Gericht | OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 11.10.2012 | |
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Aktenzeichen | 9 UF 91/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Beschwerde des Vaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Potsdam vom 4. Juni 2010 - 43 F 106/09 – wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussbeschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Potsdam vom 4. Juni 2010 – 43 F 106/09 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Auf den Antrag der Mutter wird die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind J… C…, geboren am ... Oktober 2002, aufgehoben. Das alleinige Sorgerecht (einschließlich des Rechts zur Regelung der schulischen Angelegenheiten) wird auf die Mutter übertragen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beteiligte zu 1. zu tragen.
Für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden Gerichtskosten nicht erhoben; eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Beschwerdewert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
I.
Die Beteiligten zu 1. und 2. streiten um das alleinige Sorgerecht für ihre am ….10.2002 geborene Tochter J….
Die im Dezember 1965 geborene Mutter ist deutsche Staatsangehörige und von Beruf Diplom-Wirtschaftskauffrau. Der im Mai 1952 geborene Vater besitzt die französische Staatsangehörigkeit. Er ist als selbständiger Laborarzt in Nordfrankreich tätig. Aus einer Ehe hat er zwei mittlerweile erwachsene Töchter.
Im Jahr 2000 lernten sich die Kindeseltern kennen. Die Beteiligte zu 2. lebte und arbeitete damals bereits seit ungefähr zehn Jahren in Frankreich. Nach einer kurzen Zeit des Zusammenlebens wurde die gemeinsame Tochter J… am ….10.2002 in D… (Frankreich) geboren. Der Beteiligte zu 1. hatte die Vaterschaft vorgeburtlich anerkannt und die Beteiligte zu 2. eine Mutterschaftsanerkennung abgegeben. Auf Erklärung der Mutter wurde am 14.10.2002 von dem beauftragten Standesbeamten der Stadt D… (Frankreich) eine Geburtsurkunde für J… C… als Tochter der Beteiligten zu 1. und 2. erstellt.
Wenige Monate nach der Geburt des Kindes trennten sich die Eltern. Die Mutter kehrte im April 2003 mit J… nach Deutschland zurück. Sie bezog eine Mietwohnung in M…, nahe bei …. Die Großmutter mütterlicherseits wohnt im selben Mietshaus.
Die mit der Sache befassten französischen Gerichte hatten zuvor einstweilen entschieden, dass die Eltern gemeinsam sorgeberechtigt seien und der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes bei der Mutter liege. Zudem hatten sie ein umfangreiches Umgangsrecht zugunsten des Vaters beschlossen (Landgericht Nanterre, Einstweilige Verfügung vom 04.04.2003, Bl. 32 ff. GA, und Berufungsgericht Versailles, Urteil vom 23.10.2003, Bl. 39 ff. GA). Der Vater war danach berechtigt, mit dem Kind an dessen Aufenthaltsort für mehrere Tage Umgang zu pflegen und es in den Schulferien zeitweise nach Frankreich mitzunehmen.
In der Folgezeit stritten die Eltern heftig über den Umfang des Umgangs, auch gerichtlich. Die Übergaben J… waren zudem Gegenstand zahlreicher Auseinandersetzungen zwischen den Eltern. Der Vater warf der Mutter klammerndes Verhalten vor. Zeitweise erschien er nur in Begleitung seines Verfahrensbevollmächtigten, eines befreundeten Journalisten oder anderer Freunde und Bekannter. Auch Mitarbeiter der französischen Botschaft in Deutschland und der Botschafter selbst waren in verschiedenen Fällen bei der Übergabe zugegen. Von dem Kind, der Mutter und auch Personen des persönlichen Umfelds wurden - ohne deren Zustimmung - Bild- und Filmaufnahmen gemacht. Der Streit der Eltern wurde in Frankreich in der Presse und im Fernsehen thematisiert.
