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Einstweilige Anordnung; Normenkontrolle; Veränderungssperre; offensichtliche Unwirksamkeit; Aufstellungsbeschluss; Aufhebung; neuer Aufstellungsbeschluss; erneuter Erlass alter Veränderungssperre (verneint); besondere Gründe (verneint); selbständige neue Veränderungssperre; Voraussetzungen; inhaltliche Kontinuität (bejaht)


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 06.01.2012
Aktenzeichen OVG 2 S 26.11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 47 Abs 6 VwGO, § 17 Abs 2 BauGB, § 17 Abs 3 BauGB

Tenor

Die von der Antragsgegnerin am 19. Oktober 2010 beschlossene Satzung über die Veränderungssperre für das Gebiet des Bebauungsplans „Windenergie am Weg nach Emilienhof“, bekannt gemacht im Amtsblatt für das Amt Temnitz vom 30. Oktober 2010, wird außer Vollzug gesetzt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin, ein mittelständisches Unternehmen, das Projekte der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien entwirft und plant, wendet sich mit dem vorliegenden Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen eine von der Antragsgegnerin erlassene Veränderungssperre. Sie beabsichtigt, in deren Geltungsbereich sechs Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von ca. 149 m auf bisher landwirtschaftlich genutzten Flächen zu errichten.

Die Gemeindevertretung der Antragsgegnerin beschloss im September 1999 für eine ca. 67 ha große Fläche an der B 167 zwischen den Orten Wildberg und Ganzer die Aufstellung eines Bebauungsplanes „Windkraft“ und am 2. November 1999 eine Veränderungssperre für den Geltungsbereich des beabsichtigten Bebauungsplanes. Mit Beschluss vom 12. Juli 2001 verlängerte die Gemeindevertretung der Antragsgegnerin die Geltungsdauer der Veränderungssperre um ein Jahr. In ihrer Sitzung am 23. Mai 2002 billigte sie den Entwurf eines Bebauungsplans und beschloss, die frühzeitige Bürgerbeteiligung sowie die frühzeitige Beteiligung der Träger öffentlicher Belange durchzuführen, welche im Juli und August 2002 erfolgte. Am 10. Oktober 2002 beschloss die Gemeindevertretung der Antragsgegnerin eine weitere Verlängerung der Geltungsdauer der Veränderungssperre um ein Jahr und am 27. Februar 2003 billigte sie nach Abwägung der eingegangenen Stellungnahmen einen geänderten Entwurf eines Bebauungsplanes und dessen Begründung, der im Mai und Juni 2003 öffentlich ausgelegt und erneut in das Beteiligungsverfahren der Träger öffentlicher Belange gegeben wurde. In der Folgezeit führte die Antragsgegnerin das Planungsverfahren nicht fort.

Nachdem die Gemeindevertretung der Antragsgegnerin den Aufstellungsbeschluss aus dem Jahre 1999 mit Beschluss vom 22. Juli 2010 aufgehoben hatte, beschloss sie am 19. Oktober 2010 die Aufstellung des Bebauungsplanes „Windenergie am Weg nach Emilienhof“, Ortsteil Wildberg. In derselben Sitzung beschloss sie eine Satzung über die Veränderungssperre für den Bereich dieses Bebauungsplans.

Die Antragstellerin macht zur Begründung ihres Antrages u.a. geltend, es handele sich um eine typische Verhinderungsplanung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten verwiesen.

II.

Der gemäß § 47 Abs. 6 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Antrag ist begründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Die in diesem Rahmen anzustellenden Erwägungen decken sich weitgehend mit den zu § 32 BVerfGG entwickelten Grundsätzen; beide Vorschriften entsprechen sich in ihrer Zielrichtung. Weil eine Rechtsnorm außer Vollzug gesetzt werden soll, ist es notwendig, bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO einen strengen Maßstab anzulegen. Die für eine vorläufige Regelung sprechenden Gründe müssen so schwer wiegen, dass sie ihren Erlass als unabweisbar erscheinen lassen. Die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag später aber in der Hauptsache Erfolg hätte, sind mit den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber in der Hauptsache später erfolglos bliebe. Hierbei kommt der Frage der Rechtsgültigkeit der im Normenkontrollverfahren angefochtenen Rechtsvorschrift nur dann Bedeutung zu, wenn die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Norm schon bei summarischer Prüfung offensichtlich ist (st. Rspr. des Senats, vgl. u.a. Beschluss vom 13. April 2011 – OVG 2 S 20.11–).

Nach diesem Maßstab ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung im vorliegenden Fall geboten, denn die angegriffene Veränderungssperre ist offensichtlich unwirksam, da es sich bei der Satzung weder um den zulässigen erneuten Erlass einer Veränderungssperre nach § 17 Abs. 3 BauGB (1.) noch um eine selbstständige andere Veränderungssperre im Verhältnis zu der im Jahre 1999 beschlossenen und nach deren Höchstdauer von 4 Jahren außer Kraft getretenen Veränderungssperre (2.) handelt.

1. In der verfahrensgegenständlichen Veränderungssperre einen erneuten Erlass der Ende des Jahres 2003 außer Kraft getretenen Veränderungssperre nach § 17 Abs. 3 BauGB zu sehen, scheitert bereits daran, dass die Gemeindevertretung der Antragsgegnerin den Planaufstellungsbeschluss aus dem Jahre 1999 vor Erlass der verfahrensgegenständlichen Veränderungssperre aufgehoben hatte und an diesen nicht mehr als materiell-rechtliche Voraussetzung für die zweite Veränderungssperre angeknüpft werden konnte. Bereits diese Vorgehensweise der Antragsgegnerin spricht gegen die Annahme, dass der erneute Erlass einer außer Kraft getretenen Veränderungssperre überhaupt beabsichtigt war.

