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Untätigkeitsklage; Fortsetzung des Rechtsstreits und Wegfall des Rechtsschutzinteresses; Kostenerstattung; offensichtlicher Verstoß gegen Kostenminderungspflicht


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 29. Senat Entscheidungsdatum 19.01.2012
Aktenzeichen L 29 SF 552/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Das Gesuch der Klägerin, den Richter am Sozialgericht W wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.

Gründe

Die Klägerin hat am 1. August 2011 in der Hauptsache Untätigkeitsklage gegen die Beklagte mit dem Begehren erhoben, ihren Widerspruch gegen die Festsetzung von Mahngebühren i.H.v. 0,77 € vom 17. Oktober 2010 zu entscheiden. Die Beklagte hat in insgesamt vier Einziehungsverfahren ihre Entscheidungen vom 17. Oktober 2010 über die Festsetzung der Mahngebühren in Höhe von jeweils 0,77 € aufgehoben und sich bereit erklärt, die notwendigen Kosten in dem Widerspruchsverfahren auf Antrag zu erstatten.

Mit Schriftsatz vom 4. August 2011 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin dem Gericht mitgeteilt:

„…stelle ich, nachdem die Beklagte dem Begehren nunmehr entsprochen hat, für den Termin zur mündlichen Verhandlung die Hauptsacheerledigungserklärung in Aussichten werde dann beantragen zu entscheiden, dass die Beklagte die notwendigen Kosten des Verfahrens zu erstatten hat.

Die derzeit von der „Kostenkammer“ des Sozialgerichts Cottbus vertretene Auffassung, nach der bei einer Untätigkeitsklage keine Terminsgebühr entsteht, lässt eine andere Verfahrensweise leider nicht zu…“

Mit Schreiben vom 7. September 2011 teilte daraufhin der Richter W als Vorsitzender der 25. Kammer des Sozialgerichts Cottbus dem Prozessbevollmächtigten mit:

„Bezug nehmend auf den dortigen Schriftsatz vom 4. August 2011 sieht das Gericht keine Veranlassung, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Da die Beklagte dem Klagebegehren entsprochen hat, gibt es nichts mehr zu „verhandeln“. Denn mit der Erfüllung des Klagebegehrens ist das Rechtsschutzinteresse entfallen, so dass nunmehr die Klage unzulässig geworden ist. Außerdem ist auf § 88 Abs. 1 S. 3 SGG hinzuweisen, so dass für erledigt zu erklären ist, siehe auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Auflage 2008, § 88 Rz. 11-12a.

Aus den vorgenannten Gründen ist die Fortsetzung des Verfahrens missbräuchlich im Sinne von § 192 Abs. 1 S. 2 SGG. Es wird damit auf die Auferlegung von Verschuldenskosten aus oben genannten Gründen hingewiesen, die 150 € nicht unterschreiten und die letztlich vom Kläger zu tragen wären.

Sollte der Rechtsstreit gleichwohl fortgesetzt werden, würde das Gericht über die Klage schriftlich ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG entscheiden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Rechtsstreit nach Auffassung des Gerichts keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Da aber dann die Klage keine Aussicht auf Erfolg hat, würde sich gegebenenfalls die Kostenentscheidung auch danach ausrichten können. Es wird daher um Stellungnahme innerhalb von drei Wochen gebeten.“

Daraufhin stellte der Prozessbevollmächtigte gegen Richter W Strafanzeige (wegen Nötigung im Amt) und unter Hinweis auf diese Strafanzeige Befangenheitsantrag, ohne diesen weiter zu begründen.

Der zulässige Befangenheitsantrag ist unbegründet.

Für die Ausschließung und Ablehnung eines Richters gelten nach § 60 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) im sozialgerichtlichen Verfahren die §§ 41 bis 44, 45 Abs. 2 Satz 2, 47 bis 49 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Nach § 60 SGG i.V.m. § 42 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist nur dann der Fall, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Das Misstrauen muss aus der Sicht eines ruhig und vernünftig denkenden Prozessbeteiligten verständlich sein. Es kommt dabei weder darauf an, ob die Befürchtung eines Prozessbeteiligten, der Richter sei ihm gegenüber voreingenommen, tatsächlich begründet ist, noch auf die Auffassung des abgelehnten Richters dazu, ob der klägerische Vortrag geeignet sei, einen Ablehnungsgrund nachvollziehbar zu machen. Der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen (§ 44 Abs. 2 ZPO). Er muss durch nachvollziehbaren Bezug zum konkreten Rechtstreit wenigstens ansatzweise substantiiert werden, anderenfalls ist er rechtsmissbräuchlich (Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 07. August 1997, Az. 11 B 18/97, dokumentiert in juris).

