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(Keine Ablösung einer Gratifikationsregleung (Jubiläumsgeld) durch betriebliche Altersversorgung)


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer Entscheidungsdatum 15.07.2010
Aktenzeichen 26 Sa 705/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 77 Abs 4 BetrVG

Leitsatz

1) Die GBV Nr. 19 (betriebliche Altersversorgung) kann nicht dahin ausgelegt werden, dass durch sie Ansprüche der Belegschaftsmitglieder aus betrieblicher Übung auf Treue- und Jubiläumsgelder abgelöst werden sollten.

2) Auf die Frage, ob die betriebliche Übung über die Zahlung von Treue- und Jubiläumsgeldern betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet war oder die GBV Nr. 19 im Rahmen eines Günstigkeitsvergleichs die dazu entwickelten Grundsätze erfüllt hätte, wäre es nur angekommen, wenn durch die Betriebsvereinbarung die betriebliche Übung hätte abgelöst werden sollen.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 11.02.2010 – 3 Ca 1477/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines Jubiläumsgeldes angesichts des 25-jährigen Dienstjubiläums des Klägers.

Der Kläger ist seit 1984 bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen in deren Betrieb in Hennigsdorf beschäftigt.

1994 übersandte die damalige Muttergesellschaft der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine Musterbetriebsordnung mit der Maßgabe, in ihren Betrieben entsprechende Betriebsvereinbarungen abzuschließen. Der Betriebsrat des Betriebs Hennigsdorf unterzeichnete die ihm angebotene Betriebsvereinbarung nicht. Gleichwohl gewährten sowohl die Rechtsvorgängerinnen der Beklagten als auch die Beklagte den Belegschaftsmitgliedern des Betriebs in Hennigsdorf Leistungen, die den Regelungen der Musterbetriebsordnung entsprachen, ua. ein mit der Abrechnung für den Monat Mai zu zahlendes Treuegeld und zum 25., 40. und 50. Betriebsjubiläum jeweils ein Jubiläumsgeld.

Im Juni 2003 schrieb die Beklagte an den Betriebsratsvorsitzenden:

„Kündigung der AEG-Betriebsordnung

Die unterschiedlichen Regelungen unserer freiwilligen Sozialleistungen führen in ihrer kaum noch zu überblickenden Vielfalt zu einer nicht mehr hinnehmbaren Ungleichbehandlung unserer Mitarbeiter an den Bombardier Standorten. Es ist das erklärte Ziel von Bombardier, ein Sozialleistungssystem zu installieren, welches den Anforderungen der heutigen Arbeitswelt und den Bedürfnissen der Mitarbeiter besser Rechnung trägt. Aus diesem Grunde sehen wir uns gezwungen, die oben genannte Betriebsvereinbarung fristgemäß zum 31. Dezember 2003 zu kündigen.“

Ab Januar 2004 wandte die Beklagte die „Musterbetriebsordnung“ nicht mehr flächendeckend an. Sie zahlte an die Arbeitnehmer des Betriebs Hennigsdorf Treue- und Jubiläumsgelder allenfalls noch in Ausnahmefällen bzw. nach Verurteilung.

Ein Teil der Belegschaft klagte im Jahre 2004 und in den Folgejahren auf Zahlung der Treuegelder und der Jubiläumszahlungen. Mit Urteilen vom 28. Juni 2006 (10 AZR 385/05) und vom 28. März 2007 (10 AZR 720/05) gab das Bundesarbeitsgericht den Klägern Recht.

Am 1. Januar 2008 schlossen die Beklagte und der bei ihr bestehende Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 19 (GBV Nr. 19). Darin vereinbarten sie die Neuregelung einer betrieblichen Altersversorgung. Unter Nr. 2.3 Satz 2 der GBV Nr. 19 heißt es:

„Für Mitarbeiter mit Versorgungsanwartschaft basierend auf Dienstzeiten bis zum 31. Dezember 2007 gilt diese Gesamtbetriebsvereinbarung, soweit die bestehende Versorgungsanwartschaft entsprechend der mit dem Gesamtbetriebsrat vereinbarten Übergangsregelungen (Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 20 „Überleitung“ vom gleichen Tage) integriert wird.“

