Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat | Entscheidungsdatum | 07.12.2010 | |
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Aktenzeichen | OVG 12 B 11.08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 32 Abs 3 AufenthG |
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. Dezember 2007 wird auf die Berufung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die am 1. November 1989 geborene, aus Mazedonien stammende Klägerin begehrt ein Visum zur Familienzusammenführung mit ihrem im Bundesgebiet lebenden Vater. Dieser heiratete im März 2002 nach der Scheidung von der Mutter der Klägerin eine deutsche Staatsangehörige und erhielt nach seiner Wiedereinreise im April 2002 eine ehebedingte Aufenthaltserlaubnis. Inzwischen ist er im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Die Klägerin hat eine 1993 geborene Schwester und einen 1995 geborenen Bruder, die in Mazedonien leben und für die kein Visumsantrag gestellt worden ist.
Mit Urteil des Amtsgerichts Tetovo vom 13. März 2003 wurden die Klägerin und ihre Schwester zur „Pflege, Erziehung und Unterhalt“ dem Vater zugeteilt, nachdem die Mutter dem Antrag zugestimmt hatte. Am 7. Juni 2005 gab sie eine Erklärung ab, dass sie keine Möglichkeiten habe, sich um den Unterhalt und die Ausbildung ihrer Tochter zu kümmern. Sie schlage vor, dass diese zu ihrem Vater gehe. Mit Erklärung vom 27. Dezember 2005 verzichtete die Mutter „auf das Recht zur Einmischung zum Aufenthaltsort der Kinder“.
Unter dem 13. Juni 2005 beantragte die Klägerin ein Visum zur Familienzusammenführung mit ihrem Vater, dessen Erteilung die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Skopje mit Bescheid vom 25. Juli 2005 ablehnte. Der Vater der Klägerin sei nicht allein personensorgeberechtigt. Ebenso wenig lasse sich der Antrag auf § 20 AuslG stützen, weil der Verbleib der fast sechzehnjährigen Klägerin in der Heimat dem Kindeswohl entspreche. An dieser Auffassung hielt die Beklagte mit Remonstrationsbescheid vom 2. September 2005 fest.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin u.a. vorgetragen, dass sie die deutsche Sprache erlerne. An ihrer Integration in die Verhältnisse der Bundesrepublik bestünden keine Zweifel, weil sie sich während eines Zeitraumes von mehreren Wochen bei ihrem Vater aufgehalten habe. In der Heimat werde sie von ihrer Mutter in jeder Hinsicht vernachlässigt. Dem ist die Beklagte u.a. mit dem Einwand entgegengetreten, dass die bei Antragsstellung bereits fünfzehnjährige Klägerin in ihrer Heimat geprägt worden sei und dort neben ihrer Mutter zahlreiche weitere Verwandte habe. Auch die jüngeren Geschwister lebten dort. Ein Nachzug aus wirtschaftlichen Gründen rechtfertige weder die Annahme einer besonderen Härte noch eine Ermessensausübung zu Gunsten der Klägerin.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 14. Dezember 2007 stattgegeben und die Beklagte zur Erteilung des begehrten Visums verpflichtet. Selbst wenn dem Vater der Klägerin nach mazedonischem Recht kein alleiniges Personensorgerecht zustehe, sei § 32 Abs. 3 AufenthG zumindest analog anwendbar. Mit der von dem Senat zugelassenen Berufung hält die Beklagte an den versagenden Bescheiden fest.
Die Beklagte hat aufgrund des Beschlusses des Senats vom 19. November 2009 Ermittlungen zur das mazedonische Sorgerecht betreffenden Rechtspraxis angestellt. Der Präsident des Amtsgerichts Skopje II, Herr Bekir Shaimi, und dessen Vizepräsident, Herr Gorgi Radojkov, sind durch einen Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Skopje befragt worden, welche Mitwirkungsrechte dem anderen Elternteil verbleiben, wenn ein Minderjähriger einem Elternteil gerichtlich zur „Obhut, Erziehung und zum Unterhalt“ zugesprochen wird. Der Antwort zufolge betreffen derartige Mitspracherechte die Ausstellung eines Reisepasses, die Beantragung eines Visums, die nach Art. 30 des mazedonischen Passgesetzes der notariellen Zustimmung bedarf, sowie eine Reise ins Ausland und eine dortige Wohnsitznahme. Die Grenzpolizei habe bei fehlender Zustimmung das Recht, die Ausreise eines Minderjährigen zu verweigern. Eine Zuwiderhandlung sei gemäß Art. 198 des mazedonischen Strafgesetzbuches strafbar. Ferner hat die Beklagte mitgeteilt, dass der Direktor des Jugendamtes in Skopje der Bitte um Auskunft nicht nachgekommen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 14. Dezember 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend. Sie habe im Hinblick auf die Verfahrensdauer und den ungewissen Ausgang des Verfahrens gesundheitliche Probleme. Gegen die Ermittlungen der Beklagten wendet sie ein, dass diese nicht geeignet seien, um den Verbleib substantieller Mitspracherechte bei der Mutter zu dokumentieren. Die zitierte Strafrechtsvorschrift sei nicht einschlägig, weil es sich hier nicht um eine gesetzeswidrige Entziehung handele. Ihre Mutter habe der Übersiedlung in das Bundesgebiet bereits 2005 ausdrücklich zugestimmt. Selbst wenn diese noch ein Mitbestimmungsrecht gehabt haben sollte, so habe sie darauf mit der Folge eines alleinigen väterlichen Sorgerechts verzichtet. Außerdem sei die Zustimmung nicht zwingend. Aus Art. 30 Abs. 2 Passgesetz ergebe sich, dass der Pass auch bei fehlender Zustimmung ausgestellt werden könne, wenn die sorgeberechtigte Person einen entsprechenden Antrag stelle.
