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Entscheidung 10 UF 191/13


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 15.07.2015
Aktenzeichen 10 UF 191/13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 1684 BGB, § 1686 BGB, § 1666 BGB

Leitsatz

Zum vorübergehenden Ausschluss des Umgangs bei gleichzeitiger Verpflichtung des Obhutselternteils, regelmäßig Fotos des gemeinsamen Kindes zu übersenden und Auskunft über den Gesundheitszustand des Kindes zu erteilen, verbunden mit der Anregung des Beschwerdegerichts, beim Amtsgericht unverzüglich ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB gegen den Obhutselternteil einzuleiten.

Tenor

Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 19. Juli 2013 abgeändert.

Der Vollzug des Beschlusses des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 12. März 2012 (6 F 109/10) wird bis zum 31. Januar 2016 ausgesetzt.

Der Mutter wird aufgegeben, dem Vater zum 15. August 2015 und sodann jeweils zum 15. November, 15. Februar, 15. Mai und 15. August eines jeden Jahres ein Foto des gemeinsamen Kindes zu übersenden, ebenso Fotos des Kindes anlässlich von Feierlichkeiten, die in Bezug auf das Kind stattfinden, wie Feiern des Geburtstages des Kindes oder der Einschulung des Kindes.

Der Mutter wird aufgegeben, dem Vater zum 15. August 2015 und sodann jeweils zum 1. Januar und 1. Juli eines jeden Jahres Auskunft über den Gesundheitszustand des Kindes zu erteilen und hierzu jeweils aktuelle Atteste der behandelnden Ärzte und Therapeuten des Kindes vorzulegen.

Die Mutter wird darauf hingewiesen, dass das Gericht im Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehenden Anordnungen ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 25.000 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann oder die Anordnung eines Ordnungsgelds keinen Erfolg verspricht, Ordnungshaft anordnen kann.

Es bleibt bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden den Eltern je zur Hälfte auferlegt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Eltern streiten um den Umgang des Vaters mit dem Kind.

F… wurde am ….8.2008 geboren. Bereits nach der Geburt traten bei ihr Behinderungen auf. Durch Feststellungsbescheid des Landesamtes für Soziales und Versorgung vom 17.6.2011 wurde bei F… ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt. Als Gesundheitsstörungen wurden Taubheit und Blutarmut berücksichtigt.

Die Eltern trennten sich im Januar 2009. Die Mutter lebte in einer neuen Partnerschaft mit Herrn M… M…. Aus dieser Verbindung ist das Kind J… geboren am ….10.2010, hervorgegangen. Am 11.2.2011 hat die Mutter ihren Partner geheiratet. Unter dem 5.8.2013 haben die Mutter und ihr Ehemann den Antrag gestellt, dass F… von ihrem Stiefvater als Kind angenommen wird. Eine Entscheidung in diesem Adoptionsverfahren (6 F 703/13) ist zunächst mangels vorgelegter Einwilligung des leiblichen Vaters nicht ergangen.

Das weitere Kind der Mutter und ihres Ehemannes, P…, ist am ….7.2014 zur Welt gekommen. Unter dem 1.9.2014 hat der Ehemann der Mutter, Herr M… M…, erklärt, aufgrund einer Änderung der Familiensituation, d. h. der Trennung von seiner Frau, trete er von seinen Adoptionsabsichten hinsichtlich F…s zurück.

Zwei Strafverfahren gegen den Vater, eines wegen Bedrohung gemäß § 241 StGB (208 Js 5355/08) und eines wegen Körperverletzung gemäß § 223 StGB (218 Js 15202/08), jeweils zum Nachteil der Mutter, stellte die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) unter dem 24.4.2008 bzw. 24.2.2009 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein.

Erstmals unter dem 7.8.2009 begehrte der Vater Umgang mit dem Kind. In der Verhandlung vor dem Amtsgericht vom 28.10.2009 (6 F 465/09) schlossen die Eltern eine Vereinbarung dahin, dass der Vater mit dem Kind zweimal im Monat für die Dauer von einer Stunde begleiteten Umgang haben sollte, wobei dieser Umgang in die Verantwortung des Jugendamtes … gelegt wurde. Eine ausdrückliche Billigung der Vereinbarung durch das Amtsgericht wurde nicht ausgesprochen. Bei Protokollierung der Vereinbarung wurde einleitend zu Protokoll gegeben, die Eltern schlössen „verfahrensabschließend“ die Vereinbarung.

Ein unter dem 24.1.2010 eingeleitetes Umgangsverfahren nahmen die Großeltern väterlicherseits mit Schreiben vom 4.4.2012 zurück.

Mit Schriftsatz vom 29.1.2010 beantragte der Vater im Wesentlichen eine Ausdehnung des begleiteten Umgangs auf zwei Stunden. In jenem amtsgerichtlichen Verfahren (6 F 109/10) ordnete das Amtsgericht durch Beschluss vom 1.6.2010 die Einholung eines Sachverständi-gengutachtens mit dem ausdrücklichen Auftrag, eine einvernehmliche Regelung zu finden, an. Unter dem 24.9.2010 legte der Sachverständige M… L… in B… sein Gutachten vor. In jenem Gutachten ist davon die Rede, dass sich die Eltern auf einen Umgang des Vaters mit F… 14-tägig für zwei Stunden in Begleitung der Großmutter mütterlicherseits geeinigt hätten. Bei der Umsetzung dieser Vereinbarung war die Mutter aber offenbar nicht mitwirkungsbereit. Hierauf bestellte das Amtsgericht durch Beschluss vom 18.4.2011 die Verfahrensbeiständin. Im Anhörungstermin vor dem Amtsgericht vom 19.5.2011 waren beide Elternteile anwesend, ebenso neben dem Vertreter des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin der Sachverständige L…. Einvernehmen konnte hier letztlich nicht erzielt werden. Im Termin vor dem Amtsgericht vom 25.7.2011 wurde dann die Kinderärztin von F… als Zeugin vernommen. Nach Vorlage einer Stellungnahme der Logopädin und weiterem Sachvortrag der Mutter zum Gesundheitszustand des Kindes regelte das Amtsgericht durch Beschluss vom 12.3.2012 den Umgang des Vaters mit F… dahin, dass er für die Dauer von vier Wochen jeweils donnerstags für eine halbe Stunde, im Anschluss daran für die Dauer von weiteren vier Wochen donnerstags für jeweils eine Stunde, im Anschluss daran 14-tägig samstags für zwei Stunden stattfinden sollte, in den ersten beiden Phasen in begleiteter Form. Hiergegen legte die Mutter Beschwerde ein. Durch Beschluss vom 11.9.2012 (10 UF 68/12) wies der Senat den Antrag der Mutter auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zur Durchführung der Beschwerde zurück. Durch Beschluss vom 14.11.2012 wies der Senat unter gleichzeitiger Zurückweisung der Gegenvorstellung gegen jenen Senatsbeschluss die Beschwerde der Antragsgegnerin zurück.