Am 05.07.2004 brachte der Vater J… nach einem Umgang nicht mehr zur Mutter zurück; er nahm das Kind mit nach Frankreich. Mehrere Monate hatte die Mutter zu ihrer Tochter keinen Kontakt. Während dieser Zeit strengte der Vater in Frankreich erfolglos zwei Gerichtsverfahren an, um die alleinige elterliche Sorge für J… zu erlangen. Er berief sich auf eine psychische Erkrankung der Mutter, wie schon in den vorangegangenen Verfahren.
Das von der Staatsanwaltschaft Potsdam gegen den Vater eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Entziehung Minderjähriger wurde eingestellt, nachdem dieser eine erhebliche Geldbuße bezahlt hatte.
In einem Verfahren zur Anerkennung der umgangsrechtlichen Regelungen trafen die Eltern am 06.06.2005 vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht eine Vereinbarung, wonach es u.a. bei dem gemeinsamen Sorgerecht für J… verbleiben sollte und ihr gewöhnlicher Aufenthalt bei der Mutter sei. Zudem vereinbarten die Eltern, dass das Kind „wenn irgend möglich, bereits im Kindergarten und/oder in der Schule zweisprachig, das heißt deutsch/französisch erzogen werden soll“. Im Weiteren enthält die gerichtlich genehmigte Vereinbarung eine umfangreiche Umgangsregelung, die im Wesentlichen zum Gegenstand hat, dass J… ab Oktober 2005 bis zu ihrer Einschulung monatlich zehn Tage beim Vater in Frankreich verbringt.
Die Mutter meldete das Kind im Sommer 2005 - ohne Rücksprache mit dem Vater – in der Kita an ihrem Wohnort an. Der Vater erhob hiergegen Widerspruch. Er benannte der Mutter deutsch/französische Kitas in B… als Alternative. Die Mutter ging auf die konkreten Angebote nicht ein. J… besuchte die Kita in M… von September 2005 bis zu ihrer Einschulung Anfang September 2008. Während dieser Zeit hielt sich das Kind regelmäßig zehn Tage im Monat beim Vater in Frankreich auf, wo es die école maternelle - ohne Zustimmung der Mutter - besuchte.
Der Vater hat seit geraumer Zeit eine neue Lebensgefährtin, die Philosophie studiert hat und heute als freie Schriftstellerin und Malerin arbeitet. Er lebt mit ihr und ihren Kindern in einem Haus in V…, einem Dorf in der Nähe von D…/Normandie, zusammen. Die Lebensgefährtin des Vaters hat aus einer anderen Beziehung drei minderjährige Söhne.
Nach ihrer Rückkehr aus Frankreich war die Mutter zunächst arbeitslos. Seit November 2007 geht sie wieder einer Erwerbstätigkeit nach; zurzeit ist sie bei der ARGE in … beschäftigt. Es handelt sich hierbei um Teilzeitarbeit. Seit Herbst 2010 bewohnt die Mutter mit ihrem neuen Lebenspartner ein Haus in M…. Der Lebensgefährte der Mutter ist verwitwet und Vater zweier minderjähriger Töchter, die wie J… im gemeinsamen Haushalt leben. Er ist gelernter Agraringenieur. Zurzeit arbeitet er in B… bei einer Bank im Management.
Im November 2005 beantragte die Mutter beim Standesamt … die Ausstellung einer deutschen Geburtsurkunde für das Kind J… S…. Angaben zum Vater machte sie nicht. Das Verfahren wurde an das Standesamt I von B… abgegeben und der Geburteneintrag - wie beantragt - vorgenommen. Hiergegen legte der Vater Rechtsmittel ein. Durch Beschluss vom 23.09.2010 (1 W 70/08) hat das Kammergericht Berlin letztinstanzlich entschieden, dass der vorgenommene Eintrag im Geburtenbuch zu berichtigen sei. Der Familienname des Kindes J… laute C… und der Beteiligte zu 1. sei als Vater des Kindes im Geburtenbuch zu vermerken.
