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Einstellungsverfügung nach rechtskräftiger Abweisung einer Disziplinarklage; abweichende Kosten- und Auslagenentscheidung; kein Zurückfallen des gerichtlichen Disziplinarverfahrens in behördliches Disziplinarverfahren; Kosten des behördlichen Disziplinarverfahrens; abschließende Regelung durch Gericht


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 80. Senat Entscheidungsdatum 02.06.2014
Aktenzeichen OVG 80 D 10.13 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 41 DiszG BE, § 77 Abs 1 BDG, § 77 Abs 4 BDG

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das im Wege schriftlicher Entscheidung ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 v.H. des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung in einer disziplinarrechtlichen Einstellungsverfügung.

Der 1... geborene Kläger steht als Polizeikommissar im Dienst des beklagten Landes. Mitte 2005 leitete der Dienstvorgesetzte gegen ihn ein Disziplinarverfahren ein. Am 31. Juli 2008 erhob der Beklagte Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung des Klägers aus dem Beamtenverhältnis. Das Verwaltungsgericht Berlin stufte den Kläger durch Urteil vom 10. Dezember 2009 - VG 80 Dn 47.08 - in das Amt eines Polizeiobermeisters zurück. Auf die Berufung des Klägers wies der Senat die Disziplinarklage durch Urteil vom 16. August 2012 - OVG 80 D 1.10 - mit der Begründung ab, der Verhängung einer Disziplinarmaßnahme stehe das Maßnahmeverbot des § 14 Abs. 1 Nr. 2 DiszG entgegen; die Kosten des Verfahrens legte er auf der Grundlage des § 41 DiszG, § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO dem Land Berlin auf. Mit Verfügung vom 12. Februar 2013, die dem Kläger am 18. Februar 2013 zugestellt wurde, stellte der Polizeipräsident in Berlin das Disziplinarverfahren gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 2 DiszG unter Feststellung eines Dienstvergehens ein und legte dem Kläger auf der Grundlage des § 37 Abs. 2 Satz 2 DiszG die ihm im behördlichen Disziplinarverfahren entstandenen notwendigen Auslagen auf.

Gegen diese Einstellungsverfügung hat der Kläger am 18. März 2013 Klage erhoben, die er nach einem gerichtlichen Hinweis auf die Aufhebung der in der Einstellungsverfügung enthaltenen Kosten- und Auslagenentscheidung beschränkt hat. Das Verwaltungsgericht Berlin hat durch im Wege schriftlicher Entscheidung ergangenes Urteil vom 15. Oktober 2013 die Einstellungsverfügung vom 12. Februar 2013 hinsichtlich der dort getroffenen Kosten- und Auslagenentscheidung aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Kosten- und Auslagenentscheidung sei rechtswidrig, da sie die Kostenentscheidung im rechtskräftigen Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 16. August 2012 missachte. Diese erstrecke sich aufgrund der gesetzlichen Inhaltsbestimmung der „Kosten“ in § 77 Abs. 4 BDG auch auf die Kosten des behördlichen Disziplinarverfahrens; einer ausdrücklichen Zitierung der Vorschrift bedürfe es nicht. Diese Regelung gelte auch für Fälle, in denen das Disziplinarverfahren nach dem Übergang vom behördlichen Stadium in das gerichtliche Verfahren wegen einer noch von der Behörde zu treffenden Abschlussentscheidung nochmals in das Stadium des behördlichen Disziplinarverfahrens zurückfalle. Für eine einschränkende Auslegung des § 77 Abs. 4 BDG sei kein Raum. Eine von dem rechtskräftigen Urteil des Oberverwaltungsgericht abweichende Kostenentscheidung dürfe der Beklagte nicht treffen.

