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(Jahresfrist für die Beschwerdebegründung wegen unrichtiger Rechtsmittelbelehrung)


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 03.05.2010
Aktenzeichen OVG 2 S 106.09 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 58 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO, § 30 Abs 1 AufenthG, § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG, Art 6 GG, Art 19 Abs 4 GG

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 3. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

Der Antrag, den Antragstellern unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen, wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten der Beschwerde mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig. Insbesondere haben die Antragsteller die Beschwerde, die sie innerhalb von zwei Wochen nach der am 10. Dezember 2009 erfolgten Zustellung des angefochtenen Beschlusses bei dem Verwaltungsgericht eingelegt haben (§ 147 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –), mit den Schriftsätzen ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 15. und 16. April 2010 fristgerecht begründet.

Die Monatsfrist für die Begründung der Beschwerde des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO ist nicht in Gang gesetzt worden (§ 58 Abs. 1 VwGO), so dass für die Einreichung der Begründung die verfahrensrechtliche Ausschlussfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO von einem Jahr seit Zustellung des Rechtsbehelfs gilt.

Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO die Einlegung des Rechtsmittels nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben ist.

Eine Rechtsmittelbelehrung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Sinne dieser Vorschriften nicht nur dann fehlerhaft, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn ihr ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der objektiv geeignet ist, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. Dezember 1978 – 6 C 77.78 –, BVerwGE 57, 188, 190 f., und vom 21. März 2002 – 4 C 2.01 –, DVBl. 2002, 1553, jeweils m.w.N.).

In diesem Sinne irreführend ist der in der den Antragstellern erteilten Rechtsbehelfsbelehrung enthaltene Hinweis, dass die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses schriftlich zu begründen ist. Denn er ist nach dem objektiven Empfängerhorizont geeignet, den Eindruck zu erwecken, dass die Beschwerde nicht in elektronischer Form begründet werden kann, obwohl seit dem 1. Januar 2010 die Möglichkeit besteht, die Begründung bei dem erkennenden Gericht auch in elektronischer Form mit einer qualifizierten elektronischen Signatur im Sinne des Signaturgesetzes auf dem unter www.berlin.de/erv veröffentlichten Kommunikationsweg (vgl. Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr mit der Justiz im Lande Berlin vom 27. Dezember 2006, GVBl. Nr. 43 vom 30. Dezember 2006, S. 1183, in der Fassung der Zweiten Änderungsverordnung vom 9. Dezember 2009, GVBl. Nr. 33 vom 23. Dezember 2009, S. 881) einzureichen (vgl. VG Trier, Urteil vom 22. September 2009 – 1 K 365/09.TR –, juris, Rn. 25, 28). Die Verweisung auf das Erfordernis, die Begründung schriftlich einzureichen, erschwert dem Betroffenen die Rechtsverfolgung in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise. Es ist durchaus denkbar, dass die Einreichung der Beschwerdebegründung in elektronischer Form – für den Beteiligten persönlich ebenso wie für dessen Bevollmächtigten – eine erhebliche Vereinfachung gegenüber der Einreichung eines Schriftstücks durch Einwurf in den Gerichtsbriefkasten, per Post bzw. Boten oder Fax darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1978 – 6 C 77.78 –, BVerwGE 57, 188, 190 f. m.w.N.).