Nachdem die Mutter den Umgang nicht gewährte, hat der Vater das vorliegende Verfahren unter dem 22.3.2013 mit dem Ziel der Anordnung einer Umgangspflegschaft eingeleitet. Die Mutter hat ihrerseits unter dem 2.4.2013 einen Antrag auf Umgangsaussetzung gestellt. Das Amtsgericht hat die beiden Verfahren miteinander verbunden. Zum Anhörungstermin vor dem Amtsgericht am 23.5.2013 sind der Vater und zwei Vertreter des Jugendamtes erschienen, nicht hingegen die Mutter. Auch dem Anhörungstermin vom 13.6.2013 ist die Mutter ferngeblieben. Sie hat insoweit jeweils Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 22.7.2013 hat das Amtsgericht den Beschluss vom 12.3.2012 (6 F 109/10) abgeändert, in der Sache aber dessen Ausspruch zum Umgangsturnus wörtlich übernommen, jedoch die Anordnung einer Umgangspflegschaft aufgenommen und ausgesprochen, dass der Umgang in den ersten 12 Wochen in begleiteter Form stattfinden solle, wobei die Begleitung in die Verantwortung der Umgangspflegerin gelegt werde. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Mutter ihre Wohlverhaltenspflicht nach § 1684 Abs. 2 BGB dauerhaft und wiederholt erheblich verletzt habe, indem sie jeglichen Umgang des Kindes mit seinem Vater verweigert habe. Die Umgangspflegschaft stelle das mildeste Mittel dar, um Umgangskontakte aufzunehmen. Das Jugendamt habe sich im Anhörungstermin zwar zurückhaltend geäußert, jedoch nicht deshalb, weil der Umgang selbst Kindeswohl gefährdend sei, sondern weil eine zwangsweise Durchsetzung des Umgangs gegen den Willen der Mutter mit Belastungen für das Kind verbunden wäre. Ein Ausschluss des Umgangs, wie von der Mutter beantragt, komme nicht in Betracht. Gründe dafür lägen, wie auch Verfahrensbeistand und Jugendamt erklärt hätten, nicht vor. Die Einwendungen der Mutter seien in den vorangegangenen Verfahren vom Amtsgericht wie auch vom Oberlandesgericht überprüft worden. Beide Gerichte seien zu dem Ergebnis gelangt, dass der gesundheitliche Zustand des Kindes einem Umgang mit seinem Vater nicht entgegenstehe. Dass sich der gesundheitliche Zustand des Kindes seither derartig verschlechtert hätte, dass eine Durchführung des Umgangs jetzt zu einer Kindeswohlgefährdung führen könne, sei nicht ersichtlich.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Mutter mit der Beschwerde. Sie trägt vor:

Das Amtsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, sie habe keine Gelegenheit gehabt, ihren Standpunkt zu der beabsichtigten Umgangspflegschaft darzulegen. Hinsichtlich ihrer unterbliebenen Teilnahme an den Anhörungsterminen sei sie davon ausgegangen, dass die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausreiche. Dass ausdrücklich die Verhandlungsunfähigkeit hätte bescheinigt werden müssen, sei ihr nicht bekannt gewesen. Nunmehr lege sie ein Attest einer Fachärztin für Allgemeinmedizin vom 13.8.2013 vor, aus dem sich ergebe, dass ihr wegen mehrerer schwerer chronischer Erkrankungen davon abgeraten werde, mit dem Antragsteller zusammenzutreffen, um eine psychische Dekompensation zu verhindern. Sie sei durch die Gewalttätigkeiten des Antragstellers in den Jahren 2007 bis 2008 bis heute erheblich traumatisiert. Vor diesem Hintergrund hätte das Amtsgericht sie in Abwesenheit des Antragstellers anhören müssen.

Ferner sei zu beanstanden, dass das Amtsgericht das Kind nicht angehört habe, sondern einen kurzen Besuch des Verfahrensbeistands im Vorverfahren für ausreichend gehalten habe. Auch die Begutachtung des Kindes im Vorverfahren liege mehr als drei Jahre zurück. Die Anhörung sei auch deshalb erforderlich, weil sich F…s Gesundheitszustand gegenüber dem Vorverfahren verschlechtert habe. Seit April 2013 erleide sie regelmäßig Ohnmachtsanfälle, ferner Krampf- und Wutanfälle. Zum Schutz vor Selbstverletzungen sei ihr von der Kinderärztin das Tragen eines Helmes verordnet worden. Da F… beim Essen nicht sitzen bleibe, sei ihr ebenfalls ein spezieller Reha-Stuhl verordnet worden. Auch habe F… einen Reha-Buggy bekommen, da sie längere Strecken nicht zu Fuß zurücklegen könne, sondern dann einfach umkippe.

Zudem sei zu berücksichtigen, dass F…, die zunächst dauerhaft nicht kitafähig gewesen sei, seit dem 16.8.2013 – zur Eingewöhnung – eine Kita besuche. Logopädie und Ergotherapie seien vorläufig ausgesetzt worden, um F… nicht zu überfordern. F… benötige im besonders hohen Maße feste Strukturen. Da F… auch in der Praxis der Ergotherapeutin mehrfach Zusammenbrüche erlitten habe, nachdem sie Kontakt mit männlichen Patienten gehabt habe, achte die Therapeutin nun darauf, dass sie vor und nach F…s Termin keinen männlichen Patienten einbestelle. Eine gleichzeitige Kita-Eingewöhnung und Umgangsanbahnung würden F… absolut überfordern.

Die Mutter beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses den Vollzug des Beschlusses des Amtsgerichts Bernau vom 12.3.2012 (6 F 109/10) vorübergehend auszusetzen.