Mit anwaltlichen Schreiben vom 01.11.2007 begehrte der Vater eine Abänderung der bestehenden Umgangsregelung. Zur Sicherstellung der bikulturellen Erziehung sollte der Aufenthalt des Kindes im dreiwöchigen Rhythmus abwechselnd bei der Mutter in Deutschland bzw. bei dem Vater in Frankreich sein. Die Mutter lehnte das vorgeschlagene Wechselmodell ab, da dies nicht dem Wohl des Kindes und seinem Willen entspreche.
In der Folgezeit entspann sich zwischen den Eltern ein Streit darüber, welche Schule J… in Deutschland besuchen sollte. Die Mutter bevorzugte eine Einschulung in der am Wohnort befindlichen deutschen Grundschule. Zur Begründung führte sie den kurzen Schulweg und die vorhandenen Sozialkontakte des Kindes vor Ort an. Zudem biete diese Grundschule ab der dritten Klasse Französisch an und die Französischkenntnisse könnten auch durch Privatunterricht erweitert werden. Der Vater befürwortete eine Einschulung in der deutsch/französischen -K…-Grundschule in B…. Ein längerer Fahrweg (Dauer ca. 2 Stunden am Tag) sei angesichts der Vorteile einer bilingualen Schulausbildung zumutbar.
Da sich die Eltern nicht einigen konnten, leiteten sie beim Amtsgericht Potsdam ein Verfahren gemäß § 1628 BGB wegen der Übertragung der entsprechenden Entscheidungsbefugnis ein. Nachdem das Amtsgericht Potsdam dem Antrag der Mutter durch Beschluss vom 22.08.2008 im einstweiligen Anordnungsverfahren stattgegeben hatte (Beiakte 43 F 203/09 eAO I., Bl. 60 ff.), übertrug das Beschwerdegericht durch Beschluss vom 09.06.2009 (Beiakte 43 F 203/09 eAO I., Bl. 373 ff.) die Befugnis einstweilen auf den Vater. Dieser Beschluss wurde auf die Verfassungsbeschwerde der Mutter vom Verfassungsgericht des Landes Brandenburg durch Beschluss vom 17.09.2009 aufgehoben, weil das Beschwerdegericht dem Kind keinen Verfahrenspfleger bestellt hatte (Beiakte 58 VIII 74/09, Bl. 71 ff.).
Im Hauptsacheverfahren übertrug das Amtsgericht Potsdam sodann durch Beschluss vom 16.02.2010 dem Vater die Entscheidungsbefugnis über die weitere Beschulung von J… in der Grundschule (Beiakte 43 F 203/09, Bl. 599 ff.). Gegen diesen Beschluss haben die Mutter wie auch die - zwischenzeitlich bestellte und - damals tätige Verfahrenspflegerin, Rechtsanwältin E… Sch… aus B…, Beschwerde eingelegt. Die Rechtsmittel sind noch nicht beschieden (Brandenburgisches Oberlandesgericht, 15 UF 32/10).
J… besuchte vom 01.09.2008 bis zu den Osterferien 2010 die Grundschule in M…. Auf Veranlassung des Vaters wechselte sie am 12.04.2010 auf die K…-Grundschule in B…. Eine Schulpflichtbefreiung des Landes Brandenburg lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor, ebenso wenig eine Hortanmeldung. Die Mutter arbeitete seinerzeit vollschichtig in B….
Ab dem 11.05.2010 verweigerte J… den Schulbesuch. Durch einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde die Diagnose einer Anpassungsstörung gestellt. J… wurde ab dem 31.05.2010 bis auf Weiteres schulunfähig krankgeschrieben (Beiakte 43 F 203/09, Bl. 876).
Mit Schriftsatz vom 03.06.2010 beantragte der Vater beim Beschwerdegericht, im Wege der einstweiligen Anordnung einen Pfleger zu bestellen mit der Aufgabe, J… morgens in die K…-Grundschule zu bringen (Beiakte 43 F 203/09, Bl. 886 ff.). Die Mutter verhindere bewusst durch ihr klammerndes Verhalten und ihre Ablehnung der von ihm ausgewählten Grundschule den Schulbesuch des Kindes.
