Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 19.05.2011 | |
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Aktenzeichen | L 2 U 51/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Nr 1301 BKV, Nr 1302 BKV, Nr 1304 BKV |
1. Die Niere gehört nicht zu den Harnwegen i. S. der BK 1301, so dass ein Nierenkarzinom nach dieser BK nicht entschädigt werden kann.
2. Nach derzeitigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand kann Trichlorethen nur bei einer "Hochdosis-Exposition" kanzerogen wirken.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Januar 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch keine außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist die Anerkennung eines Nierenzellkarzinoms als Berufskrankheit (BK) Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO - Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine), BK 1302 der Anlage 1 zur BKVO (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) und/oder BK 1304 der Anlage 1 zur BKVO (Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge).
Der 1943 geborene Kläger war in der ehemaligen DDR als Chemiker an der A tätig. Hier arbeitete er zunächst von September bis November 1967 am Institut für Hochpolymere und nach Ableistung seines Wehrdienstes ab Mai 1969 am Z als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Laborleiter und ab 1980 als Abteilungsleiter und im Anschluss hieran von Januar 1984 bis Dezember 1991 im Z. Nach April 1990 war der Kläger noch in verschiedenen anderen Positionen ohne Kontakt zu Schadstoffen tätig, unter anderem als Niederlassungsleiter der Firma H GmbH und als Fachhochschuldozent.
Ende 1993 wurde beim Kläger als Zufallsbefund ein Tumor an der linken Niere festgestellt, woraufhin diese am 27. Dezember 1993 operativ entfernt wurde.
Im April 1994 erstattete Prof. Dr. A, Evangelisches Krankenhaus K, H, eine Anzeige über das mögliche Bestehen einer BK. Beigefügt war der Entlassungsbericht über die Behandlung des Klägers in der Zeit vom 23. Dezember 1993 bis 06. Januar 1994, das Ergebnis der histologischen Untersuchung sowie eine Aufstellung „Historischer Ablauf des Umgangs mit Chemikalien“.
Die zunächst wegen ihrer Zuständigkeit für die vom Kläger zuletzt bei der Firma H GmbH ausgeübte Tätigkeit eingeschaltete Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) befragte den Kläger zu seiner Erkrankung und zu seinem beruflichen Werdegang und ermittelte medizinisch im Hinblick auf die Tumorerkrankung des Klägers. Im September 1995 übergab die VBG den Vorgang an die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Eigenunfallversicherung Berlin, da die vom Kläger zuletzt bei der Firma H GmbH als Niederlassungsleiter ausgeübte Tätigkeit keinen Kontakt mit Schadstoffen mit sich gebracht habe.
Der Kläger übersandte seinen Sozialversicherungsausweis. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Abteilung Personalnachsorge, teilte mit Schreiben vom 09. Oktober 1996 mit, dass eine im Akademiearchiv durchgeführte umfangreiche Recherche erfolglos geblieben sei, Personalunterlagen über den Kläger seien dort nicht vorhanden. Die Beklagte holte einen Ersten Untersuchungsbefund des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. B vom 25. September 1999 ein, der ausführte, dass der Verdacht einer BK 1301 unbedingt gegeben sei und eine weitere Begutachtung empfahl. Beigefügt war eine vom Kläger bei der Untersuchung überreichte Aufstellung „Handhabung von Stoffen im Verlaufe meiner Tätigkeit als Chemiker, geordnet nach dem System der BKV …“. Die Beklagte ermittelte weiter durch eine Anfrage beim Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und Technische Sicherheit Berlin - LAGetSi und bat um Informationen über die vom Kläger inne gehabten oder ähnliche Arbeitsplätze. Übersandt wurden in diesem Zusammenhang u. a. ein Bericht über eine arbeitshygienische Untersuchung vom 25. März 1975 im Z , eine Arbeitsanweisung der Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen, Kreisinspektion, vom 02. Dezember 1976 an die A „Vermeidung von Berufserkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe“, wobei derartige Stoffe, speziell Tetrachlorkohlenstoff, ab sofort nicht mehr für Reinigungsarbeiten zu verwenden seien, ein Betriebs-Erfassungs-Bogen vom 06. Januar 1977, eine Aufstellung über durchgeführte arbeitshygienische Überprüfungen aus den Jahren 1975 bis 1980 und ein Bericht über eine am 14. September 1984 durchgeführte Inspektion im Z. Berichtet wurde u. a. über Gesundheitsbeeinträchtigungen bei Werktätigen in Form von Schleimhautreizungen der oberen Luftwege sowie diffuse Beschwerden des Digestionstraktes. Der Kläger übersandte eine Aufstellung des ehemaligen Leiters des Labors im Z der ehemaligen A Dr. H vom 08. Juli 2000 über vom Kläger in den Jahren von 1984 bis 1989 eingesetzte Stoffe und Artikel über deren kanzerogene Wirkung.
Die Abteilung Prävention der Beklagten äußerte sich mit Schreiben vom 11. Juli 2000 und vom 27. September 2000 dahin, dass entsprechend der Aufstellung des Klägers als relevante Noxe Benzidin in Betracht komme. Ob dieses die Erkrankung verursacht habe, sei durch ein medizinisches Gutachten abzuklären. Der Kläger sei jedoch darauf hingewiesen worden, dass nicht nur die in der Stoffliste zur BK 1301 verzeichneten Gefahrstoffe entsprechende Erkrankungen hervorrufen könnten, sondern auch weitere Stoffe. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien aufgrund der Verarbeitung von zirka 1 kg Benzidin in den Jahren 1984 bis 1990 gegeben.
