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Beanstandungsverfahren; Stadtverordnetenversammlung; Satzungsbeschluss; Beanstandungsfrist; Ausfertigung der Satzung; Legalitätsfunktion; Kommunalaufsicht; Vorlagepflicht; Darlegung der unterschiedlichen Rechtsauffassungen; Antrag auf Zulassung der Berufung; ernstliche Zweifel; besondere Schwierigkeiten


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat Entscheidungsdatum 18.02.2014
Aktenzeichen OVG 12 N 29.13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 55 Abs 1 KomVerf BB, § 42 Abs 1 KomVerf BB, § 42 Abs 3 KomVerf BB, § 39 Abs 3 KomVerf BB, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 2 VwGO

Leitsatz

Die zweiwöchige Beanstandungsfrist des § 55 Abs. 1 Satz 2 BbgKVerf wird erst mit Vorlage der vollständigen, von dem Vorsitzenden der Gemeindevertretung unterzeichneten Niederschrift der Sitzung der Gemeindevertretung in Lauf gesetzt.

Bereits eingeleitete Maßnahmen zur Ausführung des Satzungsbeschlusses der Gemeindevertretung (hier: Ausfertigung der Satzung durch den Hauptverwaltungsbeamten) stehen der Durchführung eines Beanstandungsverfahrens nicht entgegen.

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Februar 2013 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 15 000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1. Unter Zugrundelegung des allein maßgeblichen Zulassungsvorbringens bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

a) Die formellen Einwände gegen das Beanstandungsverfahren, mit denen die Klägerin im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt, greifen nicht durch.

(1) Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die zweiwöchige Frist des § 55 Abs. 1 Satz 2 BbgKVerf gewahrt ist.

Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift wird die Beanstandungsfrist erst mit Vorlage der Niederschrift der Sitzung der Gemeindevertretung in Lauf gesetzt. Mit der im Zuge der Kommunalrechtsreform eingeführten Regelung wollte der Gesetzgeber ausweislich der amtlichen Begründung den bisher in der Praxis aufgetretenen Problemen begegnen und Klarheit über den Fristbeginn herstellen (LT-Drs. 4/5056 S. 223). Für die Annahme, „zur Erfüllung des fristbegründenden Tatbestandes“ reiche jede Form der Niederschrift aus, die den inkriminierten Beschlussinhalt und die (vermeintlich) rechtswidrige Entscheidung der Gemeindevertretung enthalte, ist danach entgegen der Auffassung der Klägerin kein Raum. Soweit der Gesetzgeber die Beanstandungsfrist ausdrücklich formalisiert und als Ausschlussfrist ausgestaltet hat, spricht vielmehr alles dafür, dass es der Vorlage einer Niederschrift bedarf, die den gesetzlichen Formvorschriften entspricht. Um den Beginn der Beanstandungsfrist mit präkludierender Wirkung in Lauf zu setzen, muss die Sitzungsniederschrift mithin zumindest die in § 42 Abs. 1 Satz 2 BbgKVerf genannten Angaben enthalten und gemäß § 42 Abs. 3 Satz 1 BbgKVerf vom Vorsitzenden der Gemeindevertretung unterzeichnet sein (vgl. Schumacher, in: ders., Kommunalverfassungsrecht Brandenburg, Erl. 7.4.1 zu § 55 BbgKVerf). Von der Vorlage einer bereits in dieser Form autorisierten Sitzungsniederschrift ist offensichtlich auch der Gesetzgeber ausgegangen (LT-Drs. a.a.O).

