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Zugangsfaktor, Regelaltersgrenze


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 09.03.2011
Aktenzeichen L 3 R 663/10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 77 Abs 2 S 1 Nr 2b SGB 6, Art 2 § 4 RÜG

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer höheren Altersrente unter Zugrundelegung eines erhöhten Zugangsfaktors.

Die Klägerin wurde 1934 geboren. Sie legte Pflichtbeitragszeiten ausschließlich im Beitrittsgebiet zurück; ferner liegen Höherversicherungszeiten vor. Auf ihren Rentenantrag vom 22. Februar 1994 gewährte die Beklagte der Klägerin ab 01. Dezember 1994 eine Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahrs für Frauen nach Art. 2 § 4 des Rentenüberleitungsgesetzes (RÜG).

Die Klägerin beantragte am 13. Oktober 2007 für die Zeit ab 01. Dezember 1999 eine Regelaltersrente nach dem Sechsten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) wegen Vollendung des 65. Lebensjahrs. Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 13. November 2007 für die Zeit ab 01. Januar 2003 eine Regelaltersrente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0. Die Klägerin erhob am 12. Dezember 2007 Widerspruch. Sie führte zur Begründung aus, dass Überentgelte für 1965 und 1966 fehlen würden. Ferner müsse der Zugangsfaktor höher sein. Mit Bescheid vom 11. Februar 2008 half die Beklagte dem Widerspruch teilweise ab und stellte die Rente unter Berücksichtigung der Beitragszeiten vom 01. Januar 1965 bis zum 30. September 1966 und unter Beibehaltung des Zugangsfaktors 1,0 neu fest. Sie führte zur Begründung aus, dass der für einen erhöhten Zugangsfaktor erforderliche Verzicht auf eine Rentenleistung nicht bestehe, weil bereits eine Altersrente seit dem 01. Dezember 1994 nach Art. 2 RÜG bezogen worden sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. August 2008 im Übrigen zurück. Sie führte zur Begründung aus, dass es sich bei der Altersrente nach dem RÜG um keine dynamische Rente, sondern um einen eigenständigen Anspruch neben dem Rentenanspruch nach dem SGB VI handele. Die Klägerin habe nach Vollendung des 65. Lebensjahrs ab dem 01. Dezember 1999 einen Anspruch auf Regelaltersrente nach dem SGB IV. Ihr sei die Regelaltersrente nach dem verspäteten Hinweis auf eine entsprechende Rentenantragstellung im Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs unter Beachtung der Ausschlussfrist nach § 44 Abs. 4 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) zu gewähren. Ein höherer Zugangsfaktor sei ihr indes nicht zuzugestehen, weil sie tatsächlich nicht auf eine Rentenleistung verzichtet habe, denn sie habe bereits seit Vollendung des 60. Lebensjahrs eine Altersrente nach Art. 2 RÜG bezogen.

Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 08. September 2008 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie hat die Auffassung vertreten, dass sich die in § 77 Abs. 2 SGB VI enthaltene Regelung systemimmanent ausschließlich auf Rentenansprüche nach dem SGB VI beziehe, indem der Gesetzgeber hier bewusst von Entgeltpunkten spreche. Zusätzliche Rentenleistungen mit Übergangscharakter, wie sie in Art. 2 RÜG vorgesehen und welche überdies nicht dynamisch seien, seien von dieser gesetzlichen Regelung nicht erfasst. Die von der Beklagten vorgenommene Auslegung weiche vom Gesetzeswortlaut ab. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei auch bei einem wegen § 44 Abs. 4 SGB X verspäteten Rentenbeginn ein Zuschlag nach § 77 Abs. 2 Nr. 2 lit. b SGB VI zu gewähren.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 22. Juni 2010 abgewiesen. Es hat sich im Wesentlichen der Begründung des Widerspruchsbescheids angeschlossen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 01. Juli 2010 zugestellte Urteil am 21. Juli 2010 Berufung eingelegt, ihr erstinstanzliches Vorbringen vertieft und beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2010 und die Bescheide der Beklagten vom 13. November 2007 und 11. Februar 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13. August 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei der Berechnung der Rente einen um 0,185 erhöhten Zugangsfaktor zu Gunde zu legen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen. Der Senat hat die Beteiligten unter dem 07. Dezember 2010 zum beabsichtigten Erlass eines Beschlusses gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgesetzbuchs (SGG) angehört.