Die vorgebrachten Gründe vermögen bei einem vernünftig denkenden Prozessbeteiligten ein Misstrauen an der Unvoreingenommenheit des Richters nicht zu begründen.

Mit dem letztlich gerügten Schreiben des Vorsitzenden der 25. Kammer des Sozialgerichts Cottbus vom 7. September 2011 ist dieser im Wesentlichen seinen Hinweispflichten vor der mündlichen Verhandlung nachgekommen (siehe hierzu auch Leitherer, a.a.O., § 106 Rn. 1a f. m.w.N.). Nach § 106 Abs. 1 SGG hat der Vorsitzende insbesondere darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt und alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Außerdem hat der Vorsitzende nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hinzuweisen, wenn diese nach Ansicht des Gerichts missbräuchlich ist und eine Kostenauferlegung erwogen wird. Erwägt das Gericht schließlich ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, so sind die Beteiligten vorher nach § 105 Abs. 1 S. 2 SGG zu hören.

Da der Vorsitzende zu diesen Hinweisen gesetzlich verpflichtet ist, nachdem der Rechtsstreit von der Klägerin trotz unbestrittenen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses fortgesetzt wurde, kann hieraus ein Misstrauen an der Unvoreingenommenheit des Richters nicht hergeleitet werden.

Es liegt auf der Hand und ist für jeden verständigen Beteiligten unschwer erkennbar, dass die Fortsetzung eines Gerichtsverfahrens und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht allein zum Zwecke der Maximierung des Honorars des Prozessbevollmächtigten erfolgen können. Dies gilt umso mehr, als jeder Beteiligte gehalten ist, die Kosten einer Prozessführung so niedrig wie möglich zu halten (vergleiche Leitherer, a.a.O., § 193 Rn. 7 ff. m.w.N.). Dies liegt im eigenen Interesse des Beteiligten. Für den Fall, dass es nicht zu einer Kostenerstattung kommt, bedarf es hierzu keiner weiteren Ausführungen. Aber auch für den Fall einer grundsätzlichen Kostenerstattungspflicht besteht ein solches Eigeninteresse. Denn nach der gesetzlichen Definition des § 193 Abs. 2 SGG sind nur „die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten“ Kosten im Sinne von § 193 Abs. 1 SGG und können damit erstattungsfähig sein. Anders ausgedrückt sind unzweckmäßige und unnötige Aufwendungen gar nicht erstattungsfähig im Sinne von § 193 SGG und daher vom Beteiligten, der sie verursacht hat, selbst dann zu tragen, wenn es grundsätzlich zu einer Kostenerstattung kommt. Dies gilt bei einem offensichtlichen Verstoß gegen die Kostenminderungspflicht oder bei Mutwilligkeit auch für die an sich erstattungsfähige Vergütung eines Rechtsanwaltes oder Rechtsbeistandes (Leitherer, a.a.O., § 193 Rn. 9 m.w.N.). Denn der Grundsatz der Erstattungsfähigkeit anwaltlicher Kosten gilt nicht uneingeschränkt. Fälle, in denen keine Erstattung stattfindet, sind solche überwiegend mit der Formel, die anwaltliche Vertretung müsse offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu angetan sein, dem Prozessgegner Kosten zu verursachen. Diese Ansicht beruht auf dem Vorwurf eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens, eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. OVG Berlin – Beschluss vom 7. Februar 2001 - 3 K 17/00 – in NVwZ-RR 2001, 613 und DVBl. 2001, 919 m.w.N.)

Im Übrigen ist im vorliegenden Fall eine Kostenerstattungspflicht auch nicht ohne weiteres ersichtlich. Die Entscheidung über eine Kostenerstattung liegt nach § 193 SGG im Ermessen des Gerichts und erfolgt regelmäßig unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigen Ermessen und unter Heranziehung der Grundsätze der Zivilprozessordnung (Leitherer, a.a.O., vor § 183 Rn. 14f. m.w.N.). Vorliegend wurde die Klage am 1. August 2011 erhoben, aber bereits mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 4. August 2011 und damit noch vor der Eingangsverfügung (am 11. August 2011) und somit auch vor einer Kenntnis der Beklagten von der Klage mitgeteilt, dass die Beklagte dem Begehren entsprochen hat. Danach ist schon zweifelhaft, ob überhaupt Anlass zur Klage am 1. August 2011 gegeben war.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).