Am 20. März 2001 erstattete Dr. K ein Zusammenhangsgutachten. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass das beim Kläger diagnostizierte Nierenzellkarzinom trotz Exposition gegenüber verschiedenen Krebs erzeugenden oder diesbezüglich verdächtigen chemischen Substanzen bei Forschungsarbeiten im Labormaßstab nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung als BK erfülle, weil
- das zu den aromatischen Aminen zählende Benzidin nach derzeitigem Kenntnisstand nur Harnblasenkrebse vom Urothel-Typ, nicht aber bösartige Tumore des Nierengewebes verursache,
- die Bedeutung arbeitsmedizinisch relevanter chemischer Gefahrstoffe als Krebs erzeugende Substanzen mit dem Zielorgan Niere bisher nicht genügend erforscht oder zumindest widersprüchlich sei,
- der Stellenwert von Trichlorethylen (TRI, syn. Trichlorethen), mit dem der Kläger lt. aufgelisteter Arbeitsstoffe einen nicht näher definierten Kontakt gehabt habe, als kanzerogen für die Niere unter Fachleuten noch durchaus kontrovers diskutiert werde, und weil
- die reale Exposition gegenüber den genannten Gefahrstoffen unter den Bedingungen der Labortätigkeit quantitativ rückwirkend nicht mehr abschätzbar sei, aber im Vergleich zu den Expositionsbedingungen im industriellen Bereich als eher geringgradig einzustufen sein dürfte.
Bezüglich einer erwiesenen Kanzerogenität für den Menschen stehe Benzidin ganz obenan. Zielorgan sei diesbezüglich jedoch allein die Harnblase mit dem Urothelkarzinom als Tumortyp. Die Ursachen für die Entstehung von Karzinomen des Nierengewebes sowie des Nierenbeckens seien bisher weitgehend unerforscht, hinsichtlich beruflicher Ursachen für Nierenkarzinome bestehe derzeitig noch weitestgehender Forschungsbedarf. Lediglich für Trichlorethylen gebe es neuerdings neben tierexperimentellen Untersuchungen eine begrenzte Zahl von epidemiologischen Forschungsergebnissen mit einem statistisch erhöhten Risiko für das Nierenzellkarzinom. Im internatonalen Maßstab sei man hingegen bisher wesentlich zurückhaltender bei der Beurteilung der Kanzerogenität von TRI für den Menschen, weil das erhöhte Krebsrisiko für die Niere keineswegs von anderen Untersuchern hätte bestätigt werden können. Offenbar sei auch der Organbezug noch nicht völlig abgeklärt. Aromatische Amine und Azofarbstoffe spielten in der Diskussion um Ursachen für Nierenkarzinome keine Rolle. Insgesamt sei damit der Zusammenhang zwischen der Erkrankung des Klägers und seiner beruflichen Tätigkeit als unwahrscheinlich einzustufen.
Der Kläger wandte hiergegen zunächst telefonisch und sodann mit Schriftsatz vom 25. Juli 2001 ein, dass nach verschiedenen Veröffentlichungen sehr wohl ein Zusammenhang zwischen dem Nierenkarzinom und dem Kontakt mit Benzidin bejaht werde, und verwies insbesondere auf seinen langjährigen Umgang mit aromatischen Diaminen, insbesondere Benzidin. Mit Rückäußerung vom 24. August 2001 führte Dr. K hierzu aus, dass die vom Kläger erhobenen Einwände arbeitstoxikologisch und epidemiologisch irrelevant seien. Im Vordergrund der Diskussion stünde erneut das Harnblasenkarzinom, welches beim Kläger nicht vorliege. Soweit Nierentumoren im Zusammenhang mit Benzidin überhaupt erwähnt würden, beträfen diese vor allem die Transitionalzellkarzinome im Übergangsepithel des Nierenbeckens und nicht das beim Kläger diagnostizierte Nierenzell-Karzinom. Diese unterschiedlichen Tumorformen und -lokalisationen seien ätiologisch im Rahmen der Kausaldiskussion jedoch gänzlich anders zu bewerten.
Mit Bescheid vom 24. Januar 2002 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung wegen der Folgen des Nierentumors auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) i. V. m. der BK 1301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Dr. K ab.
Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine weitere Rückäußerung des Dr. K ein, der am 10. Juni 2002 erneut ausführte, dass die Kanzerogenität aromatischer Amine, hier vor allem von Benzidin, für die Niere fragwürdig bleibe. Die Gefahrstoffeinstufungen toxischer Substanzen seien vernünftigerweise präventiv ausgerichtet, für die versicherungsmedizinische Kausaldiskussion jedoch nicht ausreichend. Synergistische Wirkungen kanzerogener Schadfaktoren seien zwar plausible Überlegungen, bisher jedoch - mit Ausnahme von Asbest und Rauchen - überhaupt nicht systematisch untersucht. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2002 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers daraufhin zurück.
Während des gegen die Ablehnung der Anerkennung einer BK 1301 geführten Klageverfahrens hat die Beklagte das Vorliegen weiterer Berufskrankheiten-Tatbestände sowie das mögliche Vorliegen einer so genannten Quasi-BK/Wie-BK im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB VII überprüft:
Im Hinblick auf die BK 1302 teilte die Abteilung Prävention der Beklagten am 14. März 2005 mit, dass in der Stoffliste des Dr. H fünf Halogenkohlenwasserstoffe benannt worden seien, bei denen der begründete Verdacht auf ein kanzerogenes Potential bestünde, Näheres müsse durch ein medizinisches Gutachten geklärt werden. Der Gewerbearzt des LAGetSi Dr. S teilte am 27. Mai 2005 mit, die Anerkennung einer BK 1302 nicht vorzuschlagen, weil die medizinischen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben seien.
