Gericht | FG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 17.10.2013 | |
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Aktenzeichen | 10 K 14034/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob dem Kläger anlässlich des Erwerbs eines Eigenheims eine Förderung nach §§ 92a, 92b Einkommensteuergesetz -EStG- zusteht (Altersvorsorge-Eigenheimbeitrag).
Am 27. April 2010 nahmen der 1959 geborene Kläger und seine Ehefrau ein Bankdarlehen in Höhe von 90.000 Euro zwecks Erwerbs einer Immobilie auf. Sie planten diesen Betrag alsbald aus dem Verkaufserlös ihrer Eigentumswohnung vollständig abzulösen. Daher sah der Darlehensvertrag eine Zinsfestschreibung lediglich bis zum 31. Oktober 2010 und eine jederzeit bestehende Sondertilgungsmöglichkeit in voller Höhe vor.
Mit notariellem Kaufvertrag vom 29. April 2010 erwarb der Kläger mit seiner Ehefrau sodann ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück in B… zu eigenen Wohnzwecken. Dem Kaufvertrag entsprechend zahlten die Erwerber - unter anderem mit Hilfe des oben genannten Darlehens - den Kaufpreis in Höhe von 170.000 Euro am 07. Juni 2010 an die Veräußerer. Zum 24. Juni 2010 meldeten sie ihren Hauptwohnsitz in der streitgegenständlichen Immobilie an.
Anschließend verkauften die Eheleute ihre Eigentumswohnung. Entgegen ihren Erwartungen erzielten sie jedoch lediglich einen Kaufpreis in Höhe von 65.000 Euro.
Am 07. August 2010 entrichtete der Kläger 483,60 Euro Anschaffungsnebenkosten (Eigentumsumschreibung, Katasterfortführungsgebühr, Löschung der Auflassungsvormerkung) für den Erwerb des Einfamilienhauses an die Landesjustizkasse.
Am 08. September 2010 beantragte der Kläger die Verwendung seines im Rahmen der zusätzlichen privaten Altersvorsorge steuerlich geförderten Kapitals auf seinem Altersvorsorgevertrag als Altersvorsorge-Eigenheimbeitrag nach §§ 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 92b Abs. 1 Satz 1 EStG. Der Stand des Altersvorsorgevermögens des Klägers betrug per 16. August 2010 5.231,97 Euro. Er wollte diesen Betrag zur Sondertilgung des am 27. April 2010 aufgenommenen Darlehens einsetzen.
Mit Bescheid vom 15. September 2010 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Entnahme des Eigenheimbeitrages ab.
Der Antrag sei verspätet, weil er ihn nicht innerhalb eines Monats nach Entrichtung des Kaufpreises gestellt habe. Angesichts der Zahlung des Kaufpreises am 07. Juni 2010 und der Antragstellung am 08. September 2010 bestehe kein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Antrag auf Entnahme des geförderten Altersvorsorgevermögens und der Anschaffung der Wohnung.
Mit Darlehensvertrag vom 23. September 2010 schuldeten der Kläger und seine Ehefrau den nicht durch den Verkauf der Eigentumswohnung gedeckten Teilbetrag von 25.000 Euro um. Der Vertrag sah eine Sondertilgungsmöglichkeit in Höhe des Altersvorsorgevermögens des Klägers vor.
Gegen den Ablehnungsbescheid vom 15. September 2010 wehrte sich der Kläger fristgerecht mit Einspruch.
Er habe den Antrag nicht verspätet gestellt, sondern unverzüglich nach Erkennbarkeit der unerwarteten Finanzierungslücke. Er habe den entnommenen Betrag unmittelbar in die - nach dem Gesetzeszweck als individuelle Altersvorsorge begünstigte - Hausfinanzierung einfließen lassen wollen. Die Bank habe ihn nie auf die nach der Verwaltungsauffassung geltende Monatsfrist hingewiesen, die zudem weder im Gesetz enthalten noch sachgerecht sei.
Mit Einspruchsentscheidung vom 30. Dezember 2010 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
Voraussetzung der begehrten Förderung sei nach § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, dass der Entnahmevorgang und die Anschaffung oder Herstellung der begünstigten Wohnung in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang stünden. Ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang sei anzuerkennen, sofern innerhalb eines Monats vor der Antragstellung auf Entnahme des Eigenheimbeitrags bei der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen -ZfA- und bis zu zwölf Monate nach der Auszahlung des Eigenheimbeitrages Aufwendungen für die Anschaffung oder Herstellung einer förderfähigen Wohnung entstünden. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt sei der Zeitpunkt der Entstehung der Aufwendungen (BMF-Schreiben vom 31. März 2010, BStBl I 2010, 270, Tz. 209). Die Aufwendungen, deren Förderung der Kläger begehre, seien bereits im Juni 2010 entstanden. Den Antrag habe er erst im September 2010 gestellt. Eine Entnahme zwecks Entschuldung der Immobilie sei im Falle des Klägers nicht zulässig, denn dies gestatte § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der für den Streitfall gültigen Fassung erst zu Beginn der Auszahlungsphase.
