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Schulunfall - konkurrierende Ursache - Schädel-Hirn-Trauma - (hirn-)organisches Psychosyndrom - Pubertät - Leistungsabfall in der Schule - depressive Störung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 28.05.2015
Aktenzeichen L 2 U 222/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 8 SGB 7, § 56 SGB 7

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. August 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Schulunfalls vom 20. November 2003.

Die im Jahr 1990 geborene Klägerin besuchte zum Zeitpunkt des Unfalls die 8. Klasse der S-Oberschule (Gymnasium) im Stadtbezirk M. Nach dem Ende einer Unterrichtsstunde am 20. November 2003 nahm ein Mitschüler der Klägerin einen Stuhl und schlug ihr diesen auf den Kopf.

Im Februar und März 2006 befragte die Beklagte mehrere Mitschüler der Klägerin.

Die Mitschülerin F H beschrieb den Unfall wie folgt: „In der Stunde hatten die beiden sich ständig in den Haaren. Irgendwann fühlte sich T dann so angegriffen, dass er den Stuhl nahm, der neben ihm stand und ihn mit den Worten ‚Mir reicht es jetzt‘ fallen ließ (auf ihren Kopf).“

Der Mitschüler M K führte aus: „Ich kann mich an die Vorgeschichte nicht mehr im Einzelnen erinnern. Tino hat sich den Stuhl genommen, über den Kopf gehalten, kurz abgestoppt und dann fallen lassen.“

Der Mitschüler A K erklärte: „So wie ich es mitbekommen habe, hat die B den Schüler T vor der Tat geärgert. Nach einer Zeit wurde es ihm zu viel und erhob den Stuhl und hat ihn abbremsend auf den Kopf der B geschlagen“.

Die Mitschülerin C B führte aus: „L hat T schon längere Zeit genervt (z. B. gekniffen). An dem Tag hat L T die Federtasche weggenommen. Er ist ausgerastet. Es war ihm zu viel und er hob den Stuhl und ließ ihn auf L fallen.“

Laut Durchgangsarztbericht vom Unfalltag erlitt die Klägerin eine Schädelprellung und eine 5 cm lange Kopfplatzwunde; Anhaltspunkte für eine Fraktur ergaben sich nach Röntgenuntersuchung des Schädels in zwei Ebenen nicht; eine Schädel-Hirn-Trauma-Symptomatik fand sich nicht. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. I führte in einem Bericht vom 25. November 2003 unter anderem aus, das EEG vom Alpha-Typ mit ungestörter zerebraler Allgemeinfunktion habe keinen Nachweis lokalisierter Funktionsstörungen, keinen Hinweis für Zeichen der Erregbarkeitssteigerung auch unter Provokationsbedingungen, jedoch unspezifische Veränderungen temporobasal verstärkt unter Hyperventilationsprovokation ergeben, die sich gut mit der Diagnose einer Migräne vereinbaren lassen würden. Sie stellte die Diagnose eines Schädelhirntraumas ohne krankheitswertige Störungen im EEG und neurologischen Befund. Eine Magnetresonanztomographie vom 5. Dezember 2003 ergab weder den Nachweis einer Raumforderung noch einer Blutung, jedoch einzelne white-matter-lesions rechts occipital subcortical sowie den Verdacht auf kleine microangiopathische Läsionen paramedian in der Pons, wobei beides als am ehesten konnatal eingeschätzt wurde.

Die ambulante Behandlung der Klägerin zulasten der Beklagten wurde - nach gut einem Monat - am 23. Dezember 2003 zunächst beendet.

Knapp zwei Jahre später - am 14. Oktober 2005 - wandte sich die Klägerin an die Beklagte und teilte mit, sie leide noch immer unter Folgeschäden des Unfalls vom 20. November 2003.

Die Beklagte holte daraufhin unter anderem Berichte der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Neurologie der C vom 30. März 2005 und vom 5. Oktober 2005 und sowie der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der C vom 6. März 2006 (über einen stationären Aufenthalt vom 10. Januar 2006 bis 8. März 2006) und vom 6. Juli 2006 ein. Dort ist u. a. ausgeführt, dass sich die Klägerin heimlich an Armen und Beinen ritze, ganze Tage im Bett verbringe, aber auch mehrfach weggelaufen sei. So habe sie nahezu eine Woche in der Punkszene am Aplatz verbracht und sei in alkoholisiertem Zustand nach Hause gekommen. Hilfreich während der Therapie sei die Durchführung von Reitstunden gewesen. Den Sinn und Nutzen von Regeln stelle die Klägerin ständig infrage, stelle die Themen Drogen, Alkohol und intime Beziehungen demonstrativ dar. In der Klinikschule arbeite sie demonstrativ mit, Außenschulbesuchen stünde sie skeptisch gegenüber, es gebe aber keine Hinweise, dass eine unzumutbare Belastung darin liege, weder im Hinblick auf den Tatort noch auf den Täter, mit dem sie sich gut verstanden habe. Als Vereinbarung sei geschlossen worden, den Aplatz - gemeint ist die Punkszene - zu meiden und die Reitstunden zu intensivieren. Am 14. März 2006 sei die Klägerin zufällig von einer Plastikflasche am Kopf getroffen worden, am 18. März 2006 auf Streusand ausgerutscht, so dass ein Vorderkantenabbruch des ersten und zweiten Lendenwirbelkörpers eingetreten sei. Reiten wurde daraufhin zunächst nicht mehr empfohlen. Am 5. Mai 2006 berichtete die Mutter der Klägerin von zwei polizeilichen Suchanzeigen, die Klägerin sei jeweils zwei Nächte hintereinander nicht nach Hause gekommen. Weiter habe die Klägerin angegeben, sie wolle auf keinen Fall durchschnittlich sein, sie ritze sich viel mit der Rasierklinge, mit dem neuen Freund gebe es Konflikte. Es sei dringend die Unterbringung in einer heilpädagogisch und psychotherapeutisch intensiv betreuten Jugendhilfeeinrichtung empfohlen worden.

Die Klägerin übersandte die Schulzeugnisse der 1. bis 10. Klasse.

Mit Bescheid vom 3. November 2006 erkannte das Landesamt für Gesundheit und Soziales - Versorgungsamt - als Schädigungsfolgen in einem parallel nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) durchgeführten Verwaltungsverfahren

-ein hirnorganisches Psychosyndrom mit psychovegetativer Labilität sowie
-eine sozial-emotionale Störung im Jugendalter

als Schädigungsfolgen an und bewertete diese mit einer MdE von 40 v. H. (die Grundrente betrug danach ab 1. November 2003 142,00 €). Grundlage dieses Bescheides war ein Gutachten des Facharztes für Neurologie/Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. D vom 11. Oktober 2006. Dieser hatte unter anderem ausgeführt, es sei davon auszugehen - entgegen den vorliegenden Befunden -, dass es doch zu einem Hirnparenchymschaden gekommen sei, der die psychischen Beschwerden (Konzentrationsstörungen, verminderte Belastbarkeit, Erschöpfung) erkläre.

Die Beklagte veranlasste die Begutachtung der Klägerin durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Sch, der unter dem 14. Dezember 2006 unter anderem ausführte, bei der Klägerin bestünden

-ein Zustand nach Schädelhirntrauma mit chronischem hirnorganischem Psychosyndrom und Psycholabilität,
-eine traumatische fokale Epilepsie mit sensorischen Anfällen unter der Symptomatik von sensorischer optischer und akustischer Aphasie
-psychoreaktive Störungen.