Die Beigeladene, die keinen Antrag gestellt hat, schließt sich der Auffassung der Beklagten an und hält den Vater der Klägerin nicht für allein personensorgeberechtigt gemäß § 32 Abs. 3 AufenthG.
Eine Anfrage des Senats vom 8. Dezember 2009 beim Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht hinsichtlich der Rechtslage seit Erstellung eines Gutachtens zum mazedonischen Kindschaftsrecht vom 18. Juli 2005 führte zu keinen neuen Erkenntnissen. Es konnten auch keine Personen oder Institutionen genannt werden, die in der Lage sind, Auskunft zur Anwendung des mazedonischen Kindschaftsrechts in der der Praxis zu geben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Streitakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (1 Hefter) und der Beigeladenen (2 Bände Ausländerakten, 1 Band Visumsvorgang) Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.
Der Senat konnte mündlich verhandeln und entscheiden, obwohl weder die Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin noch die Beigeladene an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben, denn die Beteiligten sind mit der ihnen ordnungsgemäß zugegangenen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die versagenden Bescheide sind rechtmäßig, denn der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums zur Familienzusammenführung mit ihrem Vater zu noch hat sie einen Anspruch auf Neubescheidung, § 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO.
I. Die Klägerin kann ihr Nachzugsbegehren nicht auf § 32 Abs. 3 AufenthG in Verbindung mit §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 4 AufenthG stützen.
Nach § 32 Abs. 3 AufenthG, der hier aufgrund der Übergangsregelung des § 104 Abs. 3 AufenthG anwendbar ist, ist dem minderjährigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis als Visum zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen. Die Klägerin erfüllt zwar die gesetzliche Altersgrenze, weil sie bei Beantragung des Visums 15 Jahre alt war (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, BVerwGE 133, 329, 332 Rn. 10; BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 2009, Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 5). Ihr Vater verfügt auch über eine Niederlassungserlaubnis. Dieser ist jedoch nicht allein personensorgeberechtigt im Sinne von § 32 Abs. 3 AufenthG.
Alleinige Personensorge im Sinne von § 32 Abs. 3 AufenthG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, ABl. L 251/12) besitzt ein Elternteil nur, wenn dem anderen Elternteil bei der Ausübung des Sorgerechts keine substantielle Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes. Ob dies der Fall ist, richtet sich gemäß Art. 21 EGBGB nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG kommt in den Fällen eines geteilten Sorgerechts nicht in Betracht (vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, BVerwGE 133, 329 ff.; BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 2009, Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 5).
Gemessen daran standen der Mutter der Klägerin trotz der Sorgerechtsentscheidung des Amtsgerichts Tetovo vom 13. März 2003 weiterhin substantielle Mitentscheidungsrechte und –pflichten zu, sodass der Vater im hier maßgeblichen Zeitraum nicht alleiniger Inhaber der Personensorge war. Soweit das Familiengesetz Nr. 4828 vom 15. Dezember 1992 in der Fassung vom 8. Februar 1996 (FamG 1996, Bergmann/ Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Mazedonien, 132. Lieferung 1998, S. 34 ff.) Anlass zu verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten geben könnte, müssen diese zu Lasten der Klägerin beantwortet werden. Nichts anderes gilt, wenn man weitere Änderungen berücksichtigt, weil das mazedonische Familiengesetz in der Fassung vom 12. November 2004 (FamG 2004, Bergmann/ Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Mazedonien, 178. Lieferung) im Hinblick auf die hier maßgeblichen Vorschriften inhaltlich mit der im Zeitpunkt der Sorgerechtsübertragung geltenden Fassung übereinstimmt. Die derzeit aktuelle Fassung des Familiengesetzes vom 19. Dezember 2008 (Bergmann/Ferid/Heinrichs, a.a.O., 181. Lieferung) ist zwar im Hinblick auf das Alter der Klägerin nicht mehr maßgeblich, würde in der Sache jedoch ebenfalls nichts ändern.
Die allgemeinen Bestimmungen (Erster Teil) des mazedonischen FamG 1996 enthalten in Art. 8 (Art. 8 FamG 2004: Aufziehung, Obhut, Erziehung und Bildung) Ausführungen zum elterlichen Recht, das aus der Gesamtheit der Rechte und Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern besteht. Nach Art. 8 Abs. 2 beruhen die Beziehungen der Eltern und der Kinder auf den Rechten und Pflichten der Eltern, für die Entwicklung, die Obhut, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder Sorge zu tragen und ihre Fähigkeiten und Neigungen zu entwickeln. Das elterliche Recht wird von den Eltern gemeinsam ausgeübt und kann nur nach den Vorschriften des FamG 1996 aberkannt oder eingeschränkt werden (Art. 8 Abs. 3 und Abs. 4).