Der Vater beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen

und begehrt für den Fall einer - zeitweisen - Aussetzung der Umgangsentscheidung ferner folgende Entscheidung:

1. Die Eltern nehmen während des Zeitraums der Umgangsaussetzung eine professionelle Elternberatung entsprechend den Anregungen der Sachverständigen wahr, mit dem Ziel zukünftig eine tragfähige Basis für eine regelmäßige Umgangsgestaltung zu schaffen, die bindungsintolerante Haltung der Mutter zu reduzieren sowie dem Kind zu gegebener Zeit die tatsächliche Abstammungssituation angemessen vermitteln zu können.

2. Die Mutter erteilt dem Vater eine umfassende Schweigepflichtentbindung für sämtliche behandelnden Ärzte, Therapeuten und medizinischen Einrichtungen (Kliniken, SPZ, etc.), so dass eine direkte Informationseinholung des Vaters bei den behandelnden Medizinern/Therapeuten möglich ist.

3. Die Mutter übersendet dem Vater in regelmäßigen Abständen (mindestens vierteljährlich) Fotos des gemeinsamen Kindes. Für den vergangenen Zeitraum, in dem keine Fotos gesendet wurden (seit Beginn 2011) werden mindestens vier Fotos pro Jahr übersandt, um die körperliche Entwicklung des Kindes wenigstens im Mindestmaß nachvollziehen zu können. Zu besonderen Anlässen, wie z. B. der anstehende Schuleintritt oder Geburtstage, werden zusätzliche Fotos übersandt.

Er trägt vor:

Die Mutter habe in erster Instanz ausreichend Gelegenheit gehabt, ihren Standpunkt darzulegen. Soweit sie sich darauf berufe, sie könne keine Anhörungstermine gemeinsam mit ihm, dem Antragsteller, wahrnehmen, sei ihr Vorbringen verleumderisch. Zu posttraumatischen Belastungsstörungen habe sie während der viereinhalb Jahre andauernden Verfahren bisher nichts vorgetragen.

Dass es zwischen Verfahrensbeistand und Kind nur zu einem kurzen Kontakt gekommen sei, liege an der Mutter, die keine weitergehenden Kontakte ermöglicht habe.

Die schwerwiegenden Symptome, welche die Mutter nun mit der Beschwerde vorgetragen habe, fänden sich im Bericht der Kinderärztin vom 13.5.2013 nicht einmal ansatzweise wieder. Es sei zwar unstrittig, dass F… schwer erkrankt und in stark erhöhtem Maße pflegebedürftig sei. Dies sei aber vom Amtsgericht in seinen beiden Beschlüssen entsprechend gewürdigt worden. Die Mutter stelle den Gesundheitszustand der Tochter nun übermäßig dramatisch dar. Soweit die Mutter meine, F… benötige in höherem Maße feste Strukturen und Regelmäßigkeit, sei zu berücksichtigen, dass sie einen mehrwöchigen Urlaub mit entsprechender Veränderung des täglichen Umfeldes des Kindes trotz direkt bevorstehender Kita-Eingewöhnung für F… für zumutbar gehalten habe. Von der geplanten Kita-Eingewöhnung habe die Mutter das Amtsgericht nicht in Kenntnis gesetzt.

Eine Umgangsanbahnung mit anfänglicher Begleitung durch den Ehemann der Mutter halte er nach wie vor für sachdienlich, um diese Anbahnung für F… so schonend wie möglich zu gestalten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Eltern wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Im Beschwerdeverfahren haben die Verfahrensbeiständin, das Jugendamt und die Umgangspflegerin schriftlich Stellung genommen. Auf den Inhalt dieser Stellungnahmen wird verwiesen.

Der Senat hat ein Sachverständigengutachten eingeholt. Auf den Inhalt des Gutachtens der Dipl.-Psych. W… vom 30.12.2014 wird Bezug genommen.

Der Senat hat die Eltern, die Verfahrensbeiständin, die Umgangspflegerin und das Kind angehört sowie den Zeugen M… und die Sachverständige W… vernommen. Auf die Anhörungsvermerke zu den Senatsterminen vom 11. und 18.3.2014 sowie vom 11. und 18.5.2015 wird verwiesen.

Durch Beschluss vom 19.12.2013 (10 UFH 3/13) hat der Senat den Antrag der Mutter auf Aussetzung des Vollzuges der Beschlüsse des Amtsgerichts vom 12.3.2012 und vom 19.7.2013 im Wege der einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Durch Beschluss vom 15.5.2014 hat der Senat dann die Vollziehung der Beschlüsse des Amtsgerichts vom 12.3.2012 (6 F 109/10) und vom 19.7.2013 (6 F 318/13) ausgesetzt. Dies geschah im Hinblick auf die angeordnete Begutachtung durch eine Sachverständige.

II.

Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Mutter führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der Vollzug des Beschlusses des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 12.3.2012 (6 F 109/10), durch den zunächst begleiteter und dann unbegleiteter Umgang angeordnet wurde, ist gemäß § 1684 Abs. 4 Satz 1, 2 BGB bis einschließlich 31.1.2016 auszusetzen. Die Mutter hat dem Vater aber schon jetzt regelmäßig Fotos des Kindes vorzulegen und Auskunft über den Gesundheitszustand des Kindes zu erteilen.

1.

Die Voraussetzungen für den von der Mutter begehrten Ausschluss des Vollzuges der bestehenden Umgangsregelung sind gegeben.

Gemäß § 1684 Abs. 4 Satz 1 BGB kann das Familiengericht das Umgangsrecht und den Vollzug früherer Entscheidungen über das Umgangsrecht einschränken oder ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Eine Einschränkung, die das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, kann nur ergehen, wenn anderenfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre, § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB. Ein solcher Ausschluss des Umgangs ist nur möglich, wenn das nach den Umständen des Falls unumgänglich ist, um eine Gefährdung der körperlichen oder seelischen Entwicklung des Kindes abzuwenden, und wenn diese Gefahr nicht auf andere Weise ausreichend sicher abgewendet werden kann (Johannsen/Henrich/Jaeger, Familiengericht, 5. Aufl., § 1684 BGB, Rn. 34; vgl. auch OLG Saarbrücken, FamRZ 2015, 344 ). Von einer solchen Situation ist hier auszugehen.

a)

Allerdings liegen in der Person des Vaters keine Gründe vor, die im Falle eines Umgangs mit dem Kind für eine Kindeswohlgefährdung sprechen könnten.

Es liegt im wohlverstandenen Interesse des Kindes, grundsätzlich Umgang mit seinem Vater zu haben.

