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Ausländerrecht; Türkei; Rechtsschutzbedürfnis bei freiwilliger Ausreise fraglich/Erforderlichkeit der erneuten Durchführung eines Sichtvermerkverfahrens; fehlende Sicherung des Lebensunterhalts


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 13.04.2010
Aktenzeichen OVG 11 S 12.10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 80 Abs 5 VwGO, § 2 Abs 3 AufenthG, § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 31 Abs 4 AufenthG

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2500,--EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat auf der Grundlage des nach § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO allein maßgeblichen Beschwerdevortrages keinen Erfolg.

Der Antragsteller, türkischer Staatsangehörigkeit, hat erstinstanzlich nach Darstellung des Verwaltungsgerichts den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gestellt, die aufschiebende Wirkung der Klage VG Berlin 19 K 16/10 gegen den Bescheid des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 11. Dezember 2009 anzuordnen und seine Abschiebung bis zu einer Entscheidung durch das angerufene Gericht in der Hauptsache zu untersagen. Es erscheint bereits fraglich, ob für eine gerichtliche Fortsetzung dieses vorläufigen Rechtsschutzbegehrens, das vom Verwaltungsgericht durch den angegriffenen Beschluss abgelehnt wurde, nach der unstreitigen freiwilligen Ausreise des Antragstellers noch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Die Abschiebung droht nun nicht mehr. Es ist auch zweifelhaft, ob ein erneutes Einreisebegehren nunmehr nicht in einem Sichtvermerksverfahren geltend gemacht werden müsste. Zwar hatte der im Anschluss an die ihm zuletzt mit Gültigkeit bis zum 23. Oktober 2009 erteilte Aufenthaltserlaubnis gestellte Verlängerungsantrag vom 5. November 2009 wohl entsprechend der ihm erteilten Bescheinigung eine Fiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst. Fraglich ist jedoch, ob eine solche Fiktionsbescheinigung, die dem Rechtsinhaber gemäß § 81 Abs. 5 AufenthG auszustellen ist, dem in die Türkei ausgereisten Antragsteller ungeachtet der - auf der Grundlage des Vortrags des Antragstellers zur Rückkehrabsicht allerdings zu verneinenden - Frage, ob er die Erlaubnisfiktion bereits durch seine Ausreise verloren hat (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG), gegenwärtig eine im vorläufigen Rechtsschutzverfahren schützenswerte Rechtsposition noch verschaffen kann (so wohl eine verbreitet in der Literatur vertretene Auffassung, vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand August 2006, § 81 AufenthG Rn. 13; Funke-Kaiser in: GK- AufenthG, Stand April 2009, § 81 AufenthG Rn. 31; Jakober/Welte, AktAR, Stand April 2007, § 81 AufenthG Rn. 169, Westphal/Stoppa, Ausländerrecht der Polizei, 3. Auflage, S. 177). Die Fiktion dient dazu, einem Ausländer, der keinen Aufenthaltstitel (mehr) besitzt, im Anschluss an einen rechtmäßigen Aufenthalt für die Dauer eines auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Verfahrens bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde einen rechtmäßigen Aufenthalt im Inland zu verschaffen. Damit soll im Gegensatz zu dem mit dem Aufenthaltsgesetz weiterhin verfolgten Prinzip, den ersten Aufenthaltstitel zu dem endgültig beabsichtigten Aufenthaltszweck grundsätzlich vom Ausland aus einzuholen (vgl. insbesondere § 5 Abs. 2 AufenthG), die Einholung des (weiteren) Aufenthaltstitels vom Bundesgebiet unter den Voraussetzungen von § 81 Abs. 3, 4 AufenthG aus ermöglicht werden. Für die Einreise bedarf ein Ausländer nach § 4 Abs. 1 AufenthG eines der in Abs. 1 Satz 2 aufgeführten Aufenthaltstitel. Ob die Fiktionen nach § 81 Abs. 3, 4 AufenthG einen solchen Titel in Form einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 7 Abs. 1 AufenthG darstellen, erscheint fraglich (vgl. zu § 81 Abs. 3 AufenthG: OVG Münster, Beschluss vom 11. Mai 2009 - 18 B 8/09 -, ZAR 2009, 278 f.; anders zu § 21 Abs. 3 S. 1 AuslG: BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 1978 - 1 ER 301/78 -, NJW 1979, 505 f.).

Die Beschwerdebegründung hat jedenfalls nicht aufgezeigt, dass die Versagung der weiteren Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 4 S. 2 AufenthG für den Antragsteller im Ergebnis rechtswidrig ist.

Diese Regelung sieht eine weitere Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Ermessenswege bis zur Erfüllung der Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vor. Vorausgesetzt ist allerdings die Erfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen von § 5 AufenthG, wozu gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 - anders als bei erstmaliger Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 S. 1 AufenthG - die Sicherung des Lebensunterhalts zählt.