In der Sitzung vom 01.07.2010 verständigten sich die Eltern sodann vor dem Beschwerdegericht darauf, dass der Vater das Kind bereits am 04.07.2010 zum Ferienumgang abholt, und die Mutter während längerer Umgangskontakte mittwochs und sonntags ein Telefonat mit dem Kind führen darf (Beiakte 43 F 203/09, Bl. 1026 f.).
Die für den 04.07.2010 geplante Übergabe kam nicht zustande. Das Kind weigerte sich vehement, den Vater zu begleiten, der daraufhin allein nach Frankreich zurückfuhr. Er warf der Mutter vor, das Kind zu manipulieren. Die Übergabe fand schließlich am 08.07.2010 in M… problemlos statt. Der Ferienaufenthalt von J… bei ihrem Vater in Frankreich wurde nach Einschaltung der Verfahrensbevollmächtigten um eine Woche verlängert. Während des mehrwöchigen Ferienumgangs telefonierte die Mutter einmal mit J…. Weitere Telefonate untersagte der Vater, da die Mutter das Kind manipuliere und es hierdurch Schaden nehme.
Nach den Sommerferien 2010 besuchte J… mit einwöchiger Verspätung wieder die K…-Grundschule in B…. Grund hierfür war die Weigerung der Mutter für den Schulbesuch. Sie verwies auf die unklare Rechtslage und die vorliegende Krankschreibung vom 31.05.2010. In der Folgezeit lenkte die Mutter ein. Das Kind erschien am 01.09.2010 ohne Bücher und Hefte in der Schule. Der Vater veranlasste später die Anschaffung der Bücher und des erforderlichen Schulmaterials. Ebenso verhielt es sich mit den Sachen, die J… zum Schwimmunterricht benötigte (Beiakte 43 F 105/09, Bl. 536 ff.).
In dem Beschwerdeverfahren (Brandenburgisches Oberlandesgericht, 15 UF 32/10) hat der Dipl. Psych. Dr. M… W… aus B… ein Gutachten zur Problematik der Beschulung erstattet. Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 21.06.2010 Bezug genommen.
Durch Beschluss vom 25.10.2010 ist das Beschwerdeverfahren bezüglich der Beschulung (Brandenburgisches Oberlandesgericht, 15 UF 32/10) bis zur Rechtskraft des Sorgerechtsverfahren ausgesetzt worden (Beiakte 43 F 203/09, Bl. 1087 f.).
Die Eltern stritten noch in einem weiteren Verfahren vor dem Amtsgericht Potsdam ( 43 F 105/09) über eine Modifizierung der am 06.06.2005 vor dem Beschwerdegericht geschlossenen Umgangsvereinbarung. Dies betraf insbesondere den Umgang während der Zeiten des Schulbesuchs. Der Vater wollte das Kind wie bisher ohne Rücksicht auf die erfolgte Einschulung zehn Tage im Monat zu sich nehmen. Die Mutter strebte eine Einschränkung des Umgangs an und zwar auf ein verlängertes Wochenende im Monat.
Unter dem 07.04.2009 erließ das Amtsgericht Potsdam - ohne mündliche Verhandlung -eine einstweilige Anordnung, mit der u.a. der Umgang außerhalb der Schulferien geregelt wurde (Beiakte 43 F 105/09, Bl. 49 ff.). Der Vater durfte J… an jedem zweiten und vierten Wochenende von Freitag nach Schulschluss bis Sonntag 14 Uhr in … oder näherer Umgebung zu sich zu nehmen.
Durch Beschluss vom 21.09.2009 hat das Amtsgericht Potsdam dem Vater sodann im Hauptsacheverfahren das Recht eingeräumt, Umgang mit seiner Tochter an jedem zweiten und vierten Wochenende von Freitag nach Schulschluss bis Sonntag 15 Uhr in … oder in der näheren Umgebung zu haben. Ferner ist der Umgang an den Feiertagen und in den Ferien dezidiert - mit Aufenthalten des Kindes in Frankreich - geregelt worden (Beiakte 43 F 105/09, Bl. 336 ff.). Des Weiteren hat es durch einstweilige Anordnung vom 21.09.2009 eine Umgangspflegschaft eingerichtet, da die Eltern nicht in der Lage seien, die Übergaben für das Kind konfliktfrei zu gestalten (Beiakte 43 F 105/09, Bl. 347 ff.).
