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Kirchensteuer; Kirchenaustritt; DDR; Notariatsgesetz; Arbeitsordnung; Pfarrer; "actus formalis defectionis ab Ecclesia catholica"; Verwirkung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 21.12.2010
Aktenzeichen OVG 9 N 37.09 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 124 VwGO, § 242 BGB, Art 4 Abs 1 GG, Art 140 GG

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 18. März 2009 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 9.870,16 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Gegen den katholisch getauften Kläger wurde mit Bescheid vom 31. August 2006 für 1999 bis 2001 und mit Bescheid vom 14. September 2007 für das Jahr 2002 unter anderem Kirchensteuer festgesetzt. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 18. März 2009 abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 26. März 2009 zugegangen. Er hat am 22. April 2009 Zulassung der Berufung beantragt und seinen Zulassungsantrag erstmalig mit Schriftsatz vom 26. Mai 2009 begründet.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Mit Blick auf dieses fristgebundene Darlegungserfordernis wird im Berufungszulassungsverfahren nicht von Amts wegen geprüft, ob und aus welchen Gründen einer der in § 124 Abs. 2 VwGO abschließend aufgeführten Berufungszulassungsgründe vorliegt; vielmehr knüpft die diesbezügliche Prüfung allein an die fristgerechten und auch sonst ordnungsgemäßen Darlegungen des Rechtsmittelführers an. Danach ist die Berufung hier nicht zuzulassen.

1. Die Darlegungen des Klägers begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

a) Der Kläger wendet gegen die Kirchensteuerfestsetzungen für die Jahre 1999 bis 2002 ein, im Jahr 1983 durch Erklärung gegenüber seinem Pfarrer aus der katholischen Kirche ausgetreten. Dies trägt nicht, und zwar insbesondere auch nicht mit Blick auf die Erklärung des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte vom 13. März 2006 zum formalen Abfall von der katholischen Kirche "actus formalis defectionis ab Ecclesia catholica".

Soweit sich der Kläger auf einen Kirchenaustritt im Jahr 1983 beruft, kommt es im vorliegenden staatlichen Gerichtsverfahren allein darauf an, ob dieser Kirchenaustritt die Kirchenmitgliedschaft des Klägers aus staatlicher Sicht beendet hat. Aus staatlicher Sicht ist ein Kirchenaustritt zunächst dann beachtlich, wenn diesbezügliche staatliche Regelungen eingehalten worden sind. Das ist bei dem behaupteten Kirchenaustritt des Klägers im Jahr 1983 gegenüber dem Pfarrer nicht der Fall. Für die Protokollierung mündlicher Kirchenaustrittserklärungen und die Entgegennahme beglaubigter Kirchenaustrittserklärungen sind nach dem Recht der DDR die staatlichen Notariate zuständig gewesen. Diese Zuständigkeit ist bei Erlass des Notariatsgesetzes vom 5. Februar 1976 und der Arbeitsordnung vom gleichen Tage bewusst beibehalten worden, nämlich auf Wunsch des Ministerrates (vgl. Osterburg, Das Notariat in der DDR, Berlin 2004, S. 77 f.). Die insoweit vorgesehenen Formen haben u. a. der Rechtssicherheit gedient, an der - in Bezug auf Kirchenaustritte - auch die staatlichen Stellen der DDR ein Interesse gehabt haben. Angesichts dessen ist nicht ersichtlich, dass und warum die staatlichen Stellen der DDR nur wenige Jahre später kraft gelebter Rechtspraxis weitere Formen des Kirchenaustritts als formwirksam akzeptiert haben sollten. Die Erinnerung eines einzelnen DDR-Rechtsanwalts an den geringen Bekanntheitsgrad der staatlichen Zuständigkeitsregelungen gibt insoweit nichts her.