Das Verwaltungsgericht ist hierbei zutreffend davon ausgegangen, dass gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 AufenthG der Lebensunterhalt eines Ausländers dann gesichert ist, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Die Entscheidung hat prognostischen Charakter. Die geforderte Prognoseentscheidung beinhaltet auch das Moment einer Dauerhaftigkeit der Unterhaltssicherung, die mit Blick auf die zu erwartende Dauer des beabsichtigten Aufenthalts und die Risiken für die öffentliche Hand sowie unter Berücksichtigung der Berufschancen, Erwerbsbiografie und aktuellen Einkommenssituation zu beurteilen ist. Die verlangte Existenzsicherung kann deshalb nicht allein durch eine punktuelle Betrachtung beurteilt werden. Aus dem Zweck der Norm ergibt sich die Notwendigkeit einer gewissen Verlässlichkeit des Mittelzuflusses (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - AV-Bund - vom 26. Oktober 2009, Nr. 2.3.3, GMBl. 2009, 877 ff.; BVerwG, Urteil vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 -, InfAuslR 2009, 270 ff.; Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, NVwZ 2009, 248 ff.; Urteile des Senats vom 4. Februar 2008 - 11 B 4.07 - und vom 27. August 2009 - 11 B 1.09 -, jeweils in Juris).

Auf dieser Grundlage ist für eine verlässliche künftige Einkommenssicherung des Antragstellers auch auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens nichts hinreichend ersichtlich. Gegenüber dem Antragsgegner hatte er nur den Bezug einer Rente von 250,-- € nachgewiesen, die schon den maßgeblichen sozialhilferechtlichen Regelsatz von 359,-- € nicht abdeckte. Unerheblich nach dem gesetzgeberischen Regelungsmodell ist es, dass der Antragsteller keine Sozialleistungen in Anspruch nimmt (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, BVerwGE 131, 370 bis 383). Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen seiner prognostischen Betrachtung zutreffend auch dem erst am 6. Januar 2010 mit Wirkung ab 11. Dezember 2009 abgeschlossenen Arbeitsvertrag mit seinem Bruder für eine Beschäftigung in einem Dönerladen bei monatlich 410,-- € brutto (nachgewiesen mit Gehaltsabrechnungen für Dezember 2009 mit netto 283,82 € und mit 315,39 € für Januar und Februar 2010) keine maßgebliche Bedeutung beigemessen. Zum einen bietet ein solches kurzfristig im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens eingegangenes Arbeitsverhältnis der vorliegenden Art bereits keine hinreichende dauerhafte Verlässlichkeit nachhaltiger Einkommenserzielung. Dies gilt hier besonders, weil der Antragsteller schwerbehindert ist und bereits bei der letzten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis am 24. Oktober 2008 darauf hingewiesen wurde, dass die Rente zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausreiche, ohne dass er vor Ablauf dieser Aufenthaltserlaubnis am 23. Oktober 2009 ein Arbeitsverhältnis nachgewiesen hätte. Zum anderen wären zusätzlich zum Regelbedarf des Antragstellers in Anknüpfung an die Ausführungsvorschriften der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 29 und 34 SGB XII vom 10. Februar 2009 die Kosten für Wohnbedarf in Höhe von 378,-- € in Ansatz zu bringen. Denn eine dauerhafte Absicherung des Wohnbedarfs des Antragstellers durch Unterbringung nunmehr bei seiner Stieftochter ist nicht glaubhaft gemacht worden. Soweit der Antragsteller ferner pauschal auf finanzielle Mittel als Eigentümer von Ländereien in der Türkei verweist, hat er jedoch berücksichtigungsfähiges Einkommen nicht nachgewiesen.

Dazu, dass ein Ausnahmefall entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts vorliegen könnte, der es fordern würde, von dem Fehlen der (Regel-) Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen, hat der Antragsteller mit der Beschwerde nichts hinreichend substantiiert vorgetragen. Der Hinweis auf einen langjährigen Aufenthalt in Deutschland und hiesige familiäre Beziehungen reicht hierfür nicht, da der Antragsteller gerade auch nach seinem Vortrag über die Verwaltung seiner Ländereien in der Türkei weiterhin Beziehungen zu seiner Heimat hat, wo er auch aufgewachsen war. Von einer Integration hier, die eine Rückkehr in seine Heimat unzumutbar erscheinen lässt, kann nicht ausgegangen werden. Nach Einreise als Asylbewerber Ende 1979, dessen Asylantrag als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen wurde, hatte er den weiteren Aufenthalt nur aufgrund Verheiratung mit einer 1942 geborenen deutschen Staatsangehörigen - die Ehe wurde im Juni 1991 geschieden - erlangt. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid des Antragsgegners vom 6. Januar 1989 war er nach Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Heroin) ausgewiesen worden. Nach Verbüßung seiner Strafhaft hatte er sich einer Abschiebung zunächst entzogen und stellte im Dezember 1990 erneut einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 24. August 1994 abgelehnt wurde. Am 25. November 1994 reiste er aus der Bundesrepublik Deutschland aus und nahm seinen Asylantrag zurück. Zwischenzeitlich hatte er erfolglos eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund der am 10. Oktober 1991 mit einer deutschen Staatsangehörigen eingegangenen Ehe begehrt. Nach Befristung der Wirkung der Ausweisung mit Bescheid vom 24. Mai 1995 reiste er am 7. September 1995 wieder ein und erhielt aufgrund dieser Ehe, die im April 2005 geschieden wurde, in der Folge Aufenthaltserlaubnisse. Noch während der Ehe hatte er am 1. November 2004 zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wie auch in der Folge als Unterhaltsnachweis lediglich seine BG-Rente nachgewiesen. Hiernach kann auch nicht von einer wirtschaftlichen Integration des nunmehr knapp 49jährigen Antragstellers ausgegangen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).