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Entscheidung 1 Ws 8/14


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 12.03.2014
Aktenzeichen 1 Ws 8/14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 6 StPO, § 6a StPO, § 14 StPO, § 19 StPO, § 203 StPO, § 204 StPO, § 209 Abs 2 StPO, § 210 Abs 2 StPO, § 210 Abs 3 StPO, § 225a StPO, § 270 StPO, § 21e Abs 4 GVG

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Potsdam wird der Beschluss der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 29. November 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Potsdam zurückverwiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die den Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat gegen die Angeschuldigten unter dem 13. März 2012 Anklage vor der großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Potsdam erhoben u. a. wegen Betrugs, Vorenthaltens von Arbeitsentgelt und Steuerhinterziehung. Da im Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Potsdam für das Jahr 2012 sowohl der 4. als auch der 5. großen Strafkammer die zur Zuständigkeit der Strafkammer gem. § 74 c GVG als Wirtschaftsstrafkammer gehörenden Sachen der 1. Instanz zugewiesen waren, lag die Anklage der 4. großen Strafkammer vor. Diese erklärte sich mit Beschluss vom 22. März 2013 für örtlich unzuständig. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Potsdam hat der Senat am 25. Juli 2013 den Beschluss aufgehoben und die Sache an die 4. große Strafkammer zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zurückverwiesen.

Mit Verfügung vom 23. August 2013 hat der Vorsitzende der 4. großen Strafkammer die Akte unter Berufung auf § 209 Abs. 2 StPO der 5. großen Strafkammer bei dem Landgericht Potsdam vorgelegt. Die 4. große Strafkammer sei nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Potsdam für das Jahr 2013 keine Wirtschaftsstrafkammer mehr. Der Vorsitzende der 5. großen Strafkammer hat mit Verfügung vom 02. Oktober 2013 die Übernahme abgelehnt. Ausweislich des Geschäftsverteilungsplans bleibe die 4. große Strafkammer für die bei ihr im Jahr 2012 eingegangenen Verfahren in Wirtschaftsstrafsachen als Wirtschaftsstrafkammer eingerichtet.

Im Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2013 des Landgerichts Potsdam heißt es: „I. Geltungsbereich – Der Geschäftsverteilungsplan regelt die Zuständigkeiten der Kammern des Landgerichts Potsdam für die Zeit ab dem 01. Januar 2013. Soweit in diesem Geschäftsverteilungsplan keine ausdrückliche andere Regelung getroffen wird, verbleibt es für die vor diesem Zeitpunkt eingegangenen Sachen bei den für das Jahr 2012 getroffenen Zuständigkeitsregelungen.“ (S. 4). Unter „C. Zuständigkeiten der Strafkammern im Einzelnen“(S. 27 ff.) sind nur der 5. großen Strafkammer Wirtschaftsstrafsachen zugewiesen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die 4. große Strafkammer die Eröffnung des Verfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Das Fehlen der funktionellen Zuständigkeit der 4. Strafkammer für Wirtschaftsstrafsachen stelle ein Verfahrenshindernis im Sinne des § 204 StPO dar. Gem. § 6 a StPO sei die Zuständigkeit besonderer Strafkammern bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen zu prüfen. Diese funktionelle Zuständigkeit stelle eine bis zur Eröffnung zu beachtende Prozessvoraussetzung dar. Der 4. großen Strafkammer seien ab dem 01. Januar 2013 keine Wirtschaftsstrafsachen mehr zugewiesen. Die „Übergangsregelung“ in Ziff. I. des Geschäftsverteilungsplans 2013 führe schon deshalb nicht zum Fortbestehen der Zuständigkeit für bereits anhängige Wirtschaftsstrafsachen, weil sie besage, es verbleibe nur vorbehaltlich einer anderen ausdrücklichen Regelung bei der für das Jahr 2012 getroffenen Zuständigkeitsregelung. Der Geschäftsverteilungsplan 2013 habe aber gerade eine andere ausdrückliche Regelung für die Wirtschaftsstrafsachen getroffen, indem er ausschließlich die 5. große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer eingerichtet habe. Im Übrigen mangele es der „Übergangsregelung“ an hinreichender Bestimmtheit. Schließlich entspreche sie nicht der gesetzlichen Grundlage gem. § 21 e Abs. 4 GVG, wonach nur eine Sachgruppe Gegenstand der Abweichung vom Geschäftsverteilungsplan sein dürfe, nicht aber – wie hier - ein Teil einer Sachgruppe. Durch den Verbleib der seit dem Jahr 2012 anhängigen Wirtschaftsstrafverfahren bei der 4. Strafkammer würde unter Verstoß gegen das Abstraktionsprinzip ein unzulässiges Ausnahmegericht geschaffen.

