Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 22. Kammer | Entscheidungsdatum | 05.04.2013 | |
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Aktenzeichen | 22 Sa 842/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 164 Abs 4 SGB 5 |
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.02.2012 – 59 Ca 8263/11 – abgeändert:
1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Schließung der C. BKK am 30.06.2011 geendet hat;
2. es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der C. BKK vom 10.08.2011 zum 31.03.2012 nicht aufgelöst worden ist;
II. Von den Kosten erster Instanz haben bei einem Kostenstreitwert von 13.107,00 Euro die Klägerin 9,1 % und die Beklagte 90,9 % zu tragen. Von den Kosten der Berufungsinstanz haben bei einem Kostenstreitwert von 13.901,37 Euro die Klägerin 14,3 % und die Beklagte 85,7 % zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund gesetzlicher Anordnung zum 30.06.2011 oder der vorsorglich durch die Beklagte erklärten ordentlichen Kündigung vom 10.08.2011 beendet worden ist.
Die Klägerin war zunächst ab dem 01.01.1999 bei der BKK Berlin, die zunächst mit der BKK Hamburg und später mit zwei weiteren Betriebskrankenkassen zur C. BKK fusionierte, als Angestellte in Teilzeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 19,25 Stunden beschäftigt gegen eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt 1.985,91 €. Sie befand sich ab September 2010 bis zum 31.08.2012 in Elternzeit.
Nach Anzeige der Überschuldung erließ das Bundesversicherungsamt am 04.05.2011 einen Schließungsbescheid; die C. BKK wurde zum 30.06.2011 geschlossen. Mit dem Schreiben vom 06.05.2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Schließung der Kasse gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V zum 30.06.2011 ende. Nach Einholung der Zulässigkerklärung des Landesamtes für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Schreiben vom 10.08.2011 vorsorglich ordentlich zum 31.03.2012.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die gegen eine „Kündigung“ vom 06.05.2011 und eine solche vom 19.05.2011 gerichtete Klage mit dem am 09.02.2012 verkündeten Urteil, auf dessen Tatbestand zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird (Bl. 208 bis 211 d.A.), abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der als allgemeiner Feststellungsantrag auszulegende Klageantrag zu 1), mit dem sich die Klägerin gegen eine Beendigung zum 30.06.2011 aufgrund gesetzlicher Anordnung wendet, sei zwar zulässig, aber unbegründet. Da die Klägerin nach den anzuwendenden tariflichen Regelungen noch ordentlich kündbar gewesen sei, habe ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Schließung zum 30.06.2011 gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V geendet, ohne dass ein Unterbringungsverfahren nach § 164 Abs. 3 SGB V hätte stattfinden müssen. Die gesetzliche Regelung begegne mit diesem Regelungsgehalt keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie greife nicht unverhältnismäßig in die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG ein und stelle auch keine sachlich ungerechtfertigte benachteiligende Ungleichbehandlung der Beschäftigten in der Sozialversicherung dar. Die gesetzliche Schließungsregelung einschließlich der Beendigung der Arbeitsverhältnisse diene einem überragenden Gemeinschaftsgut in Gestalt der durch die gesetzliche Krankenversicherung gewährleisteten Volksgesundheit, in dessen Interesse das Arbeitsplatzrisiko auf die Beschäftigten verlagert werden könne. Die Beendigung der Arbeitsverhältnisse zum Schließungszeitpunkt bewirke eine Entlastung von Personalkosten, für die andere Kassen zu haften hätten, was zu einer Beitragserhöhung und damit einer zusätzlichen Belastung der Versichertengemeinschaft führen könnte. Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer sei – was näher ausgeführt wird – im Hinblick auf das vorrangige überragende Gemeinschaftsgut geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung komme es hiernach nicht mehr an.
Gegen dieses ihr am 16.04.2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit dem am 07.05.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 18.06.2012 begründet.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V sei auf ordentlich kündbare Arbeitnehmer, die wie sie selbst noch nicht unter die Regelung des § 20 Abs. 1 MTV-BKK fallen, nicht anwendbar. Dies ergebe sich aus der – ausführlich dargelegten – verfassungskonformen Auslegung der Norm. Die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, weil eine Weiterbeschäftigung mit Abwicklungsarbeiten möglich gewesen sei und die Beklagte eine Sozialauswahl nicht vorgenommen habe. Im Übrigen sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden, da trotz der entsprechenden Aufforderung des Personalrates eine Erörterung nicht stattgefunden habe. Auch wegen des Widerspruchs des Personalrates könne sie die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits verlangen.
