I.
Die Klägerin begehrt in der Sache eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Monat Januar 2009.
Der 1949 geborenen Klägerin wurde mit Bescheid vom 9. Januar 2009 eine Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. Januar 2009 bis 31. Januar 2010 gewährt. Bei der Feststellung des Wertes der Rente wurden die ermittelten 40,1494 Entgeltpunkte - EP - mit einem um 0,108 verminderten Zugangsfaktor 1,0, d.h. mit dem Zugangsfaktor von nur 0,892 multipliziert und somit der Feststellung der Rente 35,8133 EP zugrunde gelegt.
Mit ihrem Widerspruch vom 4. Februar 2009 machte die Klägerin unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts mit Urteil vom 16. Mai 2006, Aktenzeichen B 4 R 22/05 R, geltend, dass eine Absenkung des Zugangsfaktor bei der Ermittlung der Entgeltpunkte nicht mit der Regelung des § 77 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI - vereinbar sei. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2009 zurückgewiesen. Mit Bescheid vom 17. Juli 2009 hat die Beklagte der Klägerin eine Altersrente wegen Schwerbehinderung ab 01. Februar 2009 gewährt und die Berechnung hinsichtlich der Bestimmung des Zugangsfaktors für vorläufig erklärt. Das Sozialgericht hat trotz der Bewilligung der Rente wegen Schwerbehinderung dem Vorbringen der Klägerin den Antrag entnommen, die Beklagte zur Leistung einer höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit bis 31. Oktober 2010 zu verurteilen und mit Gerichtsbescheid vom 02. September 2009, der Klägerin am 11. September 2009 zugestellt, das so verstandene Klagebegehren abgewiesen. Nachdem die Klägerin zunächst Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingelegt hatte, hat sie am 20. Oktober 2009 gegen die Nichtzulassung der Berufung mit dem Gerichtsbescheid Beschwerde eingelegt. Sie macht geltend, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit und im Hinblick auf die inzwischen zur streitigen Rechtsfrage beim Bundesverfassungsgericht - BVerfG - anhängige Verfassungsbeschwerde sei ferner das Ruhen anzuordnen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 02. September 2009 zuzulassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.
II.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung (§ 145 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig, insbesondere ist im Hinblick auf die unrichtige Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheides die Berufungsfrist gewahrt.
Nach § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG in der seit 01. April 2008 geltenden Fassung des Gesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I, S. 444) bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 Euro nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.
Die Berufung war daher im vorliegen Fall nicht zulässig. Der Wert der Beschwer beträgt 108, 53 Euro. Die Klägerin begehrt die Feststellung des Wertes ihrer Rente ohne Verringerung der EP durch Absenkung des Zugangsfaktors. Durch Verringerung des Zugangsfaktors von 1,0 auf 0,892 wurden der Feststellung des Wertes der Rente nicht 41, 1494 EP, sondern 35,8133 EP zu Grunde gelegt. Unter Berücksichtigung des aktuellen Rentenwertes im Januar 2009 (26,56 €), des Rentenartfaktors von 1,0, des hälftigen Krankenversicherungsbeitrages in Höhe von 7,75 v.H. und des Pflegeversicherungsbeitrages in Höhe von 1,95 v.H. ergäbe sich eine Rente für den Monat Januar 2009 in Höhe von 963,18 € (netto) (Rentenbetrag brutto: 1066,37 €). Durch die Verringerung des Zugangsfaktors und Verringerung der Entgeltpunkte auf 35,8133 IP ergab sich eine Rente in Höhe von 854,65 € (netto). Die Beschwer der Klägerin besteht, da allein Streitgegenstand die Rente für den Monat Januar 2009 ist, da ihr ab Februar 2000 eine Altersrente gewährt worden ist, in Höhe von 108,53 €. Das Sozialgericht hat auch nur über einen Anspruch der Klägerin auf eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung entschieden, auch wenn es insoweit im zugrunde gelegten Antrag einen Zeitraum vom 01. Januar 2009 bis 31. Oktober 2010 angibt. Da die Klägerin tatsächlich nur im Januar 2009 die Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen hat, ist sie durch die Entscheidung des Sozialgerichts auch nur bezüglich des Monats Januar 2009 beschwert. Damit ist der Beschwerdewert nicht erreicht. Die Klage betraf auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr, so dass es der Zulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid bedurfte. Das Sozialgericht hat die Berufung mit dem Gerichtsbescheid nicht zugelassen; eine Erwähnung des Rechtsmittels der Berufung in einer Rechtsmittelbelehrung genügt zur Zulassung der Berufung nicht (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 144, Rn. 40, m.w.N.).
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung ist fristgemäß erhoben. Zwar ist die Beschwerde nach § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG binnen eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids einzulegen. Hier war jedoch die Rechtsbehelfsbelehrung des Gerichtsbescheides unrichtig, so dass die Beschwerde noch innerhalb eines Jahres nach Zustellung am 11. September 2009 möglich war und somit am 20. Oktober 2009 innerhalb dieser Jahresfrist erfolgt ist.