Mit ihrer am 05. Dezember 2013 eingegangenen sofortigen Beschwerde hat die Staatsanwaltschaft Potsdam vorgetragen, das Verfahren sei bereits seit dem Jahr 2012 bei der 4. großen Strafkammer anhängig. An der einmal begründeten Zuständigkeit ändere die neue Geschäftsverteilung des Landgerichts Potsdam ab 01. Januar 2013 nichts.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 12. Februar 2014 beantragt, den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 29. November 2013 aufzuheben und die Sache zur Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens an das Landgericht Potsdam zurückzuverweisen. Die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans des Landgerichts Potsdam im angefochtenen Beschluss sei rechtswidrig. Die 4. große Strafkammer sei auch weiterhin als Wirtschaftsstrafkammer zuständig für die Bearbeitung des vorliegenden Verfahrens.

II.

1. Die gem. §§ 210 Abs. 2, 311, 306 statthafte, form- und fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Potsdam ist begründet. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, da rechtliche Gründe für die Nichteröffnung des Hauptverfahrens gem. § 204 StPO nicht vorliegen.

Im vorliegenden Fall besteht ein Konflikt zwischen der 4. und der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam über die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans des Landgerichts Potsdam für das Jahr 2013. Dieser sogenannte negative Kompetenzkonflikt ist ausschließlich durch Entscheidung des Präsidiums des Landgerichts Potsdam über die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans zu lösen. Die 4. große Strafkammer wird, wenn sie sich aufgrund der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans nicht für zuständig hält, das Verfahren dem Präsidium des Landgerichts Potsdam zur Auslegung des Geschäftsverteilungsplans vorzulegen haben. Aufgrund der Entscheidung des Präsidiums wird die dann zuständige Strafkammer über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden haben. Eine diesbezügliche Entscheidung durch den Senat ist hingegen nicht veranlasst.

Die 4. große Strafkammer hält sich, entgegen der Auffassung der 5. großen Strafkammer, ausschließlich aufgrund der sogenannten „Übergangsregelung“ gemäß Ziff. I. des Geschäftsverteilungsplans des Landgerichts Potsdam für das Jahr 2013 nicht mehr für zuständig. Unstreitig ist dabei, dass die 4. große Strafkammer im Jahr 2012, als die Sache bei ihr einging, als Wirtschaftsstrafkammer für das Verfahren zuständig war. Insofern handelt es sich um die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans für das Jahr 2013 dahingehend, ob die 4. große Strafkammer für die im Jahr 2012 anhängig gewordenen Wirtschaftsstrafsachen im Jahr 2013 weiterhin zuständig bleibt, mithin um einen Kompetenzkonflikt unter gleichrangigen Spruchkörpern. Die Entscheidung darüber ist allein Sache des Präsidiums des Landgerichts Potsdam.

Bei der Annahme geschäftsplanmäßiger Unzuständigkeit innerhalb desselben Gerichts unter gleichrangigen Spruchkörpern hat das Präsidium über die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans zu entscheiden. Die Entscheidungsbefugnis des Präsidiums erstreckt sich dabei ausschließlich auf die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans. Sobald es um die interne Zuständigkeit eines Spruchkörpers unmittelbar aufgrund eines Gesetzes geht, entscheidet der Spruchkörper selbst. Denn Entscheidungen über das Vorliegen von Sachentscheidungsvoraussetzungen des konkreten Verfahrens, namentlich der Gesetzesauslegung, sind der Disposition des Präsidiums entzogen, (BGH St 25, 242; St 26, 191; OLG Rostock, NStZ-RR 2010, 243; OLG Düsseldorf, MDR 1982, 689; Meyer-Goßner, StPO, 56. A. 2013, vor § 1 Rn 17, § 21 e Rn 22; Schneider in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. A. 2013, § 209 Rn 4).