Der Dritte Teil des FamG 1996, der insgesamt die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern regelt, behandelt unter I. (Art. 44, 45 FamG 1996 = Art. 47, 48 FamG 2004) das elterliche Recht. Es wird definiert als Rechte und Pflichten der Eltern, für die Persönlichkeit, die Rechte und Interessen ihrer minderjährigen Kinder zu sorgen (Art. 44 FamG 1996). Das elterliche Recht steht beiden Eltern in gleicher Weise zu (Art. 45). Der andere Elternteil übt das elterliche Recht aus, wenn ein Elternteil gestorben oder unbekannt ist, ihm das elterliche Recht entzogen wurde oder er aus anderen Gründen verhindert ist, das elterliche Recht auszuüben.
Einzelne Rechte und Pflichten der Eltern werden in Art. 46 ff. FamG 1996 (Dritter Teil, II. = Art. 49 ff. FamG 2004) näher erläutert: So haben die Eltern das Recht und die Pflicht, für den Unterhalt ihrer minderjährigen Kinder und für ihr Leben und ihre Gesundheit zu sorgen, sie für ihr selbständiges Leben und die Arbeit vorzubereiten und für die Erziehung, Schulbildung und fachliche Ausbildung zu sorgen (Art. 46 FamG 1996). Aus Art. 48 FamG 1996 (= Art. 51 FamG 2004) folgt das Recht und die Pflicht der Eltern, ihre minderjährigen Kinder zu vertreten. Nach Art. 47 (= Art. 50 FamG 2004) haben die minderjährigen Kinder das Recht, mit ihren Eltern zu leben. Der Elternteil, mit dem das Kind nicht lebt, hat das Recht und die Pflicht, persönliche Beziehungen zu seinem Kind zu unterhalten (Art. 47 Abs. 3 FamG 1996).
Art. 76 bis 82 FamG 1996 (= Art. 79 ff. FamG 2004) befassen sich mit der Ausübung des elterlichen Rechts. Es wird gemeinsam und einvernehmlich von beiden Eltern ausgeübt (Art. 76). Leben die Eltern des Kindes nicht zusammen, vereinbaren sie, bei wem von ihnen das Kind zur Obhut und Erziehung verbleibt. Können sie darüber keine Vereinbarung treffen oder entspricht ihre Vereinbarung nicht den Interessen des Kindes, so entscheidet das Zentrum für Sozialarbeit, das auch eine neue Entscheidung treffen kann, wenn die veränderten Umstände es erfordern (Art. 78 FamG 1996 = Art 81 FamG 2004). Bei Getrenntleben der Eltern wird ferner eine Vereinbarung über die Art der Aufrechterhaltung der persönlichen Beziehungen zu dem Kind getroffen (Art. 79 FamG 1996 = Art. 82 FamG 2004). Im Fall der Scheidung entscheidet das Gericht mit dem Scheidungsurteil über die Obhut, Erziehung und den Unterhalt der gemeinsamen Kinder (Art. 80 Abs. 1 FamG 1996 = Art. 83 FamG 2004). Das Gericht kann die Entscheidung auf Antrag eines der geschiedenen Ehepartner oder des Zentrums für Sozialarbeit bezüglich der Obhut und der Erziehung der Kinder und bezüglich der Beziehungen der geschiedenen Ehepartner zu ihren gemeinsamen Kindern ändern, sofern die veränderten Umstände dies erfordern.
Schließlich regeln Art. 83 bis 92 (Dritter Teil, V. = Art. 86 ff. FamG 2004) die Kontrolle und die Ausübung des elterlichen Rechts. Hervorzuheben sind hier insbesondere Art. 87 FamG 1996 (= Art. 90 FamG 2004) und Art. 90 FamG 1996 (= Art. 93 FamG 2004). Nach Art. 87 FamG 1996 (= Art. 90 FamG 2004) kann das Zentrum für Sozialarbeit durch Beschluss das Kind dem einen Elternteil wegnehmen und es in Obhut und zur Erziehung dem anderen Elternteil, einer anderen Person oder einer entsprechenden Einrichtung anvertrauen, wenn die Eltern bzw. der Elternteil, bei dem das Kind lebt, es in Bezug auf Betreuung und Erziehung vernachlässigen oder wenn eine ernsthafte Gefährdung für seine richtige Entwicklung und Erziehung besteht. Das Zentrum für Sozialarbeit kann dem einen Elternteil das Kind wegnehmen und es dem anderen Elternteil, einer dritten Person oder einer entsprechenden Einrichtung auch in den Fällen anvertrauen, in denen der Elternteil, dem das Kind in Obhut und zur Erziehung anvertraut wurde, die persönlichen Beziehungen des Kindes mit einem anderen Elternteil unmöglich macht. Mit der Wegnahme des Kindes enden nicht die sonstigen Rechte und Pflichten (Art. 87 Abs. 3). Das elterliche Recht kann durch Gerichtsbeschluss dem Elternteil entzogen werden, der die Ausübung des elterlichen Rechts missbraucht oder die Ausübung des elterlichen Rechts grob vernachlässigt (Art. 90 FamG 1996; Art. 93 FamG 2004).