Hinsichtlich dieser Gesundheitsstörungen sei, auch wenn unfallbedingt keine neurologischen Defekte nachweisbar gewesen seien, die traumatische Entstehung unzweifelhaft. Bei ca. 2 % der Verletzten würde auch ein leichtes Trauma zu einer Epilepsie führen. Darüber hinaus leide die Klägerin an:

-einer chronischen Migräne mit Aura, kombiniert mit einem traumatischen Kopfschmerzsyndrom,
-einer Autoimmunthyreoiditis sowie
-einer Adipositas.

Unfallunabhängig seien die Migräne mit Aura und die Autoimmunerkrankung der Schilddrüse.

Die ebenfalls mit der Begutachtung der Klägerin beauftragte Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P hat in ihrem Gutachten vom 1. November 2007 unter anderem ausgeführt, die Klägerin leide bereits seit ihrem vierten Lebensjahr an einer Migräne. Zur vegetativen Anamnese sei auszuführen, die Klägerin sei müde und erschöpft, nachts könne sie nicht schlafen, ihr Freund schnarche, die vier Raten seien laut und auch der Hund mache Lärm. In den letzten zwei Jahren habe sie häufig eine Fahne gehabt, Schnaps im Schrank versteckt, derzeit trinke sie nur Sekt. Aktuell im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung habe eindeutig im Vordergrund der Beschwerdesymptomatik auf psychiatrischem Fachgebiet die sozial-emotionale Störung gestanden, die sich auf der Handlungsebene gerade auch in den von der Mutter der Klägerin geschilderten Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags widerspiegele. Diese sei aus psychiatrischer Sicht nicht eindeutig mit ausreichender Sicherheit ätiologisch einzuordnen. So könne diese Symptomatik zum einen - bei der Annahme eines höhergradigen Schädelhirntraumas möglicherweise auch durch Ausbildung einer posttraumatischen Epilepsie – hirnorganisch verursacht sein. Zum anderen könne sich hier bei einer Persistenz der Störung des Sozialverhaltens (unfallunabhängig) die Entwicklung einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (die ebenfalls üblicherweise in diesem Alter mit - primär - unspezifischen Symptomen gerade das Sozialverhalten und das Selbstbild betreffend beginnt, in diesem Rahmen typischerweise selbst schädigende Verhaltensweisen zeigend) abzeichnen. Außerdem müsse darauf hingewiesen werden, dass zeitnah zu dem Unfallgeschehen vom 20. November 2003 nach den anamnestischen Angaben (Anfang 2004) zudem die Diagnose einer behandlungsbedürftigen Autoimmunthyreoiditis gestellt worden sei. Gerade unter Schilddrüsenfunktionsstörungen seien Veränderungen in der Aktivität bekannt. Sie empfehle eine neurologische Zusatzbegutachtung unter stationären Bedingungen.

Eine stationäre neurologische Begutachtung lehnte die Klägerin ab.

Der ebenfalls mit der Begutachtung der Klägerin beauftragte Diplom-Psychologe Dr. M führte in seinem Gutachten vom 2. Januar 2009 unter anderem aus, ob die Klägerin bei dem Unfall am 20. November 2003 überhaupt ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten habe, könne nicht genau festgestellt werden, denn das Erstschadensbild beschränke sich - neben der Kopfplatzwunde - auf einen Moment, der nicht erinnert werden könne. Die weiteren Angaben, insbesondere die Angabe einer bis zu 5 Minuten anhaltenden Bewusstlosigkeit, würden lediglich aus den Schilderungen der Mutter folgen, die nicht einmal als Zeugin beim Unfall zugegen gewesen sei. Die weiteren Zeugenaussagen würden keine Hinweise auf eine Bewusstlosigkeit erkennen lassen. Zudem habe die Klägerin in dem Moment, als sie sich wieder erinnern könne, auf dem Stuhl gesessen und sich an die Wunde gefasst. Die Annahme eines Schädelhirntraumas und der darauf folgend geltend gemachten Beschwerden würde in überraschender Weise durch zahlreiche Behandler und einige Gutachter ohne weitere kritische Distanz und Prüfung angenommen und Hypothesen darauf aufgebaut, die zum Teil erheblich spekulativ erscheinen würden. Übliche weitere Symptome wie Verwirrtheit, Desorientierung, posttraumatische Amnesie, Schwindel oder passagere fokale neurologische Zeichen oder Anfälle würden fehlen. Selbst wenn man annehmen würde, dass ein Schädel-Hirn-Trauma stattgefunden habe, so müsse es sich um ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma gehandelt haben, dass in der Regel folgenlos ausheile (eine so genannte Gehirnerschütterung). Der übliche Verlauf auch bei leichten Schädel-Hirn-Traumen mit im Erstschadensbild nachweisbarer kognitiver Symptomatik sei der einer zunehmenden Besserung, die rasch vonstattengehe und spätestens nach einem halben Jahr nicht mehr oder nur mit geringer Stärke nachweisbar sei. Stattdessen finde sich im vorliegenden Fall eine progressive Entwicklung von Verhaltens- und Leistungsproblemen. Die Kurve der nachlassenden Schulleistungen, die dies reflektiere, beginne jedoch vor dem Ereignis und erreiche ihren Höhepunkt erst in der 10. Klasse (2006/2007). Dies sei anhand der vorliegenden Schulzeugnisse nachweisbar, die von einer Leistung von nahezu ausnahmslos „Einsen“ im Sommer 2002 bereits zum Januar 2003 deutlich, dann weiterhin abnehme. Ein erkennbarer Leistungsknick infolge des Unfalls sei keineswegs zu erkennen. Zudem sei eine nach Aktenlage unfallunabhängige Autoimmunthyrioditis diagnostiziert worden. Schilddrüsenunterfunktionen könnten bekanntermaßen sowohl mit Verhaltens- als auch mit affektiven und kognitiven Problemen gekoppelt sein. Es sei auch darauf zu verweisen, dass das Unfallereignis offenkundig durch fortgesetztes Fehlverhalten der Klägerin gegenüber ihrem Mitschüler ausgelöst worden sei. Dies, übereinstimmend durch mehrere Zeugen bekundet, müsse als ein Beleg dafür gelten, dass bereits vor dem Unfall Verhaltensprobleme vorhanden gewesen seien. Damit sei ein rückwirkender Schluss, dass sich solche Probleme erst posttraumatisch entwickelt hätten, als logisch nicht stringent zurückzuweisen. Auch Kopfschmerzen seien bereits vor dem Ereignis chronisch vorhanden gewesen. Eine posttraumatische Epilepsie sei ebenso wenig zu erkennen wie das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ein Nachweis von kognitiven Störungen als Unfallfolge sei in der Aktenlage nicht erfolgt. Zeitnahe neuropsychologische Untersuchungen, die dies nahe legen würden, würden fehlen. In einer Testuntersuchung im März 2006, d.h. zweieinhalb Jahre nach dem Unfall, würden nicht einmal kognitive Störungen als solche erkennbar, da eine ausreichende Testmotivation nicht gegeben gewesen sei. Dennoch habe die Klägerin - unter diesen erschwerten und einschränkenden Bedingungen - einen Gesamt-IQ im oberen Bereich erreicht. Hieraus rückblickend unfallbezogene kognitive Störungen ableiten zu wollen, sei reine Spekulation. Im Übrigen würden die tatsächlichen Leistungsprobleme, die dokumentiert seien, eher infolge von Verhaltens- als von kognitiven Auffälligkeiten getragen, wie sich aus der sich entwickelnden psychiatrischen Symptomatik ergebe. Zusammengefasst könne er aus neuropsychologischer Sicht keinerlei ausreichend bewiesene anhaltende Unfallfolgen sehen.