Die Beklagte zog ein Positionspapier des Hauptverbandes der Gewerblichen Berufsgenossenschaften HVBG vom 18. Mai 2005 zur Anerkennung von Nierenzellkarzinomen durch Trichlorethen als BK 1302 bei (Brüning et al., Nierenzellkarzinome durch Trichlorethen – Kriterien für die Anerkennung als Berufskrankheit der Nr. 1302 Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe). Hier ist ausgeführt, dass neuere Erkenntnisse auf biologisch-toxikologischem und molekularbiologischem Gebiet epidemiologische Studien bestätigt hätten, die ein erhöhtes Nierenzellkrebsrisiko für hochgradig Trichlorethen Exponierte unter der Voraussetzung einer mehrjährigen Exposition im Hochdosisbereich ausgewiesen hätten. Unter einer „Hochdosis-Exposition“ sei das regelmäßige Auftreten von Konzentrationsspitzen zu verstehen, die pränarkotische Symptome auszulösen imstande seien. Diese träten bei Expositionen gegenüber Luftkonzentrationen ab einer Höhe von zirka 300 ppm auf. Solche Expositionszenarien seien vor allem bei beruflichen Tätigkeiten in den 50-er bis 70-er Jahren in verschiedenen Gewerbebereichen, insbesondere bei der Entfettung von Metallteilen, aufgetreten. Erforderlich sei eine regelmäßige Exposition mit gravierenden und lang anhaltenden expositionsbezogenen pränarkotischen Zuständen (z. B. Rausch- und Trunkenheitsgefühl, Benommenheit, Schwindel, Kopfschmerzen). Diese müssten mehrfach wöchentlich über mindestens drei Jahre aufgetreten sein. Beim Nichtvorhandensein pränarkotischer Symptome sei auch bei längerfristiger Einwirkung von Trichlorethen von keiner relevanten Krebs erzeugenden Wirkung auszugehen. Weitere Voraussetzung für einen Kausalzusammenhang sei der Nachweis eines tubulären Nierenschadens in der verbliebenen Restniere bzw. der kontralateralen Niere nach Nephrektomie. Die Beklagte befragte hierzu Dr. K, der zunächst eine Rückfrage beim Kläger bezüglich der Verwendung von Trichlorethylen empfahl. In Beantwortung der Anfrage teilte der Kläger am 01. November 2005 mit, dass die chlorierten Kohlenwasserstoffe sehr unterschiedlich und in schwankenden Mengen verwandt worden seien. Für TRI gab er eine durchschnittliche Jahresmenge von 100 bis 200 Litern pro Jahr in den Jahren 1969 bis 1989 und 1991 an. Die Randbedingungen bei der Arbeit mit chlorierten Kohlenwasserstoffen seien unterschiedlich gewesen.
In Auswertung dieser Angaben führte Dr. K am 21. November 2005 aus, dass die Diskussion über die Kanzerogenität des Schadstoffes TRI seit seiner letzten Begutachtung mit weiterhin divergierenden Aussagen weitergegangen sei. Aus arbeitstechnischer Hinsicht werde eine mehrjährige Exposition im Hochdosisbereich gefordert und diese durch das Auftreten von Konzentrationsspitzen mit Luftkonzentrationen ab etwa 300 ppm präzisiert, welche zu pränarkotischen Zuständen bei den Betroffenen führten. Vorliegend sei ein ursächlicher Zusammenhang nicht mit Wahrscheinlichkeit zu begründen, weil das Expositionsmaß unter den vom Kläger beschriebenen Tätigkeitsmerkmalen aus arbeitsmedizinischer Sicht im Vergleich mit Expositionen unter Bedingungen der industriellen Produktion als gering und annehmbar erheblich unterhalb der in den derzeitig geltenden Vorgaben geförderten Größenordnungen gelegen haben dürfte, da weiterhin anamnestische oder klinische Hinweise für akute Angiftungen, speziell durch TRI, fehlten und eine toxische Nierenschädigung des Tubulussystems, die ebenfalls als Voraussetzung in der Kausalitätsdiskussion gefordert werde, nicht vorliege.
Hierzu äußerte sich der Kläger am 07. Januar 2006 dahin, dass TRI zwischen 1970 und 1976 als hauptsächliches Reinigungsmittel für die Formen verwendet worden sei, die mit bis zu 2000 ml und Zellstoff offen auf dem Labortisch ohne Handschuhe gereinigt worden seien. Hierbei habe sehr wohl eine Hochdosisexposition mit Konzentrationsspitzen bis zu 1830 ppm bei einer mittleren Konzentration von 720 ppm vorgelegen. Diese Exposition sei regelmäßig und über mindestens sechs Jahre von 1970 bis 1976 erfolgt. Die seinerzeit aufgetretene Benommenheit beim Umgang mit TRI sei gewohnheitsmäßig von allen Beteiligten in Kauf genommen worden. Ein tubulärer Nierenschaden sei bislang lediglich nicht untersucht worden. Die Beklagte ermittelte diesbezüglich durch Nachfrage beim Facharzt für Urologie Dr. S, der am 22. Mai 2006 einen Arztbrief vom 27. Juli 2005 und weitere Befunde übersandte. Der Kläger verwies auf weitere Veröffentlichungen.
Mit Stellungnahme vom 13. Juli 2006 äußerte sich Dr. K zu allem sodann dahin, dass die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Trichlorethylen beim Menschen bei beruflicher Exposition ein Nierenzellkarzinom hervorrufen könne oder nicht, im internationalen Maßstab noch im vollen Gange und die Kausalitätsfrage keineswegs abschließend geklärt sei. Mit der in Deutschland vorgenommenen Einstufung als Kanzerogen habe man sich seines Erachtens weit vorgewagt, trotzdem werde auch hier weiterer Klärungsbedarf gesehen. Die EU habe diese Einstufung zur Kanzerogenität jedenfalls nicht in ihre Richtlinie übernommen. Auch die zuständige Organisation der WHO - die IARC in Lyon - habe sich bisher nicht von der Humankanzerogenität von TRI überzeugen können. Er sehe sich nach wie vor außerstande, einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition des Klägers und seiner Tumorerkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu begründen. Die vom Kläger vorgelegte Berechnung der Expositionsgröße beim Umgang mit TRI als Reinigungsmittel sei bezüglich der erwartbaren Wirkung auf die Betroffenen mit arbeitstoxikologischen Erfahrungen nicht zu vereinbaren. Die experimentelle Einatmung von 200 ppm TRI führten bereits zu ersten Symptomen wie Müdigkeit und Schläfrigkeit. Bei stärkeren Angiftungen träten Rauschzustände und zunehmende Benommenheit auf. Ab 1000 ppm seien narkotische Wirkungen zu erwarten. Wenn die von der Klägerseite reklamierten Größenordnungen der Angiftung mit TRI mit Konzentrationsspitzen bis 1830 ppm bei einer mittleren Konzentration von 720 ppm zutreffen würden, wäre an den Laborarbeitsplätzen wegen Desorientiertheit niemand mehr einsatzfähig gewesen oder gar bewusstlos geworden. Dies wäre aufgefallen.