Die 4. große Strafkammer konnte demgegenüber die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht gem. § 204 StPO ablehnen. Zwar stellen Verfahrenshindernisse grundsätzlich rechtliche Gründe dar, deretwegen das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gem. § 204 StPO abzulehnen hat, (Meyer-Goßner, a. a. O., § 204 Rn. 2). Zu den Verfahrensvoraussetzungen zählt auch die sachliche Zuständigkeit des Gerichts, die – wie im angefochtenen Beschluss zutreffend angeführt – gem. § 6 StPO von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen ist. Die Zuständigkeit besonderer Strafkammern - wie die gem. § 74 c GVG mit Wirtschaftsstrafsachen betrauten Strafkammern - wird gem. § 6 a StPO wie ein Fall der sachlichen Zuständigkeit behandelt, ist jedoch mit einer zeitlichen Grenze für die Zuständigkeitsprüfung versehen, (Meyer-Goßner a. a. O. § 6 a Rn. 1). §§ 6, 6a, 209, 209 a, 225 a, 270 StPO stellen dabei spezielle Regelungen für die Fälle dar, in denen ein Spruchkörper sich für sachlich unzuständig hält, indem stets, in bestimmten zeitlichen Grenzen, die Pflicht zur Vorlage an den für zuständig gehaltenen Spruchkörper festgeschrieben ist, (Meyer-Goßner, a. a. O., § 209 Rn. 1ff; Schneider, a. a. O., § 209 Rn. 1 ff.). Die Ablehnung der Eröffnung durch eine Strafkammer mit der Begründung, es sei eine andere Strafkammer desselben Landgerichts zuständig, ist im Gesetz nicht vorgesehen und deswegen unzulässig, (OLG Düsseldorf, MDR 1984, 73; Schneider, a. a. O. § 204 Rn 4)

2. Eine Entscheidungskompetenz des Senats über die Eröffnung des Verfahrens folgt auch nicht aus § 210 Abs. 3 StPO. Nachdem die 5. große Strafkammer ihre geschäftsplanmäßige Zuständigkeit abgelehnt hatte, war sie nicht berechtigt, gem. § 209 Abs. 2 StPO das Verfahren vor der 4. großen Strafkammer zu eröffnen. Zwar hat gem. § 209 Abs. 2 StPO das Gericht höherer Ordnung nach Prüfung der Zuständigkeit das Verfahren vor sich oder gem. § 209 Abs. 1 StPO vor dem Gericht niedrigerer Ordnung zu eröffnen, (Meyer-Goßner, a. a. O. § 209 Rn. 3). Auch die Wirtschaftsstrafkammer ist gegenüber einer allgemeinen Strafkammer insoweit zur Eröffnung vor dieser befugt, (KG, NJW 2010, 3464). Jedoch hat die 5. große Strafkammer die Ablehnung ihrer Zuständigkeit gerade nicht auf ihre Höherrangigkeit gestützt, sondern auf die geschäftsplanmäßige Gleichrangigkeit mit der 4. großen Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer. Die Ablehnung der Übernahme unter Rückgabe der Akten an den vorlegenden Spruchkörper stellte daher die zutreffende Vorgehensweise dar. Die 4. große Strafkammer hatte daraufhin das Präsidium zur Entscheidung über die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans anzurufen. Eine Entscheidung des Beschwerdegerichts gem. § 210 Abs. 3 StPO betrifft hingegen regelmäßig die Fälle des Kompetenzstreits von Gerichten unterschiedlichen Rangs über das Vorliegen der gesetzlichen Zuständigkeitsvoraussetzungen, (Schneider, a. a. O. § 210 Rn. 11). Ein derartiger Kompetenzstreit besteht hier gerade nicht.

3. Schließlich obliegt dem Senat auch nicht etwa aufgrund analoger Anwendung der §§ 14, 19 StPO die Entscheidung über die geschäftsplanmäßige Zuständigkeit für die Bearbeitung des streitgegenständlichen Verfahrens. §§ 14, 19 StPO betrifft ausschließlich den Streit zweier Gerichte über die Auslegung eines Gesetzes, nicht aber über die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans, (OLG Düsseldorf, MDR 1982, 689; OLG Rostock, NStZ-RR 2010, 243; Meyer-Goßner, a. a. O. § 14 Rn 1, Schneider, a. a. O. § 14 Rn. 2). Die analoge Anwendung dieser Vorschriften auf weitere Fälle negativer Kompetenzkonflikte ist nur geboten, wenn andernfalls der Stillstand der Rechtspflege droht, weil keine andere Möglichkeit der Streitbeilegung mehr zur Verfügung steht, (Meyer-Goßner, a. a. O. § 14 Rn. 2; Schneider, a. a. O. § 14 Rn. 1). Eine analogiefähige Gesetzeslücke liegt hier jedoch gerade nicht vor, da § 21 e Abs. 1 GVG dem Präsidium die bindende Entscheidung über die Streitigkeiten bezüglich der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans überträgt, (Meyer-Goßner, a. a. O. § 21 e GVG Rn. 22; Schneider, a. a. O. § 21 GVG Rn. 13).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.