Die Klägerin beantragt – nach Rücknahme des Weiterbeschäftigungsantrages – zuletzt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.02.2012 – 59 Ca 8263/11 – abzuändern und
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Schließung der C. BKK am 30.06.2011 geendet hat;
2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der C. BKK vom 10.08.2011 nicht zum 31.03.2012 aufgelöst worden ist;
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt zunächst mit umfangreichen Rechtsausführungen die erstinstanzliche Entscheidung zur Auslegung des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V unter Verweis u. a. auf Entscheidungen einzelner Arbeitsgerichte und die des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 18.05.2012 – 7 Sa 18/12. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin habe, so trägt die Beklagte weiter vor, aufgrund der gesetzlichen Regelung wegen der Schließung zum 30.06.2011 geendet. Nur am Rande merkt die Beklagte an, dass die C. BKK mit der Schließung untergegangen sei und nicht weiter existiere; es liege insoweit eine Betriebsstilllegung vor, wie sie umfassender nicht sein könne. Wegen der Personalratsanhörung verweist sie auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Weiter hält die Beklagte die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz für unzulässig und den damit verfolgten Weiterbeschäftigungsantrag im Übrigen für unbegründet. Im Falle einer gesetzlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei die Rechtsprechung zur Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Kündigungsrechtsstreits nicht anwendbar; jedenfalls sei bei der Interessenabwägung ihrem Interesse Vorrang zu geben, keine Arbeitnehmer vergüten zu müssen, die sie angesichts des rückläufigen Bedarfs bei den Abwicklungsarbeiten nicht einsetzen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
1. Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 ArbGG statthafte und nach dem Beschwerdewert gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG zulässige Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 518, 519 Abs. 1 und 3 ZPO.
2. Die Berufung ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder aufgrund der Schließung der C. BKK zum 30.06.2011 gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V noch durch die ordentliche Kündigung vom 10.08.2011 aufgelöst worden.
2.1 Der Klageantrag zu 1) ist zulässig und begründet. Die Schließung gemäß § 153 SGB V durch die Verfügung des Bundesversicherungsamtes hat nicht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Folge.
2.1.1 Das Arbeitsgericht hat den ursprünglich als Kündigungsschutzantrag gefassten Feststellungsantrag der Klägerin zutreffend als allgemeinen Feststellungsantrag gemäß § 256 ZPO ausgelegt; mit der Berufung hat die Klägerin den Antrag entsprechend umformuliert. Da sich die Beklagte auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Schließung der Krankenkasse beruft, besteht ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses, § 256 Abs. 1 ZPO.
2.1.2 Das Arbeitsverhältnis ist weder durch einen „Wegfall“ der Arbeitgeberin noch per Gesetz aufgelöst worden.
2.1.2.1 Entgegen der Ansicht der Beklagten ist durch die Schließung der C. BKK deren Existenz nicht erloschen. § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V fingiert den Fortbestand der Betriebskrankenkasse, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordert. Die Beklagte ist personenidentisch mit der C. BKK; die Zweckänderung vom operativen Geschäft zur Abwicklung führt nicht zum Wegfall eines Rechtsträgers und Neugründung eines anderen (soweit ersichtlich einhellige Meinung in der Rechtsprechung, vgl. nur LAG Berlin-Brandenburg 31.01.2013 – 5 Sa 1789/12 – Rn 32; LAG Hamburg 22.01.2013 – 2 Sa 63/12 – Rn 47; LAG Düsseldorf 23.11.2012 – 6 Sa 660/12 – Rn 36, 38, jeweils mit weiteren Nachweisen).
2.1.2.2 Das Arbeitsverhältnis hat nicht gemäß § 155 Abs. 4 Satz 9 i. V. m. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V zum 30.06.2011 kraft Gesetzes geendet, da die Klägerin als ordentlich kündbare Arbeitnehmerin nicht vom Anwendungsbereich dieser Norm erfasst wird. Dies folgt aus der Auslegung der gesetzlichen Regelungen. Die Kammer schließt sich insoweit den folgenden Ausführungen der Kammer 24 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg in der Entscheidung vom 27.06.2012 – 24 Sa 542/12 – an.