Die genannten Vorschriften enthalten Hinweise darauf, dass einem Elternteil trotz der Sorgerechtsübertragung auf den anderen Elternteil substantielle Mitbestimmungsrechte und -pflichten verbleiben. So steht nach Art. 45 Abs. 2 FamG 1996 (= Art. 48 FamG 2004) das elterliche Recht nur dann nicht beiden Eltern gemeinsam zu, wenn ein Elternteil gestorben oder unbekannt ist, es ihm entzogen wurde, oder wenn er aus anderen Gründen verhindert ist, das elterliche Recht auszuüben. Da die Entziehung des Elternrechts gemäß Art. 90 FamG 1996 ein gravierendes Fehlverhalten voraussetzt, deutet Art. 45 FamG darauf hin, dass es im Normalfall keine gesetzliche Möglichkeit zur vollständigen Übertragung auf einen Elternteil gibt.
Auch die hier von dem Amtsgericht Tetovo angeführte Regelung des Art. 80 Abs. 4 FamG 1996 (Änderung der anlässlich einer Scheidung getroffenen Sorgerechtsentscheidung) lässt an der Möglichkeit einer vollständigen Sorgerechtsübertragung Zweifel aufkommen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift trifft das Gericht eine Entscheidung im Hinblick auf die Obhut und die Erziehung der Kinder sowie im Hinblick auf die Beziehungen der geschiedenen Ehepartner zu ihren Kindern. Auch wenn sich die Begriffe „Obhut“ und „Erziehung“ bei unbefangener Betrachtung als alles umfassende Personensorge darstellen, bleibt fraglich, ob die Erziehung sämtliche Aspekte wie z.B. die Ausbildung des Kindes als deren Bestandteil erfasst. Anlass zu Zweifeln gibt vor allem Art. 8 Abs. 2 FamG 1996, wonach sich elterliche Rechte und Pflichten nicht nur auf Obhut und Erziehung, sondern – neben der Entwicklung – ausdrücklich auch auf die Bildung erstrecken. In dieselbe Richtung geht Art. 46 FamG 1996 (= Art. 49 FamG 2004), wonach die Eltern für Erziehung, Schulbildung und fachliche Ausbildung sowie Leben und Gesundheit sorgen müssen. Die ausdrückliche Nennung der Schulbildung und fachlichen Ausbildung neben der Erziehung könnte dafür sprechen, dass es sich um einen eigenständigen Bestandteil des Elternrechts handelt, der bei der Übertragung von Obhut und Erziehung auf einen Elternteil nicht erfasst wird, sodass das Elternrecht in Bildungsangelegenheiten auch nach einer Übertragung von Obhut und Erziehung bei beiden Elternteilen verbleibt (so VG Berlin, Urteil vom 29. Mai 2006 – VG 34 V 9.03 -).
Ferner spricht die gesetzliche Differenzierung zwischen „alleiniger Ausübung des elterlichen Rechts“ (z.B. Art. 77 Abs. 2) und „Entscheidung über Obhut und Erziehung“ (Art. 80 Abs. 1 und Abs. 4) dafür, dass Obhut und Erziehung nicht das gesamte elterliche Recht umfassen. Wenn nach der Scheidung der Eheleute das gesamte elterliche Recht übertragen werden könnte, hätte es nahe gelegen, dies in Art. 80 Abs. 1 FamG auch so zu formulieren („… entscheidet das Gericht über das elterliche Recht“ statt „…entscheidet das Gericht über die Obhut, die Erziehung und den Unterhalt“). Auch Art. 77 Abs. 2 und 3 FamG 1996 legen nahe, dass Obhut und Erziehung weniger sind als elterliche Sorge bzw. das Elternrecht. So können die Eltern oder der Elternteil, der Inhaber der elterlichen Sorge ist, das Kind bei längerer Ortsabwesenheit einer anderen Person zur Obhut und zur Erziehung anvertrauen.
Soweit ein in einem anderen Verfahren durch das Verwaltungsgericht Berlin eingeholtes Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und inter-nationales Privatrecht vom 18. Juli 2005 zum mazedonischen Kindschaftsrecht eine alleinige Personensorge nach der Übertragung des Elternrechts bejaht wird, ist dies nicht überzeugend. Zwar stellt das Gutachten fest, dass das Elternrecht als solches beiden Eltern auch nach der Trennung bzw. Scheidung zustehe, während für die Obhut und Erziehung nur ein Elternteil zuständig sei. Die dann gezogene Schlussfolgerung unter Hinweis auf ein Familienrechtswerk aus dem Jahr 1980 zum jugoslawischen Recht, dass die Ausübung des Elternrechts in diesen Fällen allein bei dem Elternteil liege, dem Obhut und Erziehung anvertraut seien, während dem anderen Elternteil lediglich das Recht auf persönlichen Umgang mit dem Kind, auf Begleitung der Entwicklung des Kindes und auf Rechenschaft über die Ausübung der elterlichen Pflichten verbleibe, lässt nicht erkennen, ob es sich hierbei tatsächlich um die aktuelle mazedonische Rechtslage und Rechtspraxis handelt. Soweit das Gutachten wegen gemeinsamer Wurzeln das Recht Jugoslawiens und der jugoslawischen Nachfolgestaaten für maßgeblich hält, zeigt es ferner nicht konkret auf, wie die Gesetzeslage und die Rechtspraxis in diesen Staaten sind.