Die Beschwerde hiergegen ist unbegründet.
Die Berufung ist nicht zuzulassen. Ein gesetzlicher Zulassungsanspruch liegt nicht vor.
Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn
|
1. |
|
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, |
|
2. |
|
das Urteil von einer Entscheidung der Landessozialgerichte, des Bundessozialgerichts oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder |
|
3. |
|
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. |
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Eine solche wäre anzunehmen, wenn eine bisher nicht geklärte, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufgeworfen wäre (Meyer–Ladewig in: Meyer–Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005 § 144 Rn. 28). Dabei muss der zu entscheidenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommen, eine tatsächliche Frage ist nicht ausreichend, auch wenn spezielle Erfahrungssätze betroffen sind. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn von der Entscheidung erwartet werden kann, dass sie zur Erhaltung und Sicherung der Rechtseinheit und zur Fortbildung des Rechts beitragen wird. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn sich aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Kriterien oder Grundsätze zur Auslegung der Norm ergeben, die für die Entscheidung im Einzelfall ausreichen (Meyer–Ladewig a.a.O. § 144 Rn 28 i.V.m. § 160 Rn 7). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Bescheid den geltend gemachten Anspruch der Klägerin verneint und zur Begründung ausgeführt, dass die Berechnung der Rente der Klägerin von der Beklagten mit dem angefochtenen Bescheid aufgrund zutreffender Anwendung des § 77 Abs. 2 SGB VI erfolgt sei. Aus dieser Vorschrift folge, dass bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit – wie bei der Klägerin – die Ermittlung der Entgeltpunkte unter Anwendung eines verringerten Zugangsfaktors erfolge. Das Sozialgericht dabei auf die Rechtsprechung des BSG vom 14. August 2008, B 5 R 32/07 R, und vom 26. Juni 2008, B 13 R 9/08 R, Bezug genommen.
Die Rechtsfrage, ob bei Inanspruchnahme einer Rente wegen voller Erwerbsminderung vor Vollendung des 60. Lebensjahres die EP unter Berücksichtigung eines verminderten Zugangsfaktors zu ermitteln sind, ist durch das BSG geklärt. Das BSG hat durch die vom Sozialgericht zitierten Entscheidungen der allein noch mit Angelegenheiten der allgemeinen Rentenversicherung befassten Senate entschieden, dass ein entsprechend der Regelungen des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB VI verringerter Zugangsfaktor auch bei Inanspruchnahme einer Rente wegen voller Erwerbsminderung vor Vollendung des 60. Lebensjahres bei der Ermittlung der EP heranzuziehen ist. Die dies verneinende Rechtsprechung des 4. Senats des BSG vom 16. Mai 2006, B 4 RA 22/05 R, ist damit überholt und eine Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht mehr gegeben. Die vom Sozialgericht mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid entschiedene Frage ist von dem für die Auslegung der Normen des SGB VI letztinstanzlich zuständigen Gericht geklärt.
Dass bei dem BVerfG gegen die Entscheidung des BSG vom 14. August 2008 eine Verfassungsbeschwerde anhängig ist, führt nicht zur Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung im vorliegenden Rechtsstreit. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Regelungen des § 77 Abs. 2 SGB VI soweit sie die Ermittlung der EP bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auch vor Vollendung des 60. Lebensjahres vorsehen, mit dem Grundgesetz – GG – vereinbar sind (Urteil v. 07. Mai 2009, L 21 R 893/07). Auch das BSG hat keine Veranlassung zu einer Vorlage nach Art. 100 GG gesehen, so dass auch diesbezüglich kein Klärungsbedarf erkennbar ist.
Eine Abweichung von Entscheidungen der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte durch das Sozialgericht macht die Klägerin nicht geltend, ebenso wenig einen Verfahrensmangel nach § 144 Abs. 2 Nr. SGG.
Der Rechtsstreit war auch nicht nach § 114 SGG auszusetzen. Die Voraussetzungen hierfür lagen für die Entscheidung, ob die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin zuzulassen ist, nicht vor. Für ein Ruhen des Rechtsstreits war schon mangels Zustimmung bzw. Antrag der Beklagten kein Raum. Zudem war ein Ruhen auch nicht zweckmäßig, weil die hier allein zu entscheidende Frage, ob auf die Beschwerde der Klägerin die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin zuzulassen war, die von der Klägerin angeführte anhängige Verfassungsbeschwerde keine Bedeutung hat. Jedes Gericht muss prüfen, ob anzuwendende Rechtsnormen verfassungsrechtlich unbedenklich sind. Bejaht es dieses, ist kein Raum für eine Vorlage nach Art. 100 GG. In diesem Fall ist unabhängig davon, ob beim BVerfG eine Verfassungsbeschwerde oder eine Vorlage nach Art. 100 GG anhängig ist, der Rechtsstreit entscheidungsreif. Ein Aussetzen oder ein Ruhen würde zu einer Verzögerung des Rechtsstreits für die Klägerin führen (BFH vom 13.10.1967, VI B 43/67, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar. Nach § 105 Abs. 3 SGG in Verbindung mit § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.