Hintergrund für die Übergansregelung war eine Kündigung und Schließung einer früheren Versorgungsregelung für Neueintritte zum 31. Dezember 1997 und eine weitere Regelung für die bereits zuvor beschäftigten Belegschaftsmitglieder in der Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 10 (GBV Nr. 10) vom 8. April 1998. In der Präambel der GBV Nr. 10 heißt es:

„Die schlechte wirtschaftliche Lage der A. (D) wurde in 1997 zum Anlass genommen, die Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung einseitig zu kündigen. Die A. hat jedoch die feste Absicht, die betriebliche Altersversorgung in einem neuen, harmonisierten System wieder aufzunehmen. Die Basis hierfür soll durch die folgende einvernehmliche Regelung gelegt werden, die den mit der Kündigung festgelegten Anspruch zum 31. Dezember 1997 bestätigt, die aber während der Übergangszeit Zuwächse noch nach den alten Versorgungsregelungen in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Lage der A. (D) zulässt.“

Der Kläger machte angesichts seiner 25-jährigen Betriebszugehörigkeit mit Schreiben vom 5. Oktober 2009 seinen Anspruch auf ein Jubiläumsgeld geltend und verfolgt diesen – nach Ablehnung durch die Beklagte - mit seiner am 5. November 2009 erhobenen Klage weiter.

Er hat sich auf einen Anspruch aus betrieblicher Übung berufen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn brutto 2.250 Euro nebst Verzugszinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 30. September 2009 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, der Anspruch auf Zahlung eines Jubiläumsgeldes sei durch eine negative betriebliche Übung beseitigt worden. Das sei daraus abzuleiten, dass der Kläger in den Jahren 2004 bis 2006 berechtigt gewesen wäre, ein Treuegeld zu verlangen, seine dahingehenden Ansprüche aber – was insoweit unstreitig ist - nicht geltend gemacht habe. Im Gegensatz zu einer Vielzahl seiner Kollegen habe er der Absicht der Beklagten, ihre Leistung einzustellen, nicht widersprochen. Zwischen Treue- und Jubiläumsgeld könne nicht differenziert werden, da diese Leistungen auf einer einheitlichen Leistungsgewährung aufgrund betrieblicher Übung beruhten. Das Jubiläumsgeld stelle ein erhöhtes Treuegeld dar.

Das Arbeitsgericht hat der Klage unter Bezugnahme auf die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur negativen betrieblichen Übung stattgegeben.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 23. März 2010 zugestellte Urteil am 30. März 2010 Berufung eingelegt und diese mit einem beim Landesarbeitsgericht am 25. Mai 2010 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie hält angesichts der Aufgabe der Rechtsprechung zur negativen betrieblichen Übung durch das Bundesarbeitsgericht an ihrer bisherigen Argumentation in der Berufungsinstanz nicht fest.

Sie stützt die Berufung nun darauf, die Ansprüche nach der Musterbetriebsordnung seien durch solche aus der am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen GBV Nr. 19 abgelöst worden. Bereits in dem Kündigungsschreiben vom 25. Juni 2003 habe sie gegenüber dem Betriebsrat darauf hingewiesen, die Leistungen nach der MBO durch ein neues Sozialleistungssystem ersetzen zu wollen. Nachdem das Bundesarbeitsgericht 2006 und 2007 das Vorliegen einer betrieblichen Übung bejaht gehabt habe, habe sie mit dem Betriebsrat Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung aufgenommen. Dabei habe es sich um eine Kompensation für den Wegfall der Treue- und Jubiläumsgelder handeln sollen. Dazu habe sie sich unabhängig vom Ausgang der Rechtsstreite vor dem Bundesarbeitsgericht entschlossen, da in den anderen Betrieben die Betriebsvereinbarungen nach der Musterbetriebsordnung wirksam gekündigt gewesen seien. Ihr Geschäftsführer und Arbeitsdirektor habe bereits Mitte 2007 in diversen Betriebsversammlungen immer wieder darauf hingewiesen, dass die Leistungen aus der Betriebsvereinbarung aus Sicht der Beklagten diejenigen auf Treue- und Jubiläumsgeld ersetzen. Er habe erklärt, die Beklagte habe bereits bei der Einstellung der Leistungen zum 1. Januar 2004 die Absicht geäußert, nunmehr ein neues Sozialleistungssystem installieren zu wollen, was dann mit der neuen Versorgungsordnung geschehen sei.