2.1.2.2.1 Der Auslegung von Gesetzen ist der Wortlaut der Vorschrift, der systematische Gesamtzusammenhang, die Entstehungsgeschichte und der Zweck, soweit er im Gesetz erkennbar Ausdruck gefunden hat, zugrunde zu legen (BAG 15.11.2011 – 9 AZR 348/10 –, NZA 212, S. 323; 20.05.2008 – 9 AZR 219/07 –, NZA 2008, S. 1237).
2.1.2.2.2 Der Wortlaut und die Systematik von § 164 Abs. 3 S. 3, Abs. 4 S. 1 SGB V, wonach die Arbeitsverhältnisse der nicht nach Absatz 3 Untergebrachten mit dem Tag der Schließung enden, machen deutlich, dass sich die Vorschrift nur auf tariflich Unkündbare bezieht. § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V bestimmt, dass die in § 164 Abs. 2 bis 4 SGB V für den Fall der Auflösung oder Schließung einer Innungskrankenkasse geregelten gesetzlichen Vorschriften für Betriebskrankenkassen entsprechend gelten mit der Maßgabe, dass § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V nur für Beschäftigte gilt, deren Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift auf die Schließung einer Betriebskrankenkasse ist allen Beschäftigten, die nicht Dienstordnungsangestellte sind und deren Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann, bei dem Landesverband der Betriebskrankenkassen oder einer anderen Betriebskrankenkasse eine Stellung anzubieten, die ihnen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung zuzumuten ist. Des Weiteren ist entsprechend § 164 Abs. 3 Satz 4 SGB V jede Betriebskrankenkasse verpflichtet, Anstellungen nach Satz 3 anzubieten und die Angebote den Beschäftigten in geeigneter Form zugänglich zu machen. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V setzt ausdrücklich eine fehlende Unterbringung der Beschäftigten nach Absatz 3 voraus. Mit der Anknüpfung der Beendigungsfolge an den fehlenden Erfolg des Unterbringungsverfahrens wäre eine Geltung auch für ordentlich Kündbare, hinsichtlich derer eine solche Unterbringungspflicht nicht besteht, nicht zu vereinbaren.
2.1.2.2.3 Sinn und Zweck der Vorschrift gebieten dieselbe Auslegung. Die Arbeitsverhältnisse ordentlich kündbarer Arbeitnehmer können bei tatsächlicher Einstellung der Tätigkeit der Kasse aus betriebsbedingten Gründen gekündigt werden; es bedarf deshalb keines zusätzlichen gesetzlichen Beendigungstatbestandes, um diese Vertragsverhältnisse aufzulösen. Diesen Arbeitnehmern gehen ihre Arbeitsplätze in der Folge der Schließung der Beklagten bei Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzung eines Wegfalles der Beschäftigungsmöglichkeit zum Kündigungstermin endgültig verloren, ohne dass ihnen, wie den unkündbaren Arbeitnehmern, zur Abwendung des Arbeitsplatzverlustes zuvor die Weiterbeschäftigung in einer anderen Kasse angeboten werden muss. Die Nichteinbeziehung der ordentlich kündbaren Arbeitnehmer in den gesetzlichen Beendigungstatbestand führt daher nicht zu einer sinnwidrigen Benachteiligung der unkündbaren Arbeitnehmer der Beklagten und zu dem von der Beklagten behaupteten Wertungswiderspruch.
2.1.2.2.4 Die Rechtsauffassung der Beklagten, dass § 164 Abs. 4 Satz 1 SBG V nur dem Schutz des Gesundheitssystems und der Versichertengemeinschaft diene und mit der Vorschrift allein der Gefahr eines „Domino-Effekts“, der Schließung einer Kasse nach der anderen aufgrund einer stetigen Steigerung der Verbindlichkeiten bei einer immer kleiner werdenden Haftungsgemeinschaft, begegnet werden solle, indem die Beendigung aller Arbeitsverhältnisse mit dem Schließungszeitpunkt angeordnet werde, ist bei Anwendung der genannten Auslegungsmethoden nicht haltbar.
