Gericht | ArbG Cottbus 2. Kammer | Entscheidungsdatum | 29.02.2012 | |
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Aktenzeichen | 2 Ca 978/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 3 TVG, § 2 SGB 9, § 3 FrühV |
Das Regelbeispiel der Arbeit bei körperlich oder geistig Behinderten ist auch erfüllt, wenn die Arbeit mit Kindern erfolgt, deren Behinderung nicht feststeht, die aber von Behinderung bedroht sind.
1. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin für die Zeit ab 01.09.2010 bis zum 31.03.2011 in die Tarifgruppe V c Fallgruppe 14 des BMT-AW-O einzugruppieren und zu entlohnen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 4.083,48 €.
Die Parteien streiten über die tarifgerechte Vergütung der Klägerin. Die im Jahr xxxx geborene Klägerin arbeitet bei dem Beklagten Regionalverband seit dem 20. Dezember 2006 als Ergotherapeutin/Frühförderin in der Frühförderstelle in Axxx. Die Klägerin arbeitet 30 Stunden pro Woche. Die Klägerin ist staatlich anerkannte Ergotherapeutin. Nach dem Arbeitsvertrag richtet sich die Vergütung nach § 2 Übg TV Bund Ost in Verbindung mit dem Text des § 17 BMT-AW-O.
Derzeit vergütet der Beklagte die Klägerin nach der Entgeltgruppe VI Gruppe 9 des § 2 Übg TV Bund Ost in Verbindung mit dem Text des § 17 BMT-AW-O.
Im Rahmen ihres Arbeitsvertrages ist die Klägerin damit beschäftigt, in der Regel ca. 12 Kinder ein- bis zweimal pro Woche mit entsprechenden Übungen zu fördern. Die Förderungen finden teilweise bei den Kindern zu Hause statt, teils auch in der Kindertagesstätte oder in der Frühförderstelle. Vereinzelt fördert die Klägerin die Kinder auch in Kleingruppen. Neben der Klägerin arbeiten zwei weitere Kolleginnen bei der Beklagten. Diese verrichten dieselbe Tätigkeit. Diese beiden Kolleginnen erhalten die Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c Nr. 14. Die Klägerin arbeitet mit zwei weiteren Kolleginnen des Beklagten.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob die von der Klägerin geförderten Kinder tatsächlich geistig oder körperlich behindert sind oder überwiegend von Behinderung bedroht sind.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c Nr. 14. Sie ist der Auffassung, ihre Tätigkeit sei überwiegend schwierig. Diese Voraussetzung sei erfüllt, wenn das Regelbeispiel der Arbeit mit körperlich oder geistig Behinderten vorliege.
Die Klägerin trägt vor, die von ihr betreuten Kinder seien durchweg behindert im Sinne des § 2 SGB IX. Die Behinderung liege schon deshalb vor, weil Kinder mit eingeschränkten körperlichen und/oder geistigen Fähigkeiten, die diesen Status „Behinderung“ nicht erreichten, kurzfristigere Behandlungen erhielten. Diese Kinder würden entsprechende Behandlungen lediglich über ein ärztliches Attest benötigen, um ambulant behandelt zu werden.
Kinder, die im Rahmen der sogenannten Frühförderung Leistungen erhielten, würden von der Leistung der gesetzlichen Krankenkassen ausgenommen. Ihre Frühförderzeit erfolge in der Regel nicht unter einem Jahr, nachdem der sozialmedizinische Dienst die Entwicklungsverzögerung geprüft habe.
Schließlich behauptet die Klägerin, die Arbeit an sich sei auch überwiegend schwierig, unabhängig davon, ob das Regelbeispiel erfüllt sei. Denn sie habe im Rahmen der Frühförderung, im Rahmen einer Komplexleistung in einem abgestimmten System, interdisziplinär zu arbeiten und sich deshalb mit Ärzten, anderen Therapeuten, Psychologen, Heilpädagogen und Sozialpädagogen abzustimmen. Die jeweilige Behandlungseinheit sei auch länger als bei übrigen Ergotherapeuten, die ambulante Behandlung auf Rezept erbrächten.
