Gericht | SG Neuruppin 20. Kammer | Entscheidungsdatum | 25.01.2011 | |
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Aktenzeichen | S 20 KR 26/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 Abs. 1 a Viertes Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IV).
1. Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. Dezember 2006 bis zum 15. März 2007 freiwillig krankenversichert und kam während dieser Versicherungszeit mit seinen Beiträgen in Rückstand. Die Beklagte kündigte das Versicherungsverhältnis zum 15. März 2007. Mit Bescheid vom 6. August 2007 wurde die Beitragsschuld in der Kranken- und Pflegeversicherung auf 685,08 € beziffert und die aufgelaufenen Säumniszuschläge auf 136,50 €. Der hiergegen eingelegte Widerspruch des Klägers vom 4. September 2007 wurde durch Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2007 zurückgewiesen.
2. Mit der am 18. Januar 2008 bei dem Sozialgericht Neuruppin erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiterhin isoliert gegen die Höhe der Säumniszuschläge, die gemäß § 24 Abs. 1 a SGB IV erhoben wurden. Er sieht sich durch die Höhe der Säumniszuschläge im Vergleich zu den gemäß § 24 Abs. 1 SGB IV zu erhebenden Säumniszuschlägen (vier Prozentpunkte Differenz) in verfassungswidriger Weise ungleich behandelt und beantragt,
den Beitragsbescheid der Beklagten vom 6. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Dezember 2007 aufzuheben, soweit durch diese Bescheide ein Säumniszuschlag von mehr als 1 % pro Monat festgesetzt worden ist.
Da der Kläger von der Verfassungswidrigkeit von § 24 Abs. 1 a SGB IV überzeugt ist, beantragt er ergänzend,
das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zu der Frage einzuholen, ob § 24 Abs. 1 a SGB IV in der Fassung vom 26. März 2007 insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG sowie mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG sowie mit Art. 19 GG in Verbindung mit Art. 1 GG vereinbar ist, als dass § 24 Abs. 1 a SGB IV abweichend von § 24 Abs. 1 SGB IV freiwillig Versicherten, Versicherten nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) und nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte für Beiträge und Beitragsvorschüsse, mit denen sie länger als einen Monat säumig sind, für jeden angefangenen Monat der Säumnis einen Säumniszuschlag von 5 % des rückständigen, auf 50,00 € nach unten abgerundeten Betrages auferlegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
und nimmt auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide Bezug, an denen sie festhält.
Das Gericht hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 7. Dezember 2010 erörtert. Die Beteiligten haben in dem Erörterungstermin übereinstimmend klar gestellt, dass sich dieses Klageverfahren ausschließlich gegen die Beklagte als Krankenkasse mit Blick auf die Beiträge bzw. Säumniszuschläge zur Krankenversicherung richtet. Soweit sich der Widerspruch vom 4. September 2007 auch gegen die Erhebung der Beiträge bzw. Säumniszuschläge zur Pflegeversicherung richtet, gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass das Widerspruchsverfahren bislang noch nicht abgeschlossenen worden ist. Die Beteiligten haben übereinstimmend das Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erteilt und die Zulassung der Sprungrevision beantragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist, Bezug genommen.
Das Gericht konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG statthafte und auch sonst zulässige Klage war abzuweisen, da sich die angefochtenen Bescheide als rechtmäßig erweisen und der Kläger durch diese daher nicht in seinen Rechten verletzt wird.
1. Das Gericht folgt für die Erhebung der Beiträge und der Säumniszuschläge dem Grund und der Höhe nach der Begründung in dem Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2007 und sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab (§ 136 Abs. 3 SGG). Auch der Kläger gibt insoweit zu, dass die Beklagte auf Grundlage der geltenden Gesetzeslage keine andere Entscheidung treffen konnte und rügt ausschließlich die Verfassungswidrigkeit von § 24 Abs. 1 a SGB IV.
Das Gericht teilt die Bedenken des Klägers gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 24 Abs. 1 a SGB IV ausdrücklich, hält die Norm jedoch letztlich nicht im Sinne von Art. 100 Abs. 1 GG für verfassungswidrig.
§ 24 Abs. 1 a SGB IV ist sowohl mit Blick auf eine mögliche Ungleichbehandlung zu den gemäß § 24 Abs. 1 SGB IV Zahlungsverpflichteten (relativ) als auch für sich genommen mit Blick auf die Höhe der insgesamt erhobenen Säumniszuschläge (absolut) zu überprüfen. Insoweit kommt das Gericht - auch in Kenntnis der Bedenken des Klägers, die durch die Kommentarliteratur (vgl. Seewald, in: Kasseler Kommentar, Rn. 8 ff. zu § 24 SGB IV; Baier, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, Rn. 14 zu § 24 SGB IV) gestützt werden - zu dem Ergebnis, dass sich die Norm - wenn auch grenzwertig - noch innerhalb des dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsraums liegt.
Das Bundesverfassungsgericht nimmt die verfassungsrechtliche Prüfung anhand von Art. 3 Abs. 1 GG wie folgt vor (st. Rspr., etwa: Beschluss vom 12. Oktober 2010 - 1 BvL 12/07 - [juris]):
„Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 120, 1 <29>; 122, 210 <230>; stRspr). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (vgl. BVerfGE 116, 164 <180>; 122, 210 <230>). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfGE 116, 164 <180>; 117, 1 <30>; 120, 1 <29>; 123, 1 <19>; stRspr). Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 105, 73 <110 f.>; 112, 164 <174>; 122, 210 <230>; stRspr). Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (vgl. BVerfGE 112, 268 <279>; 122, 210 <230>; stRpr).“
Einen tragfähigen Differenzierungspunkt im Sinne dieser Rechtsprechung vermag das erkennende Gericht gerade noch zu erkennen: Aus der Gesetzesbegründung zur Einführung von § 24 Abs. 1 a SGB IV ergibt sich, dass der Gesetzgeber wegen der Aufhebung bzw. Änderung von § 191 Nr. 3 SGB V a. F. (mit Wirkung ab 1. April 2007) davon ausgegangen ist, dass eine besondere Regelung für die Erhebung von Säumniszuschlägen - gleichsam einer Kompensation für den nach alter Rechtslage möglichen Verlust der Mitgliedschaft wegen Zahlungsverzuges - erforderlich ist (BT-Drs 16/3100, S. 182, 159). Überdies haben sich freiwillig Versicherte - so auch der Kläger - für die gesetzliche Krankenversicherung jenseits einer Pflichtmitgliedschaft entschieden, so dass von diesen Versicherten in einem besonderen Maß die fristgerechte Tragung ihrer Beiträge erwartet werden darf. Aus diesen Gründen hält das erkennende Gericht letztlich auch die absolute Höhe der Säumniszuschläge gemäß § 24 Abs. 1 a SGB IV vor dem Hintergrund von Art. 2 Abs. 1 GG gerade noch für angemessen, wenn auch für rechtspolitisch fragwürdig. Auch insoweit stellen sich die Sicherstellung der Beitragserhebung nach Aufhebung bzw. Änderung von § 191 Nr. 3 SGB V a. F. sowie die Freiwilligkeit der Begründung der Krankenversicherung als noch tragfähige Differenzierungsgesichtspunkte bzw. Rechtfertigungsgründe für den Grundrechtseingriff dar.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen (§§ 161 Abs. 2, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).