Abgesehen davon trifft die Auffassung des Gutachtens, wonach das jugoslawische bzw. serbische Recht eine alleinige Personensorge kenne, nicht zu. Das inzwischen außer Kraft getretene serbische Gesetz über die Ehe und die Familienbeziehungen vom 22. April 1984 in der Fassung vom 30. Mai 1994 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Jugoslawien, 136. Lieferung) bestimmte zwar, dass bei einem Getrenntleben oder einer Scheidung der Eltern derjenige Elternteil das Elternrecht selbständig ausübte, dem das Kind zur Obhut und Erziehung anvertraut worden war (Art. 124 Abs. 3). In diesem Fall entschieden jedoch beide Eltern weiterhin einvernehmlich über Fragen, die für die Entwicklung des Kindes von wesentlicher Bedeutung waren, wenn der Elternteil, der das Elternrecht nicht ausübte, seine Pflichten gegenüber dem Kind erfüllte (Art. 126). Gleiches gilt in Bezug auf das derzeit gültige Familiengesetz der Republik Serbien vom 24. Februar 2005 (abgedruckt bei Bergman/Ferid/Heinrich, a.a.O., Serbien, 169. Lieferung; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. Dezember 2010 – OVG 12 B 3.08 -).
Der gesetzliche Befund, wonach alles auf ein geteiltes Sorgerecht der Eltern trotz Übertragung des Elternrechts auf einen Elternteil hindeutet, wird durch die mazedonische Rechtspraxis bestätigt. Danach verbleiben – wie die Beklagte durch eine Befragung des Präsidenten und des Vizepräsidenten des Amtsgerichts Skopje II überzeugend ermittelt hat – dem Elternteil, dem das Elternrecht nicht übertragen worden ist, weiterhin °substantielle Mitentscheidungsrechte. Die danach vor allem erforderliche Zustimmung bei der Beantragung eines Reisepasses bzw. eines Visums sowie bei Reisen des Kindes in das Ausland berührt das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das einen wesentlichen Bestandteil der Personensorge ausmacht. Steht das Aufenthaltsbestimmungsrecht insoweit nicht einem Elternteil allein zu, kann von alleiniger Personensorge nicht die Rede sein.
Vor diesem Hintergrund sind auch die von der Mutter der Klägerin abgegebenen Erklärungen vom 7. Juni und 27. Dezember 2005 zu verstehen, wonach sie sich mit einer Übersiedlung der Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich einverstanden erklärt hat. Derartige Erklärungen, die dem Senat aus anderen Visumsverfahren, in denen es um den Kindernachzug mazedonischer Staatsangehöriger geht, bekannt sind, wären sinnlos, wenn der Mutter nach der Übertragung des Elternrechts auf den Vater der Klägerin keinerlei substantielle Mitbestimmungsrechte wie das hier betroffene Aufenthaltsrecht mehr zustünden. Der in den Erklärungen liegende Verzicht ändert nichts an der mazedonischen Rechtslage und begründet kein alleiniges Personensorgerecht im Sinne von § 32 Abs. 3 AufenthG. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass die fehlende Zustimmung zur Ausstellung eines Reisedokuments oder eines Visums nach den Vorschriften des Familiengesetzes überwunden werden kann. Entscheidend ist vielmehr, dass eine solche Zustimmung des anderen Elternteils kraft Gesetzes grundsätzlich erforderlich ist.
II. Unabhängig von alledem ist der Vater der Klägerin nicht allein personensorgeberechtigt im Sinne von § 32 Abs. 3 AufenthG, weil die Sorgerechtsentscheidung des Amtsgerichts Tetovo vom 13. März 2003, mit der das Sorgerecht von der Mutter der Klägerin auf deren Vater übertragen worden ist, von Behörden und Gerichten im Bundesgebiet nicht anzuerkennen ist. (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. September 2010 – OVG 12 B 21.09 -, juris).
Da Mazedonien weder Vertragsstaat des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 – MSA - (BGBl II S: 217) noch des Europäischen Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses vom 20. Mai 1980 – ESÜ - (BGBl II 1990, 220) ist, richten sich die Voraussetzungen, unter denen eine in Mazedonien ergangene Sorgerechtsentscheidung in der Bundesrepublik Deutschland anzuerkennen ist, nach §§ 108, 109 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FamFG – vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586), die die bis zum 31. August 2009 gültige entsprechende Regelung in § 16 a des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FGG – abgelöst haben.
Die in § 108 Abs. 1 FamFG normierte Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen ist gemäß § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG ausgeschlossen, wenn die Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist. Daraus ergibt sich, dass ausländische Sorgerechtsentscheidungen wie die des Amtsgerichts Tetovo vom 13. März 2003 grundsätzlich im Bundesgebiet anerkannt werden müssen (vgl. auch VGH München, Beschluss vom 3. Juni 1996 – 10 CS 98.1074 -, juris Rn. 10). Die Vorbehaltsklausel des ordre public kommt nur im Ausnahmefall zum Tragen, sodass bei der Prüfung, ob ein derartiger Ausnahmefall vorliegt, Zurückhaltung geboten ist. Ein Anerkennungshindernis wegen Verstoßes gegen den ordre public kann danach nicht schon dann angenommen werden, wenn die ausländische Entscheidung nicht überzeugend erscheint oder ein deutsches Gericht nach deutschem Recht anders entschieden hätte.