Diese Würdigung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass vorliegend im Zeitpunkt der Erteilung der Rechtsmittelbelehrung durch Zustellung des Beschlusses die Zweite Änderungsverordnung vom 9. Dezember 2009, mit der der elektronische Kommunikationsweg zu dem erkennenden Gericht eröffnet wurde, noch nicht in Kraft getreten war. Ausgehend von der Zielrichtung des § 58 VwGO, dass niemand aus Rechtsunkenntnis eines Rechtsbehelfs verlustig gehen soll, ist für die Beurteilung der Fehlerhaftigkeit einer Rechtsmittelbelehrung – auch in zeitlicher Hinsicht – maßgeblich darauf abzustellen, ob sie aus der objektivierten Sicht des Betroffenen geeignet ist, die Einlegung eines Rechtsbehelfs zu erschweren. Dies ist hier für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2010 wie vorstehend dargelegt der Fall. Die Rechtsmittelbelehrung ist mithin fehlerhaft im Sinne von § 58 VwGO, ohne dass es darauf ankäme, dass dies im Zeitpunkt ihrer Erteilung noch nicht erkennbar war (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19. Oktober 2004 – 4 S 2142/04 –, juris, Rn. 3; a.A. Nieders. OVG, Beschluss vom 17. August 2005 – 8 L A 243/04 –, juris, Rn. 2 m.w.N.).

Das Gericht konnte entscheiden, obwohl die nach § 58 Abs. 2 VwGO geltende Jahresfrist noch nicht abgelaufen ist. Die Antragsteller haben in dem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Eilverfahren keinen Anspruch darauf, diese Frist auszuschöpfen, nachdem sie die ihnen eingeräumte Frist zum abschließenden Vortrag durch Einreichung der Schriftsätze vom 15. und 16. April 2010 genutzt haben. Hinzu kommt, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller diese bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vertreten hat, so dass er mit den hier maßgeblichen Sach- und Rechtsfragen vertraut ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Juni 2008 – OVG 12 S 87.08 –).

Die von den Antragstellern dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 der VwGO), rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Das Verwaltungsgericht hat den auf § 123 Abs. 1 VwGO gestützten Antrag, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Aufenthaltserlaubnis zum Nachzug zu seiner Ehefrau – der Antragstellerin – zu erteilen, selbständig tragend mit der Begründung abgelehnt, die Antragsteller hätten nicht dargelegt, dass diesem durch ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstünden, so dass die mit dem Erlass der einstweiligen Anordnung begehrte Vorwegnahme der Hauptsache auch nicht mit Blick auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten sei.

Gemessen an diesen rechtlich nicht zu beanstandenden Voraussetzungen (vgl. Beschluss des Senats vom 17. März 2009 – OVG 2 S 2.09 –, S. 2 BA m.w.N.) haben die Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren den erforderlichen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Soweit sie mit der Beschwerdebegründung unter Hinweis auf Lageberichte des Auswärtigen Amtes aus den Jahren 2007 und 2008 vortragen, es sei in Sri Lanka nicht von einer gesicherten politischen sowie „mensch[en]rechtswürdigen“ Lage auszugehen und jederzeit mit der Durchführung von Polizeikontrollen zu rechnen, haben sie nicht hinreichend substantiiert und glaubhaft gemacht, dass es der Antragstellerin aktuell unzumutbar wäre, den Antragsteller zusammen mit dem gemeinsamen, im Juli 2009 geborenen Kind zu besuchen. Entsprechendes gilt auch für den Hinweis der Antragsteller, eine solche Reise sei kosten- und zeitaufwändig. Der aufgezeigte Maßstab bedarf auch – anders als die Antragsteller offenbar meinen – mit Blick auf Art. 6 GG keiner Korrektur. Eine Ausnahme käme allenfalls in Betracht, wenn die Ausübung der grundrechtlich vermittelten Anspruchsposition lediglich frist- oder termingebunden möglich wäre und die Verweigerung des Visums eine über bloße Randbereiche hinausgehende Grundrechtsverletzung zur Folge hätte (vgl. den vorstehend zitierten Beschluss des Senats, S. 2 f. BA m.w.N.). Anhaltspunkte hierfür sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Zudem legen die Antragsteller nicht dar, dass die Bewertung des Verwaltungsgerichts, die Antragsteller hätten nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung einen Anordnungsanspruch nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht, unzutreffend ist.