Mit Bescheid vom 3. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2009 hat die Beklagte die Zahlung einer Verletztenrente abgelehnt und zur Begründung unter anderem ausgeführt, der Schulunfall vom 20. November 2003 habe lediglich zu einer folgenlos ausgeheilten Kopfplatzwunde und einer folgenlos ausgeheilten leichtgradigen Schädelprellung geführt. Unabhängig von dem Schulunfall lägen bei der Klägerin eine fokale Epilepsie, eine chronische Migräne, einer Autoimmunthyreoiditis, psychoreaktive Störungen, eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung sowie eine Psycholabilität vor. Die anerkannten Unfallfolgen würden keine MdE von wenigstens 20 v. H. bedingen.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin übersandte die Klägerin ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Pädiatrie, Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Facharztes für Neurologie und Psychiatrie/Epileptologie Dr. A vom 14. November 2009, welches im OEG-Verfahren erstellt worden war. Dieser stellte ein posttraumatisches chronisches hirnorganisches Psychosyndrom mit psychovegetativer Labilität unter dem klinischen Bild eines pseudoneurasthenischen Syndroms als Schädigungsfolgen nach dem OEG fest und bewertete es mit einem Grad der Schädigung (GdS) von 30 v. H. Als schädigungsunabhängig beurteilte er eine Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen unter der vorherrschenden Symptomatik einer sozialen Phobie und einer Depression.

Die als Sachverständige bestellte Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der C Prof. Dr. L führte in ihrem Gutachten vom 21. Februar 2011 unter anderem aus, bei der Klägerin liege ein schweres depressives Krankheitsbild in Form einer depressiven Persönlichkeitsstörung, die als Dysthymie mit rezidivierenden depressiven Episoden einzuordnen sei, vor, so dass insgesamt von einer double depression (doppelte Depression) ausgegangen werden müsse. Diese depressive Entwicklung sei nicht von dem Unfallereignis abzutrennen. Es sei eine multifaktorielle Genese als Folge des Unfallereignisses anzunehmen: zum einen fiele dieses Ereignis in die vulnerable Phase der Adoleszenz, einer Entwicklungsphase mit einer erhöhten Störanfälligkeit psychischer Fehlentwicklungen, in der der Unfall als Trigger fungiert haben könne. Zum anderen gebe es rückblickend Anhalte für die Entwicklung eines „postconcussion syndroms“ mit psychopathologischen Auffälligkeiten, hier vor allem die Konzentrations- und Leistungsstörungen, die geringe Belastbarkeit, die schnelle Erschöpfung und die Stimmungsschwankungen/Irribitalität in den Wochen und Monaten nach dem Unfall. Die Reaktionen aus dem Umfeld - Rückzug ihrer Freundinnen, Desinteresse von Lehrern und Mitschülern - führten darüber hinaus zu Gefühlen von Nichtverstandensein, Alleingelassensein, die zusätzlich zu der gewalttätigen Einwirkung durch den Unfall im Sinne einer psychischen Traumatisierung gewirkt hätten. Negativen Einfluss habe hierbei ebenfalls die unterlassene Unfallanzeige durch den Direktor der Schule gehabt, die das Gefühl der Hilflosigkeit und des Nichtverstandenseins sicherlich verstärkt habe und bis heute in diesem Sinne nachwirke. Die Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung nach einem psychischen Trauma sei hinreichend bekannt. Es stehe fest, dass das Unfallereignis als eine Art Schlüsselerlebnis die Klägerin aus der Bahn geworfen habe. Die hohe zeitliche Koinzidenz von Unfall und psychiatrischer Erkrankung sei nicht von der Hand zu weisen. Hinweise auf eine zuvor bestehende depressive Veranlagung bestünden anhand der Anamnese und der Fremdbeurteilung durch die Lehrer nicht. Die Grundschulzeit habe die Klägerin mit Leichtigkeit durchlaufen und exzellente Noten erzielt. Auch sozial sei sie immer gut eingebunden gewesen, habe Freundinnen gehabt, sei ein fröhliches, interessiertes und geliebtes Kind gewesen. Sie sei früh in die Pubertät gekommen - mit ca. 11/12 Jahren. Die Mutter habe seitdem viel mit ihr diskutieren müssen, da sie ständig widersprochen habe und nichts einfach so hingenommen habe, dennoch habe immer ein guter Kontakt zur Mutter bestanden. Aus den Schulzeugnissen ergebe sich, dass die Klägerin bis zum Unfallereignis ein überdurchschnittlich hohes Maß an Lernbereitschaft und Arbeitswillen, ein tadelloses Arbeitsverhalten mit überdurchschnittlich guten Noten bescheinigt worden sei. Sie habe während der Grundschulzeit mehrere Urkunden für ihre sehr guten und guten Leistungen erhalten. Ihr Abschlusszeugnis vor dem Wechsel auf das Gymnasium wies bis auf die Note 2 in den Nebenfächern Sport und bildende Kunst ausschließlich die Note 1 auf. Nach dem Wechsel auf das Gymnasium werde sie zunächst ebenfalls als sehr fleißig und ruhig beschrieben mit guten sprachlichen Fähigkeiten, der Fähigkeit, selbständig zu lernen und konzentriert zu arbeiten. Im Vergleich zur Grundschule zeige dieses Zeugnis bis auf eine 1 in Französisch und die Note 3 in Sport ausschließlich „Zweien“. Diese geringfügige Verschlechterung nach dem Wechsel von der Grundschule auf das Gymnasium sei ein häufig zu beobachtendes Phänomen. In dem ersten Zeugnis nach dem Unfallereignis vom 30. Januar 2004 werde ein Leistungsabfall nicht bemerkbar, was auch darauf zurückzuführen sei, dass die Klägerin nach dem Unfallereignis zunächst 20 Fehltage in der Schule gehabt habe. Ein Leistungsabfall werde jedoch im Abschlusszeugnis der achten Klasse vom 23. Juni 2004, 7 Monate nach dem Unfallereignis, deutlich. Hier habe sie sich in fünf Fächern um jeweils eine Note verschlechtert. Dieser Verlauf setzte sich in der 9. und 10. Klasse fort. In den Informationen über ihr Arbeits- und Sozialverhalten werde dieses seit dem Unfallereignis als zunehmend problematisch beschrieben. Zusammenfassend sei die depressive Fehlentwicklung im Sinne der erstmaligen Entstehung nach dem Unfallereignis vom 20. November 2003 zu sehen. Die Unfallfolge sei mit einer MdE mit mindestens 40 v. H. einzuschätzen.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 20. August 2011 abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, das Gericht könne dem Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. L nicht folgen, denn diese habe sich insbesondere mit konkurrierenden Faktoren nicht ausreichend auseinandergesetzt. Zwar habe sie die psychiatrischen Auffälligkeiten der Klägerin sorgfältig beschrieben. Sie verkenne jedoch, dass neben den Schulunfall nicht nur die Adoleszenz bzw. Pubertät, sondern auch die Immunthyreopathie als gewichtige konkurrierende Faktoren hinzutreten würden.