Mit Bescheid vom 24. Oktober 2006 hat die Beklagte die Anerkennung einer BK 1302 der Anlage zur BKV sowie die Gewährung von Leistungen wegen einer solchen BK abgelehnt. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens äußerte sich am 13. Juni 2007 die Abteilung Prävention der Beklagten dahin, dass sich dem Arbeitsbuch des Klägers entnehmen lasse, dass er mit halogenierten Kohlenwasserstoffen gearbeitet habe. Es seien zwei Arbeitsplatzanalysen gefertigt worden, die glaubhaft die Situation der Arbeitsplätze beschrieben, eine davon im Jahre 1981. Einer Arbeitsschutzanweisung vom 01. Januar 1977 zum Umgang mit Gefahrstoffen könne man im Umkehrschluss entnehmen, dass vermutlich ungeschützt mit Halogenkohlenwasserstoffen gearbeitet worden sei, was sich vermutlich auch nach Erlass der Anweisung nicht geändert habe. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK 1302 lägen daher vor. Übermittelt wurden u. a. arbeithygienische Berichte der A, Z, vom 05. Oktober 1981 und 09. September 1982 sowie die genannten Arbeitsplatzanalysen. Eine Rückfrage bei der Abteilung Prävention der Beklagten bezüglich der dort angenommenen TRI-Exposition ergab am 29. Juli 2008, dass konkrete Messprotokolle nicht hätten gefunden werden können. Eine Überschreitung des Grenzwertes allein für den Stoff Trichlorethylen sei damit nicht bewiesen.
Mit Gutachten vom 14. August 2008 führte Prof. Dr. W, Medizinische Hochschule H, Institut für Arbeitsmedizin, aus, dass die generelle Geeignetheit von Trichlorethylen, bei entsprechender Expositionshöhe Nierenzellkarzinome zu verursachen, als gesichert anzusehen sei. Auf der Basis der zur Verfügung stehenden Literatur müsse davon ausgegangen werden, dass statistisch signifikant erhöhte Nierenkrebsrisiken nur bei sehr hohen TRI-Expositionen von etwa 300 ppm (1638 mg/m³) bestünden. Eine derartige Exposition für den Umgang mit Halogenkohlenwasserstoffen einschließlich Trichlorethen sei für den Arbeitsbereich des Klägers im Labor den arbeitstechnischen Ermittlungen nach insgesamt nicht anzunehmen. Eine hohe Trichlorethenexposition im Bereich von 300 ppm sei nach allem nicht nachzuweisen. Dies entspreche auch arbeitsmedizinischer Erfahrung insofern, als dass in Laboratorien sehr selten hohe Konzentrationen von Stoffen gefunden würden. Über regelhaft auftretende Rausch- und Trunkenheitsgefühle, Benommenheit, Schwindel und Kopfschmerzen sei in den Aktenunterlagen kein Hinweis enthalten. Dieses sei auch aktuell vom Kläger nicht berichtet worden. Auch die weitere Voraussetzung für einen Kausalzusammenhang in Gestalt des Nachweises eines tubulären Nierenschadens bzw. einer Glomerulonephritis in der verbleibenden Niere sei nicht gegeben, wie die klinisch-chemische Urinuntersuchung des Klägers sowie das Ergebnis einer Gel-Elektrophorese gezeigt hätten. Es fehle an den Auffälligkeiten im Proteinmuster des Urins als Hinweis für eine Schädigung in der verbleibenden Restniere. Insgesamt könne daher das beim Kläger aufgetretene Nierenzellkarzinom nicht mit der notwendigen sozialrechtlichen Wahrscheinlichkeit auf dessen berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden.
Die Beklagte übersandte später eine arbeitsmedizinische Stellungnahme der Prof. Dr. W vom 21. Juli 2009 zu Einwänden des Klägers, die ausführte, dass der Kläger in der Tat angegeben habe, auf Benommenheit nicht so geachtet zu haben, er habe oftmals die Luft angehalten oder sei kurz ans Fenster gegangen. Hinsichtlich des tubulären Nierenschadens, der bei nicht ausreichend geklärter Exposition quasi als Brückensymptom aufgefasst werden könnte, sei nicht ausgeschlossen, dass sich diese Schäden nach einiger Zeit wieder reparierten. Untersuchungen, die im Langzeitverlauf die Möglichkeit einer Regeneration des Nierengewebes aufzeigen könnten, existierten jedoch bisher nicht. Unverändert sei festzuhalten, dass eine Überschreitung des Grenzwertes allein für Trichlorethylen nicht bewiesen sei. Es könne weiterhin nicht mit der notwendigen sozialrechtlichen Wahrscheinlichkeit belegt werden, dass das aufgetretene Nierenzellkarzinom beruflich verursacht worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2008 hat die Beklagte den Widerspruch des Klägers im Hinblick auf die BK 1302 zurückgewiesen. Diesbezüglich hat der Kläger seine Klage mit Schriftsatz vom 29. September 2008 erweitert, die Beklagte hat dem mit Schriftsatz vom 20. Februar 2009 zugestimmt.
