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GdB - Diabetes mellitus


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 23.10.2013
Aktenzeichen L 13 SB 221/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 69 SGB 9, VersMedV

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus wird zurückgewiesen, soweit der Rechtsstreit nicht erledigt ist.

Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts bleibt bestehen. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB).

Der 1960 geborene Kläger, bei dem 2002 ein GdB von 60 festgestellt worden war, beantragte am 7. Januar 2008 bei dem Beklagten die Höherstufung des GdB sowie die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche „G“, „B“, „H“ und „RF“. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten ärztlichen Befunde lehnte der Beklagte die Anträge mit Bescheid vom 10. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2009 ab. Dem legte er folgende (verwaltungsintern mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewertete) Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

a) Alkoholkrankheit mit Komplikationen, psychosomatische Störungen (50),

b) Leberschaden (20),

c) Diabetes mellitus (20),

d) Schlafapnoe-Syndrom (20).

Mit der bei dem Sozialgericht Cottbus erhobenen Klage hat der Kläger die Feststellung eines GdB von 80 begehrt. Die zunächst klageweise verfolgte Zuerkennung der Nachteilsausgleiche hat er später nicht mehr geltend gemacht. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gutachten des Arbeitsmediziners B vom 24. Januar 2011 mit ergänzender Stellungnahme vom 6. Juni 2011 eingeholt, der auf der Grundlage der von ihm festgestellten Behinderungen, nämlich

a) Abhängigkeitssyndrom (50),

b) kombinierte Persönlichkeitsstörung (30),

c) insulinpflichtige Zuckerstoffwechselstörung (30),

d) Bluthochdruck (10)

e) Schlafapnoesyndrom (20),

f) posttraumatische Funktionseinschränkung des linken Ellenbogengelenks (10),

einen Gesamt-GdB von 70 vorgeschlagen hat.

Das Sozialgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 8. September 2011 verpflichtet, bei dem Kläger einen Gesamt-GdB von 70 festzustellen, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Hierbei ist es im Wesentlichen der Bewertung des Sachverständigen gefolgt, hat jedoch für den Diabetes mellitus lediglich einen Einzel-GdB von 20 angesetzt. Mit Ausführungsbescheid vom 22. November 2011 hat der Beklagte bei dem Kläger mit Wirkung ab 27. April 2009 einen Gesamt-GdB von 70 festgestellt.

Mit der Berufung hat der Kläger sein Begehren unter Vorlage des von ihm seit dem 31. August 2011 geführten Blutzuckertagebuchs weiter verfolgt.

Neben Befundberichten der Internistin MD G vom 12. April 2012 und des A Fachklinikums T vom 26. April 2012 hat der Senat das Gutachten des Nervenarztes Dr. A vom 24. Juni 2013 eingeholt. Nach Untersuchung des Klägers hat der Sachverständige den GdB auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet mit 60 bewertet.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 8. September 2011 zu ändern sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 10. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2009 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 22. November 2011 zu verpflichten, bei ihm ab dem 7. Januar 2008 einen Grad der Behinderung von 80 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, soweit der Rechtsstreit nicht erledigt ist.

Er hält an seiner Entscheidung fest.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid die Klage insoweit zu Recht abgewiesen, als der Kläger einen höheren GdB als 70 begehrt hat. In diesem Umfang sind die Bescheide des Beklagten rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch, dass dieser bei ihm ab Antragstellung am 7. Januar 2008 einen GdB von 80 feststellt.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind als antizipierte Sachverständigengutachten die vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) 2008 sowie ab 1. Januar 2009 die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ heranzuziehen, welche die AHP – ohne dass hinsichtlich der medizinischen Bewertung eine grundsätzliche Änderung eingetreten wäre – abgelöst haben.

Der Kläger leidet – wie der Sachverständige Dr. A in seinem Gutachten vom 24. Juni 2013 herausgearbeitet hat – auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet an einer polyvalenten aktiven Sucht mit einem Einzel-GdB von 50, einer sensiblen Polyneuropathie ohne motorische Defizite oder Störungen der Stand- und Gehfähigkeit mit einem Einzel-GdB von 20 sowie einer Persönlichkeitsstörung mit emotionaler Instabilität und Impulsivität mit einem Einzel-GdB von 30. Dieser überzeugenden Bewertung des Gutachters schließt der Senat sich an.

Für den insulinpflichtigen Diabetes mellitus des Klägers ist jedenfalls ab 31. August 2011 ein Einzel-GdB von 30 anzusetzen. Denn von diesem Tage an ist – wie Teil B Nr. 15.1 der Anlage zur VersMedV in der Fassung der Änderungsverordnung vom 14. Juli 2010 (BGBl. I, S. 928) voraussetzt – die tägliche Überprüfung des Blutzuckers durch den Kläger dokumentiert. Ob schon während des davor liegenden Zeitraumes ein Einzel-GdB in dieser Höhe bestand – wie der Sachverständige Brandt in dem von dem Sozialgericht eingeholten Gutachten vom 24. Januar 2011 vertreten hat – oder lediglich von 20, kann offen bleiben, da dies sich auf die Höhe des Gesamt-GdB nicht auswirkt.

Das mit einer nächtlichen Maskenatmung behandelte Schlafapnoe-Syndrom des Klägers ist mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Dies steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit. Daneben leidet der Kläger nach den Feststellungen des Gutachters B an einem Bluthochdruck und einer Funktionseinschränkung des linken Ellenbogengelenks, für die jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 in Ansatz zu bringen ist.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Nr. 19 Abs. 3 der AHP 2008 bzw. Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Bei dem Kläger ist danach der Gesamt-GdB auf 70 festzusetzen.

Führende Behinderung ist die Suchterkrankung des Klägers mit einem Einzel-GdB von 50. Im Hinblick auf die bei dem Kläger daneben bestehende Persönlichkeitsstörung mit einem Einzel-GdB von 30 ist unter Berücksichtigung der von dem Sachverständigen Dr. A beschriebenen Interaktionen beider Behinderungen der GdB auf 60 zu heraufzusetzen. Die Polyneuropathie mit einem Einzel-GdB von 20 erhöht nach den Darlegungen des Gutachters den GdB nicht weiter, da sie weder motorische Defizite noch Störungen der Stand- oder Gangfähigkeit zeitigt. Entsprechendes gilt für das Schlafapnoesyndrom mit einem Einzel-GdB von 20. Denn eine nachhaltige gegenseitige Beeinflussung liegt, wie der Gutachter B dargelegt hat, nicht vor. Ebenso wenig ist im Hinblick auf den Bluthochdruck und die Funktionseinschränkung des linken Ellenbogengelenks, für die jeweils ein Einzel-GdB von 10 in Ansatz zu bringen ist, eine Heraufsetzung gerechtfertigt. Denn von (hier nicht einschlägigen) Ausnahmefällen abgesehen, führen nach Nr. 19 Abs. 4 der AHP 2008 bzw. Teil A Nr. 3d der Anlage zur VersMedV zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen.

Durch den Diabetes mellitus nimmt das Ausmaß der Gesamtbehinderung des Klägers zu, und zwar selbst dann, wenn er in dem Zeitraum vom 7. Januar 2008 bis zum 30. August 2011 lediglich mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten wäre. Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft sind nach der Überzeugung des Senats dadurch zu berücksichtigen, dass der GdB von 60 im Hinblick auf die genannte Behinderung des Klägers um einen Zehnergrad auf einen Gesamt-GdB von 70 anzuheben ist. Eine weitere Erhöhung auf einen Gesamt-GdB von 80 ist nicht gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Grad des gegenseitigen Unterliegens der Beteiligten.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.