Gegen das ihr am 30. August 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28. September 2011 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Sie überreicht zuletzt die Stellungnahme vom 13. Mai 2015 (Dr. Schäfer).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2009 aufzuheben und die Dysthymie, die rezidivierende depressive Störung mit somatischem Syndrom sowie ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma als Folgen des Unfalls vom 20. November 2003 festzustellen und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat unter anderem Auszüge aus den Akten des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, bei dem ein Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz durchgeführt wird, beigezogen. In diesem Verfahren ist ein nervenfachärztliches Gutachten der Ärztin für Neurologie/Psychiatrie Dr. Li vom 23. Februar 2013 eingeholt worden. Diese stellte bei der Klägerin ein posttraumatisches chronisches hirnorganisches Psychosyndrom fest, dass sie mit einem GdS von 30 bewertete.

Der als Sachverständiger bestellte Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und-psychotherapie Prof. Dr. K hat in seinem Gutachten vom 19. Dezember 2014 unter anderem ausgeführt, bei der Klägerin hätten unmittelbar nach dem Ereignis keine kinder- und jugendpsychiatrischen Störungen bestanden. Es würden sich keine Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung zu diesem Zeitpunkt feststellen lassen: sie sei am nächsten Tag zur Schule gegangen, habe Kontakt mit dem Täter gehabt und sich mit diesem sogar in der unmittelbaren Zeit nach dem Ereignis besser verstanden als zuvor. Es werde auch nicht geschildert, dass es unmittelbar nach Wiederaufnahme des Schulbesuchs zu Vermeidungsreaktionen aufgrund von flash-backs (etwa beim Betreten der Schule, des Klassenzimmers, bei Anblick von Stühlen etc.) gekommen sei. Sozialphobische Verhaltensweisen würden dann erst später (2006) beschrieben, hier jedoch etwas inkongruent, da sich die Klägerin gleichzeitig dennoch auf dem Aplatz aufgehalten habe. Die angegebenen Konzentrationsstörungen und Kopfschmerzen in den Wochen unmittelbar nach dem Schlag auf den Kopf würden sich am wahrscheinlichsten der Gehirnerschütterung zuordnen lassen, als wesentliche und eindeutig kausale Folge des Schlages auf den Kopf. Im Gefolge der nächsten Monate scheine es - aus heutiger Sicht betrachtet - in der Schule dazu gekommen zu sein, dass sich das Verhältnis der Mitschüler zur Klägerin - zumindest in der Wahrnehmung der Klägerin - verändert habe. Sie habe sich offenbar nicht unterstützt, sondern eher ausgegrenzt erlebt. Die anderen hätten sich ihr gegenüber anders verhalten. In der Rückschau schildere die Klägerin, dass das Schlimmste gewesen sei, dass sich alle Mitschüler von ihr zurückgezogen bzw. ihr die Schuld gegeben hätten. Sie schildere ausdrücklich, dass sie die Zeit danach als schlimm empfunden habe. Auch aus den Akten gehe hervor, dass es in der Klasse offenbar zwei Haltungen gegeben habe, Kinder, die es eher für gut befunden hätten, dass einem Mädchen so etwas geschehe, und andere, die meinten, dass man so etwas bei einem Mädchen nicht tun dürfe. Zusätzlich sei zu bewerten, dass offenbar vor dem Ereignis die Klägerin den betreffenden Täter geärgert, sie wohl auch Dinge weggenommen habe. Die Mutter wiederum habe unter anderem der Gutachterin Dr. P geschildert, dass die Klägerin im Gefolge teilweise aggressiv gewesen sei, aber auch depressiv, sie habe viel geweint und sei nicht ansprechbar gewesen. Zudem sei es zu täglichen Kopfschmerzen gekommen. In 2004 sei mit einer Gewichtszunahme um ca. 17 kg eine Adipositas bei der Klägerin entstanden. Nach Aussagen der Mutter sei eine depressive Entwicklung im Jahr 2004 feststellbar gewesen, die in der neuropädiatrischen Behandlung zumindest seit dem stationären Aufenthalt in der C im September des Jahres 2005 auch ärztlich diagnostiziert worden sei. Konflikthafte Beziehungen in der Familie würden erstmalig 2005 beschrieben. Es würden Konflikte mit der Mutter benannt, zu diesem Zeitpunkt werde das Verhältnis zum Vater als unproblematischer beschrieben. Später werde benannt, dass das Verhältnis zum Vater deutlich problematischer gesehen werde, da er über die Klägerin habe bestimmen wollen („Despot“), obwohl er nichts von ihr wisse. 2005 sei eine Autoimmunthyreoiditis diagnostiziert worden. Eine posttraumatische Belastungsstörung sei erstmalig in 2006 von einem Nervenarzt diagnostiziert, jedoch nicht eindeutig mit auf das Ereignis bezogenen entsprechenden Diagnosekriterien unterlegt worden. Zum Zeitpunkt des Schlages auf den Kopf sei die Klägerin 13 Jahre alt gewesen. Da sich gerade im Jugendalter eine gewisse Überschneidung von Symptomen einer depressiven Störung und einer posttraumatischen Belastungsstörung ergeben könnten, stelle sich die Abgrenzung retrospektiv als schwierig dar. Überschneidende Symptome seien zum Beispiel Ein- oder Durchschlafstörungen, gedrückte Stimmung und Einschränkungen im affektiven Erlebensspektrum, vermindertes Interesse bis hin zur Interesselosigkeit, Reizbarkeit und gereizte Stimmung. Spätestens seit dem kinder- und jugendpsychiatrischen Aufenthalt in der C in 2006 habe die Klägerin ein Symptommuster gezeigt, wie es bei der Entwicklung einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung typisch sei, wie selbstverletzendes Verhalten, Trebegänge, emotionale Instabilität mit depressiven Phasen, diverse Ängste, soziale Unsicherheit, Essprobleme und auch Substanzabusus. Seit damals dominierten aus psychiatrischer Sicht die Symptomatik sowohl depressiver Episoden in Kombination mit den Symptomen der benannten Persönlichkeitsstörung. Überwiegend wahrscheinlich auf den Unfall ursächlich zurückzuführen seien ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma mit den Symptomen Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen und Übelkeit sowie die Kopfplatzwunde. Wie lange die Konzentrationsstörungen ursächlich auf den Schlag zurückzuführen seien, sei heute bei Kenntnis der sich bald in 2004 oder 2005 entwickelnden Thyreoiditis kaum sicher abzugrenzen, da diese Erkrankung ebenfalls Konzentrationsstörungen und auch Stimmungsschwankungen sowie Gereiztheit verursachen könne.