Die Klägerin beantragt:
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin für die Zeit ab 01.09.2010 bis zum 31.03.2011 in die Tarifgruppe V c Fallgruppe 14 des BMT-AW-O einzugruppieren und zu entlohnen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, das Tatbestandsmerkmal der Vergütung nach Vergütungsgruppe V c Nr. 14 sei nur erfüllt, wenn die Klägerin überwiegend schwierige Aufgaben erfülle. Es sei nicht relevant, um wie viel behinderte Kinder es sich prozentual handele, sondern, dass bei der Arbeit mit körperlich oder geistig gehinderten Kindern an sich, überwiegend schwierige Aufgaben verrichtet würden.
Im Übrigen seien die überwiegenden Kinder lediglich von Behinderung bedroht und tatsächlich sei noch keine Behinderung eingetreten. Lediglich eines von den von der Klägerin betreuten und geförderten Kindern sei tatsächlich behindert.
Auch sei die Tätigkeit an sich nicht überwiegend schwierig. Die Klägerin habe keine Gruppen zu betreuen. Sie betreue lediglich einzelne Kinder, zum Teil im häuslichen Umfeld. Die Arbeit unterscheide sich nicht von der Arbeit einer staatlich anerkannten Ergotherapeutin, die beispielsweise in einer ambulanten Praxis arbeite.
Die beiden Kolleginnen der Klägerin seien irrtümlich falsch eingruppiert.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Die Klage ist zulässig und begründet.
I. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat eine übliche Eingruppierungsfeststellungsklage erhoben, gegen deren Zulässigkeit nach der ständigen Rechtsprechung des BAG keine Bedenken bestehen, vergleiche nur Urteil vom 19.03.1986 – 4 AZR 470/84, AP Nr. 114 zu §§ 22, 23 BAT.
II. Die Klage ist begründet. Die Klägerin erfüllt die Tätigkeitsmerkmale der von ihr in Anspruch genommenen Vergütungsgruppe V c Fallgruppe Nr. 14.
1. Das Arbeitsverhältnis unterliegt kraft Vereinbarung und beiderseitiger Tarifbindung hinsichtlich der Vergütung der Regelung gemäß § 2 Übg TV Bund Ost in Verbindung mit dem Text des § 17 BMT-AW-O.
2. Unterliegt der Arbeitsvertrag der Klägerin aber den Vorschriften des BMT- AW-O, § 2 Übg TV Bund Ost, kommt es für die Eingruppierung der Klägerin darauf an, ob bei ihr zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die jeweils für sich die Anforderungen der Tätigkeitsmerkmale der von ihr in Anspruch genommenen Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 14 erfüllen.
Die Tätigkeit der Klägerin als Ergotherapeutin ist ein einziger großer Arbeitsvorgang. Sie hat einzelne Kinder ergotherapeutisch entweder in Einzelbetreuung oder in Kleingruppen zu betreuen und zu fördern. Die Tätigkeit der Klägerin in der Beschäftigungstherapie erfolgt mit dem Ziel, dass jedes Kind in der Entwicklung so gefördert wird, dass eine drohende oder bereits eingetretene Behinderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt durch gezielte Förderung und Behandlungsmaßnahmen ausgeglichen oder gemildert wird, vergleiche § 3 Frühförderungsverordnung. Die in Kleingruppen verrichteten Aufgaben und die auf einzelne Kinder bezogenen Aufgaben der Klägerin lassen sich schwerlich sinnvoll voneinander abgrenzen, vergleiche zur Tätigkeit eines Arbeitserziehers BAG vom 06.03.1996, 4 AZR 771/94, Juris.
