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Entscheidung 1 Ws 146/14


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 17.09.2014
Aktenzeichen 1 Ws 146/14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 210 StPO, § 211 StPO, § 414 Abs 2 StPO

Leitsatz

Der Antrag auf Durchführung des Sicherungsverfahrens kann von der Staatsanwaltschaft noch im Verlauf des Zwischenverfahrens gestellt. Die Stellung eines Sicherungsverfahrensantrags ist auch noch im Beschwerdeverfahren nach Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens möglich.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ... wird der Beschluss der 4. großen Strafkammer des Landgerichts ... vom 8. Juli 2014 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens und über die Zulassung der als Antragsschrift auszulegenden Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ... vom 15. Januar 2014 zur Hauptverhandlung an die 4. große Strafkammer des Landgerichts ... zurückverwiesen.

Gründe

1. Die Staatsanwaltschaft ... hat mit Anklageschrift vom 15. Januar 2014 Anklage gegen den Betroffenen vor dem Amtsgericht … – Strafrichter – erhoben. Dem Betroffenen, der bereits wegen paranoider Schizophrenie umfassend unter Betreuung steht, wird zur Last gelegt, am … in … durch zwei selbständige Handlungen eine Bedrohung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung begangen sowie im Inland Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation verwendet zu haben. Der Betroffene soll am Tattag gegen 19:00 Uhr in der Wohnung seiner Eltern seinen Vater, den Zeugen …, mit den Worten: „Ich schneide dir den Kopf ab!“ angeschrien und anschließend seiner Mutter, der Zeugin ….., an deren Kleidungsstücke im Nackenbereich gezogen haben, um sie zu verletzen. Durch diese Behandlung habe die Zeugin Schmerzen am Hals und im Schulterbereich erlitten. Nach Verlassen der Wohnung habe der Betroffene des Weiteren vor dem Grundstück der Eltern „Heil Hitler!“ gerufen, was für Unbeteiligte wahrnehmbar gewesen sei.

Mit Beschluss vom 19. März 2014 hat das Amtsgericht …ein forensisch-psychiatrisches Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit des Betroffenen und zu einer möglichen Unterbringung gem. §§ 63, 64 StGB eingeholt und den Facharzt … zum Sachverständigen bestellt. In seinem Gutachten vom 16. Mai 2014 kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der Betroffene spätestens seit 2008 an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 Nr. F 20.0) erkrankt und infolge dessen bei Tatbegehung schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB gewesen sei; die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus würden vorliegen.

Das … hat mit Verfügung vom 13. Juni 2014 die Akten gem. § 209 Abs. 2 StPO dem Landgericht ... zur Übernahme vorgelegt. Die 4. große Strafkammer des Landgerichts ... hat das Verfahren übernommen, da gem. § 74 Abs. 1 Satz 2 GVG für die Unterbringung eines Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus allein das Landgericht zuständig ist. Es hat jedoch das Hauptverfahren durch Beschluss vom 8. Juli 2014 aus rechtlichen Gründen abgelehnt, da es an der erforderlichen Antragsschrift zur Überleitung in das Sicherungsverfahren gem. §§ 413 ff. StPO fehle, mithin eine Prozessvoraussetzung nicht gegeben sei.

Mit Telefax vom 14. Juli 2014 hat die Staatsanwaltschaft ... gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt. Unter dem Datum des 11. August 2014 hat die Staatsanwaltschaft „nunmehr ausdrücklich“ die Eröffnung des Sicherungsverfahrens beantragt.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit Stellungnahme vom 25. August 2014 beantragt, den Beschluss der 4. großen Strafkammer des Landgerichts ... vom 8. Juli 2014 aufzuheben „und auf Antrag der Staatsanwaltschaft ... vom 11. August 2014 in Verbindung mit deren in Folge des vorgenannten Antrags als solche anzusehenden Antragsschrift [vom] 15. Januar 2014 das Sicherungsverfahren vor der 4. großen Strafkammer des Landgerichts ... zu eröffnen.“