Nach den eigenen Angaben der Klägerin in der Antragsbegründung waren die vorstehenden Anforderungen frühestens am 24. April 2009 erfüllt, dem auch vom Verwaltungsgericht als maßgeblich angesehenen Datum. Die am 8. Mai 2009 bei dem Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung eingegangene Beanstandung ist daher fristgerecht ausgesprochen worden. Daran ändert auch der wiederholte Hinweis der Klägerin auf die angeblich bereits am 21. April 2009 erfolgte Ausfertigung der beanstandeten Einzelsatzung nichts. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 55 Abs. 1 Satz 2 BbgKVerf, der allein auf die Vorlage der (vollständigen) Niederschrift der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung abstellt, hat das Verwaltungsgericht eine etwaige frühere Ausfertigung der Satzung zu Recht als nicht entscheidungserheblich angesehen. Im Übrigen hindert die Beanstandung zwar den Vollzug des beanstandeten Beschlusses, lässt jedoch die Pflicht zur Veröffentlichung des Beschlusses unberührt (§ 55 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 39 Abs. 3 BbgKVerf). Mit der Legalitätswirkung, die der Satzungsausfertigung nach Ansicht der Klägerin zukommt, kann eine Verfristung der unstreitig am 8. Mai 2009 zugegangenen Beanstandung daher nicht begründet werden.

(2) Die erstinstanzliche Annahme, Gegenstand der fristgerecht ausgesprochenen Beanstandung sei die von der Stadtverordnetenversammlung am 7. April 2009 beschlossene Einzelsatzung in der Form des Änderungsantrages gewesen, begegnet gleichfalls keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Hinweis der Klägerin auf die im Betreff und im Eingangssatz des Beanstandungsschreibens angeführte Nummer der Beschlussvorlage bietet keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.

Bei verständiger Würdigung des Schreibens, das in der Anlage sowohl auf TOP 8.16 als auch auf TOP 8.17 der Sitzungsniederschrift vom 24. April 2009 verweist, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden, dass es sich bei der fehlerhaft zugeordneten Vorlagenummer lediglich um ein redaktionelles Versehen handelt. Insbesondere bietet der Inhalt des Schreibens keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, die Beanstandung habe sich nicht auf den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung über die geänderte Einzelsatzung bezogen. Dass dieser Satzungsbeschluss erstmals mit „Verfügung“ vom 3. Juni 2009 und damit nach Ablauf der Frist des § 55 Abs. 1 Satz 2 BbgKVerf vom Oberbürgermeister „neu“ bestandet worden sei, trifft danach nicht zu; die bloße Änderung der Vorlagenummer in der Beschlussvorlage vom 3. Juni 2009 gibt dafür nichts her. Ebenso wenig kann sich die Klägerin mit Erfolg darauf berufen, dass die bereits am 8. Mai 2009 ausgesprochene Beanstandung letztlich einen anderen Beschlussgegenstand betroffen habe als der angefochtene Bescheid. Der Einwand geht schon deshalb fehl, weil Gegenstand der Entscheidung der Kommunalaufsichtsbehörde gemäß § 55 Abs. 1 Satz 10 BbgKVerf ausschließlich die Rechtmäßigkeit des erneuten Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung über die (geänderte) Einzelsatzung ist, mit dem der zuvor fristgerecht beanstandete Satzungsbeschluss inhaltlich bestätigt worden ist, ohne dass insoweit Zweifel hinsichtlich des Beanstandungsgegenstandes bestanden hätten.

(3) Nach der zutreffenden Auffassung des Verwaltungsgerichts steht auch die von der Klägerin vorgetragene Ausfertigung der Satzung der Durchführung des Bean- standungsverfahrens nicht entgegen.