Das Umgangsrecht ermöglicht dem umgangsberechtigten Elternteil, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Aussprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten und einer Entfremdung vorzubeugen, sowie dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen (BVerfG, Beschluss vom 13.12.2012 - 1 BvR 1766/12, BeckRS 2013, 46031; siehe auch BVerfG, FamRZ 2007, 105; FamRZ 1995, 86, 87; BGH, FamRZ 1984, 778, 779). Diese Grundsätze gelten auch im vorliegenden Fall, selbst wenn F… an ihren Vater, den sie sehr lange nicht gesehen hat, keine Erinnerung mehr hat.

Eine abweichende Beurteilung ist nicht geboten angesichts der von der Mutter in ihrer abschließenden Stellungnahme vom 17.6.2015 hervorgehobenen Äußerung der Sachverständigen in ihrem Gutachten, wonach die Annahme, dass die Abwesenheit eines Elternteils zwangsläufig das Kindeswohl gefährde oder die Verarbeitung der Trennung behindere, wissenschaftlich nicht mehr aufrechterhalten werden könne (Seite 57 des Gutachtens). Hierbei handelt es sich um eine allgemeine Äußerung der Sachverständigen, deren Auswirkungen auf den jeweils konkreten Sachverhalt im Einzelnen zu prüfen sind. Fallbezogen hat die Sachverständige hingegen festgestellt, dass der Vater „per se eine Ressource für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes“ darstelle, wenn er sich zukünftig weiterhin seiner Verantwortung bewusst sei, ein Bindungsaufbau zwischen Vater und Tochter gelinge und er die Bedürfnisse von F… alters- und vor allem entwicklungsgerecht wahrnehmen und umsetzen könne (Seite 58 des Gutachtens). Damit hat die Sachverständige klargestellt, dass sie es auch im vorliegenden Fall grundsätzlich als wünschenswert und erstrebenswert ansieht, einen regelmäßigen Umgang des Vaters mit dem Kind zu fördern. Diese Auffassung teilt der Senat. Gerade im vorliegenden Fall würde, wenn unbeschwerter Umgang des Vaters mit dem Kind regelmäßig möglich wäre, nicht nur das Kind, sondern auch die Mutter profitieren, weil auch der Vater in die Lage versetzt würde, sich mit den konkreten Problemen des Kindes unmittelbar auseinanderzusetzen und insofern auch für Hilfestellungen unterschiedlicher Art zur Verfügung stehen könnte.

Der Umstand, dass nach der nicht angegriffenen Feststellung der Sachverständigen das Kind aufgrund der lange zurückliegenden Trennung der Eltern mit dem Vater keine eigenen Alltagserinnerungen verknüpfen könne (Seite 57 des Gutachtens), rechtfertigt für sich auch noch nicht einen Ausschluss der Vollziehung der bestehenden Umgangsregelung. Denn einer solchen Entfremdung zwischen Vater und Kind könnte durch die Anordnung begleiteten Umgangs, § 1684 Abs. 4 Satz 3, 4 BGB, begegnet werden. Davon ist auch das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 12.3.2012 ausgegangen. Soweit die dort vorgesehenen Zeiträume für den begleiteten Umgang sich nachträglich als zu kurz erweisen sollten, könnte eine diesbezügliche Abänderung gemäß § 1696 Abs. 1 BGB erfolgen.

Dass F…s Wohl im Falle eines Umgangs mit dem Vater im Hinblick auf dessen Gewaltbereitschaft gefährdet wäre, kann nicht angenommen werden. Der Vater hat in den beiden Anhörungsterminen, in denen er zugegen war, dem Senat einen zuverlässigen Eindruck vermittelt. Gewalttätigkeiten hat er in Abrede gestellt. Diesbezügliche Strafverfahren sind gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Die Mutter hat insoweit im vorliegenden Verfahren auch nur pauschale Vorwürfe erhoben. Dies gilt sowohl für den Senatstermin vom 11.3.2014 als auch für denjenigen vom 11.5.2015.

Dafür, dass in der Person des Vaters keine Gründe vorliegen, die einen Umgangsausschluss wegen Kindeswohlgefährdung gebieten, spricht schließlich auch der Umstand, dass sich der Vater der Entfremdung zwischen dem Kind und ihm durchaus bewusst ist und ihm eine behutsame Anbahnung des Umgangs mit der Tochter vorschwebt. Hiervon hat er nicht nur gegenüber der Sachverständigen gesprochen (Seite 38 des Gutachtens). Im Senatstermin vom 17.3.2015 hat er hierzu konkretisierende Angaben gemacht und sich in der ersten Phase der Umgangsanbahnung als „stiller Beisitzer“ gesehen. Gegenüber der Sachverständigen hat er sogar erklärt, bereit zu sein, zur besseren Verständigung mit F… die Gebärdensprache zu erlernen (Seite 36 des Gutachtens).

b)

Der Vollzug der Entscheidung des Amtsgerichts vom 12.3.2012 ist aber aufgrund der besonderen Situation des Kindes, zum einen im Hinblick auf die bei ihm vorhandene Behinderung und zum anderen im Hinblick auf die Belastungen, denen das Kind zurzeit im Haushalt der Mutter ausgesetzt ist, auszuschließen. Der Senat ist zu diesem Ergebnis insbesondere unter Berücksichtigung des nachvollziehbaren Sachverständigengutachtens gelangt. An der Richtigkeit der Feststellungen der Sachverständigen in Bezug auf das Kind ergeben sich keine Zweifel, auch wenn die Sachverständige nur eine Exploration mit dem Kind in der Kita hat durchführen können und die Mutter eine weitere Befragung des Kindes nicht zugelassen hat. Denn die Sachverständige hat es nicht bei der Exploration belassen, sondern sich ergänzend Informationen über das Kind von einem Mitarbeiter des Jugendamts, von der behandelnden Kinderärztin, vom Kita-Leiter, von der vormals behandelnden Logopädin und der vormals behandelnden Ergotherapeutin beschafft und deren Angaben im Gutachten verwertet.

aa)

Allein die gesundheitliche Situation des Kindes rechtfertigt einen Umgangsausschluss nicht.

