Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 06.06.2013 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | L 2 U 221/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 8 SGB 7 |
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus 21. September 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.
Die 1971 geborene Klägerin, die eine Tätigkeit als Kundenberaterin ausübt, bildet für den Weg zur Arbeit eine Fahrgemeinschaft mit einer Arbeitskollegin. Dabei treffen sich die Kolleginnen jeweils in F auf dem Marktplatz, um dann abwechselnd gemeinsam in einem Pkw zur Arbeitsstelle zu fahren.
Am 05. Mai 2009 hatte die andere Kollegin ihre Tasche im Auto der Klägerin vergessen. Im Durchgangsarztbericht der am Folgetag aufgesuchten Dr. H/Frau D ist der Unfallhergang wie folgt wiedergegeben: „Mit Kollegin auf dem Heimweg. Diese hatte im Auto ihre Tasche vergessen, läuft dieser nach und rutscht dabei auf feuchtem Kopfsteinpflaster aus und knickt um.“ Hierbei erlitt die Klägerin eine Spontanluxation der Patella, die zunächst zu einem stationären Aufenthalt bis zum 13. Mai 2009 im Klinikum F GmbH führte. Im Entlassungsbericht des Klinikums GmbH vom 13. Mai 2009 ist zum Unfallhergang ausgeführt, dass sich die Klägerin beim Aussteigen aus einem Pkw auf feuchtem Kopfsteinpflaster das rechte Kniegelenk verdreht habe. In der Unfallanzeige vom 07. Mai 2009 ist der Hergang wie folgt geschildert: „Ich stieg aus dem Auto, da meine Kollegin ihre Tasche in meinem Wagen vergessen hatte. Ich öffnete die Fahrertür, ergriff die Tasche und drehte mich mit Schwung um. Als ich den Fuß auf die Straße setzte, rutschte ich aus und fiel auf mein rechtes Knie“.
Mit Bescheid vom 18. Juni 2009 „über die Ablehnung des Ereignisses vom 05. Mai 2009 als Arbeitsunfall“ teilte die Beklagte mit, dass ein Arbeitsunfall durch das streitige Ereignis nicht vorgelegen habe, da grundsätzlich nur der direkte Weg zwischen dem Ort der Tätigkeit und der Wohnung versichert sei und das Verlassen des Autos mit dem Nachlaufen zu der Kollegin einen nicht mehr versicherten Abweg dargestellt habe. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juli 2009 zurück.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Cottbus mit Urteil vom 21. September 2012 abgewiesen. Die Verrichtung der Klägerin zur Zeit des Unfalls sei nicht der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Die Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt habe nicht mehr dazu gedient, den versicherten Weg zurückzulegen, damit habe es am erforderlichen notwendigen Zusammenhang gefehlt. Die Rückgabe der Tasche stelle weder eine Fortbewegung auf dem versicherten Weg da noch nütze sie einer solchen Fortbewegung.
Gegen dieses ihr am 23. Oktober 2012 zugegangene Urteil richtet sich die am 08. November 2012 eingegangene Berufung der Klägerin. Die Klägerin trägt vor, sich zum Zeitpunkt des Sturzes nicht auf einem Abweg befunden zu haben. Sie habe nicht die Absicht gehabt, sich von ihrem Auto zu entfernen, sondern habe nur für einen kurzen Moment aussteigen wollen, um ihre Kollegin zu rufen. Sie habe sich räumlich nicht vom versicherten Weg entfernt gehabt. Allein das Aussteigen aus dem Auto, ohne sich hiervon zu entfernen, könne noch keinen Abweg darstellen. Sie habe sich zum Zeitpunkt des Unfalls noch genau auf dem unmittelbaren Weg befunden. Ferner sei verkannt worden, dass auch persönliche Tätigkeiten versichert seien, wenn sie zeitlich nur ganz kurz ohne wesentliche Entfernung von der Stelle der versicherten Tätigkeit eingeschoben würden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 21. September 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall vom 05. Mai 2009 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Ablauf nicht vergleichbar mit einer Verrichtung „im Vorbeigehen“ z. B. an einem Kiosk beim Laufen auf dem Gehweg sei. Die eigenwirtschaftliche Handlungstendenz sei mit dem Verlassen des Pkw geprägt worden, da genau dieses Verlassen nicht mehr dem Zurücklegen des versicherten Weges gedient habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die Gerichtsakte sowie die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte mit Bescheid vom 18. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juli 2009 das Vorliegen eines Arbeitsunfalls verneinte.
Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall eines Versicherten ist danach im Regelfall erforderlich, dass seine Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (BSG, Urteil vom 17. Februar 2009, Az. B 2 U 26/07 R, m. w.N.).
Nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 gilt als versicherte Tätigkeit auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit; nach Nr. 2 ist auch das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um mit anderen Beschäftigten oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen, eine versicherte Tätigkeit. Zu den versicherten Tätigkeiten eines Versicherten zählt damit auch das Zurücklegen des mit der nach den §§ 2, 3, 6 SGB VII versicherten Tätigkeit "zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit". Diese Formulierung kennzeichnet den sachlichen Zusammenhang der unfallbringenden versicherten Fortbewegung als Vor- oder Nachbereitungshandlung mit der nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII versicherten Tätigkeit. Er besteht, wenn die Fortbewegung von dem Zweck bestimmt ist, den Ort der Tätigkeit oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung zu erreichen. Die darauf gerichtete Handlungstendenz muss durch die objektiven Umstände bestätigt werden (BSG, Urteil vom 17. Februar 2009, Az. B 2 U 26/07 R, m. w. N., BSG vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 29/06 R, jeweils zitiert nach juris). Die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses muss im sachlichen Zusammenhang mit dem versicherten Zurücklegen des Weges stehen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das Handeln des Versicherten zur Fortbewegung auf dem Weg zur oder von der Arbeitsstätte gehört, wobei dabei unerheblich ist, dass der Versicherte den öffentlichen Verkehrsraum noch nicht verlassen haben mag (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2009, Az. B 2 U 26/07 R, m. w. N., .BSG vom 4. September 2007 - B 2 U 24/06 R). Eine Unterbrechung des versicherten Weges tritt auch schon vor dem Überschreiten der Grenze des öffentlichen Verkehrsraumes ein, sobald deutlich wird, dass das Verhalten des Versicherten nicht mehr durch den Willen zur Fortsetzung des Weges von oder zu dem Ort der Tätigkeit, sondern durch eine andere Handlungstendenz gekennzeichnet ist. Es steht dem Versicherten nur solange frei, sich im öffentlichen Verkehrsraum beliebig zu bewegen, wie die Fortbewegung nach seiner objektivierten Handlungstendenz der Zurücklegung des versicherten Weges zu dienen bestimmt ist (BSG, Urteil vom 17. Februar 2009, a. a. O., BSG vom 9. Dezember 2003, B 2 U 23/03 R, zitiert nach juris). Nur das Zurücklegen dieses Weges, also die allein von dieser Handlungstendenz bestimmte Fortbewegung vom Ort der Tätigkeit in den Privatbereich (oder umgekehrt) ist eine versicherte Tätigkeit.
Zum Unfallzeitpunkt war die Handlungstendenz der Klägerin indes nicht mehr auf die Fortsetzung des versicherten Weges mit dem Ziel, ihre Wohnung zu erreichen, gerichtet. Vielmehr hatte sie ihr Fahrzeug verlassen, um ihrer Kollegin die vergessene Handtasche hinterher zu bringen - dies war die eigene Angabe der Klägerin bei den erstbehandelnden Ärzten, hieran besteht auch kein Zweifel - oder aber, um diese jedenfalls auf die vergessene Tasche aufmerksam zu machen, was letztlich dahin stehen kann. Jedenfalls hatte die Klägerin deshalb ihr eigenes Fahrzeug bereits verlassen. Wegen dieser Änderung im Handlungszweck weg von der Zurücklegung des durch die Beschäftigung veranlassten Weges hin zu einem nicht mehr der versicherten Fortbewegung dienenden Verhalten lag eine im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nach § 8 Abs 2 Nr. 1 SGB VII stehende Verrichtung zum Unfallzeitpunkt nicht mehr vor. Die Handlungstendenz der Klägerin war im Moment ihres Sturzes nicht mehr durch das Erreichen der eigenen Wohnung auf dem Weg von der Arbeit bzw. dem Fahrgemeinschaftstreffpunkt gekennzeichnet, sondern dadurch, dass sie ihrer Kollegin deren Handtasche hinterher bringen wollte. Dies ist – da nur die Handlungstendenz in Bezug auf das Wegeziel abgegrenzt werden soll - eine eigenwirtschaftliche Handlung mit der Folge, dass sich die Klägerin im Moment des Sturzes nicht mehr auf einem versicherten Weg befand.