Zur BK 1304 führte die Abteilung Prävention der Beklagten am 14. März 2005 aus, dass sich zwar in der Stoffliste des Dr. H drei Stoffe fänden, die Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge entsprechend der BK 1304 seien, wobei einem Stoff, nämlich Benzidin, ein kanzerogenes Potential unterstellt werde. Nierenkarzinome würden diesbezüglich jedoch nicht beschrieben. Die unter Punkt 4 des Merkblattes zur BK 1304 genannten Stoffe, die Krebserkrankungen erzeugten, seien in der den Kläger betreffenden Stoffliste nicht zu finden.
Nach Anhörung des LAGetSi, für welches Dr. S am 27. Mai 2005 mitteilte, die Anerkennung einer BK 1304 nicht vorschlagen zu können, lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 1304 der Anlage zur BKV sowie die Gewährung von Leistungen mit Bescheid vom 22. September 2005 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2008 zurück.
Auch im Hinblick auf die BK 1304 erklärte der Kläger die Erweiterung seiner Klage mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2008. Dem stimmte die Beklagte mit Schriftsätzen vom 13. Oktober 2004 und vom 20. Februar 2009 zu.
Mit weiteren Bescheiden entschied die Beklagte noch jeweils über die Anerkennung einer BK 1303 (Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol), einer BK 1315 (Erkrankungen durch Isocyanate), einer BK 1316 (Erkrankungen der Leber durch Dimethylformamid) sowie über die Anerkennung einer BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII als Quasi-BK. Im Hinblick auf die Ablehnung der BKs Nr. 1303 und 1316 wurde Klage nicht erhoben bzw. die Klage nicht erweitert. Im Hinblick auf die Anerkennung der BK 1315 und einer Quasi-BK hat der Kläger die hierauf zunächst erweiterte Klage mit Schriftsatz vom 29. Juni 2009 wieder zurückgenommen.
Das Gericht hat ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin Dr. K, DZ, vom 23. August 2003 eingeholt, der zu dem Ergebnis kam, dass die beim Kläger bestehenden Gesundheitsschäden im Sinne der erstmaligen Entstehung zu werten und durch berufliche Exposition bedingt seien. Der berufliche Faktor sei wesentlich. Es könne als gesichert angesehen werden, dass der Kläger über einen langen Zeitraum, nämlich zumindest beginnend mit dem Studium der Chemie 1962 bis hin zumindest 1991, gegenüber den verschiedensten chemischen Substanzen exponiert gewesen sei. Unter der umfangreichen Liste befänden sich mehrere karzinogene Substanzen, es fänden sich aromatische Amine und andere Aromaten, Isocyanate, die als Grundsubstanz einer chemischen Umwandlung zu aromatischen Aminen dienen könnten. Es fänden sich auch Substanzen wie Benzol, Toluol und Trichlorethylen. Benzol sei nachweislich karzinogen und darüber hinaus sei auch Trichlorethylen als karzinogene Substanz eingestuft. Es könne deshalb davon ausgegangen werden, dass der Kläger über einen Zeitraum von 29 Jahren gegenüber einem Gemisch an karzinogenen Substanzen exponiert gewesen sei in einer mehr oder weniger umfangreichen Größenordnung. Auch der medizinische Arbeitsschutz sei bis 1991 ein sehr problematischer Punkt gewesen. Da die arbeitsmedizinische Überwachung im streitgegenständlichen Zeitraum völlig unzureichend gewesen sei, lägen allerdings keinerlei objektive Daten vor. Letztendlich könne heute nur davon ausgegangen werden, dass die Konzentrationen an fraglich toxisch karzinogenen Substanzen aus verschiedenen Lösungsmittelgemischen, Syntheseansätzen oder Prüfungen zumindest in der Raumluft häufig einen Wert erreicht hätten, der für den Kläger unangenehm gewesen sein müsse, denn ansonsten wäre es ihm nicht aufgefallen, dass die Förderleistung der Abzüge völlig unzureichend gewesen sei. Dies könne im vorliegenden Fall eine Brückensymptomatik unterstützen, wobei darauf hinzuweisen sei, dass es eine eigentliche Brückensymptomatik mit typischen körperlichen Beschwerden für die angeschuldigten Substanzen nicht gäbe. Es bleibe hier lediglich die olfaktorische Missempfindung, die insbesondere von den Lösemitteln Trichlorethylen sowie auch von aromatischen Aminen ausgehe. Es sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer dreifachen Resorption, nämlich einer inhalativen, ingestiven, und perkutanen, auszugehen. Es könne als gesichert im Sinne des Vollbeweises angesehen werden, dass der Kläger die haftungsausfüllende Kausalität erfülle und über einen sehr langen Zeitraum karzinogenen Substanzen in unterschiedlicher Konzentration und Ausmaß exponiert gewesen sei. Die bisherigen Studien zum Auftreten von Nierenzellkarzinomen im Zusammenhang mit z. B. Trichlorethylen oder aromatischen Aminen seien sehr spärlich, die Aussagekraft dieser Studien sei sehr gering. Sie könnten auf der anderen Seite den Vorwurf der Kausalität, einer Beziehung zwischen aromatischen Aminen und Trichlorethylen und Nierenzellkarzinom, nicht entkräften. Typischerweise sei zwar für karzinogene Substanzen die Exposition letztendlich nicht eindeutig zu sichern. Eine karzinogene Substanz sei jedoch prinzipiell aufgrund ihres zell- und genverändernden Mechanismus in der Lage, bei Einmalkontakt eine schwere Störung auszulösen, wenngleich heute davon ausgegangen werden könne, dass der Organismus in der Regel häufig in der Lage sei, entsprechende Veränderungen biologisch abzufangen. Da die Niere ein Organ mit einer hohen Durchblutungsrate sei, bestehe hier ein besonders hoher Kontakt zu karzinogenen Substanzen, so dass die haftungsausfüllende Kausalität gegeben sei. Außerberufliche Fakten hätten nicht eruiert werden können. Nach dem Krasney’schen Prinzip sei daher der berufliche Faktor wesentlich.