Wenn nämlich § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V die Maßgaben von § 164 Abs. 3 SGB V ausdrücklich in Bezug nimmt, dient die Vorschrift jedenfalls auch dem Interesse des von Auflösung oder Schließung betroffenen Personals an einer zumutbaren anderweitigen Weiterbeschäftigung und der Sicherung der Weiterbeschäftigungsansprüche der von der Schließung der Kasse betroffenen unkündbaren Arbeitnehmer.
Die Auffassung der Beklagten findet auch in der Entstehungsgeschichte der Norm keine Stütze (vgl. hierzu ausführlich LAG Düsseldorf 07.09.2012 – 6 Sa 138/12 – Rn 88 ff.).
Zudem ließe sich das Verständnis der Beklagten mit der aus Art. 12 GG herzuleitenden Schutzpflicht des Staates zur Sicherung der Beschäftigungsinteressen der Arbeitnehmer und dem bei der Einschränkung dieser Grundrechtsposition aufgrund der von der Beklagten aufgezeigten Gemeinwohlinteressen (Schutz des Gesundheitssystems und der Versichertengemeinschaft) zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht vereinbaren.
Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer im Sinne der von der Beklagten vertretenen „Tabula-rasa-Lösung“ durch eine gesetzlich angeordnete Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit sofortiger Wirkung ohne gleichzeitigen sofortigen Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses, ohne gerichtliche Überprüfbarkeit durch ein Kündigungsschutzverfahren und ohne jegliche gesetzlich vorgesehene Kompensation wäre zwar zur Gefahrenabwehr für das System des gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes geeignet.
Trotz des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers im Hinblick auf zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten zum Zwecke der Abwicklung wäre die sofortige Beendigung durch gesetzliche Anordnung jedoch nicht erforderlich. Es ist nicht erkennbar, weshalb gerade durch die Notwendigkeit des Ausspruchs einer Kündigung und der Einhaltung der Kündigungsfrist der von der Beklagten befürchtete „Domino-Effekt“ eintreten könnte, zumal die Kassen, die von der Schließung betroffene Arbeitnehmer weiterbeschäftigen, für deren Bezahlung im Gegenzug die von diesen zu erbringenden Arbeitsleistungen erhalten.
Jedenfalls aber wäre eine solche Lösung nicht angemessen, da in diesem Fall im Gesetz selbst weder eine ansatzweise Sicherung der Beschäftigungsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer noch eine anderweitige Kompensation für den schwerwiegenden Eingriff in ihre Berufsfreiheit (vgl. hierzu BVerfG 24.04.1991 – 1 BvR 1341/90) enthalten wäre. Für die Beendigung der Arbeitsverhältnisse wäre keine Mindestfrist einzuhalten. Ein Unterbringungungsverfahren ist nach dem Wortlaut der Verweisungsnorm in § 155 Abs. 6 Satz 9 SGB V für ordentlich kündbare Arbeitnehmer nicht vorgeschrieben. Das Gemeinwohlinteresse gebietet einen solchen Eingriff in die Berufsfreiheit nicht; diesem wird hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass bei einem Wegfall des Beschäftigungsbedarfs eine ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Die Fortführung eines Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist stellt keine gemeinwohlgefährdende Belastung der abzuwickelnden Krankenkasse und des Gesundheitssystems dar.
2.1.3 Wäre die Klägerin aufgrund der Elternzeit als ordentlich nicht kündbare Arbeitnehmerin anzusehen (offen gelassen auch in LAG Berlin-Brandenburg 13.09.2012 – 26 Sa 171/12), würde § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V bereits deshalb nicht greifen, weil die Beklagte ein Unterbringungsverfahren nach Abs. 3 nicht durchgeführt und der Klägerin unstreitig ein Angebot nicht unterbreitet hat.
2.2 Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung aufgelöst worden; diese Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, § 1 Abs. 2 und 3 KSchG.
2.2.1 Es fehlt bereits an der Darlegung dringender betrieblicher Gründe, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegen stehen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten reicht die Schließung der Betriebskrankenkasse zum 30.06.2011 allein nicht aus, um den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses aller Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt zu begründen. Wie aus dem Abschluss der befristeten Arbeitsverträge mit zahlreichen Arbeitnehmern deutlich wird, bestand für Abwicklungsarbeiten noch für einen längeren Zeitraum eine Beschäftigungsmöglichkeit.