(1)

F… unterliegt erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen. Der Grad der Behinderung liegt bei 100. Insbesondere das Hörvermögen des Mädchens ist sehr stark eingeschränkt. Die Mutter ist sich, wie sich aus ihren Angaben im Senatstermin vom 11.5.2015 ergibt, nicht einmal sicher, ob F… überhaupt noch etwas hört. Jedenfalls reißt sich das Kind die Hörgeräte häufiger heraus. Hinzu kommen Verhaltensauffälligkeiten, welche die Mutter mit „Ausrastern“ beschreibt. Darüber hinaus hat die Sachverständige in ihrem Gutachten (Seite 28 des Gutachtens) wie auch im Senatstermin vom 17.3.2015 den Verdacht auf autistische Züge des Kindes geäußert. Die Sachverständige hat die Exploration mit dem Kind in der Kita dahin beschrieben, dass sich F… in „Ein-Wort-Sätzen“ ausgedrückt habe (Seite 42 des Gutachtens). Hierzu passt die von der Sachverständigen wiedergegebene Einschätzung der früher behandelnden Ergotherapeutin des Kindes, wonach F… einen Entwicklungsrückstand von zwei, vielleicht auch drei Jahren habe (Seite 46 des Gutachtens). Die frühere Logopädin des Kindes hat gegenüber der Sachverständigen nicht nur darauf hingewiesen, dass das Mädchen unter einer Inkontinenz leide, sondern darüber hinaus erklärt, es habe auch eine nicht altersgemäße emotionale Reife, zeige stereotypisches Spielverhalten und sei stark auf die Mutter fixiert (Seite 45 des Gutachtens). Bedeutsam ist auch die Einschätzung der Ergotherapeutin, wonach das Mädchen nur sehr langsam Vertrauen fasse und sich nur schwer auf fremde Menschen einlassen könne, wobei eine besondere Schwierigkeit im Kontakt mit männlichen Bezugspersonen bestehe (Seite 46 des Gutachtens). Die Sachverständige hat im Senatstermin vom 17.3.2015 schließlich darauf hingewiesen, dass F… nicht in der Lage sei, länger als zehn Minuten mit ihr zusammen zu sein und Fragen zu beantworten.

Unter Berücksichtigung dieser bei dem Kind vorhandenen erheblichen gesundheitlichen und kognitiven Einschränkungen bedarf es einer gründlichen Vorbereitung des Umgangs durch den Obhutselternteil. Hierzu ist die Mutter, wie noch auszuführen ist, nicht bereit und in der Lage. Dies allein könnte einen Umgangsausschluss aber nicht begründen.

(2)

Überdies ist, auch soweit es um Fragen der Gestaltung des Umgangs geht, zuvor eine umfassende Diagnostik des Kindes erforderlich. Der Senat folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen. Diese hat bereits in ihrem schriftlichen Gutachten darauf hingewiesen, dass bei F…. dringend eine kinderpsychiatrische/-psychologische klinische Diagnostik zur Feststellung des Entwicklungsstandes und möglicher pathologischer Einschränkungen erfolgen sollte (Seite 54 des Gutachtens). Im Senatstermin vom 17.3.2015 hat sie hierzu erläuternde Angaben gemacht, insbesondere dazu, wer für eine solche Diagnostik in Frage käme und über welche Zeitdauer sich die Diagnostik wohl erstrecken müsste. Die Notwendigkeit einer solchen Diagnostik wird ausweislich der im Sachverständigengutachten enthaltenen Wiedergabe von anderen Fachkräften, die mit dem Kind Kontakt hatten, gesehen, nämlich von der behandelnden Kinderärztin, dem Leiter der Kita und der früheren Ergotherapeutin (Seite 44, 46 des Gutachtens).

Dass die Mutter eine solche gebotene Diagnostik nun in die Wege leiten wird, ist beim derzeitigen Sachstand nicht anzunehmen. Im Senatstermin vom 11.5.2015 hat die Mutter eine solche Diagnostik kategorisch abgelehnt. Dabei hatte die Sachverständige im Senatstermin vom 17.3.2015 noch einmal nachvollziehbar ausgeführt, dass eine Diagnostik für F… keine Überforderung darstellen würde. Die von der Mutter im Senatstermin vom 11.5.2015 beschriebene, im Zusammenhang mit dem Einschulungsverfahren stehende Begutachtung des Kindes durch eine Sonderpädagogin kann, da es insoweit nur um Feststellungen zur richtigen Schulwahl geht, eine umfassende Diagnostik, wie sie die Sachverständige für geboten erachtet, nicht ersetzen.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist die Sachverständige in ihrem Gutachten zu der abschließenden Feststellung gelangt, dass durch einen Umgang des Vaters mit F… aus aktueller Sicht eine Destabilisierung des Kindes nicht auszuschließen sei, weshalb unter Berücksichtigung der beschriebenen Kindeswohlaspekte ein Umgang des Vaters mit seiner Tochter als derzeit nicht empfehlenswert erachtet werde (Seite 59 des Gutachtens). Diese Feststellung der Sachverständigen würde allerdings für einen Ausschluss des Umgangs bzw. einen Ausschluss des Vollzuges einer bestehenden Umgangsregelung nicht ausreichen. Die Möglichkeit einer weiteren Destabilisierung des Kindes genügt nicht. Denn nur aufgrund einer Möglichkeit ist es nicht unumgänglich, den Umgang zur Abwehr einer Gefahr für das Kindeswohl auszuschließen.

bb)

Dessen ungeachtet ist der Empfehlung der Sachverständigen im Ergebnis zu folgen. Der Umgang ist zunächst auszusetzen. Denn zur Überzeugung des Senats steht fest, dass F… im Fall eines Umgangs mit dem Vater aktuell destabilisiert würde. Dabei sind nicht nur die bereits genannten Umstände zu berücksichtigen, also die besonderen gesundheitlichen Einschränkungen des Kindes und die fehlende Bereitschaft der Mutter, eine Diagnostik des Kindes durchführen zu lassen. Hinzu kommt, dass sich F… aufgrund der Lebensumstände bei der Mutter bereits in einer erheblichen Stresssituation befindet, die sich im Falle der Durchführung eines von der Mutter abgelehnten Umgangs des Kindes mit dem Vater zwangsläufig noch erheblich verschärfen würde.

(1)

Die Lebenssituation der Mutter ist schon von objektiven Stressfaktoren geprägt. Zusätzlich zu berücksichtigen ist die subjektive Wahrnehmung der Mutter, sie sei in erheblichem Umfang gestresst und alles, was F… nicht vertraut sei, stelle eine Überforderung für das Kind dar und müsse deshalb von ihm ferngehalten werden.