Das Erfordernis einer „offensichtlichen Unvereinbarkeit“ schließt es ferner grundsätzlich aus, dass deutsche Gerichte oder Behörden die ausländische Entscheidung auf ihre materielle Richtigkeit hin („révision au fond“) überprüfen. Ein im Sinne der deutschen oder auch ausländischen Rechtsordnung „falsches“ Ergebnis führt für sich genommen noch nicht zum Verstoß gegen den Vorbehalt des ordre public (daher zweifelhaft VG Berlin, Urteil vom 23. September 2009 – VG 9 K 135.09 V -, juris, und VG Berlin, Urteil vom 1. September 2009 – VG 21 K 126.09 V -, FamRZ 2010, 681, die die ausländische Sorgerechtsentscheidung einer umfassenden inhaltlichen Richtigkeitskontrolle unterziehen).
Nach alledem liegt ein Verstoß gegen den deutschen ordre public erst vor, wenn das Ergebnis in einem so starken Widerspruch zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 1986 - 1 B 20/86 -, juris Rn. 6 ff. = FamRZ 1986, 351; BGH, Beschluss vom 18. September 2001, NJW 2002, 960, 961; BGH, Urteil vom 21. April 1998, BGHZ 138, 331, 334; Bumiller/Harders, Freiwillige Gerichtsbarkeit FamFG, 9. Aufl., § 109 Rn. 9).
Eine offensichtliche Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts kommt sowohl in verfahrensrechtlicher als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht in Betracht. Aus verfahrensrechtlichen Gründen kann einer ausländischen Entscheidung die Anerkennung dann zu versagen sein, wenn das Verfahren von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass nach der deutschen Rechtsordnung nicht mehr von einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 29. Mai 1986 - 1 B 20/86 -, juris Rn. 10 m.w.N. = FamRZ 1986, 381). In materiell-rechtlicher Hinsicht ist zu prüfen, ob die Entscheidung in der Sache selbst gegen rechtliche Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung verstößt. Prüfungsmaßstab sind in beiden Fällen vor allem auch die Grundrechte (vgl. § 108 Abs. 1 Nr. 4 FamFG).
Überträgt man dies auf ausländische Sorgerechtsentscheidungen, so kann ein Verstoß gegen den ordre public insbesondere dann gegeben sein, wenn das Ergebnis der ausländischen Sorgerechtsentscheidung mit den Grundwerten des deutschen Kindschaftsrechts offensichtlich unvereinbar ist. Hierzu zählt vor allem das Wohl des Kindes, dessen Beachtung einen wesentlichen und unverzichtbaren Grundsatz des deutschen Familien- und Kindschaftsrechts bei allen Entscheidungen über das Sorgerecht darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. September 2006 – 2 BvR 2216/05 -, juris Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2010 - 1 BvR 374/09 – NJW 2010, 2333 ff.; s. z.B. auch §§ 1626 Abs. 3, 1666, 1696 Abs. 1, 1697 a BGB).
Insoweit handelt es sich nicht nur um einen wesentlichen Grundsatz der deutschen Rechtsordnung, sondern zugleich um ein im Völkervertragsrecht verankertes Prinzip. So gingen z.B. die Konventionsstaaten des ESÜ davon aus, dass ein Anerkennungshindernis im Sinne von Art. 10 Abs. 1 a) ESÜ vor allem dann angenommen werden kann, wenn die Sorgerechtsentscheidung das Wohl des Kindes offensichtlich verletzt (vgl. Erläuternder Bericht zum Europäischen Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses, BT-Drs. 11/5314, S. 65 Rn. 47). Schließlich ist die Berücksichtigung des Kindeswohls im Aufenthaltsrecht auch gemeinschaftsrechtlich geboten. Die Regelungen zum Kindernachzug in Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl L 251/12) stellen ausdrücklich und maßgeblich hierauf ab (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 27. Juni 2006 - Rs. C-540/03 - NVwZ 2006, 1033).
Das Ergebnis der mazedonischen Sorgerechtsentscheidung ist unter ordre-public-Gesichtspunkten greifbar unangemessen, weil sie das Wohl der Klägerin in einer Art und Weise übergeht, die mit einem tragenden Verfahrensgrundsatz des deutschen Kindschaftsrechts nicht ansatzweise vereinbar ist. Das deutsche Recht sieht in § 159 FamFG (bis zum 31. August 2009 in § 50 b FGG) grundsätzlich eine obligatorische Anhörung des Kindes im gerichtlichen Sorgerechtsverfahren vor. Hierbei handelt es sich um einen Verfahrensgrundsatz mit Verfassungsrang, der nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Zivilgerichte der Absicherung des Kindeswohles dient und die Stellung des Kindes als Subjekt im Verfahren, seine Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 GG sowie seinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) schützt (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 1968, BVerfGE 24, 119, 144; BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2007, BVerfGK 10, 519, 522 f.; BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1998, BVerfGE 99, 145, 156, 163 f.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 6. Juli 2009, FamRZ 2010, 44). Danach ist es von Verfassungs wegen geboten, den Willen des Kindes zu berücksichtigen, soweit dies mit seinem Wohl vereinbar ist (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1992, BGHZ 120, 29, 35).