Hinsichtlich der psychischen Störungen sei zunächst anzumerken, dass aus den Akten und aus den Angaben der Klägerin nicht hervorgehe, dass sich unmittelbar, also in den Folgetagen nach dem Ereignis eine psychische Symptomatik, die etwaige Diagnosekriterien erreichen würde, gezeigt habe. Diskutiert werden müsse, ob bei der Klägerin der Schlag als wesentliche Ursache oder die Veränderungen im Klassengefüge und der Umwelt oder andere Ereignisse oder Einflussfaktoren vorgelegen hätten, die ihre psychische Entwicklung alteriert hätte und zu dem heute schweren Erkrankungsbild mit entsprechender Funktionseinschränkung geführt hätte. Die Problematik bei der Einschätzung der Auswirkungen des Ereignisses im Fall der Klägerin sei aber aus seiner Sicht und auch nach dem heutigen Empfinden der Klägerin, dass nicht der Schlag an sich, sondern die Folgen, die sich danach ergeben hätten, weitaus größeren Anteil an der Entwicklung der psychischen Symptomatik gehabt hätten. Die Klägerin habe die Zeit nach dem Ereignis im Klassenverband als furchtbar, vollkommen verändert und belastend empfunden. Der Kontakt zu dem Täter habe nicht im Sinne einer Retraumatisierung zu einer Belastung geführt. Vielmehr sei es die subjektiv von der Klägerin empfundene fehlende Unterstützung durch die Mitschüler, das Gefühl, dort nicht mehr gemocht zu werden, isoliert in der Klasse zu sein, das für die Klägerin psychisch belastend gewesen sei. Zu beachten seien die Einflussmöglichkeiten psycho-sozialer Faktoren. Zu nennen seien die erwähnten Veränderungen in den Beziehungen zwischen der Klägerin und der Klasse, die sie stark wahrgenommen habe. Sie habe offensichtlich den Besuch der Klasse so erlebt, als würde ihr eine Schuld für den Vorfall gegeben. Hierdurch habe sie sich allein bzw. missverstanden gefühlt. Hinzu komme, dass die Klägerin offenbar vor der Tat den Schüler geärgert habe. Im Nachhinein scheine sich hier eine zwiespältige Situation ergeben zu haben, einerseits sei sie Opfer, andererseits aber in der Vorgeschichte nicht unbeteiligt gewesen. Zudem scheine sie sich, zumindest subjektiv nicht in ihrer Opferposition wahrgenommen gefühlt zu haben. Ganz allgemein könnten Umweltfaktoren zur Entstehung einer psychischen Störung beitragen, dies treffe in der Zeit der Pubertät insbesondere zu. Die Vulnerabilität sei in diesem Lebensalter besonders hoch. Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht werde die Pubertät als eine sowohl neurobiologisch, als auch entwicklungspsychologisch besondere Zeit gewertet, in der mehrere Entwicklungsschritte und -schwellen von Jugendlichen zu meistern seien, wie Ausbildung, Ablösung vom Elternhaus, Finden geschlechtlicher Partnerschaft etc. Aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht seien insbesondere Entwicklungsschwellen besondere Risikosituationen für das Auftreten psychischer Störungen, sowohl weil das Scheitern an solchen Schwellen das Risiko des Auftretens psychischer Erkrankungen erhöhe, als auch eine psychische Störung das Risiko, an der Entwicklungsaufgabe zu scheitern, erhöhe. Umfeldfaktoren etwa könnten Überforderung in der Schule, Streitigkeiten im häuslichen Umfeld oder zwischen Eltern, Armut usw. sein. Auch Mobbing in der Schule, fehlende soziale Bindungen usw. würden als Risikofaktoren gelten. Im Falle der Klägerin seien vor dem Ereignis keine unmittelbaren Faktoren zu finden, die als solche direkten Risikofaktoren fungieren könnten. Die Eltern seien bereits länger getrennt gewesen, über eine andauernde Streitbeziehung sei zumindest nichts bekannt. Die sozialen Verhältnisse schienen nicht problematisch gewesen zu sein. Schulisch sei die Klägerin entsprechend auch dem später gemessenen IQ nicht überfordert gewesen, wenngleich die aus den Akten hervorgehende Diskrepanz zwischen Handlungs- und Verbalteil darauf hinweisen könne, dass die Klägerin in den exekutiven Kompetenzen immer etwas schlechter gewesen sei als in den verbalen Fähigkeiten. Es gehe nicht aus den Zeugnissen hervor, dass die Klägerin isoliert in der Klasse gewesen sei bzw. als problematische Schülerin aufgetaucht sei, wobei bei Zeugnissen einschränkend hinzuzufügen sei, dass diese gemeinhin so gehalten seien, dass sie über den Schüler positiv berichten und eindeutig negative Zuschreibungen darin nicht auftauchen sollten. Nach dem Ereignis hätten sich die Verhältnisse in der Klasse geändert. Gleichzeitig dürfe auch die Autoimmunthyreoiditis mit ihrer Symptomatik (das Erleben als weniger konzentriert, gereizt, unruhig usw.), die subjektiv nicht von anderen Ursachen zu trennen sei, beeinträchtigend gewirkt haben. Das subjektiv diese möglicherweise auch organisch bedingten Symptome dann auf das Ereignis als Folge bezogen würden, zumal wenn die Thyreoiditis noch gar nicht diagnostiziert gewesen sei, sei nachvollziehbar. Vor dem Ereignis habe bereits eine Migräne bestanden. Eine psychische Auffälligkeit im engeren Sinnen sei vor dem Ereignis nicht bekannt. Das Ereignis, also der Schlag auf den Kopf, könne als mittelbar auslösendes Ereignis für die Entwicklung einer depressiven Episode gesehen werden. Der Schlag auf den Kopf an sich habe dabei weniger Anteil, als die darauf folgenden Veränderungen in den sozialen Beziehungen innerhalb des Klassenverbandes und in der Gemengelage mit weiteren Erkrankungen und Symptomen, die sich bei der Klägerin dann im Lauf der nächsten Jahre ergeben hätten (Thyreoiditis, Gewichtszunahme), und die ebenfalls in der besonders vulnerablen Phase der Pubertät die Klägerin belastet hätten. Die sich während der Pubertät zeigende Veränderung in den familiären Beziehungen, aber auch die Verarbeitung der sich in ihrer Wahrnehmung veränderten sozialen Beziehungen innerhalb der Klasse würden sich seines Erachtens nicht eindeutig als in einer organisch bedingten Persönlichkeitsveränderung begründet feststellen lassen, zumal ein organisches Korrelat dazu nicht erhebbar gewesen sei und es sich um ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma gehandelt habe. Vielmehr erscheine das Ereignis als solches zwar Auslöser für die Veränderung gewesen zu sein, die in der Folgezeit bei der Klägerin aufgetretenen verschiedenen psychischen Symptome und Störungsbilder könnten aber nicht eindeutig kausal damit in Zusammenhang gebracht werden. Auch die Therapiemaßnahmen würden zeigen, dass es sich im Alter von 15 Jahren um ein komplexes psychisches und soziales Störungsbild bei der Klägerin gehandelt habe. Die Frage, ob das Ereignis überwiegend wahrscheinlich kausal zu der heute bei der Klägerin bestehenden Persönlichkeitsstörung und depressiven Störung geführt habe, sei aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht eher zu verneinen. Dagegen würden insbesondere fehlende neurologische Korrelate des Schlags („organisch bedingte Persönlichkeitsveränderung“) sowie fehlende Risikofaktoren, wie es ein fehlendes familiäres Umfeld darstelle, sprechen. Als Konkurrenzfaktoren kämen neben der vorbestehenden Migräne und der im Folgejahr noch nicht diagnostizierten aber bereits Symptome verursachenden Thyreoiditis noch weitere Faktoren in Betracht. Die Fehltage in der Schule könnten dazu geführt haben, dass der Anschluss an den Lernstoff schwerer gelungen sei und im Sinne eines Teufelskreises dazu geführt habe, die Schule noch mehr zu vermeiden. In der Folge könne es dann dazu gekommen sein, dass die Noten sich verschlechtert hätten und daraus wiederum ebenfalls das Selbstwertgefühl gesunken und eine depressive Entwicklung eingeleitet worden sei. Auch die offenbare Fokussierung auf das Ereignis im Rahmen der Familie und die vielen folgenden medizinischen Untersuchungen, Begutachtungen usw. könnten aus psychotherapeutischer Sicht ebenfalls dazu beigetragen haben, dass die Klägerin sich als krank, als „anders“ und nicht „normal“ erlebt habe. Die Wahrnehmung der Schule (im Sinne von: sie dürfe sich nicht so gehen lassen) und die der Mutter (im Sinne von: meine Tochter ist krank) könne ebenfalls zu einem Gefühl des Nichtverstandenwerdens einerseits, aber andererseits auch zu einer Verfestigung psychischer Symptome beigetragen haben. Beachte man diese weiteren Faktoren, so sei es psychiatrisch nicht mit hinreichender Sicherheit und ausreichend begründet möglich, den Schlag als wesentliche und wahrscheinliche Ursache für alle Folgeentwicklungen zu deuten. Somit sei zusammenfassend festzustellen, dass aus der gutachterlichen Sicht nicht der Schlag an sich und die daraus folgenden temporären Symptome der Konzentrationsstörung und temporären affektiven Symptome, überwiegend zum folgenden Beschwerdebild beigetragen hätten, sondern die Veränderung, die sich subjektiv aus dem Erleben der Folgen im sozialen Bereich ergeben hätten. Auch die Schilddrüsenerkrankung und die andauernde (und gezwungenermaßen notwendige) Beschäftigung aufgrund von Folgebegutachtungen hätten dann zu einer sich immer weiter verstärkenden psychischen Symptomatik geführt. Die Ablehnung der Therapie als Jugendliche, wie sie aus den Akten hervorgehe, spreche auch eher dafür, dass die Klägerin zu dieser Zeit selbst weniger Leidensdruck aufgrund ihrer Erkrankung gehabt habe, sie habe vielmehr „normal“ sein wollen. Die psychische Symptomatik habe unter anderem darin gemündet, dass Lebensentwürfe nicht hätten verwirklicht werden können (Abitur), was wiederum eher depressivogen gewirkt habe, zudem sogar familiendynamisch von Bedeutung sei, da bereits die Mutter ihre Bildungsziele aufgrund einer Erkrankung nicht habe verwirklichen können. Außerdem habe die Erkrankung der Klägerin zu einer sehr starken Beschäftigung der Mutter mit der Klägerin geführt. Zusätzlich habe die Mutter die Betreuung ihrer Tochter und die vielen notwendigen Maßnahmen im Gefolge auch der Auseinandersetzung mit der Beklagten als dermaßen belastend empfunden, dass sie selbst ebenfalls depressiv erkrankt sei. Dies wiederum könne als ein Belastungsfaktor im Verlauf der Erkrankung bei der Klägerin fungiert haben, im Sinne einer schuldhaften Verarbeitung. Abhängig von der Schlussfolgerung des Gerichts, ob der Schlag als wesentlicher Grund für die heutige Symptomatik angesehen werde, schätze er die dann unfallbedingte MdE mit ca. 40-50 v. H. ein.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet, denn das Urteil des Sozialgerichts Berlin sowie der Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung weiterer Unfallfolgen oder auf Gewährung einer Verletztenrente, denn eine MdE in rentenberechtigendem Grade aufgrund des Schulunfalls vom 20. November 2003 ergibt sich nicht.