Hiergegen wehrt sich der Kläger mit seiner fristgerecht erhobenen Klage.
Er hält an seiner Einspruchsbegründung fest.
Die von der Beklagten vorgenommene, auf formalistischen Erwägungen gründende zeitliche Einschränkung führe zu unbilligen Ergebnissen.
Der Kläger beantragt,
den ablehnenden Bescheid über den Antrag auf Entnahme eines Altersvorsorge-Eigenheimbeitrags nach § 92b EStG aufzuheben und dem Antrag vom 08. September 2010 auf Entnahme eines Altersvorsorge-Eigenheimbeitrages stattzugeben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Anschaffungskosten seien die Kosten für den Erwerb eines Gebäudes. Mit Bezahlung des Kaufpreises am 07. Juni 2010 und Bezug der Wohnimmobilie am 24. Juni 2010 habe der Kläger die Anschaffung abgeschlossen. Der am 08. September 2010 gestellte Entnahmeantrag stehe nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit entstandenen Anschaffungskosten.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die in den angefochtenen Bescheiden enthaltene Ablehnungsentscheidung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des nach § 92b Abs. 1 Satz 3 EStG vorgesehenen Bescheids über die Gestattung der Entnahme eines Altersvorsorge-Eigenheimbetrages. Zu Recht hat die Beklagte die Erteilung des Bescheids mit der Begründung verweigert, es fehle an der in § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG vorausgesetzten unmittelbaren Verwendung des Eigenheimbetrages für die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung.
a) Gemäß § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG kann der Zulageberechtigte das in einem Altersvorsorgevertrag gebildete geförderte Kapital bis zum Beginn der Auszahlungsphase unmittelbar für die Anschaffung einer Wohnung verwenden.
b) Der Kläger wollte das geförderte Kapital zwar für die Anschaffung einer Wohnung verwenden. Es fehlt aber an der vom Gesetz geforderten unmittelbaren Verwendung für die Anschaffung.
aa) Die Beklagte hat das in § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG enthaltene Tatbestandsmerkmal „unmittelbar“ zutreffend im Sinne eines engen zeitlichen Zusammenhangs aufgefasst.
(1) Der Wortlaut des Gesetzes lässt zwar sowohl die seitens des Klägers als auch die seitens der Beklagten vertretene Gesetzesinterpretation zu. Die in § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gewählte Formulierung „unmittelbar“ könnte nach dem Wortsinn einerseits sachlich im Sinne von „nicht mittelbar“ und andererseits zeitlich im Sinne von „ohne zeitlichen Abstand“ verstanden werden.
(2) Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zeigt jedoch, dass die seitens der Beklagten vertretene Gesetzesauslegung zutrifft. Die Gesetzesbegründung spricht ausdrücklich von einem „unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Anschaffung oder Herstellung“ (BR-Drs. 239/08, 42). Auch die ganz herrschende Meinung im Schrifttum spricht sich für einen zeitlichen Zusammenhang aus (vergleiche zum Beispiel Veit, DStZ 2008, 352; Lindberg in Blümich, § 92a EStG Rn. 18; Killat-Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 92a EStG Anm. 7).
(3) Aus dem Gesetzeszusammenhang ist ebenfalls ersichtlich, dass der Gesetzgeber durch das in § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG enthaltene Tatbestandsmerkmal „unmittelbar“ einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Entnahme des Altersvorsorge-Eigenheimbeitrages und der begünstigen Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung sichern wollte. Zutreffend weist die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die in § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der bis 30. Juni 2013 gültigen Fassung vorgesehene Möglichkeit der Entschuldung einer Wohnung zu Beginn der Auszahlungsphase verdeutlicht, dass die Entschuldung einer bereits vor längerer Zeit angeschafften oder hergestellten Wohnung - mangels unmittelbar zeitlichen Zusammenhangs zwischen Aufwendungen für Anschaffung/Herstellung und Entnahme - nicht unter § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG in der für den Streitfall gültigen Fassung fällt. Eine Kapitalentnahme während der Ansparphase zwecks Entschuldung einer vor längerer Zeit angeschafften Wohnung ist aufgrund der Neufassung des § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG durch das AltvVerbG vom 24. Juni 2013 erst ab dem Veranlagungszeitraum 2014 möglich (§ 52 Abs. 23h EStG).