Auf gerichtliche Rückfrage, wie die Wesentlichkeit der beruflichen Verursachung vorliegend zu begründen sei, teilte Dr. K mit Kurznotiz vom 28. Oktober 2003 mit, bei seiner bisherigen Einschätzung zu bleiben.
Mit Urteil vom 22. Januar 2010 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Zur BK 1301 der Anlage zur BKV ist ausgeführt: Dahingestellt bleiben könne, ob aromatische Amine und insbesondere Benzidin humankanzerogene Wirkung auch hinsichtlich des Nierenzellgewebes hätten bzw. ob es hinreichend gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse für eine solche kanzerogene Wirkung gäbe. Denn erfasst würden vom Tatbestand der BK 1301 nur Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen „der Harnwege“. Das Nierenparenchym als das vom Nierenzellkarzinom betroffene Organ gehöre aber anders als das Nierenbecken nicht zu den vom Krankheitsbild der BK 1301 allein erfassten harnableitenden Organen. Dies sei ersichtlich die ganz einhellige Kommentierung in der Literatur, auch unterscheide etwa die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie strikt zwischen Nierenzellkarzinomen einerseits und Tumoren der Harnwege andererseits.
Warum der als Gutachter gehörte Dr. K das Nierenzellkarzinom ohne jede weitere Diskussion als Erkrankung der Harnwege im Sinne der BK 1301 bezeichne und behandle, müsse vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen überraschen. Es zeige aber wie auch seine sonstigen Ausführungen, in denen er entgegen den damals eindeutig nur auf die BK 1301 zugeschnittenen Beweisfragen außer aromatischen Aminen auch alle möglichen anderen malignen Faktoren aus der beruflichen Tätigkeit des Klägers in eine Gesamtbewertung der Kausalität einfließen habe lassen, sowie seine Weigerung, gerichtliche Hinweise zu Grundsätzen der Kausalitätsbewertung und den Beweisanforderungen aufzunehmen und zu verarbeiten, dass er entweder nicht Willens oder nicht in der Lage gewesen sei, eine vom Gericht gewünschte differenzierte und auf die Merkmale der BKV zugeschnittene gutachterliche Bewertung abzugeben. Seine Aussage, die von ihm angenommenen Expositionen des Kläger seien jedenfalls in ihrer Gesamtheit eindeutig für die Nierenkrebserkrankung des Klägers ursächlich geworden, widerspreche der Systematik des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung und der BKV, die eine isolierte Prüfung der einzelnen Berufskrankheitentatbestände und der damit jeweils verbundenen Kausalitätsprobleme erfordere und die Bildung einer Art „Gesamt-BK“ insbesondere auch bei fraglichen karzinogenen Expositionen, die verschiedenen Berufskrankheitentatbeständen zuzuweisen seien, nicht zulasse. Das Sachverständigengutachten des Dr. K müsse vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen als insgesamt nicht verwertbar bewertet werden.
Zur BK 1302 ist ausgeführt, dass es zwar mittlerweile hinreichend gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse gebe, aufgrund derer davon ausgegangen werden könne, dass die Exposition gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen und insbesondere Trichlorethylen auch eine humankanzerogene Wirkung für das Zielorgan im Nierenparenchym habe. Allerdings könne diese kanzerogene Wirkung nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis einen Ursachenzusammenhang nur dann hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt seien, wovon im Falle des Klägers nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgegangen werden könne. Auch wenn dahingestellt bleibe, ob entgegen den Ausführungen von Prof. Dr. W nicht vorausgesetzt werden dürfe, dass ein tubulärer Nierenschaden nachgewiesen sei, und wenn auch dem Kläger zuzugeben sei, dass die Kriterien eines primären Nierenzellkarzinoms und einer erwarteten Latenzzeit von mindestens zehn Jahren, im Regelfall 20 Jahren, seit dem Beginn der Exposition bis zum Auftreten des Karzinoms erfüllt seien, fehle es jedoch am Nachweis einer mehrjährigen Exposition im Hochdosisbereich, wovon üblicherweise bei einer Luftkonzentration ab zirka 300 ppm ausgegangen werde, und dem damit zusammenhängenden Nachweis mehrfach wöchentlich aufgetretener, gravierender und lang anhaltender expositionsbezogener pränarkotischer Zustände. Diesbezügliche Unterlagen lägen nicht vor, vielmehr sprächen die vorhandenen Dokumente eher gegen die vom Kläger zuletzt behauptete massive TRI-Exposition von mindestens 500 ppm und dabei aufgrund der euphorisierenden und in höheren Dosen betäubenden Wirkung von TRI zwangsläufig auftretende starke pränarkotische Zustände. Auf die Angaben des Klägers könne man sich diesbezüglich nicht stützen, weil die Tragfähigkeit und Glaubwürdigkeit seiner Angaben aufgrund nicht unerheblicher Ungereimtheiten und Widersprüche sowie einer nicht ohne weiteres nachzuvollziehenden „Entwicklung“ im Laufe des Verwaltungs-, Widerspruchs- und Klageverfahrens erheblichen Zweifeln ausgesetzt sei, was wiederum im Einzelnen dargelegt wird. Zusammenfassend sei festzustellen, dass zwar von einem Umgang mit Halogenkohlenwasserstoffen in der Zeit von 1969 bis 1983 in gewissem Umfang auszugehen sei, dass aber der erforderliche Nachweis einer langjährigen Exposition im Hochdosisbereich und der Nachweis einer beim Umgang mit TRI im Hochdosisbereich über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren mehrmals wöchentlich auftretenden starken pränarkotischen Symptomatik nicht erbracht sei. Im Gegenteil erscheine beides auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen eher unwahrscheinlich.