Gegen dieses ihm am 22. Oktober 2013 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 12. November 2013 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt, zu deren Begründung er im Wesentlichen geltend macht: Die Einstellungsverfügung sei in vollem Umfang rechtmäßig. Die Kostenentscheidung des Oberverwaltungsgerichts habe mangels eines ausdrücklichen Verweises auf § 77 Abs. 4 BDG nicht auch die Kostenentscheidung des nachfolgenden behördlichen Einstellungsbescheides mit umfasst. Das Verwaltungsverfahren sei nicht durch die gerichtliche Entscheidung beendet. Da den Verwaltungsgerichten anders als im früheren förmlichen Disziplinarverfahren nach der Bundesdisziplinarordnung die das behördliche Verfahren beendende Einstellungsbefugnis fehle (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG), bedürfe es zusätzlich einer gesonderten behördlichen Einstellungsverfügung. Diesen Fall erfasse § 77 Abs. 4 BDG nicht automatisch, sondern nur aufgrund einer ausdrücklichen Entscheidung des Gerichts, wie die Kostenentscheidungen anderer Disziplinargerichte belegten. Da die Kostenentscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht auf § 77 Abs. 4 BDG Bezug nehme, hätten die Kosten des behördlichen Disziplinarverfahrens im Rahmen der Einstellungsverfügung dem Kläger auferlegt werden können.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Oktober 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt der Berufung entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet über die Berufung durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung, nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben (vgl. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 87 a Abs. 2 und 3 sowie § 101 Abs. 2 VwGO). Die vorbezeichneten Vorschriften sind gemäß § 3 DiszG bei einer Klage des Beamten im Disziplinarverfahren entsprechend anwendbar (vgl. Weiß, in: Fürst, GKÖD, Band II, M § 3 Rn. 45).

Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung in der Einstellungsverfügung vom 12. Februar 2013 zu Recht stattgegeben.

Die zulässige Klage ist begründet. Die vorbezeichnete Kosten- und Auslagenentscheidung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

1. Die mit der Einstellung des behördlichen Disziplinarverfahrens verbundene Kostenentscheidung kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil nach rechtskräftigem Abschluss des Disziplinarklageverfahrens durch gerichtliches Sachurteil kein Raum für eine Einstellungsverfügung und damit auch nicht für eine behördliche Kostenentscheidung war.

Das behördliche Disziplinarverfahren war bereits mit der Klageerhebung abgeschlossen. Das Disziplinargesetz sieht in Teil 3 Kapitel 3 unter der Überschrift „Abschlussentscheidung“ drei Alternativen für die Beendigung eines behördlichen Disziplinarverfahrens vor: Einstellungsverfügung, Disziplinarverfügung oder Erhebung der Disziplinarklage (vgl. Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, § 34 Rn. 1; Weiß, a.a.O. M § 32 Rn. 1). Nach Erhebung der Disziplinarklage ist ein einstellungsfähiges behördliches Disziplinarverfahren nicht mehr anhängig.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist das gerichtliche Verfahren auch nicht nach seinem rechtskräftigen Abschluss in das Stadium des behördlichen Disziplinarverfahrens zurückgefallen. Der Senat lässt offen, ob ein behördliches Disziplinarverfahren fortgeführt werden kann, wenn die vom Dienstherrn erhobene Klage etwa wegen Mängeln der Klageschrift als unzulässig abgewiesen wird (vgl. zu solchen Konstellationen Senatsurteile vom 10. Dezember 2013 - OVG 80 D 4.13 -, UA S. 11, und vom 1. August 2013 - OVG 80 D 5.12 -, UA S. 15 f.). Wird - wie hier - eine gerichtliche Sachentscheidung rechtskräftig, fehlt es sowohl an einer rechtlichen Grundlage für eine Fortsetzung des bereits mit der Klageerhebung abgeschlossenen behördlichen Disziplinarverfahrens als auch an einem Regelungsbedürfnis. Der Umstand, dass das Gericht etwa im Falle eines Maßnahmeverbots nach § 14 DiszG das Verfahren nicht - wie noch nach der früheren Landesdisziplinarordnung - einstellen kann, sondern die Klage abweisen muss (vgl. § 41 DiszG i.V.m. § 60 Abs. 2 Satz 2 BDG), hat nicht zur Folge, dass nach Rechtskraft der Gerichtsentscheidung das behördliche oder gerichtliche Verfahren noch offen und damit einstellungsfähig bliebe. Vielmehr beendet das klageabweisende Urteil mit seiner Rechtskraft das Verfahren in gleicher Weise wie die frühere gerichtliche Einstellung des Disziplinarverfahrens. Dasselbe gilt erst recht im Falle der Verhängung einer Maßnahme durch die Disziplinargerichte. Der erstinstanzliche Hinweis des Beklagten auf § 32 Abs. 2 Nr. 2 DiszG verkennt, dass der Einstellungsgrund der Entfernung auf die Verhängung dieser Maßnahme in einem weiteren, d.h. anderen Disziplinarverfahren zielt (vgl. Gansen, a.a.O. § 32 Rn.15 a; Weiß, a.a.O. M § 32 Rn. 68). Ebenso wenig bedarf es noch einer behördlichen Regelung der Kosten des Verfahrens. Nach Abschluss des behördlichen Disziplinarverfahrens durch Klageerhebung ist die Entscheidung über die Kosten auch des behördlichen Verfahrens der gerichtlichen Kostenentscheidung vorbehalten (vgl. Gansen, a.a.O. § 37 Rn. 1; Weiß, a.a.O. M § 37 Rn. 1).