Die Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Treue- und Jubiläumsgelder seien nach den Grundsätzen des kollektiven Günstigkeitsvergleichs erloschen. Es liege mit der Musterbetriebsordnung das von der Rechtsprechung insoweit geforderte abstrakte Bezugssystem vor, welches sich auf typische Sozialleistungen beziehe. Das Fehlen eines absoluten Dotierungsrahmens und ihres Einflusses auf die Höhe der Jubiläumsgelder schade insoweit nicht; ausreichend sei es, dass sich die Gesamtsumme aus den Bezugsgrößen errechnen lasse und die Komponenten feststünden. Auf die sich darüber hinaus auswirkenden Tarifänderungen komme es nicht an.

Die Leistungen nach der Musterbetriebsordnung und der betrieblichen Altersversorgung stellten auch ein einheitliches Bezugssystem dar. Bei beiden Regelungskomplexen handele es sich um Sozialleistungen, die eine lange Betriebszugehörigkeit belohnen sollten. Den Bezug der Leistungen habe die Beklagte hergestellt durch die Ankündigung eines neuen Sozialleistungssystems in der Kündigung der AEG-Betriebsordnung und die Erklärungen, wonach die Altersversorgung die Treue- und Jubiläumsgelder ersetzen sollte.

Die Neuregelung sei auch günstiger als die bisherigen Regelungen. Angesichts der Anrechnung früherer Betriebszugehörigkeitszeiten bei der Frage des Zeitpunkts der Unverfallbarkeit der Anwartschaft auf eine Betriebsrente hätten sämtlichen Mitarbeiter, denen zuvor Treue- und Jubiläumsgelder zustanden, unmittelbar am 1. Januar 2008 eine unverfallbare Anwartschaft erworben, was insoweit nicht streitig ist. Auch lägen die Ausgaben für die betriebliche Altersversorgung weit über denen für die Treue- und Jubiläumsgelder, hochgerechnet bis 2050 beim Viereinhalbfachen. Die Neuregelung stelle gegenüber der bisherigen betrieblichen Altersversorgung bei der Beklagten auch für längerfristig beschäftigte Arbeitnehmer noch eine Verbesserung dar. Bisher seien auch für bis Ende des Jahres 1997 eingestellte Belegschaftsmitglieder ab 1999 Dienstzeiten im Schnitt nur noch alle zwei Jahre Betriebsrenten erhöhend berücksichtigt worden, was insoweit auch nicht streitig ist. Die Kosten für das neue System der betrieblichen Altersversorgung lägen hochgerechnet bis 2050 mindestens bei dem Anderthalbfachen dessen, was die Beklagte die bisherige Altersversorgung und die Leistungen nach der Musterbetriebsordnung zusammen gekostet hätten. Die spätere Auszahlung erst im Rentenfall werde durch höhere Leistungen ausgeglichen sowie durch steuerliche Vorteile. Eine Insolvenzgefahr sei durch die Insolvenzsicherung abgefedert. Auch sei ein Wegfall der relativ geringen Treuegeldbeträge nicht geeignet, die Lebensführung zu beeinträchtigen. Unabhängig davon habe die Belegschaft nicht auf eine dauerhafte Gewährung der Leistungen vertrauen können, sondern mit einer Änderung durch eine kollektiv-rechtliche Regelung rechnen müssen. Es handele sich um eine betriebsvereinbarungsoffene Regelung, da bekannt gewesen sei, dass eigentlich eine Betriebsvereinbarung über die Treue- und Jubiläumsgelder habe abgeschlossen werden sollen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 11. Februar 2010 – 3 Ca 1477/09 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Der neue Pensionsplan habe den früheren ersetzen sollen. er habe nichts mit den streitigen Betriebstreueleistungen zu tun. Belegschaft und Betriebsrat seien so informiert worden, dass die Neuregelung der Pensionszusagen in der Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 19 beabsichtigt gewesen sei und damit die alten Pensionspläne und nicht die Betriebstreueleistungen ersetzt werden sollten, zB. in dem Mitarbeiterinformationsschreiben vom 18. Februar 2008. Insoweit wird Bezug genommen auf die Anlage BB1 zur Berufungserwiderung. Die Beklagte habe auch nicht auf eine Wechselwirkung von betrieblicher Altersversorgung und Betriebstreueregelung hingewiesen. Anders als in den durch das Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fällen sei hier in der Gesamtbetriebsvereinbarung keine Ersetzung der Ansprüche nach der Musterbetriebsordnung geregelt worden. Die Vertragspartner seine ausschließlich zusammengetreten, um die alte Pensionszusage zu ersetzen. Außerdem seien die Regelungen angesichts der vollkommen unterschiedlichen Regelungsgegenstände einem Günstigkeitsvergleich nicht zugänglich. Während Betriebstreueleistungen den Bestand des Arbeitsverhältnisses voraussetzten, sei es bei Altersversorgungsleistungen dessen Ende; Pensionszusagen seien vererblich, Betriebstreueleistungen nicht. Bei den Ansprüchen auf Treue- und Jubiläumsgelder handele es sich auch nicht um betriebsvereinbarungsoffene Regelungen. Den Arbeitnehmern des Betriebs in Hennigsdorf sei zu keinem Zeitpunkt bekannt gewesen, dass die Beklagte eine kollektivrechtliche Regelung angestrebt habe. Insbesondere sei der Belegschaft auch das Schreiben vom 25. Juni 2003 nicht bekannt gewesen.

Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien vom 25. Mai und vom 2. Juli 2010.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II. Die Berufung ist aber unbegründet, da die Klage zulässig und begründet ist.

1. Der Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf ein der Höhe nach unstreitiges Jubiläumsgeld von 2.250 Euro brutto anlässlich ihres 25-jährigen Dienstjubiläums aus betrieblicher Übung.

a) Der Anspruch aus betrieblicher Übung ist entstanden. Von dieser Leistungsverpflichtung hat sich die Beklagte nicht durch einfache Erklärung (Kündigungserklärung aus dem Jahre 2003) lösen können. Das ist unter den Parteien nach den Entscheidungen des Bundesarbeitsgericht vom 28. Juni 2006 (10 AZR 385/05 - AP Nr. 74 zu § 242 BGB Betriebliche Übung = NZA 2006, 1174) und vom 28. März 2007 (10 AZR 720/05 – nv.) nicht mehr streitig.

b) Der Anspruch auf Zahlung des Jubiläumsgeldes ist nicht durch eine gegenläufige betriebliche Übung der Beklagten beseitigt worden. Auch insoweit besteht unter den Parteien in der Berufungsinstanz nach der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 25. November 2009 (ua. 10 AZR 779/08 - AP Nr. 87 zu § 242 BGB Betriebliche Übung = NZA 2010, 283 = EzA § 242 BGB 2002 Betriebliche Übung Nr. 11) kein Streit mehr.

c) Der Anspruch ist auch nicht durch die Ansprüche aus der GBV Nr. 19 abgelöst worden. Ein etwaiger Wille der Beklagten, durch diese Betriebsvereinbarung auch Ansprüche der Belegschaftsmitglieder aus betrieblicher Übung abzulösen, hat darin keinen Niederschlag gefunden.

aa) Nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG gelten Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend. Diese gesetzliche Regelung ist unvollständig. Sie wird durch das Günstigkeitsprinzip ergänzt. Die betriebliche Übung ist ebenso wie die arbeitsvertragliche Einheitsregelung und die Gesamtzusage ein individualrechtliches Gestaltungsmittel mit kollektivem Bezug. Für ihr Verhältnis zu einer nachfolgenden Betriebsvereinbarung gilt nicht das Ablösungsprinzip (Zeitkollisionsregel), sondern grundsätzlich ein modifiziertes Günstigkeitsprinzip . Die Regelungen der neuen Betriebsvereinbarung dürfen gegenüber der bisherigen betrieblichen Übung für die Gesamtheit der von ihr erfassten Arbeitnehmer nicht ungünstiger sein (sog. kollektiver Günstigkeitsvergleich). Ein kollektiver Günstigkeitsvergleich erübrigt sich, wenn die vertragliche Regelung “betriebsvereinbarungsoffen” ist, der Arbeitgeber ein ihm zustehendes Gestaltungsrecht ausübt oder eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage zu erfolgen hat (vgl. BAG 19. Februar 2008 - 3 AZR 61/06 - AP Nr. 52 zu § 1 BetrAVG = NZA-RR 2008, 597 = EzA § 1 BetrAVG Betriebliche Übung Nr. 9, Rn. 33 f.).

bb) Auf die in diesem Zusammenhang entwickelten Grundsätze kommt es aber nur an, soweit nach dem Inhalt der Betriebsvereinbarung die betriebliche Übung abgelöst werden soll. Das war hier nicht der Fall.