Die Mutter versorgt nicht nur F…, sondern darüber hinaus zwei jüngere Kinder, die sie gemeinsam mit ihrem inzwischen getrennt lebenden Ehemann, dem Zeugen M…, hat. Die Tochter J… unterliegt offensichtlich keinen gesundheitlichen Einschränkungen, während die erst im Sommer 2014 geborene Tochter P… nach Angaben der Mutter im Senatstermin vom 11.5.2015 unter Luftmangel leidet, weshalb bei ihr das Risiko eines plötzlichen Kindestods deutlich über dem Normbereich liege. Damit hat die Mutter nicht nur drei Kinder zu betreuen, sondern muss bei zweien ihr Augenmerk besonders auf die gesundheitliche Situation richten.

Zudem von Bedeutung ist die Trennung der Mutter von ihrem Ehemann. Dieser war nach Einschätzung des Kita-Leiters, wie es im Sachverständigengutachten (Seite 44) wiedergegeben ist, für die Mutter sehr ausgleichend. Auch dem Senat hatte der Zeuge M… im Termin vom 18.3.2014 den Eindruck vermittelt, dass er für die Mutter eine große Stütze ist. Infolge der Trennung ist der Zeuge nicht nur als Person, die bei der täglichen Betreuung der Kinder helfen könnte, weggefallen. Hinzu kommt, dass die Mutter mit der Trennung, die offensichtlich vom Ehemann ausgegangen ist, noch nicht abgeschlossen hat. Im Senatstermin vom 11.5.2015 hat sie erklärt, über ihren Ehemann nicht reden zu wollen. Auf die Wahrnehmung des Umgangs des Ehemanns mit den gemeinsamen Kindern angesprochen hat sie deutlich gemacht, dass sie mit der Situation insoweit nicht einverstanden sei. Auch hat sie auf fehlende Unterhaltszahlungen des Ehemannes hingewiesen.

Die Trennung der Eheleute M… hat unmittelbare Auswirkungen auch auf F…. Denn der Ehemann der Mutter war, wovon sich der Senat im Termin vom 11.3.2014, als der Zeuge zwar noch nicht vernommen worden ist, aber schon als Aufsichtsperson für F… zur Verfügung stand, überzeugen konnte, eine wichtige Bezugsperson für das Mädchen. Nach Angaben der Mutter hat ihr Ehemann nach der Trennung am 25.8.2014 F… nur noch einmal zu sich geholt, seither nicht mehr. Die Mutter ist daher auch mit der Aufgabe konfrontiert, F… den Verlust der wichtigen Bezugsperson zu erklären.

Auch wenn die Mutter F… für stark belastet und überfordert hält, hat sie dies nicht davon abgehalten, dem Kind selbst noch zusätzlichen Stress zu bereiten. Dies betrifft zum einen den Umzug in eine eigene Wohnung auf dem Grundstück der Eltern. Die Mutter hat im Senatstermin vom 11.5.2015 selbst angegeben, F… habe den Umzug nicht verkraftet und komme nicht damit zurecht, dass sie ein eigenes Zimmer habe. Wie die Mutter auf dieses Problem eingeht, hat sie dabei nicht beschrieben.

Die Mutter hat F… auch mit einer weiteren Veränderung konfrontiert. Denn die Mutter hat einen neuen Lebensgefährten. Dieser soll am 1.8.2015 bei der Mutter einziehen. Da der Lebensgefährte zwei Kinder hat, die bei deren Mutter leben und die er alle 14 Tage sieht, werden in dem Haushalt, in dem F… lebt, regelmäßig zu den drei Töchtern der Mutter noch zwei weitere Mädchen zu Besuch kommen. Die Mutter hat im Senatstermin vom 11.5.2015 eingeräumt, dass F…s Beziehung zu diesen beiden Mädchen nicht optimal sei und erklärt, F… sei durchaus aggressiv, wenn die Mädchen da seien.

Die Mutter hat die Neigung, den Umgang insbesondere mit der Begründung abzulehnen, F… brauche erst einmal Ruhe. Im Senatstermin vom 11.3.2014 hat sie insoweit angegeben, F… müsse erst einmal Zeit gegeben werden, um Kita, Logopädie und Ergotherapie ohne Krankheit zu schaffen. Im Senatstermin vom 11.5.2015 war es dann die zusätzliche Belastung durch die bevorstehende Einschulung, die gegen den Umgang sprechen soll.

Die Mutter ist aber nicht allein um die Ruhe für ihre Tochter besorgt. Sie selbst sehnt sich auch nach Ruhe, wie deutlich wird an ihrer Reaktion auf die Frage, ob sie die von der Sachverständigen empfohlene Diagnostik durchführen lassen werde. Sie hat dazu erklärt, sie sei hierzu nicht bereit; nach sechs Jahren müsse einmal Schluss sein, F… habe das Recht auf ein normales Leben; sie selbst, die Mutter, stehe kurz vor dem „Burn out“, sie habe keine Lust mehr. Daran lässt sich erkennen, dass es vor allem die Mutter selbst ist, die nicht bereit ist, die Belastung, die sich durch die Gewährung von Umgang des Kindes mit dem Vater ergeben könnte, zu tragen. Auch wenn es objektive Umstände gibt, die für eine besondere Stresssituation der Mutter sprechen, wobei einige dieser Umstände von der Mutter selbst herbeigeführt worden sind, fehlt der Mutter darüber hinaus offenbar die Einsicht, im Hinblick auf die belastende Situation Prioritäten zu setzen. Anders ist die Ablehnung der von der Sachverständigen eindeutig empfohlenen Diagnostik nicht nachvollziehbar.

(2)

Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Mutter einen Umgang des Vaters mit dem Kind eindeutig ablehnt und diese ablehnende Haltung zwangsläufig auch ihrer Tochter vermitteln wird. Die Mutter erhebt - wie bereits ausgeführt, pauschale - Gewaltvorwürfe gegen den Vater und sieht sich insoweit als Opfer. Sie ist nicht bereit, das berechtigte Interesse des Vaters an Kontakten zur gemeinsamen Tochter zu akzeptieren. Sie wirft dem Vater vor, sich für sein Verhalten nie entschuldigt zu haben (Bl. 26 des Gutachtens), lehnt Elterngespräche ab und bezeichnet den Vater, wie im Senatstermin vom 11.5.2015 geschehen, als „Abschaum“.