Im Einzelnen sehen die deutschen Verfahrensvorschriften folgendes vor: Grundsätzlich ist ein Kind, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, vor Erlass einer Sorgerechtsentscheidung anzuhören, es sei denn, dass schwerwiegende Gründe gegen eine Anhörung sprechen (§ 159 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 FamFG). Hat das Kind das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet, ist es persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind, oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist (§ 159 Abs. 2 FamFG). Auch insoweit kann von der Anhörung nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden (§ 159 Abs. 3 FamFG). Unterbleibt die Anhörung nur wegen Gefahr im Verzug, so ist sie unverzüglich nachzuholen (§ 159 Abs. 3 Satz 2 FamFG). Die besondere Bedeutung der Anhörung manifestiert sich schließlich auch darin, dass die höchstrichterliche Zivilrechtsprechung bei gebotener Tatsachenermittlung eine persönliche Anhörung vor dem beauftragten Richter nicht für ausreichend hält, weil sich der gesamte Spruchkörper einen entsprechenden Eindruck verschaffen müsse (BGH, Beschluss vom 28. April 2010, FamRZ 2010, 1060, 1064). Entsprechendes galt nach § 50 b FGG.
Nichts anderes ergibt sich für die deutsche Rechtsordnung aus einschlägigen materiell-rechtlichen Vorschriften. Zwar regelt beispielsweise § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB, dass einem Antrag auf Sorgerechtsübertragung bei Zustimmung des anderen Elternteils stattzugeben ist, wenn nicht das Kind, sofern es das 14. Lebensjahr vollendet hat, widerspricht. Diese Vorschrift greift aber nur, wenn den Eltern – anders als hier - das Sorgerecht gemeinsam zusteht. Hinzu kommt, dass auch die Sorgerechtsübertragung bei elterlichem Einvernehmen gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB unter dem Vorbehalt des § 1671 Abs. 3 BGB steht, wonach das Kindeswohl eine abweichende Entscheidung gebieten kann. Im Übrigen muss das Kind wegen der es selbst betreffenden (Grund-)rechte auch dann im gerichtlichen Verfahren angehört werden, wenn sich die Eltern einig sind (vgl. z.B. OLG Rostock, Beschluss vom 9. Dezember 2005, FamRZ 2007, 1835; OLG Oldenburg, Beschluss vom 6. Juli 2009, FamRZ 2010, 44; s. auch Finger, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl., § 1671 Rn. 148).
Gemessen daran hat das Amtsgericht Tetovo den nach deutschem Recht erforderlichen verfahrensrechtlichen Mindeststandard, der eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung garantieren soll, nicht eingehalten. Es hat das Sorgerecht von der Mutter auf den Vater der Klägerin übertragen, ohne die damals dreizehnjährige Klägerin persönlich anzuhören. Es ist auch nicht ersichtlich, dass deren Anhörung vor einer anderen sachkundigen zuständigen Stelle erfolgt ist oder ausnahmsweise (z.B. im Hinblick auf das Alter der Klägerin) entbehrlich gewesen wäre. Ganz im Gegenteil erscheint hier – unter Berücksichtigung von § 50 b FGG bzw. § 159 FamFG - eine persönliche Anhörung geradezu unabdingbar, weil die dreizehnjährige Klägerin, die zuvor stets mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern in ihrer Heimat gelebt hatte und dort erzogen und geprägt worden war, nun ohne die übrigen Familienmitglieder in ein fremdes Land zu ihrem Vater übersiedeln sollte, der sich schon von 1994 bis 1996 sowie 1998 im Bundesgebiet aufgehalten hatte und hier seit 2002 mit seiner deutschen Ehefrau lebt.
Die fehlende Anhörung kann auch nicht durch etwaige Äußerungen des Kindes im Verwaltungsverfahren kompensiert werden. Abgesehen davon, dass es sich insoweit nicht um eine sachkundige Stelle mit entsprechend ausgebildetem Personal handelt, muss die Anhörung vor einer Entscheidung über das Sorgerecht stattfinden, wenn sie die Rechte des Kindes wahren soll. Aus demselben Grund reicht auch die nachträgliche Befragung des Kindes durch das Verwaltungsgericht im Visumsverfahren nicht aus (a.A. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. August 2005 – OVG 7 B 24.05 -, juris, Rn. 29). Da bereits der gravierende Verstoß gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public zu einem Anerkennungshindernis führt, kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung des Amtsgerichts Tetovo vom 13. März 2003 in materiell-rechtlicher Hinsicht mit dem Kindeswohl vereinbar ist.
Dass die Anhörung des Kindes nicht nur im deutschen Sorgerechtsverfahren eine elementare Verfahrensgarantie darstellt, deren Nichteinhaltung ein Anerkennungshindernis begründet, zeigen auch weitere völkerrechtliche bzw. gemeinschaftsrechtliche Regelungen. So normiert die – allerdings nur EU-Mitgliedstaaten (bis auf Dänemark) bindende - Verordnung (EG) Nr. 201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338/1 vom 23. Dezember 2003) - so genannte Brüssel-II-a-VO - in ihrem Art. 23 b), dass die Entscheidung über die elterliche Verantwortung nicht anerkannt wird, wenn sie - ausgenommen in dringenden Fällen - ergangen ist, ohne dass das Kind die Möglichkeit hatte, gehört zu werden, und damit wesentliche verfahrensrechtliche Grundsätze des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung beantragt wird, verletzt werden. Wie sich aus Erwägungsgrund 19 der Verordnung ergibt, soll die Anhörung allerdings nicht zum Ziel haben, die diesbezüglich geltenden nationalen Verfahren zur ändern. Damit würde auch eine Anhörung vor einer Verwaltungsbehörde oder einer sonstigen kompetenten Stelle ausreichen.