Hinsichtlich der BK 1304 sei bereits zweifelhaft, ob hier nicht der Tatbestand der Nr. 1301 der Anlage zur BKV eine abschließende Regelung enthalte, die den Rückgriff auf den Tatbestand der Nr. 1304 der Anlage zur BKV nicht mehr ermögliche. Dies könne jedoch dahingestellt bleiben, da eine Kanzerogenität aromatischer Amine und insbesondere von Benzidin für andere Zielorgane als die Harnwege, insbesondere die Nieren, bisher nicht hinreichend wissenschaftlich habe gesichert werden können. Nach Einschätzung des Gerichts gebe Dr. K damit den Stand der wissenschaftlichen Diskussion korrekt wieder.
Gegen dieses ihm am 12. Februar 2010 zugegangene Urteil richtet sich die am 12. März 2010 eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger trägt vor, dass in seinem Fall mehrere Ursachen für die Herausbildung der Tumorerkrankung in Betracht kämen, eine Abgrenzung sei hier nicht möglich. Er sei durchaus chemischen Stoffen ausgesetzt gewesen. Lediglich weil die Höhe der Dosis nicht genau bestimmt werden könne, dürfe der von ihm geltend gemachte Anspruch nicht abgewiesen werden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das für ihn positive Gutachten größtenteils ignoriert worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Januar 2010 und die die Bescheide der Beklagten vom 24. Januar 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 2002, vom 24. Oktober 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2008 und vom 22. September 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2008 aufzuheben, die Beklagte zu verurteilen, sein 1993 operiertes Nierenzellkarzinom als Berufskrankheit nach den Nrn. 1301, 1302 und/oder 1304 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen und ihm eine Verletztenteilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 v. H. zu gewähren,
hilfsweise,
ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz durch Prof. Dr. B zu den hier streitgegenständlichen Zusammenhangsfragen einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die im Urteil getroffenen Feststellungen; neuer Tatsachenvortrag sei nicht erfolgt. Eine Beweislastumkehr für den Fall, dass die Höhe der Dosis der gefährlichen Exposition nicht hinreichend bestimmt werden könne, gäbe es nicht.
Das Gericht hat den Kläger durch ein ihm am 06. September 2010 zugegangenes Schreiben auf die Möglichkeit hingewiesen, binnen vier Wochen gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Anhörung eines von ihm zu benennenden Arztes zu beantragen. Den Antrag, Prof. Dr. B- zu hören, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17. Mai 2011 gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakten der Beklagten (8 Bände).
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung seiner operierten Krebserkrankung als BK Nr. 1301, 1302 und/oder 1304. Das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Anspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil die als BK geltend gemachte Krebserkrankung 1993 und damit vor In-Kraft-Treten des SGB VII am 01. Januar 1997 eingetreten ist (§§ 212, 214 Abs. 3 S. 1 SGB VII, vgl. hierzu BSG, Urteil vom 21. September 2010, Az. B 2 U 3/10 R, zitiert nach juris.de). Gleichermaßen sind noch die Bestimmungen der bis zum 30. November 1997 geltenden Berufskrankheiten-Verordnung vom 20. Juni 1968, zuletzt geändert durch die Verordnung vom 18. Dezember 1992 (BKVO) maßgebend. Unterschiede für die Beurteilung in der Sache folgen aus der Anwendbarkeit des alten Rechts vorliegend jedoch nicht, weil die hier einschlägigen BK-Tatbestände unverändert geblieben sind.
Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKVO Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine, nach der Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKVO Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe und nach der Nr. 1304 der Anlage 1 zur BKVO Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge.
Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität), ferner müssen die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Lediglich für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits und zwischen der schädigenden Einwirkung und der eingetretenen Erkrankung andererseits reicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus. Nach der im Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit der Ursache ist maßgebend, dass es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben kann. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis bzw. die schädigende Einwirkung wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Eine Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und damit als Ursache ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder „Auslöser“ bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden muss und dass es keine Beweisregel gibt, wonach bei fehlender Alternativursache die naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist. Für die Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs genügt dann die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernsthafte Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (so insgesamt BSG, Urteil vom 09. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R, und Urteil vom 02. April 2009, Az. B 2 U 9/08 R, m. w. N., zitiert nach juris.de).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben steht fest, dass die beim Kläger operierte Krebserkrankung keine BK im Sinne der streitgegenständlichen BK-Tatbestände 1301, 1302 oder 1304 ist. Zur Begründung wird zunächst gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die umfassenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen, denen das Gericht nach eigener Prüfung folgt und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.
Das Gericht schließt sich insbesondere auch der erstinstanzlichen Bewertung der im Laufe des Verfahrens eingeholten Sachverständigengutachten an. Dr. K hat sich in seinen Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen wiederholt mit sämtlichen vom Kläger benannten Gefahrstoffstoffen, denen er ausgesetzt gewesen ist, umfassend und überzeugend dahin auseinandergesetzt, ob diese die Erkrankung des Klägers mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit verursacht haben. Auf Einwände des Klägers ist Dr. K jeweils eingegangen und hat seine Auffassungen mit umfangreichen Literaturhinweisen belegt. Dessen Einschätzung, dass die Erkrankung des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch eine Exposition im Sinne der streitgegenständlichen BKs verursacht worden ist, schließt sich daher auch das Berufungsgericht an. Prof. Dr. W, die auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers im Verwaltungsverfahren gehört worden war, war ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass eine wesentliche Verursachung der Krebserkrankung des Klägers durch Trichlorethen nicht feststellbar ist. Auch diesbezüglich wird auf die umfassende Auswertung des Gutachtens im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen.