Unabhängig hiervon fehlt es an den erforderlichen besonderen Umständen im Sinne von § 17 Abs. 2 BauGB.

Eine Gemeinde kann eine außer Kraft getretene Veränderungssperre ganz oder teilweise erneut beschließen, wenn die Voraussetzungen für ihren Erlass fortbestehen (§ 17 Abs. 3 BauGB). Nach Ablauf der maximalen Geltungsdauer von 4 Jahren ist dies nur unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 BauGB, d.h. bei Vorliegen besonderer Umstände, zulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. September 1976 - IV C 39.74 -, BVerwGE 51, 121). Solche liegen vor, wenn ein Planungsverfahren durch eine Ungewöhnlichkeit gekennzeichnet wird, die sich von dem allgemeinen Rahmen der üblichen städtebaulichen Planungstätigkeit, z.B. aufgrund des Umfanges, des Schwierigkeitsgrades oder des Verfahrensablaufes wesentlich abhebt, hierin die Ursache für die übermäßig lange Dauer des Planungsverfahrens liegt und die Gemeinde die - verzögerungsverursachende - Ungewöhnlichkeit nicht zu vertreten hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. September 1976 - IV C 39.74 -, a.a.O.).

Anhaltspunkte hierfür sind nicht ersichtlich. Dem Aufstellungsvorgang ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen das 1999 begonnene Planungsverfahren nach 2003 nicht fortgeführt worden ist. In der Begründung der zweiten Verlängerung der seinerzeit erlassenen Veränderungssperre heißt es lediglich, dass im Mai 2002 eine frühzeitige Beteiligung der Träger öffentlicher Belange auf der Grundlage eines neuen Bebauungsplanentwurfes durchgeführt worden sei und diese Beteiligung ergänzende Abstimmungen u.a. mit der unteren Naturschutzbehörde, der unteren Bauaufsichtsbehörde, den Denkmalschutzbehörden und der Nachbargemeinde Ganzer erforderlich mache. Die Antragsgegnerin trägt hierzu vor, dass es in den vergangenen Jahren keine Veranlassung gegeben habe, einen Bebauungsplan aufzustellen, weil die Bebauung der jeweiligen Flurstücke nicht konkret geplant gewesen sei.

2. Ebenso wenig handelt es sich vorliegend um eine selbstständige andere Veränderungssperre im Verhältnis zu der im Jahre 1999 beschlossenen.

Von dem erneuten Erlass einer Veränderungssperre nach § 17 Abs. 3 BauGB ist eine selbstständige neue Veränderungssperre zu unterscheiden, deren Zulässigkeit sich nach den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 BauGB richtet. Eine solche ist jedoch nur anzunehmen, wenn die neue Veränderungssperre nicht mehr in einer inhaltlichen und verfahrensmäßigen Kontinuität zu der früheren Veränderungssperre steht (vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Juni 2011, § 17 Rn. 56; Lemmel, in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand: Mai 2011, § 17 Rn. 13), da es unverhältnismäßig wäre, dieselbe Planung wiederholt durch jeweils neue Veränderungssperren zu sichern (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. März 2007 - 4 BN 11/07 -, NVwZ 2007, 954; Beschluss des Senats vom 14. April 2011 - OVG 2 A 16.09 -, juris). Dies setzt voraus, dass die jeweiligen Veränderungssperren auf verschiedenen, inhaltlich und zeitlich in keinem Zusammenhang stehenden Planaufstellungsbeschlüssen beruhen (vgl. OVG Saarland, Urteil vom 11. Januar 1980 - II N 2/79 -, BauR 1981, 251).

Diese Voraussetzungen erfüllen die verfahrensgegenständliche Veränderungssperre und die von ihr zu sichernde Bebauungsplanung nicht. Es handelt sich nicht um ein eigenständiges Planungsvorhaben, das eine neue Planungskonzeption verfolgt. Zwar liegt zwischen den Veränderungssperren von 1999 und 2010 ein längerer Zeitraum und sie beruhen jeweils auf eigenständigen Planaufstellungsbeschlüssen, dennoch besteht eine inhaltliche Kontinuität zwischen den zu sichernden Planungen. Der Zuschnitt des Plangebietes ist identisch und die beiden Aufstellungsbeschlüsse haben bis auf sprachliche Abweichungen letztlich denselben Inhalt und Aufbau. Beiden ist im Ergebnis zu entnehmen, dass in der im Flächennutzungsplan festgelegten Konzentrationsfläche für die Windenergienutzung Windkraftanlagen bis zu einer Gesamthöhe von unter 100 m errichtet werden können und dass - so wörtlich in beiden Beschlüssen - „wegen absehbarer grundstücksrechtlicher, pachtrechtlicher, immissionsschutzrechtlicher, artenschutzrechtlicher, landschaftspflegerischer und erschließungstechnischer Konflikte sowie der notwendigen Binnenkoordination realisierungswilliger Vorhabenträger im Gebiet ein städtebaulicher Steuerungsbedarf gegeben“ sei. Als weitere Ziele führen beide Aufstellungsbeschlüsse an, dass die Standorte der Windkraftanlagen festgesetzt und Auswirkungen auf das Landschaftsbild vermieden werden sollen.

Angesichts dieser Sach- und Rechtslage bedarf keiner Entscheidung, ob die weiteren von der Antragstellerin gegen den Erlass der Veränderungssperre erhobenen Einwände durchgreifen würden. Mit Blick auf deren offensichtliche Unwirksamkeit ist die einstweilige Anordnung bereits aus wichtigen Gründen geboten, ohne dass es auf eine weitergehende Folgenabwägung ankommt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG (vgl. Beschluss des Senats vom 31. März 2006 – OVG 2 S 123.05 -, BA S. 12).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).