(4) Entscheidend ist letztlich, dass auch der Sinn und Zweck des Gesetzes klarstellt, dass der Gesetzgeber mit dem Tatbestandsmerkmal „unmittelbar“ ausschließlich einen gewissen zeitlichen Zusammenhang gemeint haben kann. Fasste man das Tatbestandsmerkmal im Sinne von „nicht mittelbar“ auf, so würde dies - was der Kläger möglicherweise verkennt - zu einer wesentlichen Einschränkung der Förderung führen. Denn streng genommen würde eine unmittelbare Verwendung für die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung dann nur vorliegen, sofern die förderfähigen Aufwendungen direkt mit den entnommenen Mitteln beglichen würden. Eine Zwischenfinanzierung der Aufwendungen wäre dann - vor dem Hintergrund unkalkulierbarer Bearbeitungszeiten der Beklagten wenig praxisgerecht - nicht mehr möglich (Killat-Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 92a EStG Anm. 7). Auch die von den Eheleuten angestrebte Sondertilgung des zwecks Finanzierung der Immobilie aufgenommenen Kredits wäre danach kein unmittelbarer Ausgleich von Anschaffungskosten.
bb) Der nach den oben dargelegten Grundsätzen erforderliche enge zeitliche Zusammenhang ist im Falle des Klägers nicht gewahrt. Die maßgeblichen Aufwendungen sind im Streitfall früher als einen Monat vor Antragstellung entstanden.
(1) Der enge zeitliche Zusammenhang muss zwischen dem Zeitpunkt der Entstehung der begünstigten Aufwendungen und der Antragstellung nach § 92b Abs. 1 Satz 1 EStG bestehen. § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG fördert eine dort näher bestimmte wohnungswirtschaftliche Verwendung von Altersvorsorgevermögen. Der Begünstigte, dem nach dieser Norm förderungswürdige Anschaffungs- oder Herstellungskosten entstanden sind oder alsbald entstehen werden, soll schon während der Ansparphase zeitnah Altersvorsorgevermögen ohne die Rechtsfolgen einer schädlichen Verwendung im Sinne des § 93 EStG entnehmen dürfen. Entstanden sind die Aufwendungen grundsätzlich zu dem Zeitpunkt, zu dem sie bei dem Erwerber abfließen. Das war vorliegend der Zeitpunkt der Zahlung des Kaufpreises am 07. Juni 2010 beziehungsweise der Anschaffungsnebenkosten am 07. August 2010. Den Antrag nach § 92b Abs. 1 Satz 1 EStG hat der Kläger erst am 08. September 2010 und damit später als einen Monat nach Entstehung der begünstigten Aufwendungen gestellt.
(2) Der Senat stimmt der Verwaltungsauffassung zu, dass im Falle vor Antragstellung entstandener Aufwendungen von einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang nur dann noch auszugehen ist, sofern die entsprechenden Aufwendungen innerhalb eines Monats vor Antragstellung bei der zentralen Stelle im Sinne des § 81 EStG entstanden sind (heute BMF vom 24. Juli 2013, BStBl I 2013, 1022, Tz. 242; vgl. jedoch bereits BMF vom 20. Januar 2009, BStBl I 2009, 273, Tz. 157a; zustimmend auch Schneider/Krammer in Littmann/Bitz/Pust, § 92a EStG Rz. 8; Killat-Risthaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 92a EStG Anm. 7). Der Gesetzgeber hat zwar offen gelassen, welcher konkrete Zeitraum von einer „unmittelbaren“ Verwendung noch gedeckt ist. Zum Teil wird ein Zeitraum von bis zu sechs Monaten darunter gefasst (Lindberg in Blümich, § 92a EStG Rz. 18). Da ein „unmittelbarer“ zeitlicher Zusammenhang aber einen sehr engen zeitlichen Zusammenhang voraussetzt und es dem Begünstigten, der Aufwendungen mit dem Altersvorsorge-Eigenheimbeitrag finanzieren möchte, zuzumuten ist, den Antrag bei der ZfA umgehend nach Entstehung der Aufwendungen zu stellen, erscheint der Monatszeitraum ausreichend großzügig bemessen. Der zum Teil für die Beurteilung der Unmittelbarkeit im Sinne des § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG herangezogene Maßstab „ohne schuldhaftes Zögern“ (Lindberg in Blümich, § 92a EStG Rz. 18) entspricht der sonst im juristischen Sprachgebrauch üblichen Verknüpfung dieser Richtschnur mit dem Begriff „unverzüglich“. Die damit verbundene Einbindung im Einzelfall gegebener subjektiver Verschuldenselemente in das Förderkonzept der im XI. Abschnitt des EStG geregelten Altersvorsorgezulage ist jedoch weder praxistauglich für ein Massenverfahren noch vor dem Hintergrund des Förderzwecks - der Begünstigung objektiv entstandener förderungswürdiger Aufwendungen für eine selbstgenutzte Immobilie - angebracht.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, da der Streitfall die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, wie das in § 92a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG enthaltene Tatbestandsmerkmal „unmittelbar“ auszulegen ist. Der Sache kommt zudem grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu. Im Senat sind mehrere gleichgelagerte Fälle anhängig.