Anspruchsgrundlage für die Gewährung von Verletztenrente ist § 56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Anspruch auf Verletztenrente haben danach Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge des Versicherungsfalles über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist erforderlich, dass sowohl zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und dem Unfallereignis als auch zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung ein innerer ursächlicher Zusammenhang besteht. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, der Arbeitsunfall und die Gesundheitsschädigung im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung für die Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 02. Mai 2001, Az.: B 2 U 16/00, SozR 3-2200, § 551 RVO Nr. 16 m. w. N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass die richterliche Überzeugung hierauf gestützt werden kann (BSG, Urteil vom 06. April 1989, Az.: 2 RU 69/87, zitiert nach juris).

Die unfallrechtliche Kausalität ist in zwei Schritten festzustellen. Zunächst ist in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinn festzustellen, ob das Unfallereignis hinweggedacht werden kann, ohne dass die Gesundheitsschädigung entfiele (Äquivalenztheorie). Steht danach fest, dass das Unfallereignis Ursache in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinne ist, weil es nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass auch die Gesundheitsstörung entfiele, ist in einem zweiten - wertenden - Schritt festzustellen, ob dieses mitursächliche Unfallereignis auch die wesentliche Ursache der Gesundheitsstörung ist.

Für diese wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG SozR Nr. 69 zu § 542 a. F. RVO; BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO; vgl. Krassney in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band III, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand: Januar 2006, § 8 Rdnr. 314; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Kapitel 1.5, Seite 24 f.). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts (BSGE 12, 242, 245 = SozR Nr. 27 zu § 542 RVO; BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO). Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden (BSGE 62, 220, 222 f. = SozR 2200 § 589 Nr. 10; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 75; BSG vom 12. April 2005, Az.: B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils Rdnr. 11). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62. 220, 222 f. = SozR 2200 § 589 Nr. 10; BSG vom 12. April 2005, B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils Rdnr. 11). Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Es gibt keine Beweisregel, nach der bei Fehlen anderer Ursachen die Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn automatisch auch die wesentliche ist (BSG vom 09. Mai 2006, B 2 U 1/05 R m. w. N., zitiert nach juris).

Diese vom Bundessozialgericht u. a. in seinem Urteil vom 09. Mai 2006 ausführlich dargelegten Grundlagen der Theorie der wesentlichen Bedingung gelten für alle als Unfall- oder Berufskrankheitsfolgen geltend gemachten Gesundheitsstörungen und damit auch für psychische Störungen.

Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Folge eines Vorfalls und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund von ihnen ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit mindern (BSG Urteil vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84; vgl. BSG Urteil vom 19. August 2003 - B 2 U 50/02 RErforderlich ist aber jeweils eine einzelfallbezogene positive Feststellung sowohl der Verursachung nach der Bedingungstheorie als auch der wesentlichen Verursachung der vorliegenden Erkrankung durch die versicherten Einwirkungen. Das bloße Fehlen von konkurrierenden Ursachen genügt bei komplexen Krankheitsgeschehen, die mehrere Ursachen haben können, gerade nicht, vielmehr ist die genannte einzelfallbezogene positive Feststellung erforderlich, weil sonst eine Beweislastumkehr einträte (BSG Urteil vom 02. April 2009, B 2 U 9/08 R, RN 26; BSG Urteil vom 9. Mai 2006, B 2 U 1/05 R;BSG Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 13/05 R, zitiert nach Juris). Beweismaßstab für die haftungsbegründende Kausalität ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit vgl. bspw.BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 5/05 Rzitiert nach Juris)

Die Frage, ob danach ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem schädigenden Ereignis und einem Gesundheitsschaden besteht, ist in erster Linie nach medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Im Rahmen seiner richterlichen Überzeugungsbildung hat das Gericht alles Erforderliche zu tun, um diese Frage zu klären (§§ 103, 128 SGG), wobei es sich des Urteils fachkundiger Sachverständiger zu bedienen hat, um mit deren Hilfe festzustellen, ob nach den einschlägigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen das angeschuldigte Ereignis die wahrscheinliche Ursache des bestehenden Gesundheitsschadens ist. Maßgebend ist hierfür grundsätzlich die herrschende medizinische Lehrmeinung, soweit sie sich auf gesicherte Erkenntnisse stützen kann. Andererseits ist es nicht Aufgabe des Gerichts, sich mit voneinander abweichenden medizinischen Lehrmeinungen im Einzelnen auseinanderzusetzen und darüber zu entscheiden, welche von ihnen richtig ist (BSG, Urteile vom 20. September 1977, Az.: 8 RU 24/77, vom 12. November 1986, Az.: 9 b RU 76/86, und vom 26. Februar 1997, Az.: 9 b V 221/96, zitiert nach juris). Weiter ist zu berücksichtigen, ob das angeschuldigte Unfallereignis nach genereller herrschender medizinischer Lehrmeinung überhaupt geeignet ist, die angeschuldigten Gesundheitsstörungen hervorzurufen (BSG vom 09. Mai 2006, B 2 U 1/05 R m. W. N., zitiert nach juris).

In Anwendung dieser Grundsätze steht für den Senat fest, dass die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden die Unfallfolgen umfassend und zutreffend anerkannt hat. Weitere Gesundheitsstörungen, insbesondere des psychiatrischen Fachgebietes, sind nicht Unfallfolge.

Unstreitig hat die Klägerin am 20. November 2003 einen Unfall erlitten, der gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8b SGB VII von der Beklagten zu entschädigen ist. Entsprechend hat die Beklagte das Ereignis auch mit Bescheid vom 3. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2009 als Arbeits-/Schulunfall und eine folgenlos ausgeheilte Kopfplatzwunde sowie eine folgenlos ausgeheilte leichtgradige Schädelprellung als Schädigungsfolgen anerkannt. Weitere Schädigungsfolgen lassen sich zur Überzeugung des Senats bei der Klägerin nicht feststellen. Dies gilt sowohl für ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma als auch für eine depressive Persönlichkeitsstörung, die als Dysthymie mit rezidivierenden depressiven Episoden zu bezeichnen ist.

Dass bei der Klägerin ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma vorliegt, lässt sich bereits nicht im Vollbeweis sichern. Es ist bereits zweifelhaft, ob die Klägerin ein Schädel-Hirn-Trauma überhaupt erlitten hat, denn anlässlich der Erstuntersuchung am Unfalltag hat der die Klägern behandelnde Durchgangsarzt ausdrücklich festgehalten „keine Schädel-Hirn-Trauma-Symptomatik“. Eine Bewusstlosigkeit wurde nicht beschrieben. Es gab lediglich einen kurzen Moment, an den sich die Klägerin nicht mehr erinnern konnte. Ihre Erinnerung setzte aber zu einem Zeitpunkt ein, zudem sie - noch - auf dem Stuhl saß, auf dem sie auch zuvor gesessen hatte - und nicht wie später beschrieben wird, sich auf dem Boden wieder gefunden habe. Auch die später von der Beklagten als Zeugen vernommenen Mitschüler der Klägerin haben eine Bewusstlosigkeit nicht beschrieben. Zutreffend hat bereits der für die Beklagte tätige Gutachter Dr. M darauf hingewiesen, dass übliche weitere Symptome wie Verwirrtheit, Desorientierung, posttraumatische Amnesie, Schwindel oder passagere fokale neurologische Zeichen oder Anfälle ebenfalls gefehlt hätten. Danach jedenfalls kann es sich, wie bereits das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, lediglich um ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma gehandelt haben, das weder im EEG vom 25. November 2003 noch im neurologischen Befund krankheitswertige Störungen gezeigt hat. Eine (hirn-)organische Schädigung konnte auch die Magnetresonanztomographie vom 5. Dezember 2003 nicht ergeben. Hier zeigte sich weder eine Raumforderung noch eine Blutung. Die gefundenen einzelnen white-matter-lesions rechts occipital subcortical sowie der Verdacht auf kleine mikroangiophathische Läsionen paramedian in der Pons wurden als am ehesten konnatal eingeschätzt. Zutreffend vermisst daher der im Berufungsverfahren als Sachverständige bestellte Prof. Dr. K ein neurologisches Korrelat zur Feststellung einer organisch bedingten Persönlichkeitsveränderung. Auch die Diagnose eines „post-concussion“-Syndroms lässt sich bei der Klägerin nicht eindeutig feststellen. Zwar wird dieses Syndrom in der Literatur gut beschrieben als psychische Symptomatik nach einem Schädel-Hirn-Trauma, jedoch sind nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft keine eindeutigen organischen Korrelate bekannt. Insofern beschreibt dieses Syndrom eine statistisch erwartbare Symptomatik nach einem Ereignis. Die Abgrenzung zu anderen psychischen Störungen ist jedoch schwierig und in der Literatur wird dies auch entsprechend diskutiert. Wie bereits oben dargestellt, ist Maßstab für die Feststellung von Erkrankungen jedoch die herrschende medizinische Lehrmeinung, soweit sie sich auf gesicherte Erkenntnisse stützen kann, denn es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich mit voneinander abweichenden medizinischen Lehrmeinungen im Einzelnen auseinanderzusetzen und darüber zu entscheiden, welche von ihnen richtig ist (BSG, Urteile vom 20. September 1977, Az.: 8 RU 24/77, vom 12. November 1986, Az.: 9 b RU 76/86, und vom 26. Februar 1997, Az.: 9 b V 221/96, zitiert nach juris). Im Hinblick auf ein bei der Klägerin möglicherweise vorliegendes „post-concussion“-Syndroms, bedeutet dies, dass ein solches nicht mit der im Unfallrecht notwendigen Gewissheit festgestellt werden kann. Stand der Wissenschaft ist, dass es bei Kindern mit einem Schädelhirntrauma zu einer verzögerten Symptomverbesserung kommen kann, dies betrifft aber nur 2-11 % aller Kinder, die ein solches Ereignis erleiden, und es fehlt hier auch insoweit an einem organisch nachweisbaren Korrelat. Lässt sich aber bereits die Gesundheitsstörung nicht im Vollbeweis sichern, erübrigt sich eine Diskussion über die Frage, ob diese lediglich möglicherweise vorliegende Gesundheitsschädigung hinreichend wahrscheinlich auf den Unfall zurückzuführen ist, denn nach den oben dargestellten Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist die Gesundheitsstörung im Vollbeweis nachzuweisen.