Dabei kann dahinstehen, ob die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausfertigung einer Satzung habe keine Legalitätswirkung, den Gehalt des § 3 Abs. 3 Satz 1 BbgKVerf und die Bedeutung des § 55 BbgKVerf zutreffend erfasst (vgl. zur Rechtslage nach der Gemeindeordnung: OVG Frankfurt (Oder), Urteil vom 19. August 1999 - 2 D 17/98.NE - juris Rn. 54). Denn es hat zutreffend eine präkludierende Wirkung der Ausfertigung für das Beanstandungsverfahren verneint und unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darauf verwiesen, dass eine mit der Ausfertigung verbundene Bestätigung der Legalität jedenfalls widerlegbar sei. Dem ist die Klägerin nicht substantiiert entgegengetreten. Insbesondere lässt sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen, aus welchen Gründen eine spätere Beanstandung der Satzung ohne eine Änderung der zum Zeitpunkt der Ausfertigung maßgeblichen Sach- und Rechtslage präkludiert und nicht mehr am Maßstab des § 55 Abs. 1 BbgKVerf zu handhaben sein soll. Die Regelung des § 55 Abs. 1 BbgKVerf gibt für eine derartige Präklusion nichts her. Sie normiert in Satz 1 im Gegenteil nicht nur das Recht, sondern die Pflicht des Hauptverwaltungsbeamten, Beschlüsse der Gemeindevertretung zu beanstanden, wenn er der Auffassung ist, dass diese rechtswidrig sind (LT-Drs. 4/5056 S. 222; Grünewald, in: Muth, Potsdamer Kommentar - Kommunalrecht und Kommunales Finanzrecht in Brandenburg, § 55 Rn. 22). Ein Ausschluss des Beanstandungsverfahrens durch bereits eingeleitete Maßnahmen zur Ausführung des Beschlusses der Gemeindevertretung wäre mit dieser Beanstandungspflicht nicht vereinbar; auch eine nach erneuter Prüfung geänderte Rechtsauffassung des Hauptverwaltungsbeamten kann die Pflicht zur Beanstandung eines für rechtswidrig erachteten Beschlusses auslösen. Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung lassen sich auch der bereits vom Verwaltungsgericht angeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, Beschluss vom 16. Mai 1991 - 4 NB 26.90 - BVerwGE 88, 204, zitiert nach juris) nicht entnehmen. Auf eine von der Klägerin reklamierte Änderung der Sach- und Rechtslage hat das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der widerlegbaren Legalitätsfunktion der Ausfertigung einer von der Gemeindevertretung beschlossenen Satzung nicht abgestellt. Vielmehr hat es unabhängig davon angenommen, dass eine zu Unrecht vorgenommene Beurkundung der Legalität nicht zur Heilung von Verfahrensfehlern führen kann und damit eine legalisierende Wirkung der Ausfertigung im Ergebnis verneint (BVerwG, a.a.O., Rn. 19).

(4) Ernstliche Richtigkeitszweifel sind auch insoweit nicht dargetan, als das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen die in § 55 Abs. 1 Satz 10 BbgKVerf normierten Darlegungsanforderungen verneint hat.

Zu dem erstinstanzlich angeführten Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung und dem konkreten Verfahrensgang verhält sich der Zulassungsantrag nicht. Insbesondere lassen sich dem Zulassungsvorbringen keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass dem Oberbürgermeister eine etwaige schriftliche oder in sonstiger Weise dokumentierte Begründung der Rechtsauffassung der Gemeindevertretung vorgelegen hätte, die er der Kommunalaufsichtsbehörde hätte darlegen müssen. Die Antragsbegründung erschöpft sich vielmehr in dem Hinweis, dass die vorhergehenden Diskussionen und Redebeiträge auch vom Oberbürgermeister verfolgt worden seien und er daher verpflichtet gewesen wäre, eine - ihm gegebenenfalls „entfallende“ Begründung - bei der Gemeindevertretung anzufordern und der Kommunalaufsichtsbehörde vorzulegen. Dies vermag schon angesichts der Tatsache, dass es die Stadtverordnetenversammlung selbst auf Nachfrage der Kommunalaufsichtsbehörde mit Schreiben vom 30. September 2009 ausdrücklich abgelehnt hat, eine rechtliche Begründung für die beanstandete Beschlussfassung abzugeben, nicht zu überzeugen. Soweit ihr damit unstreitig die Möglichkeit gegeben war, sich vor einer Entscheidung der Kommunalaufsicht zeitnah rechtliches Gehör zu verschaffen, ist dem Regelungszweck des § 55 Abs. 1 Satz 10 BbgKVerf - auch unabhängig von einer etwaigen von der Klägerin problematisierten „Heilung“- ersichtlich Genüge getan. Ausweislich der von der Klägerin nur teilweise zitierten Gesetzesbegründung ist im Übrigen auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass es Einzelfälle geben kann, in denen die Gemeindevertretung ohne nähere Darlegung ihrer Rechtsauffassung an der beanstandeten Beschlussfassung festhält, und dass in einem derartigen Fall neben der Darlegung der Rechtsauffassung des Hauptverwaltungsbeamten „selbstverständlich“ nur auf diesen Tatbestand hingewiesen werden kann (LT-Drs. 4/5056, S. 225 f.).