Den Ausführungen des Dr. K konnte sich hingegen auch das Berufungsgericht nicht anschließen. Die erstinstanzlich an dessen Ausführungen geübte Kritik wird geteilt. Das Gutachten, welches bereits äußerlich durch die Art des Sprachgebrauchs außergewöhnlich dürftig gestaltet ist, reicht auch inhaltlich in seiner Argumentationshöhe nicht annähernd an die Qualität der Gutachten und Stellungnahmen des Dr. K heran. Zu Recht hatte das Gericht Dr. K deshalb nochmals darauf hingewiesen, dass die hinreichende Wahrscheinlichkeit der Verursachung im Sinne der genannten Wesentlichkeitstheorie positiv begründet werden muss. Dies ist durch den Gutachter nicht erfolgt. Die von ihm gezogene Schlussfolgerung, dass bei Fehlen außerberuflicher Faktoren irgendeine der in Betracht kommenden kanzerogenen Noxen wohl mindestens zu einem Drittel ursächlich gewesen sein wird, entspricht in keiner Weise den o. g. Anforderungen an die Feststellung der Ursächlichkeit im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die im Berufungsverfahren vom Kläger erhobenen Einwände überzeugten ebenfalls nicht. Entgegen der Auffassung des Klägers war es durchaus entscheidungserheblich, dass die Höhe der Belastung, insbesondere durch den Gefahrstoff TRI, vorliegend nicht nachgewiesen werden konnte. Denn die Einwirkungen müssen nach den dargelegten allgemeinen Grundsätzen im Sinne des Vollbeweises bewiesen werden. Dies ist vorliegend aus den erstinstanzlich umfassend dargelegten Gründen nicht geschehen mit der Folge, dass nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen dieser Umstand zu Lasten des Klägers geht. Soweit der Kläger ausführt, dass ein kausaler Zusammenhang „möglich“ sei, ist darauf hinzuweisen, dass genau dies nach ständiger Rechtsprechung nicht ausreichend ist; die bloße Möglichkeit einer Verursachung reicht nicht.
Auch soweit der Kläger ausführt, dass eine Abgrenzung zwischen den Einwirkungen nicht möglich sei, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Zunächst einmal ist dieser Einwand nicht recht verständlich, da während des gesamten Verfahrens jeweils die Wirkung einzelner Gefahrstoffe durch die Abteilung Prävention der Beklagten und durch die Gutachter – abgesehen von Dr. K - detailliert überprüft wurde und sich als durchaus für sich genommen überprüfbar gezeigt hat. Soweit der Kläger hiermit die Problematik der Synkanzerogenese ansprechen wollte, wurde diesbezüglich zu Recht erstinstanzlich auf die diesbezügliche Rechtsprechung des BSG verwiesen (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010, Az.: B 2 U 5/08 R, zitiert nach juris.de). Danach darf dann, wenn auf einen Versicherten die Arbeitsstoffe mehrerer Listen-BKs einwirken, die im Zusammenwirken eine Krebserkrankung verursachen können, aus diesen Listen-BKs nicht eine neue Gesamt-BK gebildet werden; vielmehr ist zu prüfen, ob die Einwirkungen einer Listen-BK für das Entstehen der Erkrankung eine wesentliche Teilursache waren. Dabei ist für die verschiedenen Arbeitsstoffe in einem ersten Schritt zu prüfen, ob der Stoff des jeweiligen BK-Tatbestandes nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass das Entstehen der Erkrankung entfiele. Ist ein Listenstoff in diesem naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne ursächlich geworden, ist weiter zu prüfen, ob er eine wesentliche (Teil-)Ursache für den Eintritt der Erkrankung gesetzt hat. Dabei lässt es die Theorie der wesentlichen Bedingung zu, die Wesentlichkeit einer Bedingung für die festgestellte Erkrankung auch bei einem naturphilosophisch notwendigen Zusammenwirken mehrerer in der Anlage zur BKV bezeichneter schädigender Einwirkungen zu bejahen. Dem Zusammenwirken einzelner Mitbedingungen in einer Gruppe, die als Kollektiv für einen Erfolg wesentlich ist, kann hierbei so viel Eigenbedeutung zukommen, dass auch dem einzelnen Listenstoff des Einwirkungsgemisches wesentliche Bedeutung für den Erfolg im Sinne eines BK-Tatbestandes zukommt. Auch unter diesen Gesichtspunkten lässt sich die Ursächlichkeit der beruflichen Exposition des Klägers für seine Krebserkrankung jedoch nicht feststellen. Nach den Ausführungen der Dr. K und Prof. Dr. W fehlt es bereits an der Ursächlichkeit in dem Sinne, dass die jeweils einzelnen Stoffe nicht hinweggedacht werden könnten, ohne dass das Entstehen der Erkrankung entfiele. Abgesehen davon hat Dr. K in seinem Gutachten vom 10. Juni 2002 diesbezüglich ausgeführt, dass es zum möglichen Zusammenwirken der hier in Frage stehenden Stoffe keine medizinischen Erkenntnisse gäbe. Synergistische Wirkungen kanzerogener Schadfaktoren seien zwar plausible Überlegungen, bisher jedoch - mit Ausnahme von Asbest und Rauchen - überhaupt nicht systematisch untersucht. Dem folgend konnte auch bei Berücksichtigung des Zusammenwirkens verschiedener Stoffe vorliegend nicht deren Ursächlichkeit für die Erkrankung des Klägers festgestellt werden.
Der Antrag des Klägers, Prof. Dr. B als Gutachter zu hören, war nach § 109 Abs. 2 SGG als verspätet zurückzuweisen, da er aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Die ihm hierfür im September 2010 gesetzte Frist von vier Wochen war bei Antragsstellung zwei Tage vor dem anberaumten Verhandlungstermin im Mai 2011 bei weitem überschritten. Etwas Anderes folgt auch nicht aufgrund der Komplexität des Sachverhalts, da dem anwaltlich vertretenen Kläger zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens klar gewesen sein musste, dass kein verwertbares Gutachten für den von ihm geltend gemachten Anspruch sprach.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG lagen nicht vor.