Die Klägerin leidet allerdings unter depressiven Episoden in Kombination mit den Symptomen einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung, wie sich aus dem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Prof. Dr. K ergibt. Ähnlich hat die im Klageverfahren tätige Sachverständige Prof. Dr. L diese Erkrankung als depressive Persönlichkeitsstörung, die als Dysthemie mit rezidivierenden depressiven Episoden einhergeht, eingeordnet. Diese Erkrankung lässt sich jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich auf den Unfall vom 20. November 2003 zurückführen. Hierbei ist zunächst zu beachten, dass bei der Klägerin unmittelbar nach dem Unfall eine psychische Reaktion nicht zu beobachten war. Im Gegenteil besuchte sie bereits am folgenden Tag wieder den Unterricht. Zwar konnte sie danach bis zu den Weihnachtsferien nicht am Unterricht teilnehmen, dies beruhte jedoch nicht auf einer psychischen Reaktion, sondern auf Kopfschmerzen, Konzentrationsproblemen und Übelkeit, die dem leichten Schädel-Hirn-Trauma zugeschrieben wurden. Die Klägerin hat aufgrund des Unfalls, des Schlages mit einem Stuhl auf den Kopf, auch keineswegs eine posttraumatische Belastungsstörung - die später in einer Depression oder der Persönlichkeitsstörung gemündet haben könnte - erlitten. Hier fehlt es an den Kriterien nach dem ICD-10, wie Nachhallerinnerungen, anhaltenden Erinnerungen, Vermeidung der Schule etc. Wie sich aus dem Schulbesuch am nächsten Tage zeigt, hat sie die Schule im Anschluss an den Unfall keineswegs gemieden. Ihr Verhältnis zum Mitschüler, der sie verletzt hat, war nach dem Unfall eher besser als zuvor.

Die Klägerin hat auch nicht unmittelbar im Anschluss an den Unfall eine andere psychiatrische Erkrankung ausgebildet, sondern vielmehr erst im Anschluss an die Rückkehr in ihre Klasse, von der sie sich missverstanden und ausgegrenzt fühlte. Schlüssig, nachvollziehbar und sehr ausführlich beschreibt der Sachverständige Prof. Dr. K, dass keinesfalls der Schlag an sich die psychische Entwicklung der Klägerin beeinflusst hat, sondern vielmehr die Veränderungen im Klassengefüge, das Gefühl der Klägerin, von den Klassenkameraden nicht ausreichend als das Opfer des Schlages gesehen zu werden. Ähnlich hat letztendlich auch die im erstinstanzlichen Verfahren bestellte Sachverständige Prof. Dr. L sich geäußert, wenn sie ausführt, es sei eine multifaktorielle Genese der depressiven Entwicklung anzunehmen. Auch Prof. Dr. L beschreibt die Reaktionen aus dem Umfeld - Rückzug der Freundinnen, Desinteresse der Lehrer und Mitschüler -, das Gefühl des Nichtverstandenseins, des Alleingelassenseins sowie die vulnerable Phase der Adoleszenz als weitere Faktoren für die Ausbildung einer Persönlichkeitsstörung. Soweit sie aber den Unfall als „Schlüsselerlebnis“ sieht, das die Klägerin aus der Bahn geworfen hat, kann der Senat dem nicht folgen. Vielmehr erscheint die Einschätzung des im Berufungsverfahren tätigen Prof. Dr. K, dass der Unfall ein Auslöser für die Veränderungen der Klägerin gewesen sei, dass aber die in der Folgezeit bei der Klägerin aufgetretenen verschiedenen psychischen Symptome und Störungsbilder nicht eindeutig kausal damit in Zusammenhang gebracht werden könnten, überzeugend, denn allein dies entspricht den Grundsätzen, nach denen die unfallrechtliche Kausalität festzustellen ist. Zwar ist zunächst in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinn festzustellen, ob das Unfallereignis hinweggedacht werden kann, ohne dass die Gesundheitsschädigung entfiele (Äquivalenztheorie). Insofern ist der Sachverständigen Prof. Dr. Lzuzustimmen, dass der Unfall als ein erster Punkt für die anschließenden Entwicklungen im Klassenverband nicht hinweggedacht werden kann; dies gilt jedoch genauso für jede andere Handlung vor der Erkrankung - das Aufstehen am Morgen, das Zurücklegen des Weges zur Schule, der Schulbesuch an diesem Tag. Aus diesem Grund ist, wenn feststeht, dass das Unfallereignis Ursache in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinne ist, weil es nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass auch die Gesundheitsstörung entfiele, in einem zweiten - wertenden - Schritt festzustellen, ob dieses mitursächliche Unfallereignis auch die wesentliche Ursache der Gesundheitsstörung ist. Daran fehlt es jedoch vorliegend. Zwar kann der Unfall nicht hinweggedacht werden, ohne dass auch das anschließende Gefühl der Klägerin, nicht verstanden zu werden, allein zu sein, von ihrer Klasse nicht mehr gemocht zu werden, wegfallen würde. Dem Unfall kommt damit aber keineswegs die Position eines Schlüsselereignisses zu, sondern lediglich der Wert eines Auslösers für die anschließenden Umstände, die dann erst zur Entwicklung der Gesundheitsstörungen geführt haben.

Anschaulich hat Prof. Dr. K auch dargelegt, dass selbst wenn man – was der Senat nicht tut - dieses vergleichsweise begrenzte Trauma als wesentliche Ursache zur Entwicklung einer psychischen Störung ansehen würde, die Unterhaltung und Ausweitung der Störung durch andere unfallfremde Umstände unterhalten und verstärkt worden ist. Er nennt hier unter anderem die lang andauernde Beschäftigung mit dem Trauma als Folge der Auseinandersetzung mit der Beklagten und der dadurch immer wieder notwendig werdenden Begutachtungen, die sich während der Pubertät zeigende Veränderung in den familiären Beziehungen, die anschließenden Fehlzeiten in der Schule, die nachlassenden schulischen Leistungen, die Aufgabe der Lebensplanung (Abitur) und Schuldgefühle, dass auch die Mutter an einer Depression erkrankt sei. Hieraus folgt zur Überzeugung des Senats, dass selbst wenn man davon ausgehen würde, dass das begrenzte Trauma des Unfalls bei der Klägerin auch zu psychischen Störungen geführt hätte, das heute vorliegende Krankheitsbild nur zu einem - geringen - Teil auf den Unfall zurückgeführt werden könnte. Eine Entschädigung käme selbst in diesem Fall nur für einen allenfalls kurzen Zeitraum nach dem Unfall in Betracht.

Ergänzend verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die ausführlichen Gründe des erstinstanzlichen Urteils, das sich zutreffend und sehr ausführlich auch mit den als konkurrierende Ursachen in Betracht kommenden Umständen, der Schilddrüsenerkrankung der Klägerin sowie dem Beginn der – auch allgemein nicht unproblematischen Zeit der – Pubertät, in die das Ereignis fiel, auseinandersetzt.

Steht nach alledem fest, dass bei der Klägerin als Folgen des Unfalls vom 20. November 2003 lediglich eine folgenlos ausgeheilte Kopfplatzwunde sowie eine folgenlos ausgeheilte Schädelprellung anzuerkennen sind, so ist eine MdE - und schon gar keine rentenberechtigende - nicht festzustellen, da länger andauernde Unfallfolgen nicht vorliegen.

Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.