Aus staatlicher Sicht mag ein Kirchenaustritt darüber hinaus auch dann als beachtlich anzusehen sein, wenn zwar nicht die vorhandenen staatlichen Regelungen über den Kirchenaustritt, wohl aber kirchliche Regelungen über einen Kirchenaustritt eingehalten worden sind und wenn die innerkirchliche Wirksamkeit des Kirchenaustritts zwischen dem Betroffenen und der Kirche außer Streit steht. Aus staatlicher Sicht ist ein Kirchenaustritt indessen nicht beachtlich, wenn der Betroffene - wie hier - weder bestehende staatliche Regelungen über den Kirchenaustritt eingehalten hat, noch die innerkirchliche Wirksamkeit des Kirchenaustritts zwischen dem Betroffenen und der Kirche außer Streit steht, sondern der Betroffene nur geltend macht, die Kirche müsse seinen Austritt nach ihrem eigenen Recht eigentlich als wirksam ansehen. Die Frage, wie ein behaupteter Kirchenaustritt aus innerkirchlicher Sicht zu bewerten ist, gehört zu den Angelegenheiten, die die Kirchen nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV selbstständig ordnen und verwalten (vgl. etwa von Campenhausen/de Wall, Staatskirchenrecht, 4. Auflage 2006, S. 151, 154; Mückl, in: Handbuch des Staatsrechts, 3. Auflage, § 160 Rdnr. 33). Der Staat kann der Kirche hierfür keine Sichtweise vorschreiben. Hebt der Staat auf die innerkirchliche Sicht ab, muss er konsequenterweise auf den tatsächlich von der Kirche eingenommenen Standpunkt abstellen und nicht auf die Sichtweise, die die Kirche aus seiner Sicht innerkirchlich "eigentlich" einnehmen müsste. Nachdem das beigeladene Bistum die innerkirchliche Wirksamkeit des behaupteten Kirchenaustritts des Klägers im Jahr 1983 nicht anerkennt, muss der Kläger sich danach insoweit an kirchliche Instanzen wenden. Dies gilt auch in Bezug auf die Auslegung und Anwendung der von ihm ins Feld geführten Erklärung des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte vom 13. März 2006, was insbesondere die Fragen betrifft, wie streng das Schriftformerfordernis der Nummer 5 der Erklärung zu sehen ist und was es für die innerkirchliche Sicht eines Kirchenaustritts bedeutet, wenn die Erklärung einerseits Näheres zum formellen Abfall von der katholischen Kirche bestimmt, andererseits nach Nummer 7 der Erklärung aber in jedem Fall klar bleiben soll, "dass das sakramentale Band der Zugehörigkeit zum Leib Christi, der die Kirche ist, auf Grund des Taufcharakters ein ontologisches Band ist, das fortdauert und wegen des Aktes oder der Tatsache des Abfalls nicht erlischt".

b) Aus der hier maßgeblichen staatlichen Sicht kann sich der Kläger für eine Beendigung seiner Kirchenmitgliedschaft auch nicht darauf berufen, er habe bis 2003 schutzwürdig auf die Beendigung seiner Kirchenmitgliedschaft durch Austritt gegenüber dem Pfarrer im Jahr 1983 vertraut. Schutzwürdiges Vertrauen in die Beendigung einer Kirchenmitgliedschaft stellt keinen eigenständigen Beendigungsgrund für die Kirchenmitgliedschaft dar. Das führt auch nicht zu einer mit Art. 4 Abs. 1 GG nicht vereinbaren Zwangsmitgliedschaft; denn dem Kläger hat sowohl zu DDR-Zeiten als auch nach der Wiedervereinigung jeweils ein rechtssicheres staatliches Kirchenaustrittsverfahren offen gestanden.