2. Unabhängig hiervon ist die angefochtene Kosten- und Auslagenentscheidung in der Sache rechtswidrig, weil sie im Widerspruch zu der vom Senat in seinem rechtskräftigen Urteil vom 16. August 2012 getroffenen Kostenentscheidung steht, die kraft Gesetzes auch die Kosten des behördlichen Disziplinarverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Klägers einschließt (vgl. § 77 Abs. 4 BDG, § 162 Abs. 1 VwGO) und eine nachfolgende abweichende Kostenentscheidung durch den Beklagten nicht zulässt. Wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, bezieht sich die gerichtliche Kostenentscheidung gemäß § 77 Abs. 1 und 4 BDG immer auch auf die Kosten des behördlichen Disziplinarverfahren; hierauf nimmt der Senat Bezug.

Die Annahme des Beklagten, es hätte einer ausdrücklichen Entscheidung des Senats, zumindest der Zitierung des § 77 Abs. 4 BDG bedurft, geht fehl. Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Norm, die bestimmt, dass Kosten im Sinne des § 77 BDG auch die Kosten des behördlichen Disziplinarverfahrens sind, tritt diese Rechtsfolge unmittelbar kraft Gesetzes ein. Hätte der Gesetzgeber die Einbeziehung dieser Kosten von einer Entscheidung des Gerichts abhängig machen wollen, hätte er das wie etwa in § 162 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 VwGO zum Ausdruck gebracht. An einer solchen Regelung fehlt es hier indessen. Soweit der Beklagte auf gerichtliche Entscheidungen hinweist, die § 77 Abs. 4 BDG erwähnen (so OVG Magdeburg, Beschluss vom 21. März 2007 - 11 L 1/07 -, juris Rn. 8; VG Wiesbaden, Urteil vom 28. August 2009 - 25 K 677/09.WI.D -, BeckRS 2009, 38980; VG München, Urteil vom 31. Mai 2006 - M 13B DB 05.2117 -, juris Rn. 23; VG Lüneburg, Urteil vom 8. Februar 2006 - 7 A 7/05 -, juris Rn. 50), verkennt er, dass diese Norm erst durch das Dienstrechtsneuordnungsgesetz vom 5. Februar 2009 (BGBl. I S. 160) ihre heutige Fassung erhalten hat. Die zitierten Entscheidungen betreffen durchweg § 77 Abs. 4 BDG in der Fassung des Bundesdisziplinargesetzes vom 9. Juli 2001 (BGBl. I S. 1510), der allein die - später in § 77 Abs. 1 BDG aufgenommene - generelle Verweisung auf das Kostenrecht der Verwaltungsgerichtsordnung enthielt. Sie sind daher für die hier aufgeworfene Frage unergiebig.

Der Umstand, dass § 77 BDG im Falle der Klageabweisung wegen eines Maßnahmeverbots nach § 14 DiszG anders als § 37 Abs. 2 Satz 2 DiszG bei behördlicher Einstellung keine Kostenentscheidung zu Lasten des beklagten Beamten zulässt, ist Folge des kostenrechtlichen Unterliegensgrundsatzes (vgl. Weiß, a.a.O. M § 77 Rn. 32) und könnte nur durch den Gesetzgeber geändert werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 DiszG i.V.m. § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 3 DiszG i.V.m. § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 41 DiszG i.V.m. § 69 BDG, § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), da sich die aufgeworfenen Rechtsfragen auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantworten lassen.