Gericht | OLG Brandenburg 1. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 21.05.2014 | |
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Aktenzeichen | 1 (Z) Sa 19/14 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Zuständig ist das Amtsgericht Oranienburg.
I.
Die Klägerin beantragte am 08.06.2011 beim Amtsgericht Euskirchen den Erlass eines Mahnbescheids gegen den Beklagten über eine Forderung in Höhe von 1.136,55 € nebst Zinsen und Nebenforderungen unter Angabe des Amtsgerichts Oranienburg als Streitgericht. Der Mahnbescheid wurde am 08.06.2011 antragsgemäß erlassen und am 10.06.2011 dem Beklagten zugestellt.
Der Beklagte legte Widerspruch ein, woraufhin das Mahngericht unter dem 27.06.2013 die Kosten für die Durchführung des streitigen Verfahrens von der Klägerin anforderte und diese darauf hinwies, dass zur Abgabe des Verfahrens an das Streitgericht ein Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens erforderlich sei, als der auch die Zahlung des angeforderten Kostenvorschusses angesehen werde.
Am 16.12.2013 erfolgte die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses. Das Amtsgericht Euskirchen gab das Verfahren daraufhin an das Amtsgericht Oranienburg ab, bei dem die Verfahrensakten am 18.12.2013 eingingen.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 16.01.2014 wurde die Klage dahingehend begründet, dass Zahlungsansprüche gegen den Beklagten aus zwischen den Parteien geschlossenen Mobilfunkverträgen geltend gemacht würden. Der Beklagte verteidigte sich gegen die Klage und ließ dazu u. a. ausführen, dass er bereits seit Januar 2011 nicht mehr in Oranienburg, sondern in Berlin wohnhaft sei.
Mit Schriftsatz vom 08.04.2014 beantragte die Klägerin vorsorglich die Verweisung des Rechtsstreits an das für den neuen Wohnsitz des Beklagten zuständige Amtsgericht Spandau.
Durch Beschluss vom 29.04.2014 hat sich das Amtsgericht Oranienburg für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Spandau verwiesen.
Das Amtsgericht Spandau hat sich durch Beschluss vom 05.05.2014 seinerseits für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Senat vorgelegt.
II.
Auf den Vorlagebeschluss des Amtsgerichts Spandau vom 05.05.2014 ist die Zuständigkeit des Amtsgerichts Oranienburg für den vorliegenden Rechtsstreit auszusprechen.
1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, weil das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist und das zu seinem Bezirk gehörende Amtsgericht Oranienburg mit der Sache zuerst befasst gewesen ist.
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Oranienburg als auch das Amtsgericht Spandau haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, und zwar ersteres durch den Verweisungsbeschluss vom 29.04.2014 und letzteres durch den Vorlagebeschluss vom 05.05.2014. Beide Entscheidungen genügen den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekanntgemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat NJW 2004, 780; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 36, Rdnr. 24 f.).
3. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Oranienburg.
Zwar kommt dessen Verweisungsbeschluss vom 29.04.2014 grundsätzlich Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO zu. Diese entfällt jedoch ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Im Interesse einer baldigen Klärung und der Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler, wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzu kommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder Grundlage entbehrt (BGH, Beschluss vom 17.05.2011, X ARZ 109/11, Rdnr. 9, zitiert nach juris; Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; 2004, 780; eingehend ferner: Tombrink NJW 2003, 2364 f.; jeweils m. w. N.). Den derart zu konkretisierenden (verfassungsrechtlichen) Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Oranienburg nicht stand.
a) Das Amtsgericht Oranienburg ist örtlich zuständig.
Das ergibt sich ungeachtet des aktuellen Wohnsitzes des Beklagten aus § 29 ZPO. Für Ansprüche aus Mobilfunkverträgen bemisst sich der Erfüllungsort für die Leistungspflichten des Kunden nach § 269 Abs. 1 BGB (Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 29, Rdnr. 25 „Mobilfunk-(Dienst-)vertrag“). Nach dieser Vorschrift ist maßgebend der Ort, an dem der Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte; ein späterer Wohnsitzwechsel ändert den so begründeten Erfüllungsort nicht (Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 269, Rdnr. 18 m. w. N.). Ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Auftragserteilungen vom 06.08.2008 (Bl. 14 d. A.) und 25.11.2008 (Bl. 17 d. A.) hat sich der Wohnort des Klägers zum Zeitpunkt der Vertragsschlüsse in Oranienburg befunden; auch nach seinem eigenen Vortrag ist er dort erst seit 2011 nicht mehr wohnhaft. Da § 29 ZPO sowohl für vertragliche Primär- als auch für vertragliche Sekundäransprüche gilt (Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 29, Rdnr. 16 ff., m. w. N.), ist der Gerichtsstand des Erfüllungsorts folglich für alle mit der Klage geltend gemachten Forderungen beim Amtsgericht Oranienburg gegeben.
