betroffene besonderen Wert auf die Darstellung von Sexualpraktiken mit Kindern lege.

Gegen diesen Beschluss richten sich die beim Amtsgericht am 03.12.2012 eingegangenen Beschwerden, zum einen gegen die Zurückweisung der Pflichtverteidigerbestellung und zum anderen gegen die angeordnete Maßnahme nach § 81 g StPO.

Hinsichtlich der angefochtenen Anordnungen nach §§ 81 g und 81 f StPO wird die fehlende Zuständigkeit des Gerichts gerügt. Der Ermittlungsrichter sei nach einem rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens für die getroffene Anordnung nicht mehr zuständig. Auch die Anhörung vor Erlass der angefochtenen Entscheidung sei nicht durch den gesetzlichen Richter erfolgt, denn das Amtsgericht Strausberg sei zum Zeitpunkt der erlassenen Verfügung auf Anhörung am 05.09.2012 nicht mehr zuständig gewesen. Die angefochtene Entscheidung sei ermessensfehlerhaft, denn das Gericht habe unberücksichtigt gelassen, dass der Beschwerdeführer in Erfüllung der Bewährungsweisung am 23.10.2012 ein Therapiegespräch geführt habe und im Ergebnis dessen kein weitergehender Therapiebedarf festgestellt worden sei. Das Gericht habe sich auch nicht ausreichend mit der unter Bezug genommenen Entscheidung des Landgerichts Traunstein vom 12.03.2007 – 1 Qs 27/07 – auseinandergesetzt. Die angefochtene Maßnahme komme nur dann in Betracht, wenn durch diese in künftigen Strafverfahren ein Aufklärungserfolg zu erwarten sei. Das sei aber gerade dann nicht der Fall, wenn der Besitz kinderpornographischer Schriften ausschließlich über die Beschaffung und Abspeicherung auf einem Datenträger erfolge. Konkrete Anhaltspunkte, die im vorliegenden Fall die Annahme der Wiederholungsgefahr zu begründen vermögen, seien tatsächlich nicht gegeben. Die abgeurteilten Taten wurden im Januar 2010 begangen. Bei Ablauf von vier Jahren sei der Betroffene strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten und habe insbesondere keine weiteren Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung begangen. Die unter Bezug genommene Studie der ... zu ….. sei keine geeignete Bewertungsgrundlage, weil nicht klar sei, ob die Persönlichkeit des Betroffenen und die von ihm begangenen Taten mit denen an der Studienerarbeitung teilgenommenen Probanden vergleichbar sei.

Die Staatsanwaltschaft tritt den Beschwerden entgegen. In Rechtsprechung und Literatur entspreche es der herrschenden Meinung, dass für die getroffenen Anordnungen der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts sachlich zuständig sei, wenn das Strafverfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen sei. Die angefochtene Maßnahme sei eine präventive, die ausdrücklich in die Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden und der Strafgerichte gehöre.

Das Amtsgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässigen Beschwerden haben Erfolg.

a)

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers bei analoger Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO ist hier geboten, weil der Betroffene mit Blick auf die im Rahmen der nach § 81 g StPO vorzunehmende Prognosebetrachtung nicht in der Lage ist, sich selbst in angemessener Weise zu verteidigen. Insbesondere muss es ihm unbenommen sein, die zu seinen Gunsten sprechenden Umstände hervorzuheben. Wie der Verteidiger zutreffend hervorgehoben hat, kommt es bei der Prognosefrage auf eine Gesamtabwägung sämtlicher Umstände an. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Anlasstat, Vorstrafen, die Rückfallgeschwindigkeit, die Prägung in Richtung bestimmter Delikte, die Motivlage bei früheren Straftaten, das Verhalten des Betroffenen in der Bewährungszeit sowie frühere und derzeitige Lebensumstände. Nach den Feststellungen zur Person im Urteil des Amtsgerichts Strausberg vom 22.08.2012 verfügt der Beschwerdeführer über den Schulabschluss einer Förderschule. Zugunsten des Beschwerdeführers hatte die Kammer daher davon auszugehen, dass er nicht in der Lage ist, die Bedeutung der genannten Kriterien inhaltlich zu erfassen und selbst hierzu umfassend vorzutragen.

Auch für das bereits abgeschlossene Strafverfahren sah es das Amtsgericht Strausberg als geboten an, für den damaligen Angeklagten eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO vorzunehmen. Ein vernünftiger Grund, warum für das gesonderte Verfahren nach § 81 g StPO und das Beschwerdeverfahren ein anderer Maßstab anzulegen wäre, ist für die Kammer nicht ersichtlich.

b)

Die angefochtene Entscheidung wurde vom zuständigen Richter erlassen. Nach dem rechtskräftigen Abschluss des gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahrens ist grundsätzlich für die Anordnung der Maßnahme nach § 81 g StPO der Ermittlungsrichter zuständig, in dessen Bezirk die zuständige Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat, § 162 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 StPO.

Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang zwar zutreffend gerügt hat, dass die Anhörung vor Erlass der angefochtenen Entscheidung durch das nicht zuständige Gericht – Amtsgericht Strausberg – erfolgt sei, begründet dies keine beachtliche Rechtsverletzung mit Folgen für die angefochtene Entscheidung. Der Beschwerdeführer ist durch die Anhörung durch das nicht zuständige Gericht nicht beschwert, denn mit der Anhörung ist genau das bewirkt worden, was Ziel dessen war. Der Beschwerdeführer wurde über die Antragstellung der Staatsanwaltschaft informiert und ihm Gelegenheit gegeben, sich zu verteidigen. Dem ist der Beschwerdeführer auch nachgekommen, indem sein Verteidiger für ihn Stellung genommen hat und zwar noch vor Erlass der angefochtenen Entscheidung. Damit ist dem Recht auf rechtliches Gehör hinreichend entsprochen worden.

c)

Die angefochtene Anordnung nach § 81 g StPO ist aufzuheben, weil dem Beschwerdeführer gegenwärtig nach der Gesamtwürdigung aller Umstände keine Negativprognose gestellt werden kann.