3. Die Klägerin erfüllt die Tätigkeitsmerkmale der Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 14. Diese Fallgruppe lautet:
„Beschäftigungstherapeuten mit staatlicher Anerkennung, die überwiegend schwierige Aufgaben erfüllen, zum Beispiel bei körperlich oder geistig Behinderten.“
a) Die Klägerin ist staatlich anerkannte Beschäftigungstherapeutin. Sie verrichtet auch überwiegend schwierige Aufgaben. Die Kammer ist der Auffassung, dass dieses Tätigkeitsmerkmal erfüllt ist, wenn der Arbeitnehmer überwiegend mit körperlich oder geistig Behinderten arbeitet. Denn es handelt sich entgegen der Auffassung der Beklagten um ein Regelbeispiel für überwiegend schwierige Tätigkeiten. Der Wortlaut der Norm ist eindeutig. Es handelt sich um überwiegend schwierige Aufgaben, wenn man Therapien bei körperlich oder geistig Behinderten durchführt. Die Kammer konnte sich keinen Fall von schwierigen Tätigkeiten bei Behinderten vorstellen, denn die Arbeit an sich an Behinderten, sei es körperlich oder geistig, ist schwierig.
b) Auch die Protokollnotizen zur Frage der schwierigen Aufgaben geben nur Beispiele sonstiger Art für schwierige Aufgaben an. Hier sind Behinderte nicht mehr aufgeführt, sondern andere schwierige Aufgaben, die ebenfalls das Tätigkeitsmerkmal „überwiegend schwierige Aufgaben“ erfüllen sollen.
c) Die Klägerin arbeitet als Beschäftigungstherapeutin überwiegend mit behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindern. Die Kammer ist der Überzeugung, dass es für das Tätigkeitsmerkmal der schwierigen Aufgaben nicht von Relevanz ist, ob durch Bescheid eine Behinderung der Kinder festgestellt worden ist, oder ob lediglich festgestellt wurde, dass die Kinder aufgrund ihrer Entwicklungsverzögerung von Behinderung bedroht sind. Die Kinder sind jedenfalls in erheblichem Maße entwicklungsverzögert, so dass Ihnen für ein Kalenderjahr eine Frühförderung zuteil kommt. Ob dabei der Begriff der Behinderung nach § 2 SGB IX erfüllt ist, muss und darf offen bleiben. Es liegt aber nahe, dass entweder ihrer körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Jedenfalls dauert die Therapie in der Regel über ein Jahr an.
Für die Schwierigkeit der Tätigkeit hat die Tatsache, ob ein Kind behindert oder von Behinderung bedroht ist, jedenfalls keine Relevanz, denn die Klägerin arbeitet ohne Zweifel mit erheblich entwicklungsverzögerten Kindern. Die Kinder sind nicht lediglich in geringem Maße beeinträchtigt, denn dann würden diese Kinder ein ärztliches Attest für eine ambulante Therapie in einer Praxis für Ergotherapie erhalten. Die Kinder der Frühförderstellen erhalten aber vielschichtige interdisziplinäre Frühförderung durch verschiedene Therapeuten.
d) Die Kammer konnte offen lassen, ob die Klägerin auch ohne das Erfüllen des Regelbeispiels der Arbeit an Behinderten überwiegend schwierige Aufgaben verrichtet. Denn die Voraussetzungen des Regelbeispiels sind erfüllt. Es sprechen aber Gründe dafür, anzunehmen, dass die Klägerin auch ohnedies überwiegend schwierige Aufgaben verrichtet. Die Klägerin hat in einer Frühförderstelle sich mit anderen Therapeuten, Ärzten, Psychologen und Heilpädagogen abzustimmen. Die Frühförderung erfolgt ganzheitlich und erfordert deshalb Koordination. Das ist bei einer Tätigkeit beispielsweise in einer ergotherapeutischen Praxis nicht der Fall. Auch sind die Behandlungseinheiten länger und die Klägerin hat unterschiedliche Therapieorte, auf die sie sich einzustellen hat, wie etwa die Kindertagesstätte, die häusliche Umgebung des Kindes oder die Frühförderstelle selbst.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 ZPO. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil er vollständig unterlegen ist. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 61 Absatz 1 ArbGG, § 3 ZPO, § 23 Absatz 3 RVG und berücksichtigt den 36-fachen Wert der Vergütungsdifferenz zwischen der Vergütungsgruppe VI und der Vergütungsgruppe V c in Höhe von derzeit 113, 43 Euro.