Eine fast wortgleiche Regelung wie die Brüssel-II-a-VO enthält Art. 23 Abs. 2b) des Haager Übereinkommens vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutze von Kindern (HÜK). Das HÜK, das das MSA ablösen soll, ist von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet und nach Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG als Gesetz verabschiedet (BGBl 2009 II S. 602), allerdings noch nicht ratifiziert worden. Wie der erläuternde Bericht zu dem Übereinkommen verdeutlicht, beruht der Versagungsgrund mangelnder Anhörung des Kindes auf Art. 12 Abs. 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes. Danach wird dem Kind entsprechend seinem Alter und seiner Reife insbesondere Gelegenheit gegeben, in allen es berührenden Gerichts- oder Verwaltungsverfahren entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder durch eine geeignete Stelle im Einklang mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften gehört zu werden. Der erläuternde Bericht stellt zutreffend fest, dass es sich der Sache nach um eine Spezialvorschrift des verfahrensrechtlichen ordre public handelt (BT-Drs. 16/12068, S. 62 Rn. 123).
III. 1. Der Klägerin steht auch kein Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums nach § 32 Abs. 4 AufenthG bzw. nach § 20 Abs. 4 AuslG, § 104 Abs. 3 AufenthG zu. Danach kann dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es aufgrund der Umstände des Einzelfalles zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist (§ 20 Abs. 4 Nr. 2 AuslG, § 32 Abs. 4 AufenthG) bzw. wenn das Kind die deutsche Sprache beherrscht oder gewährleistet erscheint, dass es sich aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann (§ 20 Abs. 4 Nr. 1 AuslG). Die Annahme einer besonderen Härte ist vor allem dann gerechtfertigt, wenn sich die Lebensumstände des Kindes nach der Ausreise der Eltern oder des Elternteils geändert haben, ohne dass dies zuvor absehbar war. Von Bedeutung ist ferner, ob nur der im Bundesgebiet wohnende Elternteil zur Betreuung des Kindes in der Lage ist (BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 1994 - 1 B 181.93 -, juris Rn. 3; BVerwG, Beschluss vom 24. Oktober 1996 - 1 B 180.96 -, juris Rn. 5).
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes stellt es für die Klägerin keine besondere Härte dar, wenn ihre Mutter sie – wie seit der Ausreise ihres Vaters weiterhin zusammen mit den beiden jüngeren Geschwistern in Mazedonien betreut. Der Umstand, dass der Vater der Klägerin über umfangreichere finanzielle Mittel verfügt als die Mutter und dass sich ihr im Bundesgebiet bessere Ausbildungsmöglichkeiten bieten, begründet noch keine besondere Härte. Es handelt sich um Lebensumstände, deren Entwicklung seit der Ausreise des Vaters absehbar war und denen der Vater der Klägerin im Übrigen ggf. durch finanzielle Zuwendungen begegnen kann. Ebenso wenig ist ersichtlich oder nachgewiesen, dass die Klägerin bis zur hier maßgeblichen Vollendung des 18. Lebensjahres im November 2008 (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 1997, NVwZ-RR 1998, 517) die Voraussetzungen des § 20 Abs. 4 Nr. 1 AuslG erfüllt hat, zu denen u.a. die Beherrschung der deutschen Sprache zählt.
2. Schließlich besteht kein Anspruch auf Neubescheidung (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die von der Beklagten gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 AuslG, § 104 Abs. 3 AufenthG zu Lasten der Klägerin getroffene, an dem Kindeswohl orientierte Ermessensentscheidung ist nicht zu beanstanden. Die bei Beantragung des Visums bereits rund 15 ½ Jahre alte Klägerin hat ihre soziale Prägung im Heimatland erfahren, ist dort zur Schule gegangen und konnte – ebenso wie ihre jüngeren Geschwister – weiterhin in ihrer Heimat betreut werden, wobei ohnehin nur noch geringerer Betreuungsbedarf bestand. Soweit sie vorwiegend im Hinblick auf wirtschaftliche Erwägungen sowie bessere Ausbildungsmöglichkeiten zu ihrem Vater in das Bundesgebiet ziehen sollte, wäre auch eine finanzielle Unterstützung durch den Vater in Mazedonien in Betracht gekommen. Unter diesen Umständen durfte die Beklagte selbst dann ermessensfehlerfrei davon ausgehen, dass der Verbleib der Klägerin in Mazedonien ihrem Wohl entsprach, wenn man unterstellt, dass ihr Vater und ihre Stiefmutter Hilfe bei einer Integration im Bundesgebiet hätten leisten können (vgl. zu den Kindeswohlerwägungen im Rahmen von § 20 Abs. 3 Satz 1 AuslG auch BVerwG, Urteil vom 18. November 1997, NVwZ-RR 1998, 517).
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in genannten § 132 Abs. 2 VwGO Gründe vorliegt.