Die fehlende Bereitschaft der Mutter, sich mit dem Anliegen des Vaters auf Umgang ernsthaft auseinanderzusetzen, ist auch daran erkennbar, dass die Mutter im vorliegenden Verfahren mit der Verfahrensbeiständin überhaupt nicht und mit der Umgangspflegerin nur eingeschränkt kooperiert hat. Soweit sie im Senatstermin vom 11.5.2015 erklärt hat, die Verfahrensbeiständin habe sie nicht erreichen können, weil sie, die Mutter, zurzeit kein Telefon und kein Internetzugang habe, handelt es sich offensichtlich um eine Schutzbehauptung.

Vor diesem Hintergrund ist die von der Sachverständigen im Gutachten (Seite 58) beschriebene und auch im Senatstermin vom 17.3.2015 angesprochene Bindungsintoleranz der Mutter offenkundig. Allein durch Anordnung eines - begleiteten - Umgangs des Vaters mit dem Kind wird die ablehnende Haltung der Mutter nicht zu brechen sein. Vielmehr wird das Kind unter einer solchen Zwangssituation unmittelbar leiden. Die Mutter hat im Senatstermin vom 11.5.2015 schon im Rahmen einer sachlichen Erörterung der Situation extrem emotional reagiert, wie dem entsprechenden Anhörungsvermerk zu entnehmen ist. Wenn ihr etwas nicht passt, lässt sie ihren Launen freien Lauf. Dass die Mutter in der gegenwärtigen Situation in der Lage wäre, die Anordnung eines - begleiteten - Umgangs des Vaters mit dem Kind hinzunehmen, ist nahezu ausgeschlossen. Vielmehr wird die Mutter ihre ablehnende Haltung auf das Kinder übertragen.

(3)

Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände steht zur Überzeugung des Senats fest, dass ein Umgang des Vaters mit seiner Tochter gegenwärtig Kindeswohl gefährdend wäre. Dem kann nicht allein mit der vom Amtsgericht initiierten Umgangspflegschaft, § 1684 Abs. 3 Satz 3 BGB, begegnet werden. Mag eine solche in den Fällen der nachhaltigen Umgangsverweigerung grundsätzlich ein probates Mittel sein, so hilft sie hier schon deshalb nicht weiter, weil sie nicht geeignet ist, dem Kind die beschriebene besondere Stresssituation zu nehmen.

2.

Der Vollzug des Beschlusses des Amtsgerichts vom 12.3.2012 ist bis zum 31.1.2016 auszusetzen.

Der Ausschluss des Vollzugs der Umgangsregelung ist schon wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu befristen (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 6. Aufl., § 1684 BGB Rn. 34). Hier ist insbesondere zu beachten, dass sich die derzeitige Situation, die im Hinblick auf eine Kindeswohlgefährdung dazu führt, dass der Umgang des Vaters mit dem Kind zurzeit nicht stattfinden kann, nicht verfestigt.

Die Sachverständige ist ihrem Gutachten davon ausgegangen, dass eine „Initiierung des Umgangs“ nicht vor Dezember 2015 beginnen sollte und hat dabei insbesondere darauf hingewiesen, dass aus psychologischer Sicht nicht eingeschätzt werden könne, welche Entwicklungsfortschritte F… mache (Seite 60 des Gutachtens). Diese Empfehlung stammt vom 30.12.2014, so dass die Sachverständige von einem Aussetzen des Umgangs für die Dauer eines Jahres ausgegangen ist. Dessen ungeachtet erscheint auch jetzt, über ein halbes Jahr später, eine Aussetzung der Vollziehung der bestehenden Umgangsregelung bis Ende Januar 2016 ausreichend. Wie bereits ausgeführt, ist es insbesondere die von der Mutter empfundene Überforderungssituation für das Kind, die zum Wohl des Kindes einen Umgang gegenwärtig ausschließt. Diese Überforderung hatte die Mutter vor allem auch mit der bevorstehenden Einschulung des Kindes begründet. Wenn F… Anfang September 2015 eingeschult wird, kann davon ausgegangen werden, dass sie sich bis zum Ende des ersten Schulhalbjahres Ende Januar 2016 in der Schule eingelebt hat. Auch kann erwartet werden, dass sich die Situation bei der Mutter bis zu diesem Zeitpunkt konsolidiert hat und insbesondere auch die gebotene Diagnostik durchgeführt worden ist. Wenn aber spätestens mit Ablauf des Monats Januar 2016 nicht mehr alle derjenigen Faktoren, die gegenwärtig im Zusammenspiel dazu führen, dass der Umgang des Vaters mit dem Kind als kindeswohlgefährdend anzusehen ist, vorhanden sind, gibt es keine Rechtfertigung mehr, dem Vater den Umgang länger vorzuenthalten.

3.

Die soeben zum Ausdruck gebrachte Erwartung, dass sich die Situation bei der Mutter konsolidiert und die gebotene Diagnostik erfolgt, wird sich jedoch nicht von allein erfüllen. Es sind bisher keine Anzeichen dafür ersichtlich, dass die Mutter von sich aus etwas an der Situation ändert und insbesondere die von ihr bisher abgelehnte Diagnostik durchführt.

Vor diesem Hintergrund regt der Senat beim Amtsgericht an, unverzüglich ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB einzuleiten. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass das Kind bei der Mutter grundsätzlich gut aufgehoben ist. Die Sachverständige hat insoweit ausgeführt, dass sich die Mutter sehr engagiert um die Förderung und Versorgung ihrer Tochter kümmere (Seite 50 des Gutachtens). Auch hat die Sachverständige auf die gute Bindungsqualität zwischen Mutter und Tochter hingewiesen (Seite 57 des Gutachtens). Schließlich hat die Sachverständige auf die Einschätzung des Leiters der Kita hingewiesen, wonach die Mutter um F… sehr besorgt sei und zum Teil emotional stark beteiligt reagiere (Seite 44 des Gutachtens).