Bei der Abweichung der Klägerin vom versicherten Weg handelte es sich auch nicht nur um eine geringfügige Unterbrechung, während der der Versicherungsschutz nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII fortbestehen kann. Eine Unterbrechung ist als geringfügig zu bezeichnen, wenn sie auf einer Verrichtung beruht, die bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit in seiner Gesamtheit anzusehen ist. Das ist der Fall, wenn sie nicht zu einer erheblichen Zäsur in der Fortbewegung in Richtung des ursprünglich aufgenommenen Ziels führt, weil sie ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung "im Vorbeigehen" oder "ganz nebenher" erledigt werden kann (BSG, Urteil vom 17. Februar 2009, Az. B 2 U 26/07 R, Rdnr. 15, BSG vom 9. Dezember 2003 - B 2 U 23/03 R, RdNr 15, zitiert nach juris; BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262) . Um solche rechtlich nicht ins Gewicht fallenden Ereignisse handelt es sich, wenn der in Rede stehende Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise zeitlich und räumlich noch als Teil des Weges nach oder von dem Ort der Tätigkeit in seiner Gesamtheit anzusehen ist bzw. wenn die Besorgung hinsichtlich ihrer zeitlichen Dauer und der Art ihrer Erledigung keine erhebliche Zäsur in der Fortbewegung in Richtung auf die Arbeitsstätte darstellt, wobei als Beurteilungsmaßstab die allgemeine Verkehrsauffassung zugrunde zu legen ist. Das BSG hat hierzu u. a. entschieden, dass jedenfalls bei einer Rückfahrt mit einem Pkw von ca. 100 bis 150 Metern nicht mehr nur eine geringfügige Unterbrechung vorliegt (BSG, Urteil vom 17. Februar 2009, Az. B 2 U 26/07 R, Rdnr 15) bzw. dass bei einem ca. 100 Meter längeren Weg kein nur unbedeutender Umweg mehr vorliegt (BSG, Urteil vom 24. Juni 2003, Az. B 2 U 40/02 R, Rdnr. 13, 14). Vorliegend lag bei dem begonnenen Weg über den Marktplatz, der auf der seitens der Klägerin im Verwaltungsverfahren eingereichten Skizze ersichtlich ist, eine mehr als lediglich unbedeutende Abweichung vom versicherten Weg vor. Die Klägerin befand sich räumlich nicht mehr auf dem direkten Weg und das Nachbringen der Tasche hätte zu einer durchaus nennenswerten zeitlichen Verzögerung geführt. Das vorliegend erfolgte Aussteigen aus dem PKW bewirkte zudem eine deutliche Zäsur, welche die privatwirtschaftliche Handlungstendenz der Klägerin auch objektiviert hat. Ohne Belang ist hier, dass die Klägerin bereits zu Beginn dieses Weges stürzte.
Nichts anderes gilt aufgrund des Umstandes, dass die Klägerin im Moment ihres Sturzes fremdnützig bzw. im Interesse der anderen Teilnehmerin der Fahrgemeinschaft handelte. § 8 Abs 2 Nr. 2 Buchst b SGB VII erweitert zwar den durch § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII zugebilligten Versicherungsschutz auf dem unmittelbaren Weg vom und nach dem Ort der Tätigkeit auf bestimmte Um- und Abwege, die wegen des gemeinsamen Fahrens zu einer Erweiterung der Wegstrecke führen. Entscheidend ist aber auch hier die Handlungstendenz der an einer Fahrgemeinschaft teilnehmenden Personen, den Weg nach und von dem Ort der versicherten Tätigkeit zurückzulegen (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010, Az. B 2 U 3/08 R, Rdnr 14, m. w. N., Urteil vom 17. Februar 2009, BSG vom 11.11.2003 - B 2 U 32/02, jeweils zitiert nach juris). Diese Handlungstendenz war aus den dargelegten Gründen im Unfallzeitpunkt nicht prägend.
Die nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG zu treffende Kostenentscheidung berücksichtigt, dass die Berufung keinen Erfolg hat.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.