(1) Zunächst handelt es sich allerdings – und insoweit sind die Überlegungen der Beklagten zutreffend – sowohl bei den Treue- und Jubiläumsgeldern als auch bei den durch die GBV Nr. 19 geregelten Ansprüchen auf betriebliche Altersversorgung um Sozialleistungen. Soweit diese aufgrund einer Entscheidung über die Höhe der insgesamt einzusetzenden finanziellen Mittel und der Bestimmung der Verteilungsgrundsätze untereinander in einem Bezugssystem und damit in einem geschlossenen Regelungssystem stehen, kam eine Ablösung durch eine neue Betriebsvereinbarung bei Beachtung des kollektiven Günstigkeitssystems also grds. in Betracht.

(2) Eine Ablösung auch der betrieblichen Übung hätte aber zunächst vorausgesetzt, dass durch die GBV Nr. 19 nach dem Willen der die Gesamtbetriebsvereinbarung abschließenden Parteien nicht nur eine Neuregelung hinsichtlich einer betrieblichen Altersversorgung und damit ein Ersatz für die frühere gekündigte Betriebsvereinbarung und die GBV Nr. 10 geschaffen, sondern zugleich andere Sozialleistungen abgebaut werden sollten. Das lässt sich der GBV Nr. 19 nicht entnehmen. Die GBV Nr. 19 sieht eine Ablösung der betrieblichen Übung gerade nicht vor. Das ergibt die Auslegung der Gesamtbetriebsvereinbarung. Ohne eine entsprechende Regelung werden andere Sozialleistungsregelungen aber selbst dann nicht automatisch abgelöst, wenn sie vergleichbare Ziele verfolgen.

(a) Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (vgl. BAG 11. Dezember 2007 - 1 AZR 953/06 - AP Nr. 37 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung Nr. 37 = DB 2008, 1215 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 22, Rn. 20 mwN.)

(b) Bereits der Wortlaut der Betriebsvereinbarung lässt keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass nicht nur die betriebliche Altersversorgung neu geregelt werden, sondern auch eine Ablösung einer betrieblichen Übung erfolgen sollte. Zur Ablösung individualrechtlicher Ansprüche aus der betrieblichen Übung finden sich in der Betriebsvereinbarung keine Anhaltspunkte. Weder die in anderen Betrieben nach der Musterbetriebsordnung abgeschlossenen und wirksam gekündigten Betriebsvereinbarungen noch die in anderen Betrieben bestehende betriebliche Übung werden in der GBV Nr. 19 erwähnt. Demgegenüber nimmt die GBV Nr. 19 hinsichtlich der Rechte aus früheren Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung ausdrücklich Bezug auf die zeitgleich abgeschlossene Überleitungsregelung in der GBV Nr. 20. Es ist aber nicht das maßgeblich, was sich einzelne Betriebspartner im Rahmen der Verhandlungen gedacht und ggf. auch gewünscht haben, sondern das, was schließlich Gegenstand der Betriebsvereinbarung geworden ist und dazu in dieser mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht worden ist. Verhandlungsbegleitende Aussagen von Vertretern einer Seite können nur dann Bedeutung erlangen, wenn sie in der getroffenen Vereinbarung ihren Niederschlag gefunden haben. Gerade das ist hier nicht der Fall.

Aber auch die Gesamtumstände sprechen eher dagegen, dass es dem übereinstimmenden Willen der Vertragspartner entsprach, Ansprüche aus der betrieblichen Übung abzulösen. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Gesamtbetriebsvereinbarung war angesichts der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts klar, dass die Belegschaftsmitglieder der Betriebe, in denen die Treue- und Jubiläumsgelder gezahlt worden waren, ohne dass Betriebsvereinbarungen zugrunde lagen, individualrechtliche Ansprüche aus betrieblicher Übung hatten. ZT. wurden diese angesichts entsprechender gerichtlicher Entscheidungen auch bereits erfüllt.