Die Anordnungsvoraussetzung einer Straftat von erheblicher Bedeutung beziehungsweise einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung liegt vor, denn der Verurteilte wurde wegen Besitzverschaffens kinderpornographischer Schriften nach § 184 b StGB verurteilt. Dabei handelt es sich um ein Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die von der oben genannten zweiten Alternative nach § 81 g StPO erfasst wird.

Die Erforderlichkeit der Maßnahme wäre auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Verurteilte bei den bisher begangenen Tatausführungen keine Körperzellen abgesondert hat, die molekulargenetisch untersucht werden könnten. Die Anwendung des § 81 g StPO kommt aber nur dann nicht in Betracht, wenn von vornherein mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass bei der Vorbereitung oder der Ausführung zu prognostizierender Straftaten Körperzellen ausgeschieden werden, die molekulargenetisch untersucht werden können. Das trifft insbesondere auf Aussagedelikte, Hehlerei oder Betrug zu, nicht hingegen und grundsätzlich für Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Abweichend vom Amtsgericht stellt die Kammer dem Verurteilten aber gegenwärtig keine Negativprognose.

Bei der Prognosefrage ist zu prüfen, ob von dem Betreffenden zukünftig die Gefahr der Begehung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder von mehreren sonstigen Straftaten im Sinne des § 81 Abs. 1 Satz 2 StPO zu erwarten ist. Bei der Prüfung hat das Gericht eine umfassende Abwägung sämtlicher Umstände vorzunehmen, insbesondere sind die Anlasstat, Vorstrafen, Rückfallgeschwindigkeit, Prägung in Richtung bestimmter Delikte, die Motivationslage bei früheren Straftaten, das Verhalten des Betroffenen in der Bewährungszeit sowie frühere und derzeitige Lebensumstände zu berücksichtigen. In anderen Zusammenhängen getroffene Prognoseentscheidungen anderer Gerichte sind bei der hier vorzunehmenden Prognosefrage nicht bindend, so dass positive Bewährungsentscheidungen nach § 56 StGB einer Negativprognose nach § 81 Abs. 2 StPO nicht entgegenstehen. Allerdings besteht dann eine erhöhte Begründungsanforderung für die Bejahung der Negativprognose, vgl. BVerfGE 103, 21.

Die Kammer folgt grundsätzlich der Auffassung des Amtsgerichts, dass es sich bei den Anlasstaten nicht um auf besondere Lebensumstände zurückzuführende Entgleisungen handelt, sondern dass diese vielmehr ihre Ursache in der Persönlichkeit des Betroffenen und insbesondere seiner sexuellen Neigung haben. Anhand des in Augenschein genommenen Datenmaterials ist zu schlussfolgern, dass der Betroffene eine pädophile Neigung hat. Die dargestellten Sexualpraktiken mit Jungen sprechen insoweit eine eindeutige Sprache. Die Neigung des Betroffenen ist aber nicht ausschließlich pädophil, sondern grundsätzlich gleichgeschlechtlich ausgerichtet. Denn nach dem in Augenschein genommenen Datenmaterial sind in einer Vielzahl der Dateien männliche Jugendliche im Alter von circa 18 Jahren nackt und mit erigiertem Geschlecht in aufreißerischer Art und Weise abgebildet. Zwar ist auch danach nicht grundsätzlich auszuschließen, dass beim Betroffenen bei regelmäßig sexuell motivierter Nutzung kinderpornographischer Darstellungen die Hemmschwelle für das tatsächliche Ausleben dieser Neigung, folglich der sexuelle Kindesmissbrauch, sinkt. In diesem Zusammenhang kommen aber den Umständen der Ersttätereigenschaft des Betroffenen, des Zeitablaufs und seines Bewährungsverhaltens besondere Bedeutung zu. Seit seiner zuletzt im September 2011 begangenen Tat nach § 184 b StGB, die auch Gegenstand der Verurteilung durch das Amtsgericht Strausberg ist, ist der Verurteilte nicht wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten. Weitere Vorverurteilungen existieren nicht, so dass sich hier auch keine Rückfallproblematik zur Prüfung stellt. Der aktuell eingeholte Auszug aus dem Bundeszentralregister weist lediglich die Verurteilung durch das Amtsgericht Strausberg vom 22.08.2012 aus.

Nachweislich des beigezogenen Bewährungsheftes vom Amtsgericht Strausberg verläuft die Bewährungszeit seit August 2012 beanstandungsfrei. Der Verurteilte hat sowohl die Zahlungsauflage mit Zahlung von 800,- Euro an die Landeskasse als auch die Weisung, sich einem Beratungsgespräch mit einem Sexualtherapeuten zu unterziehen, erfüllt. Insoweit liegt ein Bestätigungsschreiben des ... – vom 23.10.2012 vor.

Seit dem letzten Tatgeschehen sind circa zwei Jahre und neun Monate vergangen, ohne dass es Anhaltspunkte insbesondere für solche Tathandlungen gibt, die Gegenstand der Erstverurteilung des Betroffenen sind. Für die Kammer sind danach keine wesentlichen Umstände ersichtlich, die dem besonderen Begründungserfordernis im oben genannten Sinne entsprechen würden.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung.