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Türkei; Familiennachzug; Ehefrau; Sohn; im Verlauf des Verfahrens volljährig gewordene Tochter; Lebensunterhalt nicht gesichert; atypischer Fall; Unzumutbarkeit der Herstellung der Familieneinheit im Heimatland; Erkrankung des Zusammenführenden an Multipler Sklerose; schwere Verlaufsform; verordnete Medikation nicht verfügbar; Erreichbarkeit der erforderlichen Behandlung; Beachtlichkeit der im Verfahrensverlauf eingetretenen Volljährigkeit für Prüfung der Voraussetzungen des atypischen Falls; (keine) Unzumutbarkeit des Verbleibs der 19-jährigen Tochter bei den Großeltern


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 03.07.2014
Aktenzeichen OVG 11 B 5.14 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Art 6 GG, § 5 AufenthG, § 30 AufenthG, § 32 AufenthG

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten und des Beigeladenen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Dezember 2010 geändert und die Klage der Klägerin zu 2. abgewiesen.

Im Übrigen werden die Berufungen beider Berufungsführer zurückgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu 2. zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3; der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten insoweit selbst. Die Kosten des Berufungsverfahrens, zu denen auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen gehören, tragen die Klägerin zu 2., die Beklagte und der Beigeladene jeweils zu 1/3.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Kläger, Beklagte und Beigeladener dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung jeweils in Höhe von 110 v.H. des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils vollstreckende Beteiligte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger, türkische Staatsangehörige, begehren die Erteilung eines Visums zum Nachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Ehemann bzw. Vater (i.F.: Zusammenführender).

Dieser ist seit 2001 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Am 5. März 2003 heiratete er die Klägerin zu 1., mit der er zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Kinder - die 1995 und 2000 geborenen Kläger zu 2. und 3. - hatte. Ein erstmals 2004 gestellter Visumantrag für die Kläger wurde wegen fehlender Lebensunterhaltssicherung abgelehnt und nach erfolgloser Remonstration nicht weiter verfolgt.

Erstmals Mitte 2004 wurde bei dem Zusammenführenden eine Erkrankung an Multipler Sklerose (MS) diagnostiziert. Bis 2008 verschlechterte sich sein Zustand deutlich. Im Befundbericht der Charité vom 13. Oktober 2009 wurde die Verlaufsform der MS des Zusammenführenden bereits als (beginnend) sekundär chronisch progredient eingestuft. Im letzten vorliegenden Attest des den Zusammenführenden behandelnden Neurologen Dr. B. vom 17. Mai 2013 wurden ihm eine sekundär chronisch progrediente Multiple Sklerose mit spastischer Paraparese, eine depressive Störung, ein Glaukom und eine glaukomatöse Optikusneuropathie bescheinigt.

Bereits seit dem 1. April 2009 erhält der Zusammenführende - der bei der Bewältigung seines täglichen Lebens von der Ehefrau eines Cousins, Frau K... unterstützt wird - Pflegegeld der Stufe 1. Er bezieht eine niedrige Erwerbsunfähigkeitsrente und ergänzend Grundsicherung bei dauerhafter voller Erwerbsminderung (nach §§ 41 ff. SGB XII).

Am 8. September 2008 stellten die Kläger Anträge auf Erteilung von Visa zum Familiennachzug. Nachdem der Beigeladene seine Zustimmung zur Erteilung der beantragten Visa wegen fehlender Lebensunterhaltssicherung und Fehlens besonderer Umstände, die eine Ausnahme von der Regelvoraussetzung begründen könnten, versagt hatte, lehnte die Beklagte die Anträge der Kläger mit Bescheiden vom 10. September 2009, denen keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war, ab.

Mit der dagegen am 30. Dezember 2009 erhobenen Klage haben die Kläger ihr Begehren weiterverfolgt und zur Begründung ausgeführt, dass ein Ausnahmefall vorliege, der ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung gebiete, da dem Zusammenführenden eine Herstellung der Familiengemeinschaft in der Türkei nicht zumutbar sei. Dieser könne die erforderliche medizinische Betreuung im Fall einer aus finanziellen Gründen allein möglichen Wohnsitznahme am Wohnort der Familie im Dorf D... (Landkreis A... , Provinz Yozgat) nicht erlangen und auch die dortigen Wohnverhältnisse in dem auf einem steilen Hügel gelegenen Haus der Eltern mit vier Zimmern, einer über Tankwagen erfolgenden Wasserversorgung und der Beheizung nur mit einem einzigen kleinen Holzofen im Winter seien seinem Gesundheitszustand und der benötigten Pflege nicht förderlich. In dem Haus lebten die Eltern des Zusammenführenden und die Kläger; die Familie lebe von einer Altersrente in Höhe von ca. 200 EUR pro Monat, die der Vater des Zusammenführenden beziehe.

Das Verwaltungsgericht hat den Klagen mit Urteil vom 17. Dezember 2010 stattgegeben und die Beklagte zur Erteilung der Visa verpflichtet. Das Fehlen der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG stehe den im Übrigen begründeten Ansprüchen der Kläger auf Nachzug nicht entgegen, denn unter Berücksichtigung der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG liege ein Ausnahmefall vor. Es sei dem Zusammenführenden, der inzwischen erheblich pflegebedürftig sei und die Pflegestufe 1 erhalte, aufgrund seiner Erkrankung und der damit einher gehenden körperlichen Behinderung nicht zumutbar, die familiäre Lebensgemeinschaft in der Türkei zu führen, denn es sei zu bezweifeln, dass er unter den Wohnverhältnissen der Familie in der Türkei die angemessene Grundpflege erhalten könne. Da er auf einen Rollator angewiesen sei, werde er sich auf den unbefestigten Wegen und Straßen des Dorfes nur mühsam bewegen und das Haus kaum verlassen können. Dass ein Umzug in eine komfortablere Wohnung in einer größeren türkischen Stadt aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sei, sei nachvollziehbar vorgetragen worden.

Den gegen dieses Urteil von der Beklagten und dem Beigeladenen gestellten Anträgen auf Zulassung der Berufung hat der Senat mit Beschluss vom 2. November 2011 entsprochen.

Zur Begründung ihrer Berufung führt die Beklagte aus, dass die angefochtene Entscheidung zu Unrecht vom Vorliegen einer Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ausgehe. Das Gericht habe seine Entscheidung, dass die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht zumutbar sei, in rechtlich und sachlich zu beanstandender Weise allein auf die Wohnverhältnisse der Familie in der Türkei, die eine Pflege des Zusammenführenden nicht zuließen, und die Schwierigkeit der Fortbewegung auf den unbefestigten Wegen des Dorfes mit dem benötigten Rollator gestützt. Gegen die Annahme eines atypischen Falles spreche, dass die Behandlung der Erkrankung des Zusammenführenden in der Türkei gesichert sei und dass Familienangehörige vorhanden und bereit seien, den erforderlichen Hilfsbedarf und eine angemessene Grundpflege zu erbringen. Eine Erkundigung bei der Vertretung in Ankara und der Vertrauensärztin der Botschaft vor Ort habe ergeben, dass die Multiple Sklerose in der Türkei in allen Stadien gut behandelt werden könne. Die medizinische Versorgung sei oft annähernd so gut wie in Deutschland und in der Regel seien alle Medikamente verfügbar. Eine möglicherweise bessere ärztliche Versorgung des Erkrankten im Bundesgebiet rechtfertige auch vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 GG nicht die Annahme, dass die Führung der familiären Lebensgemeinschaft in der Türkei unzumutbar sei. Im Übrigen sei es auch zumutbar, die familiären Beziehungen durch Besuche, Telefongespräche oder Briefkontakte aufrechtzuerhalten. Das werde auch daraus ersichtlich, dass die Beziehungen im vorliegenden Fall bereits seit 1997 auf diese Weise hätten geführt werden können. Die wegen des nicht gesicherten Lebensunterhalts fortbestehende Trennung stelle keinen atypischen Umstand von besonderem Gewicht dar. Jedenfalls für die inzwischen volljährige Klägerin zu 2. seien die Voraussetzungen für ein Absehen von der Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung nicht gegeben.

Der Beigeladene sieht dies ebenso und führt zur Begründung seiner Berufung ergänzend aus, dass dahinstehen könne, ob die derzeitigen Wohnverhältnisse dem Vorbringen der Kläger entsprächen. Jedenfalls sei nicht ersichtlich, dass die Familie mit den ihr zuzumutenden Anstrengungen - ggf. mit Hilfe weiterer Verwandter - nicht zur Verbesserung der Wohnverhältnisse in der Türkei in der Lage sei. Darüber hinaus führten die Wohnverhältnisse unter Abwägung der betroffenen Interessen aber auch nicht zur Annahme der Unzumutbarkeit der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im Herkunftsland. Die Erkrankung des Zusammenführenden sei auch in der Türkei in allen Stadien gut behandelbar und es sei nicht erkennbar, dass die erforderlichen Behandlungskosten nicht durch das türkische Krankenversicherungssystem abgedeckt seien. Die gesetzgeberische Entscheidung, in atypischen Fällen von der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhaltes abzusehen, gebiete nicht, grundsätzlich die optimale Betreuung erkrankter Ausländer im Bundesgebiet sicherzustellen. Allein der Umstand, dass die Krankheit eventuell einen Umzug der Familie innerhalb der Türkei erfordern könnte, rechtfertige es nicht, einem Zuzug der Kläger ins Bundesgebiet unter Absehen von der Lebensunterhaltssicherung zuzustimmen. Damit werde der Zweck des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG konterkariert. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, dass die Familie sich im Heimatland ständig und dauerhaft unter Aufnahme einer ausreichenden Erwerbstätigkeit bemüht habe, die für eine gute medizinische Versorgung des Zusammenführenden erforderlichen Schritte einzuleiten und so die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Heimatland zu ermöglichen. Da die Integrationschancen der Kläger gering seien, sei davon auszugehen, dass die Familie dauerhaft auf den Bezug von öffentlichen Leistungen angewiesen sein werde. Unter Abwägung aller Umstände sei es deshalb für die Kläger zumutbar, die familiäre Lebensgemeinschaft ggf. im Herkunftsland herzustellen.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen jeweils,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Dezember 2010 zu ändern und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angegriffene Entscheidung und führen ergänzend aus, dass die Berufungsführer sich nicht mit den Umständen auseinandersetzten, die gerade für einen MS-Kranken relevant seien. MS sei eine unheilbare Krankheit, die zu einem sich ständig verschlechternden Zustand führe und deren Fortschreiten nur durch gute Pflege und ärztliche Versorgung verlangsamt werden könne. Von diesen Umständen hänge es ab, wie lange ein daran Erkrankter lebe und wie lange dieses Leben erträglich sei. Dies sei bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Rückkehr in die Türkei wie auch bei der Beurteilung des Pflegebedarfs zu berücksichtigen, dessen zukünftige Zunahme sicher absehbar sei. Die Unsicherheit, ob eine ausreichende medikamentöse Behandlung auch ohne ein in der Türkei nicht erhältliches Medikament möglich sei und ob der Zusammenführende die Kosten der benötigten Medikamente erstattet bekäme, die Dauer bis zu einer Entscheidung über den Erhalt einer Yezil Card oder der Zusicherung der Kostenübernahme durch die Krankenhauskommission und die Entfernung von gut 100 km zwischen dem Heimatdorf der Familie und dem zuständigen staatlichen Krankenhaus in Yozgat, die für den in seiner Gehfähigkeit stark eingeschränkten Zusammenführenden mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum zu bewältigen sei und in akuten Notfällen eine schnelle ärztliche Hilfe kaum zulasse, zeigten das Risiko einer Rückkehrentscheidung für den im fortgeschrittenen Stadium einer unheilbaren und auch zum Tode führenden Krankheit sehr deutlich. Ein schnellerer oder langsamerer Verlauf der MS hänge auch davon ab, ob über die Grundversorgung hinaus durch Bäder und Bewegung auch andere Mittel geboten würden, die in Deutschland Standard seien und „wozu auch die Ausstattung der Wohnung“ gehöre. Eine Verbesserung der Wohnverhältnisse in der Türkei sei zwar theoretisch möglich, für den Zusammenführenden und seine Familie aber nicht finanzierbar. Unmögliches könne nicht verlangt werden. Zudem könnte der auf die Benutzung eines Rollators angewiesene Zusammenführende das Haus der Familie in der Türkei nicht verlassen, was ihm wegen der damit verbundenen gesellschaftlichen Isolation nicht zugemutet werden könne. Entgegen der Auffassung der Berufungsführer könne auch nicht wegen der bisherigen langjährigen Trennung der Familie alles „beim Alten“ bleiben, denn der Zusammenführende bedürfe - auch wegen seiner zunehmenden Depressionen - der Pflege und Fürsorge der Klägerin zu 1. Wegen der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Familiennachzugs bedürfte es für eine dadurch begründete Ausnahme von der Regel des § 5 Abs. 1 AufenthG - anders als im Rahmen des für „sonstige Familienangehörige“ geltenden § 36 Abs. 2 AufenthG - keiner „besonderen Härte“.

Hinsichtlich der im Verlauf des Verfahrens volljährig gewordenen Klägerin zu 2. seien die Voraussetzungen für einen atypischen, eine Einreise unter Verzicht auf die Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung rechtfertigenden Fall ebenfalls erfüllt. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum maßgeblichen Zeitpunkt für das Merkmal der Altersgrenze eines nachziehenden Kindes werde auch ein Volljähriger im Visumverfahren dann als minderjährig behandelt wird, wenn er den Antrag als Minderjähriger gestellt habe, und es sei kein Grund ersichtlich, weshalb diese Frage im vorliegenden Fall anders behandelt werden solle. Zudem belegten die übersandten 56 Erklärungen verschiedener Personen zur Unverantwortlichkeit eines alleinigen Verbleibs eines 18 Jahre alten, in einem Dorf aufgewachsenen Mädchens in der Türkei, und die Erklärung der Frau K... , die die Familie des Zusammenführenden und die Situation in deren Heimatort kenne, dass die Klägerin zu 2. nicht ohne den Schutz der Familie in der Türkei bleiben könne und die Möglichkeit familiären Schutzes „nicht gegeben“ sei.

Im Übrigen sei mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen EWG/Türkei (VO EWG Nr. 2760/72 v. 19. Dezember 1972, ABl. L 293 S. 1) sowie aus Art. 13 ARB 1/80 zu prüfen, ob die Einreise der Kläger unter früheren gesetzlichen Regelungen hätte erfolgen können oder müssen. Dies sei auch deshalb von Bedeutung, weil die Lebensunterhaltssicherung durch das Aufenthaltsgesetz eine erhöhte Bedeutung erhalten habe, indem es von einer Regelversagungs- zu einer Regelerteilungsvoraussetzung aufgewertet worden sei.

Mit Beweisbeschluss vom 18. Juni 2013 – auf den für die Einzelheiten verwiesen wird - wurde eine Auskunft der Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (ZIRF) insbesondere zur Verfügbarkeit der vom Ehemann und Vater der Kläger benötigten Medikamente in der Türkei sowie zu der Frage eingeholt, ob und ggf. wo er über das staatliche Gesundheitssystem Zugang zu der Behandlung und Medikation erhalten könnte. Auf die daraufhin erteilte Auskunft vom 16. September 2013, wonach die benötigten Medikamente bzw. Alternativen mit den genannten Wirkstoffen teilweise nicht bzw. nur in anderer Form verfügbar seien und das für medizinische Behandlungen zuständige staatliche Krankenhaus sich in Yozgat (ca. 100 km von D... K... entfernt) befinde, wird ebenfalls Bezug genommen. Die Frage nach möglichen Rückkehrhilfen beantwortete die zuständige Mitarbeiterin des Landesamtes für Gesundheit und Soziales des Beigeladenen auf telefonische Nachfrage (Vermerk v. 14. Januar 2014, Bl. 251 der Gerichtsakte) dahingehend, dass – vorbehaltlich etwaiger Änderungen durch die zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegenden Vorgaben für das Jahr 2014 – im Fall freiwilliger Rückkehr lediglich eine Reisebeihilfe in Höhe von 250 EUR gewährt werden könne.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die von der Beklagten und dem Beigeladenen vorgelegten Verwaltungsvorgänge (5 Hefter) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die von der Beklagten und dem Beigeladenen fristgemäß eingelegten und begründeten Berufungen sind zulässig. Sie sind jedoch überwiegend unbegründet, da die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Beklagte zur Erteilung der begehrten Visa zum Familiennachzug zu verpflichten, für die Kläger zu 1. und 3. im Ergebnis nicht zu beanstanden ist. Lediglich hinsichtlich der im Verlauf des Verfahrens volljährig gewordenen Klägerin zu 2. ist ein Anspruch auf das begehrte Visum nach dem insoweit (auch) maßgeblichen Sachstand im Zeitpunkt der Entscheidung im Berufungsverfahren abzulehnen.

1. Die Klägerin zu 1. hat Anspruch auf die Erteilung des begehrten Visums zum Nachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Ehemann, der seit März 2001 über eine - gem. § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende - unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügt.

Die sich aus § 6 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 30 AufenthG ergebenden Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug sind erfüllt. Insbesondere hat die Klägerin zu 1. die gem. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen einfachen Sprachkenntnisse durch Vorlage eines Zertifikats des Goethe-Instituts Ankara vom 25. Mai 2009 belegt. Auch die sich aus § 5 AufenthG ergebenden allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen sind mit Ausnahme der gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG regelmäßig vorauszusetzenden hinreichenden Sicherung des Lebensunterhalts erfüllt. Insbesondere hat die Klägerin zu 1., deren Pass im Verlauf des Verfahrens ungültig geworden war, den Besitz eines neuen, bis zum 2. April 2015 geltenden Passes durch Übersendung einer entsprechenden Fotokopie hinreichend belegt.

Die Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist hier zwar unstreitig nicht erfüllt. Der Zusammenführende ist aufgrund seiner Erkrankung erwerbsunfähig und bezieht neben einer geringen Erwerbsunfähigkeitsrente und Pflegegeld ergänzend Grundsicherung gem. §§ 41 ff. SGB XII. Es ist auch nicht absehbar, dass die Klägerin zu 1. ihren Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern könnte. Die besonderen Umstände des konkreten Falles erfordern hier jedoch ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung.

Eine solche Ausnahme von der Regel - deren Vorliegen der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt - ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. April 2009 – 1 C 3.08 –, zit. nach juris Rn 10 ff., 13; Urteil vom 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, zit. nach juris Rn. 27) dann anzunehmen, wenn besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder wenn die Erteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten ist, z.B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist. Der Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK gebietet die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis zwar nur dann, wenn der Klägerin und ihrem Ehemann die Führung der familiären Lebensgemeinschaft in der Türkei nicht zugemutet werden kann (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn 18). Denn Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet nicht das Recht, die familiäre Lebensgemeinschaft in Deutschland zu führen, wenn dies auch in einem anderen Land zumutbar möglich ist. Auch für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der Frage erhebliche Bedeutung zu, ob das Familienleben ohne Hindernisse auch im Herkunftsland möglich ist (vgl. EGMR, Urteil vom 19. Februar 1996 - 53/1995/559/645 - InfAuslR 1996, 245, Gül; Urteil vom 28. November 1996 - 73/1995/579/665 - InfAuslR 1997, 141, Ahmut) oder ob der Nachzug das einzige adäquate Mittel darstellt, in familiärer Gemeinschaft zu leben (vgl. EGMR, Urteil vom 21. Dezember 2001 - 31465/96 - InfAuslR 2002, 334, Sen). Dann, wenn die familiäre Lebensgemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland gelebt werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist, drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 -, zit. nach juris Rn 44).

Letzteres ist hier der Fall. Der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft der Klägerin mit dem Zusammenführenden in der Türkei steht zwar nicht entgegen, dass diesem eine Rückkehr in sein Herkunftsland wegen gravierender Schwierigkeiten einer Reintegration in die dortige Gesellschaft nicht zumutbar wäre. Denn er hat in diesem Land bis 1997 - und damit bis zum Alter von 29 Jahren - gelebt, spricht dessen Sprache und ist ihm ausweislich der selbst während seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen aufrecht erhaltenen Kontakte zu seiner jetzigen Ehefrau - der Kläger zu 3. ist in dieser Zeit geboren - immer verbunden geblieben. Auch der Umstand, dass der Zusammenführende über eine Niederlassungserlaubnis verfügt, macht die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in der Türkei nicht unzumutbar. Die Atypik des konkreten Falles ergibt sich vielmehr daraus, dass dem Zusammenführenden aufgrund seiner schweren und bereits erheblich fortgeschrittenen MS-Erkrankung eine Rückkehr in die Türkei zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft nicht zumutbar ist.

Dies zeigt ein Blick auf § 60 Abs. 7 AufenthG (vgl. dazu ausführlich die Kommentierung im HTK zu § 60 Abs. 7 Satz 1, insbes. Nr. 5 ff. m.w.N.), der vorsieht, dass von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden soll, wenn für diesen dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nach der Rechtsprechung zu dieser Vorschrift (vgl. nur BVerwG, Urteil v. 17. Oktober 2006 – 1 C 18.05 -, zit. nach juris Rn 15; v. 29. Juli 1999 – 9 C 2.99 -, zit. nach juris Rn 7 f., v. 25. November 1997 – 9 C 58.96 -, zit. nach juris Rn 9, 12 f.) kann sich ein beachtliches zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis auch aus einer wesentlichen oder gar lebensbedrohlichen Verschlimmerung einer bereits vorhandenen Erkrankung des Ausländers alsbald nach der Rückkehr in seinen Heimatstaat ergeben, und zwar auch dann, wenn die Gefahr der Verschlechterung des Zustands durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mit bedingt ist. Eine extreme, lebensbedrohliche Gefahr ist nicht erforderlich. Konkret ist diese Gefahr, wenn eine solche Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Zielstaat zu befürchten stünde, weil er auf bestimmte Behandlungen angewiesen ist, die dort entweder gar nicht zur Verfügung stehen oder aber für ihn – und sei es auch nur aus finanziellen Gründen – nicht erreichbar sind (vgl. BVerwG, Urteile v. 29. Oktober 2002 – 1 C 1.02 -, zit. nach juris Rn 9, v. 29. Juli 1999 – 9 C 2.99 -, zit. nach juris Rn 8, und v. 25. November 1997 – 9 C 58.96 -, zit. nach juris Rn 13).

Ungeachtet der sich aus dem völlig anderen Kontext des § 60 Abs. 7 AufenthG ergebenden Besonderheiten müssen diese Kriterien auch bei einer im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erforderlich werdenden Prüfung jedenfalls insoweit Berücksichtigung finden, als unter den dargelegten Voraussetzungen auch einem mit gesicherter Aufenthaltsposition in Deutschland lebenden Ausländer die Rückkehr in den Heimatstaat zur Herstellung der Familieneinheit aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar wäre. Davon ausgehend stellt sich eine Rückkehr des Zusammenführenden in die Türkei zur Herstellung der Familieneinheit für diesen als unzumutbar dar. Denn angesichts seiner gesundheitlichen Situation, wie sie sich aus den im Verfahren vorgelegten Arztbriefen und Attesten ergibt, und der in Anbetracht der ihn im Rückkehrfall erwartenden konkreten Umstände wäre die zur Vermeidung einer schnellen und gravierenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes erforderliche umfassende medizinischen Betreuung für ihn dort voraussichtlich nicht zu erlangen.

Der Zusammenführende leidet unter Multipler Sklerose, d.h. einer chronisch-entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems, deren Ursache bisher ungeklärt und die nicht heilbar ist. Die Behandlung ist darauf beschränkt, den Verlauf durch verschiedene Maßnahmen günstig zu beeinflussen, der Entwicklung symptomatischer Funktionsstörungen (insbesondere Gehbehinderungen, Spastik, Schmerzen, Blasenfunktionsstörungen, Sprech- und Schluckstörungen, schnellere physische und psychische Ermüdbarkeit, depressive Störungen) vorzubeugen bzw. sie zu verlangsamen, eingetretene Funktionsstörungen zu behandeln und schwerwiegenden Komplikationen (wie Aspirationspneumonien, Lungenembolien, Thrombosen, Osteoporose, Dekubitalgeschwüre, Gelenkkontrakturen, Harnwegsinfektionen, Exsikkose) vorzubeugen (allg. zu Multipler Sklerose, Verlaufsformen, Therapiemöglichkeiten der Krankheit selbst sowie häufiger Funktionsstörungen vgl. Artikel „Multiple Sklerose“, http:/de.wikipedia.org/wiki/Multiple_ Sklerose, Stand 13. März 2014; insbes. zu Therapiemöglichkeiten auch www.kompetenznetz-multiplesklerose.de). Die Bestimmung der konkret in Betracht kommenden Therapiemöglichkeiten ist gerade bei MS eine mit Blick auf den konkret zu Behandelnden zu treffende Einzelfallentscheidung, die beim Zusammenführenden in den letzten Jahren im Zusammenwirken zwischen seinem Neurologen und dem Centrum für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie der Charité getroffen wurde. Ausweislich der im Verlauf des Verfahrens vorgelegten Atteste und Stellungnahmen seines behandelnden Neurologen Dr. B... (vom 14. Dezember 2011, 25. Januar 2012, 4. Oktober 2012, 3. März 2013, 3. April 2013 und 17. Mai 2013) und der Arztbriefe des Behandlungszentrums der Charité (vom 13. Oktober 2009, 6. August 2012) hat die MS-Erkrankung des Zusammenführenden vor Jahren bereits einen schweren, sekundär chronisch progredienten Verlauf genommen, der durch ein nicht mehr nur schubweises Aufflammen klinischer Symptome, sondern durch eine langsame Zunahme neurologischer Dysfunktionen gekennzeichnet ist. Die gegen das weitere Fortschreiten der Krankheit und zur Vermeidung weiterer Behinderungen zunächst eingesetzte „Eskalationstherapie“ mit Mitoxantron musste im April 2013 wegen Erreichung der kumulativen kardiologischen Gesamtdosis beendet werden; die weiteren Therapiemöglichkeiten sind bei chronisch progredienter MS eingeschränkt. Nach Beendigung der Mitoxantrontherapie wurde beim Zusammenführenden eine Intervallbehandlung mit einer hochdosierten intravenösen Cortisongabe (alle drei Monate an fünf Tagen 1000 mg Methylprednisolon) begonnen, an den Behandlungs- sowie an weiteren drei folgenden Tagen erhält er auch Heparin-Spritzen subkutan. Zur Behandlung der spastischen Paraparese bekommt er 3 x 10 mg Baclofen, zur Behandlung seiner seit längerem bestehenden depressiven Symptomatik nimmt er 1 x täglich 50 mg Sertralin und aufgrund eines Glaukoms erhält er Xalatan Augentropfen. Zusätzlich bekommt er regelmäßig zwei- bis dreimal wöchentlich physiotherapeutische Behandlungen.

Diese individuell auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Therapie könnte der Zusammenführende in der Türkei so nicht erlangen. Denn nach Auskunft der aufgrund des Beweisbeschluss vom 18. Juni 2013 u.a. hierzu befragten ZIRF sind von den ihm verordneten Medikamenten lediglich die Augentropfen (Xalatan) und die Heparin-Injektionen auch in der Türkei verfügbar. Anstelle des Antidepressivums Sertralin 50 mg wäre Lustral (mit nicht genannter Dosierung des Wirkstoffs) und anstelle des hochdosierten Methylprednisolon 1000 mg zur intravenösen Gabe sind in der Türkei nur Prednol 16 mg Tabletten erhältlich. Das zur Behandlung der Spastik eingesetzte Baclofen ist ebenso wenig verfügbar wie ein anderes Medikament mit gleichem Wirkstoff. Schon die fehlende Verfügbarkeit der beiden letztgenannten, der Behandlung der Grunderkrankung MS und der für den Erkrankten erheblich belastenden Spastik dienenden Medikamente begründet die konkrete Gefahr einer schnellen und schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Zusammenführenden im Fall seiner Rückkehr in die Türkei. Insbesondere erscheint es fernliegend, dass das dort nicht verfügbare, intravenös verabreichte Methylprednisolon 1000 mg bei einem schweren Krankheitsverlauf, wie er nach den vorgelegten Arztunterlagen beim Zusammenführenden vorliegt, durch die stattdessen erhältlichen Prednol-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von nur 16 mg adäquat ersetzt werden könnte (erst 62,5 Tabletten mit 16 mg Wirkstoff ergäben 1000 mg).

Nach Erörterung dieser die konkret verordnete Medikation des Zusammenführenden betreffenden ZIRF-Auskunft im Termin am 26. März 2014 hat die Beklagte weitere Erkundigungen zur Behandlung von MS in der Türkei bei ihrer Vertretung in Ankara und einer nicht benannten Vertrauensärztin vor Ort eingeholt. Die insoweit mitgeteilten Ergebnisse geben keine Anhaltspunkte für eine abweichende Einschätzung oder auch nur weitere Aufklärung. Denn die äußerst knappe und ohne irgendeinen Bezug auf die Umstände des konkreten Falles und den Behandlungsbedarf des Zusammenführenden übermittelte Einschätzung, wonach MS in der Türkei in allen Stadien gut behandelt werden könne, die medizinische Versorgung „annähernd so gut“ sei wie in Deutschland und „in der Regel“ alle Medikamente verfügbar seien, negiert nicht nur völlig unsubstantiiert die durch die Auskunft der ZIRF belegte Tatsache, dass weder die Intervalltherapie mit Methylprednisolon 1000 mg noch das dem Zusammenführenden zur Behandlung seiner Spastik verordnete Baclofen verfügbar sind, sondern bleibt auch im Übrigen völlig vage. Obwohl die Beklagte eine Befragung ihrer Botschaft zur Klärung der vom ZIRF wegen der dortigen, auf die Beantwortung konkret einzelfallbezogener Fragen beschränkten Kompetenz offen gelassenen Frage nach Versorgungs- und Behandlungsmöglichkeiten von Personen mit vergleichbaren Erkrankungen in der Türkei allgemein und insbesondere unter Berücksichtigung der mittelanatolischen Provinzen (Frage 3 des Beweisbeschlusses) angeregt hatte, enthält die als Ergebnis ihrer eigenen Anfrage übermittelte Auskunft keinerlei konkrete Angaben dazu, auf welche Weise ein in Deutschland mittels Intervallbehandlung mit hochdosiertem Methylprednisolon therapierter MS-Kranker in der Türkei behandelt werden könnte und welche gleich wirksamen Medikamente anstelle des in der Türkei nicht verfügbaren Baclofen dort zur Linderung der Spastik verwendet würden. Auch zu etwaigen regionalen Unterschieden, insbesondere zu den nachfolgend ausgeführten, im Termin erörterten Fragen, ob und ggf. an welchem Ort eine etwa ersatzweise in Betracht kommende Behandlung und Medikation für einen Erkrankten in der Situation des Zusammenführenden tatsächlich verfügbar wären, verhält sich die übermittelte Einschätzung nicht.

Tatsächlich wäre eine angesichts des bisherigen schnellen und schweren Verlaufs der Erkrankung des Zusammenführenden und der zu befürchtenden weiteren Verschlechterung seines Zustands erforderliche regelmäßige engmaschige Behandlung sowohl der Erkrankung selbst als auch der mit ihr einher gehenden Funktionsstörungen für ihn im Fall einer Rückkehr zu seiner Familie in die Türkei nicht zu erlangen. Denn das Dorf D... , in dem die Familie des Zusammenführenden lebt, liegt nach der Auskunft der ZIRF ca. 100 km von dem für eine Behandlung von MS aufzusuchenden staatlichen Krankenhaus in Yozgat entfernt. Diese Auskunft bestätigt die von den Klägern vorgelegten schriftlichen Erklärungen der Frau K... (u.a. vom 1. Juli 2013, 4. März 2014 und 31. März 2014), die das Dorf aufgrund eigener, auch längerer Familienbesuche kennt und ausgeführt hat, dass es in der nächstgelegenen Kleinstadt (A... , ca. 10 km Entfernung) nur eine Versorgung für „alltägliche Sachen“ und – provisorisch – für Notfälle gebe, aber keinen Neurologen und kein auf die Behandlung der MS des Zusammenführenden eingerichtetes Krankenhaus. Auch einen Physiotherapeuten gibt es am Wohnort der Familie nicht. Die Strecke nach Yozgat müsse der Zusammenführende mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen, sofern kein extremer Notfall vorliege oder es gelinge, eine private Transportmöglichkeit zu organisieren. Nach den Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung verfügt die Familie selbst nicht über ein Auto. Sie haben nachvollziehbar und unwidersprochen ausgeführt, dass der Zusammenführende bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel vom Dorf aus zunächst mit einem Kleinbus zur nächsten Linienbusstation und von dort weiter mit dem Linienbus fahren müsste. Beide Busse führen nicht täglich und die gesamte Fahrzeit betrage ca. 3 ½ Stunden. Dass ein MS-Kranker in der Situation des Zusammenführenden unter derartigen Umständen - selbst bei gelegentlicher Möglichkeit zur Organisation eines privaten Transports oder bei Unterstützung etwa durch die Klägerin zu 1. als Begleitperson im Fall notwendiger Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel - in der Lage wäre, das nächstgelegene, für die Behandlung seiner schweren Erkrankung geeignete staatliche Krankenhaus oder die zwei- bis dreimal wöchentlich erforderliche, im Ort ebenfalls nicht vorhandene Physiotherapie in der zur Vermeidung einer raschen und gravierenden Verschlechterung seines Gesundheitszustands erforderlichen Regelmäßigkeit und Häufigkeit aufzusuchen, erscheint bereits äußerst zweifelhaft. Hinzu kommt, dass die aus der erheblichen Entfernung und schlechten Erreichbarkeit dieses Krankenhauses resultierenden „Reaktionszeiten“ im Fall eines akuten Schubes oder einer sonstigen besonderen Dringlichkeit einer Behandlung – wie z.B. einer beim Zusammenführenden regelmäßig mit der Gefahr einer Verschlechterung seiner Körperfunktionen verbundenen Infektion (vgl. Arztbrief der Charité vom 6. August 2012, wo in der Anamnese zwei weitere stationäre Aufenthalte im Mai und Juni 2012 zur Behandlung einer peripheren Fazialisparese und einer akuten Verschlechterung der Mobilität im Rahmen eines Infekts erwähnt werden) - das Risiko einer wesentlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes alsbald nach seiner Rückkehr nochmals erheblich steigern würden.

Diese - zusätzlich zur fehlenden Verfügbarkeit der dem Zusammenführenden verordneten Medikation - bestehenden „Hindernisse“, die der tatsächlichen Erlangung einer angesichts der Schwere und des fortgeschrittenen Stadiums seiner Erkrankung dringend und permanent benötigten qualifizierten Behandlung im Fall seiner Rückkehr in die Türkei entgegenstehen, sind auch nicht deshalb unbeachtlich, weil sie an anderen Orten in der Türkei möglicherweise nicht bestünden und es der Familie überlassen sei, an einen dieser anderen Orte mit besserer medizinischer Behandlung umzuziehen bzw. die dafür erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Denn auch und gerade für den hier in Rede stehenden Kontext der Prüfung der Zumutbarkeit der Herstellung der Familiengemeinschaft im Herkunftsland als Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kommt es nicht (nur) auf die theoretische Behandelbarkeit einer bestehenden Erkrankung im Heimatland, sondern vielmehr darauf an, ob gerade dem Zurückkehrenden die benötigte Behandlung tatsächlich zugänglich sein wird. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn diese vom Wohnort der Familie aus für ihn nicht bzw. jedenfalls nicht in der erforderlichen Regelmäßigkeit und Schnelligkeit erreichbar und ein zur Erlangung der Therapie erforderlicher Umzug an einen anderen Ort aus finanziellen Gründen nicht realisierbar wäre. Davon ist hier auszugehen. Denn weder der derzeit schon auf Grundsicherung angewiesene Zusammenführende noch die Kläger, die im Haus der Eltern des Zusammenführenden von der Rente seines Vaters leben, verfügen über ein dies ermöglichendes Vermögen, und die geringe Erwerbsunfähigkeitsrente, die dem Zusammenführenden auch im Fall seiner Rückkehr in die Türkei weiter gezahlt würde, würde allein nicht ausreichen, den Lebensunterhalt der Familie in einem Ort mit der für die Behandlung seiner Krankheit erforderlichen medizinischen Infrastruktur zu sichern, zumal zu den Kosten des Lebensunterhalts dann auch die Kosten einer Wohnung gehören würden. Derartige Wohnkosten können in der Türkei nicht über staatliche Leistungen abgedeckt werden (vgl. dazu sowie zu durchschnittlichen Wohnungsmieten in verschiedenen Städten der Türkei das von BAMF, IOM und ZIRF herausgegebene Länderinformationsblatt Türkei vom August 2013, S. 13 f.) und angesichts der fortschreitenden Erkrankung und Pflegebedürftigkeit des Zusammenführenden erscheint es fernliegend, dass die Klägerin zu 1. neben der erforderlichen, bei weiterem Fortschreiten der Krankheit zukünftig absehbar noch zunehmenden Pflege und Unterstützung ihres Ehemannes zu einem Hinzuverdienst in hinreichender Höhe in der Lage wäre. Selbst die Finanzierung der Anschaffung und des Unterhalts eines eigenen Autos zur Erleichterung der Anfahrt zum Krankenhaus in Yozgat durch die Familie des Zusammenführenden erscheint unter diesen Umständen unrealistisch. Ausweislich der - von den Beteiligten nicht angezweifelten - Auskunft der zuständigen Mitarbeiterin des Landesamtes für Gesundheit und Soziales des Beigeladenen, Frau T... (v. 14. Januar 2014, Vermerk Bl. 251 der Gerichtsakte), wonach freiwillige Rückkehrer allenfalls mit einer Reisebeihilfe in Höhe von derzeit 250 EUR rechnen könnten, würde dem Zusammenführenden im Fall einer freiwilligen Rückkehr in die Türkei auch keine Zuschüsse für derartige Zwecke gewährt.

Nach allem ist die Behandlung, auf die der Zusammenführende wegen seiner bereits in einem erheblich fortgeschrittenen Stadium befindlichen Multiplen Sklerose und der durch diese Erkrankung bereits verursachten erheblichen Behinderungen dringend und permanent angewiesen ist, im Fall einer Rückkehr zu seiner in D... lebenden Familie für ihn tatsächlich nicht zu erlangen, und angesichts der Schwere und des fortgeschrittenen Stadiums der Krankheit droht ihm ohne diese Behandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch schon alsbald nach einer Rückkehr eine wesentliche Verschlimmerung seiner Erkrankung sowie der mit dieser einher gehenden Funktionsstörungen und Behinderungen. Auf die – vom Verwaltungsgericht in den Vordergrund gestellte – Frage der Möglichkeit einer angemessenen Pflege des Zusammenführenden unter den Wohnverhältnissen der Familie im Dorf D... kommt es deshalb ebenso nicht mehr an wie darauf, ob und ggf. in welchem Umfang die konkret benötigte Behandlung des Zusammenführenden im Fall seiner Rückkehr finanziell abgesichert oder aus Mitteln der Familie zu bestreiten wäre.

Unter diesen Umständen drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, die einwanderungspolitischen, hier insbesondere die für den Regelfall durch § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG konkretisierten finanziellen Belange des Staates zurück; der Schutz der Ehe und Familie gem. Art. 6 Abs. 1 GG fordert die Erteilung des Visums an die Klägerin zu 1. unter Absehen von der Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung. Denn das Interesse der Klägerin zu 1. und des Zusammenführenden an der – nach allem nur in Deutschland möglichen – Herstellung der Familieneinheit überwiegt das gegenläufige staatliche Interesse an einer im konkreten Fall voraussichtlich dauerhaft bzw. zumindest für einen langen Zeitraum drohenden Inanspruchnahme öffentlicher Mittel durch die nachziehende Ehefrau. Den Eheleuten ist auch nicht etwa zuzumuten, endgültig auf die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft zu verzichten. Sie leben zwar bereits seit 17 Jahren nicht mehr zusammen, weil der Zusammenführende nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen 1997 in die Bundesrepublik eingereist ist und die Klägerin zu 1. und die 1995 geborene Klägerin zu 2. in der Türkei zurückgelassen hat. Allerdings bestehen mindestens seit 2000 – dem Geburtsjahr des Klägers zu 3. - wieder enge Kontakte zwischen den Eheleuten, und nach den unwidersprochenen Angaben der Kläger hat der Zusammenführende die Kläger regelmäßig in der Türkei besucht und schon kurz nach der Heirat mit der Klägerin zu 1. im Jahr 2003 versucht, seine zu diesem Zeitpunkt bereits aus den drei Klägern bestehende Familie nach Deutschland nachzuholen, was seinerzeit an der fehlenden Lebensunterhaltssicherung scheiterte und mit Blick auf die fehlenden Erfolgsaussichten zunächst nicht weiter verfolgt wurde. Das nunmehrige Verfahren wurde eingeleitet, nachdem die 2004 beim Zusammenführenden diagnostizierte Erkrankung an MS sich erheblich verschlechtert und jede Aussicht auf Erzielung eines den Nachzug ermöglichenden Einkommens endgültig beseitigt hatte. Ohne den Verzicht auf die regelmäßig erforderliche Lebensunterhaltssicherung wäre eine Wiederherstellung der von den Beteiligten erwünschten und ungeachtet der langjährigen Führung der Ehe über die Distanz schutzwürdigen familiären Lebensgemeinschaft hier dauerhaft und endgültig ausgeschlossen. Dies wäre mit dem besonderen Schutz der Ehe und Familie gem. Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, zumal der Zusammenführende inzwischen in erheblichem und zukünftig absehbar noch zunehmendem Umfang auf Betreuung und Pflege angewiesen ist, die ihm zu gewähren seine Ehefrau gewillt und – mit der im hiesigen Umfeld möglichen Unterstützung – voraussichtlich auch in der Lage sein wird. Dieser Umstand, der einen Fall außergewöhnlicher Härte i.S.d. § 36 Abs. 2 AufenthG begründen und damit sogar einen Nachzug anderer Familienmitglieder rechtfertigen könnte, verleiht dem Begehren nach Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft noch zusätzliches Gewicht.

2. Entsprechendes gilt für den Anspruch des minderjährigen - inzwischen 13 Jahre alten - Klägers zu 3, der sich mangels günstigerer Regelung in § 20 AuslG - aus § 32 Abs. 1 AufenthG ergibt (vgl. § 104 Abs. 3 AufenthG). Die danach maßgeblichen Voraussetzungen sind im Fall des Nachzugs der Mutter erfüllt und auch für den Kläger zu 3. ist der Besitz eines gültigen Passes durch die nunmehr übersandte Kopie hinreichend belegt worden. Schließlich gebietet der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG auch in seinem Fall eine Erteilung des Visums unter Absehen von der hier allein fehlenden allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts. Denn auch die Herstellung der durch Art. 6 GG geschützten familiären Lebensgemeinschaft des minderjährigen Klägers zu 3. mit dann beiden Elternteilen kann aus den unter 1. dargelegten Gründen nur in Deutschland erfolgen.

3. Die im Verlauf des Verfahrens volljährig gewordene Klägerin zu 2. hat demgegenüber nach dem insoweit (auch) maßgeblichen Sachstand im Zeitpunkt der Entscheidung im Berufungsverfahren keinen Anspruch aus § 32 Abs. 1 AufenthG auf das begehrte Visum zum Nachzug zu ihrem Vater.

Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist das Alter der Klägerin bzw. deren inzwischen eingetretene Volljährigkeit zwar im Hinblick auf die in § 32 Abs. 1 AufenthG vorgesehene Altersgrenze unerheblich, weil insoweit auf den Zeitpunkt der Antragstellung - hier im September 2008 - abzustellen ist und die Klägerin zu diesem Zeitpunkt das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Nach dieser Rechtsprechung (z.B. BVerwG, Urteil v. 30. April 1998 - 1 C 12.96 -, zit. nach juris Rn 17, Urteil v. 26. August 2008 - 1 C 32.07 -, zit. nach juris Rn 16 f.; Urteil v. 1. Dezember 2009 - 1 C 32.08 -, zit. nach juris Rn 12) müssen zusätzlich aber auch die weiteren Nachzugsvoraussetzungen, zu denen u.a. die hier nicht erfüllte Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gehört, vorliegen. Diese weiteren Voraussetzungen müssen nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts und - wenn die maßgebliche Altersgrenze im Verlauf des Verfahrens überschritten worden ist - zusätzlich auch im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres erfüllt (gewesen) sein. Insoweit bedarf es mithin bei Anspruchsgrundlagen, die eine Altersgrenze enthalten, die der Betroffene im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogenen Doppelprüfung.

Davon ausgehend spricht zwar einiges dafür, dass die durch die schwere Krankheit des Vaters und die fehlende Verfügbarkeit der erforderlichen Behandlung in der Türkei bedingte Unzumutbarkeit der Herstellung der Familieneinheit im gemeinsamen Heimatland auch im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres der Klägerin zu 3. im Mai 2011 schon eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG begründet hätte, auch wenn die Verfügbarkeit der Medikation nur für die aktuelle, seit 2013 angewandte Therapie geprüft wurde. Für den weiter maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung im Berufungsverfahren als letzter Tatsacheninstanz wäre indes nur dann ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung geboten, wenn die Voraussetzungen trotz der inzwischen eingetretenen Volljährigkeit der Klägerin zu 2. auch aktuell noch zu bejahen wären oder wenn die Konsequenzen dieser Volljährigkeit auch insoweit unberücksichtigt bleiben müssten. Beides ist hier abzulehnen.