Sollte die Beklagte zum Zeitpunkt des Abschlusses der Betriebsvereinbarung ernsthaft davon ausgegangen sein, dass die Ansprüche aus betrieblicher Übung aufgrund einer gegenläufigen betrieblichen Übung gar nicht mehr existierten, hätten ihre Erklärungen schon aus diesem Grund nicht dahin verstanden werden können, dass – dann ja gar nicht mehr vorhandene - Ansprüche hätten abgelöst werden sollen. Der Umstand, dass sie diese Ansicht zum damaligen Zeitpunkt bereits nach außen vertrat, hätte es erst recht erforderlich gemacht, in der Betriebsvereinbarung deutlich zu machen, dass es ihr (dann wohl hilfsweise) auch um die Ablösung solcher Ansprüche ging.

Das prozessuale Verhalten der Beklagten spricht eher dagegen, dass sie selbst von einem entsprechenden Inhalt der Betriebsvereinbarung ausgegangen ist. Sie stellte sich bis zu den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 25. November 2009 durchweg ausschließlich auf den Standpunkt, die Ansprüche aus betrieblicher Übung seien aufgrund einer gegenläufigen betrieblichen Übung nicht mehr existent. Auch hilfsweise erwähnte sie den Gesichtspunkt der Ablösung nicht, im vorliegenden Verfahren sogar erstmals in der Berufungsinstanz, obwohl die zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25. November 2009 zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung bereits seit zweieinhalb Monaten bekannt war.

Weder aus der Betriebsvereinbarung noch aus den Gesamtumständen ergibt sich auch, dass die GBV Nr. 19 ab dem 1. Januar 2008 das gesamte verbleibende Sozialleistungssystem oder zumindest die einzige Sozialleistung im Sozialleistungssystem darstellen sollte, welche Betriebstreue belohnt. Der GBV Nr. 19 sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass es sich bei der neuen betrieblichen Altersversorgung nun um das in der Kündigung aus Juni 2003 angekündigte System zur Ablösung der „kaum noch zu überblickenden Vielfalt“ darstellen sollte. Darin geht es ausschließlich um die betriebliche Altersversorgung und – zusammen mit der GBV Nr. 20 – um die Ablösung der Vorgängerregelung, soweit sich aus dieser noch Rechtsfolgen ergaben. Die neue betriebliche Altersversorgung kann ebenso gut einen einzelnen Bestandteil dieses neuen Sozialleistungssystems darstellen. Sie ist jedenfalls bereits in der Präambel der GBV Nr. 10 aus dem Jahr 1998 angekündigt worden und damit fünf Jahre, bevor die Treue- und Jubiläumsgeldregelungen zu Ende 2003 gekündigt wurden. Im Übrigen mögen die Regelungen zwar beide darauf gerichtet sein, Betriebstreue zu belohnen. Der Kläger weist aber zutreffend darauf hin, dass sie hinsichtlich des Leistungsgegenstandes vollkommen unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen. Im Rahmen eines Sozialleistungssystems sind Treue- und Jubiläumsgelder Bestandteile eines Gratifikationssystems, welches Leistungen während des bestehenden Arbeitsverhältnisses vorsieht. Mit Altersversorgung hat das nicht viel zu tun.

(3) Im Ergebnis kommt es danach nicht darauf an, unter welchen Voraussetzungen ein Sozialeistungssystem abgelöst werden kann, welches zT. auf individualrechtlichen Ansprüchen und zT. auf Betriebsvereinbarungen beruht und wie ein kollektiver Günstigkeitsvergleich durchzuführen ist, wenn es sich um eine ablösende Gesamtbetriebsvereinbarung handelt und in den einzelnen Betrieben unterschiedliche Sozialleistungssysteme existieren mit der Folge verschiedener Auswirkungen.

(4) Ebenso kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob die betriebliche Übung hier eine betriebsvereinbarungsoffene Regelung darstellt. Diese kann nur den kollektiven Günstigkeitsvergleich ersparen, nicht aber eine Betriebsvereinbarung, die auf die Ablösung der begünstigenden Regelung gerichtet ist. Unabhängig davon werden bei der Frage, ob eine Regelung betriebsvereinbarungsoffen ist, seit In-Kraft-Treten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes die Gesichtspunkte zu berücksichtigen sein, auf das Bundesarbeitsgericht in seinen Entscheidungen vom 25. November 2009 hingewiesen hat.

2) Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2, § 291 BGB.

III. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Kammer hat sich der Auffassung der übrigen Kammern des Landesarbeitsgerichts angeschlossen und dabei die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde gelegt.