2. Die gem. § 210 Abs. 2 StPO statthafte und im Übrigen form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ... hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Die 4. große Strafkammer des Landgerichts ... hat in ihrem Beschluss vom 8. Juli 2014 – bezogen auf diesen Zeitpunkt – zutreffend ausgeführt, dass mangels Vorliegens einer Antragsschrift gem. § 414 Abs. 2 StPO eine notwendige Prozessvoraussetzung zur Eröffnung des Verfahrens nicht gegeben sei (vgl. RGSt 68, 291; RGSt 70, 143). Ebenso hat das Landgericht zutreffend dargelegt, dass die fehlende Antragsschrift nicht durch eine Anklageschrift ersetzt werden kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl., § 414 Rdnr. 3). Denn Einleitung und Durchführung des Sicherungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft erfolgen nicht nach dem Legalitäts-, sondern nach dem Opportunitätsprinzip; die Entschließung über die Stellung eines Antrags im Sicherungsverfahren liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft (BGHSt 47, 52, 53; BGH NStZ-RR 2007, 339; RGSt 72, 143, 144), wobei maßgeblich ist, ob die anzuordnende Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 57. Aufl., § 413 Rdnr. 10). Die Anklageschrift kann daher den Antrag im Sicherungsverfahren nicht ersetzen, dies würde einen unzulässigen Eingriff in das Ermessen der Staatsanwaltschaft darstellen, ob sie überhaupt das selbständige Sicherungsverfahren betreiben will (BGHSt 47, 52, 53; LR-Gössel, StPO, 26. Aufl., § 414 Rdnr. 18).

Der Antrag auf Durchführung des Sicherungsverfahrens kann jedoch von der Staatsanwaltschaft noch im Verlauf des Zwischenverfahrens gestellt werden (BGHSt 47, 52, 53 f.). Die Stellung eines Sicherungsverfahrensantrags ist auch noch im Beschwerdeverfahren nach Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens möglich. Denn die Entscheidungsfreiheit der Staatsanwaltschaft wird nicht eingeschränkt, und die Verteidigungsinteressen des Beschuldigten sind durch dessen Beteiligung im Beschwerdeverfahren gewahrt. Dass eine Anklage über den Wortlaut des § 156 StPO hinaus auch nach einem die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnenden Beschluss von der Staatsanwaltschaft nicht mehr zurückgenommen werden kann (OLG Frankfurt JR 1986, 470), steht dem nicht entgegen. Denn diese Beschränkung der Rücknahmemöglichkeit dient dazu, dem Angeschuldigten die Sperrwirkungen des § 211 StPO zu erhalten. Die Vorschrift des § 211 StPO steht aber bei einer Ablehnung der Eröffnung des Strafverfahrens wegen Schuldunfähigkeit der anschließenden Durchführung eines Sicherungsverfahrens gerade nicht entgegen (KK-Schneider, StPO, 7. Aufl., § 211 Rdnr. 3; LR-Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 211 Rdnr. 8, jeweils m.w.N.).

Diesen Antrag hat die Staatsanwaltschaft ... mit Verfügung vom 11. August 2014 nachgeholt, so dass nunmehr die Prozessvoraussetzung eines Antrags auf Durchführung des Sicherungsverfahrens gem. §§ 413 ff. StPO vorliegt, was zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt.

Dem Senat ist eine eigene Eröffnungsentscheidung nicht möglich, da die 4. große Strafkammer des Landgerichts ... lediglich wegen fehlender Prozessvoraussetzung die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt und nicht in der Sache entschieden hat. Daher ist die Sache zu neuer Entscheidung im Zwischenverfahren an das Landgericht ... zurückzuverweisen (BGHSt 43, 122, 124 f.; KK-Schneider, StPO, 7. Aufl., § 210 Rdnr. 11).