b) Die gegen die materiell-rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts erhobenen Einwände greifen gleichfalls nicht durch.

Inwieweit die Auffassung des Verwaltungsgerichts, hinsichtlich der beschlossenen Einzelsatzung fehle es an sachgerechten Ermessenserwägungen der Stadtverordnetenversammlung, „unrichtig“ sein soll, lässt sich dem Zulassungsvorbringen auch nicht ansatzweise entnehmen. Der bloße Hinweis auf die „fehlende Erledigung des § 55 Abs. 1 Satz 10 BbgKVerf durch den Hauptverwaltungsbeamten“ gibt dafür nichts her.

Dass das Verwaltungsgericht die gesamte materiell-rechtliche Begründung des angefochtenen Bescheides durch eine eigene, komplett abweichende Würdigung ersetzt habe, trifft gleichfalls nicht zu. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist der Beklagte in seinem Bescheid nicht davon ausgegangen, dass bis 2008/09 noch keine sachliche Beitragspflicht entstanden sei. Der Bescheid beruht vielmehr auf der Annahme einer frühestens im Jahre 1999 entstandenen sachlichen Beitragspflicht; zu diesem Zeitpunkt sei für entsprechende Maßnahmen bereits ein kommunaler Anteil von 80 % festgelegt worden (S. 5 des Bescheides). Soweit das Verwaltungsgericht demgegenüber auf den Kostenspaltungsbeschluss vom 25. Juni 1998 abgestellt und auf den schon seit 1. Januar 1998 geltenden Verteilungsschlüssel verwiesen hat, der einen kommunalen Anteil von 80 % vorsieht, ist eine zu Lasten der Klägerin abweichende Würdigung weder dargetan noch ersichtlich. Im Übrigen beschränkt sich die gerichtliche Überprüfung des angefochtenen Bescheides der Kommunalaufsicht nicht darauf, die behördliche Begründung nachzuvollziehen.

Ebenso wenig tritt die Klägerin den erstinstanzlichen Gründen, aus denen das Verwaltungsgericht den Kostenspaltungsbeschluss als maßgeblich angesehen hat, substantiiert entgegen. Das Zulassungsvorbringen erschöpft sich in einem Zitat aus der bereits vom Verwaltungsgericht angeführten Kommentierung (Becker, in: ders., KAG Brandenburg, § 8 Rn. 339), die allerdings nur unvollständig wiedergegeben wird. Zu den in der Kommentarstelle angesprochenen unterschiedlichen Fallgestaltungen, auf die das Verwaltungsgericht entscheidungstragend abgestellt hat, verhält sich der Zulassungsantrag nicht. Für die Annahme, die Beitragspflicht sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bereits im Jahre 1997 entstanden, bietet die Antragsbegründung danach keine tragfähigen Anhaltspunkte.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

Der Hinweis auf die Umstände der am 21. April 2009 erfolgten Ausfertigung des beanstandeten Satzungsbeschlusses, die im gegenwärtigen Verfahrensstadium nicht aufgeklärt werden könnten, zeigt keine besonderen Schwierigkeiten auf, denen in einem Berufungsverfahren nachzugehen wäre. Aus den vorstehend dargelegten Gründen sind die Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens mangels Entscheidungserheblichkeit der von der Klägerin geltend gemachten Umstände nicht als offen anzusehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).