b) Im Hinblick darauf stellt sich der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 29.04.2013 als grob rechtsfehlerhaft und willkürlich dar. Das folgt zwar noch nicht aus dem Übergehen des besonderen Gerichtsstands nach § 29 ZPO (vgl. BGH NJW-RR 2011, 1364, 1365). Hinzu tritt jedoch eine Verkennung der unwiderruflichen Ausübung des Wahlrechts unter mehreren Gerichtsständen nach § 35 ZPO durch die Klägerin; ein unter diesem Mangel leidender Verweisungsbeschluss unterliegt regelmäßig nicht der Bindungswirkung (vgl. BGH NJW 2002, 3634, 3635 f.; 1993, 1273; Senat, Beschluss vom 18.03.2014, 1 (Z) Sa 12/14; Beschluss vom 15.11.2013, 1 (Z) Sa 62/13).
In der Bezeichnung des Amtsgerichts Oranienburg als Streitgericht im Antrag auf den Erlass des Mahnbescheids liegt eine Ausübung des Wahlrechts nach § 35 ZPO durch die Klägerin. Denn der Beklagte hat schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Oranienburg gewohnt mit der Folge, dass der Klägerin die Wahl zwischen dem Amtsgericht Oranienburg als Gerichtsstand des Erfüllungsorts und dem Gericht des allgemeinen Gerichtsstands nach §§ 12, 13 ZPO offengestanden hat. Das erschließt sich aus den mit der Anspruchsbegründung vorgelegten Rechnungen der Klägerin für November 2010 (Bl. 20 d. A.) und Dezember 2010 (Bl. 24 d. A.), die dem Beklagten unter der Anschrift: …weg 6, B…, übersandt worden sind. An diese Anschrift sind auch die mit der Replik vom 08.04.2014 vorgelegten Schreiben der Klägerin vom 14.05.2010 (Bl. 45 d. A.) und 18.07.2010 (Bl. 46 d. A.) versandt worden; dem letztgenannten Schreiben ist ein Kundenprofil der Klägerin zugehörig (Bl. 47 d. A.), das ebenfalls die Anschrift des Beklagten in B… ausweist. Ungeachtet des Einwands des Amtsgerichts Spandau, dass der Beklagte erst am 16.04.2012 den Wohnsitz in Berlin bezogen habe, hat bei Einleitung des Mahnverfahrens damit eine örtliche Zuständigkeit nicht nur des Amtsgerichts Oranienburg, sondern auch des Amtsgerichts Neuruppin als das für B… örtlich zuständige Amtsgericht bestanden. Nachdem diese Wohnsitzverlegung der Klägerin ausweislich der mit dem Beklagten geführten Korrespondenz auch bekannt gewesen ist, liegt in der Nennung des Amtsgerichts Oranienburg eine Wahlrechtsausübung; der Fall, dass der klagenden Partei der Wechsel des Wohnsitzes und die sich daraus ergebende Zuständigkeitskonkurrenz erst nachträglich bekannt geworden ist mit der Folge, dass sie eine nach § 35 ZPO bindende Wahl des Gerichtsstands nicht hat treffen können (vgl. Senat, Beschluss vom 15.11.2013, 1 (Z) Sa 62/13; Beschluss vom 28.02.2013, 1 (Z) Sa 6/13; Beschluss vom 08.11.2012, 1 (Z) Sa 39/12; KG NJW-RR 2001, 62, 63; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 35, Rdnr. 2), liegt ersichtlich nicht vor.
Nachdem der Antrag auf die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Spandau nicht bereits beim Mahngericht (vgl. dazu: Senat, Beschluss vom 18.03.2014, 1 (Z) Sa 12/14), sondern erst im streitigen Verfahren beim Amtsgericht Oranienburg gestellt worden ist, ist die Verweisung des Rechtsstreits nicht mehr möglich gewesen, da die klägerseitige Ausübung des Wahlrechts des Gerichtsstands gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO mit dem Vollzug der Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Oranienburg als das im Mahnverfahren bezeichnete Streitgericht bindend geworden ist (vgl. BGH BGH-Report 2003, 42, 43; Senat a. a. O.; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 35, Rdnr. 2).