Das Verwaltungsgericht hat seine Bewertung, die Visumserteilung komme nicht in Betracht, auf die jeweils selbständig tragenden Begründungen gestützt, zum einen verfüge der Antragsteller nicht über die nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG erforderlichen Sprachkenntnisse und zum anderen erfülle dieser die Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) nicht, ohne dass Umstände erkennbar seien, die eine Ausnahme von diesem Erfordernis rechtsfertigen könnten. Das Beschwerdevorbringen vermag die Richtigkeit dieser Würdigung nicht in Frage zu stellen.

Wie das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. März 2010 – BVerwG 1 C 8.09 – entschieden hat, verstößt das Spracherfordernis nach § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG weder gegen das Grundgesetz noch gegen Gemeinschaftsrecht. Wie der hierzu ergangenen Pressemitteilung (Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts Nr. 19/2010 vom 30. März 2010) zu entnehmen ist, hält es die Vorschrift auch nicht deshalb für verfassungswidrig, weil sie keine allgemeine Ausnahmeregelung für Härtefälle enthält und weist für den Fall, dass die deutschen Sprachkenntnisse aus nicht zu vertretenden Gründen innerhalb eines angemessenen Zeitraums nicht erworben werden können und keine zumutbare Möglichkeit besteht, die Lebensgemeinschaft im Ausland herzustellen, darauf hin, dass der verfassungsrechtlich gebotene Interessenausgleich einfachgesetzlich auf andere Weise, etwa durch die Erteilung einer vorübergehenden Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Spracherwerbs (§ 16 Abs. 5 AufenthG) herbeigeführt werden kann. Abgesehen davon, dass die Antragsteller mit ihrem Vorbringen zu der allgemeinen politischen Lage in Sri Lanka in den Jahren 2007 und 2008 bereits nicht dargelegt und glaubhaft gemacht haben, dass der Antragsteller aus diesem oder anderen nicht zu vertretenden Gründen nicht in der Lage ist, die erforderlichen Sprachkenntnisse innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu erwerben, können sie mit dem Vorbringen, diesem stehe jedenfalls hilfsweise ein Anspruch auf Erteilung eines Visums gemäß § 16 Abs. 5 AufenthG bzw. § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu, bereits deshalb nicht durchdringen, weil der Antragsteller bei der Antragsgegnerin bislang keinen entsprechenden Antrag gestellt hat. Der von ihm am 22. Juni 2009 bei der Botschaft der Antragsgegnerin in Colombo gestellte Visumsantrag war seiner Zweckbestimmung nach allein auf die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug (Ehegattennachzug) gerichtet und schloss daher – entgegen der vom Antragsteller vertretenen Rechtsansicht – weder einen Antrag auf ein Visum zur Teilnahme an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, noch zu einem sonstigen, vom Aufenthaltsgesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck als „Minus“ mit ein.

Die Antragsteller vermögen die Würdigung des Verwaltungsgerichts, der Lebensunterhalt des Antragstellers sei nicht gesichert, da das Einkommen der Antragstellerin nicht zur Deckung des Unterhaltsbedarfs ausreiche, nicht durch Vorlage des an den Antragsteller gerichteten und mit „Bestätigung Ihres Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisses“ überschriebenen Schreibens vom 19. März 2010 in Frage zu stellen. Diesem Schreiben ist bereits nicht zu entnehmen, dass ein rechtsverbindlicher Arbeitsvertrag wirksam zustande gekommen ist. Darüber hinaus haben die Antragsteller nicht die Befugnis des Zusagenden zur Begründung von Arbeitsverhältnissen für die in dem Schreiben benannte Firma „Pizza Roma“ dargelegt und glaubhaft gemacht.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren kommt aus den vorstehend dargestellten Gründen mangels hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht in Betracht (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 der Zivilprozessordnung).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG); hierbei geht der Senat in einstweiligen Anordnungsverfahren, die die Erteilung eines Visums betreffen, auch dann von der Hälfte des Auffangstreitwertes aus, wenn das Begehren auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).