c) Gegen die angegriffene Kirchensteuerfestsetzung kann der Kläger auch nicht einwenden, die katholische Kirche habe ihren Kirchensteueranspruch verwirkt. Die Verwirkung eines Steueranspruchs setzt neben einem Zeitmoment in Gestalt der Nichterhebung der Steuer über einen längeren Zeitraum auch ein Umstandsmoment in Gestalt eines zusätzlichen Verhaltens des Steuerberechtigten voraus, auf Grund dessen der Steuerpflichtige bei objektiver Betrachtung darauf vertrauen darf, dass der Steueranspruch nicht oder nicht mehr geltend gemacht werde. An ein solches Verhalten sind besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn die dauerhafte Verwirkung einer Steuer geltend gemacht wird, zu der der Bürger - wie bei der Kirchensteuer - zeitabschnittsweise zu veranlagen ist. Denn bei einer derartigen Steuer ist für jeden Veranlagungszeitraum erneut zu prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Steuererhebung vorliegen; dabei sind auch bisherige Fehleinschätzungen zu korrigieren. Diese zeitabschnittsweise Prüfungs- und Korrekturpflicht lässt nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen die Annahme zu, es sei durch ein bestimmtes Verhalten ein Vertrauen darin begründet worden, dass die Steuer ein für allemal nicht mehr erhoben werde (vgl. Beschluss des Senats vom 22. Juni 2010 - OVG 9 N 169.08 - juris). Solche Umstände macht der Kläger hier nicht geltend. Der Kläger führt keine Umstände an, die dafür sprechen, dass die Kirche losgelöst von der Frage der Kirchenmitgliedschaft des Klägers ein für allemal auf Kirchensteuer vom Kläger verzichtet hätte, sondern er beruft sich darauf, auf die Wirksamkeit des behaupteten Kirchenaustritts im Jahr 1983 gegenüber dem Pfarrer vertraut zu haben. Dieses Vertrauen wiederum stützt der Kläger indessen nicht darauf, dass der Pfarrer ihm die Wirksamkeit des Kirchenaustritts bestätigt habe - zur Reaktion des Pfarrers auf den behaupteten Kirchenaustritt trägt der Kläger nichts Substantiiertes vor -, und der Kläger macht auch nicht geltend, dass die Kirche ihre Steuerforderungspraxis gerade im Zusammenhang mit dem behaupteten Austritt geändert habe - im Zulassungsantrag heißt es lediglich, der Kläger sei zu DDR-Zeiten nicht zu Kirchensteuern herangezogen worden. Vielmehr unterstreicht der Kläger, dass nach der Wiedervereinigung lange Zeit keine Kirchensteuer von ihm gefordert worden sei. Das trägt nicht, denn damit beruft sich der Kläger für die Verwirkung letztlich doch nur auf die unterbliebene Kirchensteuererhebung als solche und nicht auf ein darüber hinausgehendes Verhalten der Kirche. Soweit der Kläger meint, der unterbliebenen Kirchensteuererhebung nach der Wiedervereinigung komme vor dem Hintergrund des behaupteten Kirchenaustritts gegenüber dem Pfarrer gleichsam der Erklärungswert zu, dass die Kirche von der innerkirchlichen Wirksamkeit des Kirchenaustritts ausgegangen sei, greift auch dies nicht, denn die unterbliebene Kirchensteuererhebung nach der Wiedervereinigung kann - erkennbar - auch darauf beruhen, dass die Kirchenmitgliedschaft des Klägers verwaltungstechnisch schlicht übersehen worden ist.

2. Aus den Darlegungen des Klägers ergibt sich nicht, dass die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) aufweisen würde. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Kirchenaustritt nach innerkirchlichem Recht die Kirchensteuerpflicht entfallen lässt, ist - wie unter 1. geschehen - ohne weiteres dahin zu beantworten, dass ein Kirchenaustritt nach innerkirchlichem Recht die Kirchensteuerpflicht allenfalls dann entfallen lassen kann, wenn die innerkirchliche Wirksamkeit des Kirchenaustritts zwischen der Kirche und dem Betroffenen außer Streit steht. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Kirchenmitglied bei einem Austritt durch einfache Erklärung gegenüber dem Pfarrer von einem wirksamen Austritt nach innerkirchlichem Recht ausgehen durfte, stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht in dieser Allgemeinheit, sondern allein in Bezug auf die vom Kläger geltend gemachten Vertrauensgesichtspunkte. Insoweit ist ihre Beantwortung nicht schwierig. Wie unter 1. ausgeführt, kann aus der unterbliebenen Kirchensteuererhebung nach der Wiedervereinigung nicht geschlossen werden, die Kirche habe den behaupteten Kirchenaustritt als innerkirchlich wirksam akzeptiert, vielmehr kann die unterbliebene Kirchensteuererhebung erkennbar auch auf einem Übersehen der Kirchenmitgliedschaft beruhen.

3. Aus den Darlegungen des Klägers ergibt sich weiter nicht, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) hätte. Die auch insoweit vom Kläger angeführte Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Kirchenaustritt nach innerkirchlichem Recht die Kirchsteuerpflicht entfallen lasse, bedarf nicht im Interesse der Allgemeinheit einer Klärung in einem Berufungsverfahren. Wie bereits ausgeführt, ist diese Frage - wie unter 1. geschehen - ohne weiteres dahin zu beantworten, dass ein Kirchenaustritt nach innerkirchlichem Recht die Kirchensteuerpflicht allenfalls dann entfallen lassen kann, wenn die innerkirchliche Wirksamkeit des Kirchenaustritts zwischen der Kirche und dem Betroffenen außer Streit steht.

4. Aus den Darlegungen des Klägers ergibt sich schließlich nicht, dass die Berufung wegen eines Verfahrensfehlers (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen wäre. Soweit der Kläger bemängelt, dass das Verwaltungsgericht eine Beweiserhebung unterlassen habe, ist darauf hinzuweisen, dass die Aufklärungspflicht des Gerichts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) sich nur auf Tatsachen erstreckt, die gerade nach der Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich sind; dafür, dass das Gericht solche, nach seiner eigenen Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Tatsachen nicht aufgeklärt hätte, gibt der Zulassungsantrag nichts her.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).