Denn der aus Art. 6 GG folgende Schutz der Familie hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalles, u.a. dem Alter der Kinder oder der Betreuungsbedürftigkeit einzelner Familienmitglieder, ab (BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 -, zit. nach juris Rn 16) und die inzwischen 19 Jahre alte Klägerin ist nicht mehr in gleicher Weise auf eine Betreuung durch ihre Eltern angewiesen wie ein minderjähriges Kind (zur Privilegierung nur der minderjährigen Kinder vgl. auch Art. 4 RL 2003/86/EG - Familienzusammenführungsrichtlinie). Es entspricht vielmehr dem normalen Lauf der Dinge, dass sie sich in absehbarer Zeit ein eigenes Leben aufbauen und ihre Familie verlassen wird. Dies ist entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht deshalb anders zu beurteilen, weil es der gesellschaftlichen Wirklichkeit in der Türkei bzw. insbesondere in einem türkischen Dorf nicht entspricht, dass eine junge Frau „allein“ lebt und nicht von ihrer Familie behütet wird. Hier ist schon nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen, dass die Klägerin zu 2. - die derzeit mit ihrer Mutter und ihrem Bruder bei den Großeltern lebt - nach einem Wegzug von Mutter und Bruder nicht bei den Großeltern bleiben könnte, sondern allein im Dorf leben müsste. Die Kläger machen vielmehr geltend, dass es der Klägerin zu 2., die einmal studieren solle und wolle, nicht zumutbar sei, ohne Mutter und Bruder bei den Großeltern zu bleiben, weil diese keine Garantie dafür böten, dass sie nicht zwangsweise verheiratet werde, sie nicht mehr regelmäßig zur Schule schicken würden und außerdem der Meinung seien, dass sie, da ihre Mutter nicht mehr im Haus sei, die Hausarbeiten erledigen könne. Die damit letztlich als maßgeblich für die Unzumutbarkeit eines Verbleibs der Klägerin zu 2. in der Türkei geschilderten, ihr eine Verfolgung des eingeschlagenen Bildungsweges erschwerenden familieninternen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und ihren Eltern einerseits und ihren Großeltern andererseits über ihre Zukunft sind indes weder atypisch noch von einer Art oder Bedeutung, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht des der Regelerteilungsvoraussetzung zugrunde liegenden öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Inanspruchnahme öffentlicher Mittel durch nachziehende Ausländer beseitigen könnten. Bei den nach Wegzug der Mutter und des Bruders befürchteten Problemen der Klägerin zu 2. mit den Großeltern handelt es sich letztlich um ein - in diesem Fall innerfamiliäres - Symptom der durch die zahlreichen vorgelegten Erklärungen bestätigten, allgemein schwierigen Situation von Frauen und Mädchen in der Türkei und insbesondere in türkischen Dörfern, mit der so oder ähnlich eine Vielzahl junger Frauen mit vergleichbaren, von den Traditionen abweichenden Zukunftsplänen dort konfrontiert sein wird. Die damit für die mit 19 Jahren noch sehr junge Klägerin zu 2. verbundenen Schwierigkeiten sollen hier auch keineswegs bagatellisiert werden. Ein außergewöhnlicher individueller Betreuungsbedarf, der eine Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 1 GG zur Gewährung des Nachzugs der volljährigen Klägerin zu 2. auch unter Verzicht auf einen gesicherten Lebensunterhalt begründen könnte, ergibt sich daraus jedoch nicht. Es ist der Klägerin zumutbar, bis zum Ende ihrer Schulzeit, das im Alter von inzwischen 19 Jahren zumindest unmittelbar bevorstehen müsste, und einer nachfolgenden weiteren Loslösung von der Familie durch die erklärtermaßen beabsichtigte Aufnahme eines Studiums ihre Bedürfnisse gegenüber den Großeltern, in deren Haus sie aufgewachsen ist und die ihr vertraut sind, selbst geltend zu machen. Ihre Eltern und insbesondere ihre Mutter können, auch wenn sie sich nicht (mehr) vor Ort befinden, jedenfalls telefonisch, über Internet, Briefe oder Besuche weiter Kontakt zu ihr halten und die Klägerin zu 2. auf diesem Wege auch bei Konflikten mit den Großeltern unterstützen.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin zu 2. auch nicht daraus, dass die Voraussetzungen des das Vorliegen eines atypischen Falles begründenden Sachverhalts für sie erst während des gerichtlichen Verfahrens entfallen sind. Dafür könnte zwar sprechen, dass gerade der vorliegende Fall, in dem die Voraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts zu keinem Zeitpunkt erfüllt war und die den atypischen Fall begründende Zugehörigkeit zum besonders geschützten, aus Eltern und ihren betreuungsbedürftigen minderjährigen Kindern bestehenden Bereich der Kernfamilie wegen der ebenfalls gerade durch die lange Verfahrensdauer eingetretenen Volljährigkeit der Klägerin entfallen ist, den der bereits dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Unschädlichkeit der Überschreitung der Nachzugsaltersgrenze zugrunde liegenden Fällen durchaus vergleichbar erscheint. Das Bundesverwaltungsgericht (z.B. BVerwG, Urteil v. 30. April 1998 - 1 C 12.96 -, zit. nach juris Rn 19) hat für seine Rechtsprechung allerdings maßgeblich darauf abgestellt, dass in den von ihm genannten Fällen ein Abstellen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht dazu führen würde, dass der mit der Altersgrenze verfolgte Zweck „weitgehend“ verfehlt würde, weil der dem Minderjährigen zukommende Schutz trotz rechtzeitig gestellten Antrags „vielfach“ aufgrund des Zeitablaufs entfiele. Damit ist der hiesige Fall indes nicht vergleichbar. Ein derartiges, in einer Vielzahl von Fällen drohendes Leerlaufen eines mit der Altersgrenze bezweckten besonderen Schutzes eines Minderjährigen droht im Fall der Berücksichtigung einer durch das Erreichen der Volljährigkeit im Verlauf des Verfahrens veränderten Beurteilung der Voraussetzungen der Lebensunterhaltssicherung oder auch nur derjenigen für das Vorliegen eines atypischen Falles nicht, denn beide Regelungen bezwecken weder einen besonderen Schutz oder eine Privilegierung Minderjähriger noch droht in einer Vielzahl einschlägiger Fälle ein Verfehlen des Zwecks allein aufgrund der Verfahrensdauer. So besteht denn auch kein Zweifel daran, dass ein Wegfall der im Zeitpunkt der Antragstellung oder der Vollendung des 16. Lebensjahres noch vorhandenen hinreichenden Sicherung des Lebensunterhalts das Vorliegen dieser Voraussetzung im Zeitpunkt der Entscheidung über das Verpflichtungsbegehren nicht entbehrlich macht, sondern ihr Fehlen zu diesem Zeitpunkt einem Nachzugsanspruch entgegensteht. Für die Voraussetzungen eines hier in Rede stehenden atypischen, eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung begründenden Falls kann insoweit nichts anderes gelten.

Soweit die Kläger sich auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen EWG/Türkei (VO EWG Nr. 2760/72 v. 19. Dezember 1972, ABl. L 293 S. 1; i.F. ZP) sowie aus Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (v. 19. September 1980, i.F. ARB 1/80) und die daraus resultierende Anwendbarkeit für sie möglicherweise günstigerer Regelungen der Lebensunterhaltssicherung berufen, war dem schon deshalb nicht weiter nachzugehen, weil beide Regelungen hier nicht einschlägig sind. Denn der dauerhaft erwerbsunfähige Zusammenführende übt keine den Schutzbereich des Zusatzprotokolls eröffnende selbständige Erwerbstätigkeit aus und er gehört auch nicht (mehr) dem regulären Arbeitsmarkt i.S.d. Art. 6 ARB 1/80 an (zu letzterem vgl. EuGH, Urteil v. 6. Juni 1995 - C 434/93 -, Rn 39 f.). Damit kann er aber auch keine an eine solche Rechtsstellung anknüpfenden, auf Abwehr einer nachträglichen Beschränkung seiner Freiheiten durch die behauptete Erschwerung des Nachzugs seiner Familie gestützten Ansprüche auf Anwendung der Standstill-Klauseln für diese vermitteln (zu einem solchen Ansatz vgl. Schlussantrag des Generalanwalts Mengozzi v. 30. April 2014 - C 138/13 -, Rn 26, 28 ff.). Eigene Ansprüche der Kläger, die deren Berufung auf Art. 41 ZP oder Art. 13 ARB 1/80 begründen könnten, bestehen nicht (vgl. o.g. Schlussantrag, a.a.O. Rn 25).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 2 und 3 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.