2.2.2 Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert zudem an der unterlassenen Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG.
2.2.2.1 Die Kündigung ist auch dann sozial nicht gerechtfertigt, wenn bei der Auswahl des zu Kündigenden soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Der Sinn des Kündigungsschutzgesetzes besteht darin, den gekündigten Arbeitnehmern so weit wie möglich einen Arbeitsplatz zu erhalten. Gerade weil im Falle einer etappenweise durchgeführten Betriebsstilllegung oftmals nicht abzusehen ist, wie lange noch Mitarbeiter für die Abwicklung benötigt werden, ist es erforderlich, zumindest dem schutzbedürftigsten Teil der Mitarbeiter die noch vorhandenen Arbeitsplätze zu sichern. Solange noch Arbeit vorhanden ist und diese aufgrund der getroffenen Unternehmensentscheidung von Mitarbeitern der ehemaligen Belegschaft bewältigt werden soll, muss sich die Auswahl, welche Arbeitnehmer hierzu weiterbeschäftigt werden sollen, nach sozialen Gesichtspunkten richten. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ermöglicht es auch im Falle einer Betriebsstilllegung, berechtigten Belangen des Arbeitgebers Rechnung zu tragen. Für die Abwicklung unentbehrliche Arbeitnehmer können daher in jedem Fall weiterbeschäftigt werden sozial nicht gerechtfertigt, wenn bei der Auswahl des zu Kündigenden soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Der Sinn des Kündigungsschutzgesetzes besteht darin, den gekündigten Arbeitnehmern so weit wie möglich einen Arbeitsplatz zu erhalten. Gerade weil im Falle einer etappenweise durchgeführten Betriebsstilllegung oftmals nicht abzusehen ist, wie lange noch Mitarbeiter für die Abwicklung benötigt werden, ist es erforderlich, zumindest dem schutzbedürftigsten Teil der Mitarbeiter die noch vorhandenen Arbeitsplätze zu sichern. Solange noch Arbeit vorhanden ist und diese aufgrund der getroffenen Unternehmensentscheidung von Mitarbeitern der ehemaligen Belegschaft bewältigt werden soll, muss sich die Auswahl, welche Arbeitnehmer hierzu weiterbeschäftigt werden sollen, nach sozialen Gesichtspunkten richten. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ermöglicht es auch im Falle einer Betriebsstilllegung, berechtigten Belangen des Arbeitgebers Rechnung zu tragen. Für die Abwicklung unentbehrliche Arbeitnehmer können daher in jedem Fall weiterbeschäftigt werden (BAG 16. September 1982 - 2 AZR 211/80 - AP Nr. 4 zu § 22 KO).
2.2.2.2 Auch wenn man im Entscheidungsfall davon ausgeht, dass für die Abwicklungsarbeiten nur noch ein Teil der Arbeitnehmerschaft benötigt wurde bzw. wird, bedurfte es in Hinblick auf die über den 30.06.2011 bzw. den 31.12.2011 hinaus erfolgte Weiterbeschäftigung diverser Arbeitnehmer nach diesen Grundsätzen vor Kündigungsausspruch einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG. Diese ist unstreitig unterblieben. Die Beklagte hat auch nicht geltend gemacht, selbst im Falle der Durchführung einer Sozialauswahl wäre die Klägerin aufgrund ihrer Sozialdaten spätestens zum 31.03.2012 zu kündigen gewesen.
2.2.3 Ob die streitgegenständliche Kündigung auch wegen nicht ordnungsgemäßer Beteiligung der Personalvertretung unwirksam ist, kann hier dahingestellt bleiben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1, 269 Abs. 3, 516 Abs. 3 ZPO, wobei der Klägerin die anteiligen Kosten bezüglich des zurückgenommenen Weiterbeschäftigungsantrags und des zusätzlichen allgemeinen Feststellungsantrags aufzuerlegen waren.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG sowie im Hinblick darauf zuzulassen, dass es zur Frage der Auslegung des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V divergierende Entscheidungen anderer Kammern verschiedener Landesarbeitsgerichte gibt.