II.

Die Berufung ist gemäß § 153 Abs. 4 S. 1 SGG nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss zurückzuweisen, weil der Senat sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und beschweren die Klägerin nicht.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente unter Zugrundelegung einer höheren Zugangsfaktors als 1,0. Ein höherer Zugangsfaktor folgt insbesondere nicht aus § 77 SGB VI.

Nach § 77 Abs. 1 SGB VI richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbeitrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Nach Abs. 2 S. 1 Nr. 1 der Vorschrift ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersrente oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, 1,0, nach Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b der Vorschrift bei Renten wegen Alters, die nach Erreichen der Regelaltersgrenze trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch genommen wurden, für jeden Kalendermonat um 0,005 höher als 1,0.

Hieran gemessen kommt ein höherer Zugangsfaktor als 1,0 im Fall der Klägerin nicht in Betracht. Denn sie nahm gemäß Art. 2 § 4 Abs. 1 S. 2 RÜG unmittelbar nach Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rente wegen Alters in Anspruch.

Zunächst steht - entgegen der Auffassung der Klägerin - der Wortlaut des § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b SGB VI nicht einer Auslegung entgegen, wonach ein höherer Zugangsfaktor nur dann in Betracht kommt, wenn nach Erreichen der Regelaltersgrenze auch keine Altersrente nach dem RÜG in Anspruch genommen wird. Denn die Formulierungsbestandteile „Renten wegen Alters“ beziehungsweise „Regelaltersgrenze“ lassen gerade auch die Berücksichtigung einer Rente nach Art. 2 § 4 RÜG zu. Eben diese Vorschrift steht unter der Überschrift „Renten wegen Alters“ und enthält selbst denselben Begriff („Regelaltersgrenze“) wie § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b SGB VI. Der übereinstimmenden Begriffswahl in Art. 2 § 4 RÜG einerseits und § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b SGB VI andererseits liegt auch das gleiche Begriffsverständnis zugrunde. Denn der vom Gesetzgeber mit Bedacht gewählte Begriff „Regelaltersgrenze“ sollte verdeutlichen, dass üblicherweise ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf eine Rente wegen Alters besteht (BT-Drucks.12/405, S. 140).

Ferner sprechen weitergehende systematische und auch teleologische Erwägungen für das gefundene Auslegungsergebnis. Rentenansprüche aus Art. 2 RÜG und aus dem SGB VI stehen zwar, worauf das SG in der angefochtenen Entscheidung zutreffend hingewiesen hat, in voneinander getrennten Versicherungssystemen, beruhen auf unterschiedlichen Entstehungsgründen (so BSG, Urteil vom 14. Mai 2003 – B 4 RA 55/02 R -, zitiert nach juris Rn. 18) und folgen im Übrigen auch unterschiedlichen Berechnungsgrundsätzen (etwa Landessozialgericht <LSG> Brandenburg, Urteil vom 10. Mai 2000- L 2 RJ 115/96 -, zitiert nach juris Rn. 47); jedoch ist Art. 2 RÜG gleichwohl als Teil des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung vom 25. Juli 1991 (BGBl. I 1991, 1606) in untrennbarem gesetzessystematischen Zusammenhang mit dem SGB VI zu sehen, welches seine hier maßgebliche Fassung unter anderem durch die in Art. 1 RÜG enthaltenen Änderungen erhielt. Abgesehen davon, dass dieser systematische Zusammenhang die oben angesprochene gleiche Begriffswahl als vom Gesetzgeber gewollt erscheinen lässt, entspricht das gefundene Auslegungsergebnis schließlich dem Sinn und Zweck des § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b SGB VI, nämlich eine zu erwartende kürzere Rentenlaufzeit durch eine höhere Rentenzahlung zu kompensieren (etwa Polster, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht Band 1, 47. Ergänzungslieferung 6/2005, § 77 Rn. 15).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG nicht vorliegen.