Doch eine Kindeswohlgefährdung ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn ein Elternteil sich um sein Kind sehr bemüht und die Bindung zwischen Elternteil und Kind gut ausgeprägt ist. Da zum Wohl des Kindes auch der unbeschwerte Umgang mit beiden Elternteilen gehört, kommen bei nachhaltiger und strikter Umgangsverweigerung auch Maßnahmen nach § 1666 BGB in Betracht (Johannsen/Henrich/Büthe, a.a.O., § 1666 BGB Rn. 36). Die Mutter weist in ihrer abschließenden Stellungnahme vom 17.6.2015 zwar zu Recht darauf hin, dass Voraussetzung für ein Eingreifen des Familiengerichts eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr ist, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (BGH, NJW 2012, 151, 153 Rn. 25). Ein solcher Fall kann aber insbesondere gegeben sein, wenn ein Elternteil den anderen Elternteil herabsetzt und sein Verhalten auf eine Unterbindung der Umgangskontakte durch Manipulation des Kindes gerichtet ist (BGH, NJW 2012, 151, 153 Rn. 26). Vorliegend geht es aber nicht allein um die bei der Mutter, wie ausgeführt, fehlende Bindungstoleranz. Hinzu kommt, dass sie die gebotene Diagnostik bislang nicht in Angriff genommen hat und auch nicht zu erwarten ist, dass dies ohne nachhaltigen Antrieb von außen geschieht. Das wird insbesondere deutlich an der Blockadehaltung, welche die Mutter im vorliegenden Verfahren, etwa wenn es um die Kooperation mit der Verfahrensbeiständin ging, an den Tag gelegt hat. Auch die Ablehnung einer Diagnostik im Senatstermin vom 11.5.2015 war eindeutig. Nach einer Sitzungsunterbrechung hat zwar die Verfahrensbevollmächtigte der Mutter erklärt, dass es wegen der anstehenden Einschulung jetzt keine Diagnostik geben solle, man aber, wenn die Einschulung vollzogen sei, den Gedanken noch einmal aufgreifen könne. Diese Äußerung geschah aber ersichtlich aus eigener Veranlassung der um Schadensbegrenzung bemühten Verfahrensbevollmächtigten. Denn ihre Mandantin war vorher offenbar „aus dem Ruder gelaufen“. Eine Befriedung der Situation hat die Verfahrensbevollmächtigte damit aber nicht erreicht. Denn nach Zusammenfassung verschiedener Aspekte der Anhörung durch die Vorsitzende hat die Mutter schließlich wütend den Sitzungssaal verlassen. Die abschließende persönliche Stellungnahme der Mutter vom 17.6.2015 setzt sich vorrangig mit der im Senatstermin vom 11.5.2015 ins Gespräch gebrachten Anregung zur Einleitung eines Verfahrens nach § 1666 BGB auseinander, lässt aber nicht erkennen, dass die Mutter den Gedanken der Diagnostik für F… nun etwa aufgegriffen hätte.

Mit der gebotenen Diagnostik in engem Zusammenhang steht auch die Einschulung. Die Sachverständige hat im Senatstermin vom 17.3.2015 unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass eine Diagnostik auch hilfreich, wenn nicht geboten gewesen wäre im Hinblick auf die Frage, welche Schule für F… am besten geeignet ist. In diesem Zusammenhang hat sich die Mutter im Senatstermin vom 11.5.2015 über die verschiedenen Möglichkeiten nicht hinreichend informiert gezeigt. Sie favorisiert offensichtlich eindeutig die Robinson-Schule, eine nach ihren Angaben Mehrfachbehinderten-Ganztagsschule. Über eine als Alternative in Betracht zu ziehende Schule in E… wusste sie nichts Näheres zu berichten. Dabei hatte die Sachverständige schon in ihrem Gutachten vom 30.12.2014 die Eischätzung der ehemals behandelnden Ergotherapeutin wiedergegeben, wonach die Robinson-Schule nur „suboptimal“ wäre, das Mädchen hier untergehen würde, eher eine Hörgeschädigtenschule in E… zu empfehlen sei (Seite 47 des Gutachtens). Im Senatstermin vom 17.3.2015 hat die Sachverständige darauf hingewiesen, dass auch der Kita-Leiter eine Diagnostik wünsche, damit die richtige Schule für F… gefunden werden könne. Er habe auch in Betracht gezogen, dass F… eine Hörgeschädigtenschule besuchen könnte. Obwohl der Mutter auch der Anhörungsvermerk zu jenem Termin bekanntgegeben worden ist, hat sie sich in ihrem Anhörungstermin vom 11.5.2015 weiterhin vergleichsweise wenig informiert gezeigt.

Allerdings gilt im Anwendungsbereich von § 1666 BGB der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, § 1666 a BGB. Entsprechend enthält § 1666 Abs. 3 BGB einen nicht abschließend zu verstehenden Maßnahmenkatalog (vgl. hierzu Johannsen/Henrich/Büthe, a.a.O., § 1666 BGB Rn. 56, 69 a ff.). Gerade im Falle der Bindungsintoleranz eines Elternteils hat das Familiengericht vor einer - teilweisen - Entziehung des Sorgerechts zu überprüfen, ob mildere Mittel zur Verfügung stehen, um der Gefährdung entgegenzuwirken (BGH, NJW 2012, 1521, 153 Rn. 28). Vor diesem Hintergrund wird das Amtsgericht insbesondere zu prüfen haben, welche Mittel erforderlich sind, um die Mutter dazu anzuhalten, die dringend erforderliche Diagnostik beim Kind durchführen zu lassen.

4.

Entsprechend der Anregung des Vaters ist der Mutter aufzugeben, in regelmäßigen Abständen Fotos des Kindes vorzulegen und über den Gesundheitszustand des Kindes Auskunft zu erteilen. Diese Anordnung beruht auf § 1686 BGB. Das insoweit zu verlangende berechtigte Interesse ist hier gegeben, weil der Vater schon seit mehreren Jahren keinen persönlichen Umgang mit dem Kind hatte (vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1686 BGB Rn. 2).

Allerdings sieht sich der Senat nicht in der Lage, eine Vorlage von Fotos auch aus der Vergangenheit anzuordnen, zumal nicht klar ist, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Mutter über solche Fotos (noch) verfügt. Auch eröffnet § 1686 BGB nur ein Auskunftsrecht gegenüber dem Obhutselternteil, nicht aber - wie es dem Vater vorschwebt - nach einer angeordneten Schweigepflichtentbindung ein unmittelbares Erkundigungsrecht bei den das Kind behandelnden Ärzte und Therapeuten.

Der Hinweis auf die Folgen der Zuwiderhandlung beruht auf § 89 Abs. 2 FamFG.

Von der Anordnung einer professionellen Elternberatung, wie sie der Vater ebenfalls angeregt hat, sieht der Senat ab, da die Mutter eine solche kategorisch ablehnt und eine diesbezügliche Anordnung nicht mit Zwangsmitteln durchsetzbar wäre, vgl. § 156 Abs. 1 Satz 5 FamFG.

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG, die Wertfestsetzung auf §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1, 3 FamGKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.