Gegen den Beschluss vom 21.09.2009 hat der Vater Beschwerde eingelegt. Durch die Beschneidung des Umgangs werde J… der französische Teil ihres Lebens und ihrer Identität genommen. Das Beschwerdeverfahren (15 UF 135/09) ist mit Beschluss vom 25.08.2010 bis zur Rechtskraft des Sorgerechtsverfahren ausgesetzt worden (Beiakte 43 F 105/09, Bl. 490).
Unter dem 21.10.2010 hat der 3. Familiensenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts eine vorläufige Umgangsregelung getroffen. Hiernach ist der Vater u.a. berechtigt, J… ab dem 26.11.2010 alle drei Wochen von Freitag nach Schulschluss bis zum darauf folgenden Dienstagmorgen zu sich zu nehmen (Beiakte 43 F 105/09, Bl. 598 ff.). Der Umgang wird derzeit in dieser Form praktiziert.
Mit Schriftsatz vom 12.11.2007 beantragte die Beteiligte zu 2., ihr die elterliche Sorge für das Kind allein zu übertragen, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Zur Begründung führte sie die erheblichen Streitigkeiten der Eltern an, insbesondere über die Beschulung des Kindes. Das vom Vater vorgeschlagene Wechselmodell, das einen Schulbesuch im halbjährlichen Rhythmus in Frankreich und in Deutschland vorsehe, sei für das Kind nicht zumutbar. Auch der Besuch einer deutsch/französischen Schule in B… komme wegen des langen Fahrweges und der bestehenden Sozialkontakte des Kindes am Wohnort nicht in Betracht. Ein Umzug nach B… könne ihr (der Mutter) nicht zugemutet werden.
Der Vater stellte seinerseits mit Schriftsatz vom 06.02.2008 bzw. vom 15.05.2008 Antrag auf Einräumung der alleinigen elterlichen Sorge. Die Mutter sei nicht in der Lage, für eine gedeihliche Entwicklung und ausgewogene Erziehung zu sorgen. Sie wolle das Kind dem Vater und seiner Familie entfremden sowie seine Beziehungen zur französischen Kultur unterbinden. Nur er (der Vater) könne J… ein umsorgtes Leben in einer vorurteilsfreien Umgebung bieten. In seinem Haushalt erfahre das Kind die bestmögliche intellektuelle Förderung. Er verfüge auch über die erforderliche Bindungstoleranz. Zu seinem Freundeskreis zählten viele deutsche Freunde.
Im Laufe des Sorgerechtsverfahrens stellte der Vater gegen die Mutter Strafanzeige wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen. Er bezichtigte die Mutter, J… körperlich zu misshandeln. Zum Beweis legte der Vater ein ärztliches Attest vor, über dessen Echtheit die Eltern in der Folgezeit heftig stritten.
Das Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Potsdam unter dem Aktenzeichen: 476 Js 14405/09 geführt und im Dezember 2009 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (Beiakte 43 F 203/09, Bl. 500). Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens war die richterliche Vernehmung des Kindes als Zeugin angeordnet worden.
Durch Beschluss vom 04.06.2010 hat das Amtsgericht Potsdam das Aufenthalts-bestimmungsrecht für das Kind auf die Mutter übertragen und die weitergehenden Sorgerechtsanträge der Eltern zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Eltern könnten sich nur über den Lebensmittelpunkt des Kindes nicht verständigen, sodass die elterliche Sorge nur teilweise aufzuheben sei. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht sei auf die Mutter zu übertragen, weil die Eltern mit der Vereinbarung vom 06.06.2005 den Lebensmittelpunkt des Kindes verbindlich bei der Mutter festgelegt hätten. An diese gerichtlich gebilligte Elternvereinbarung seien die Beteiligten zu 1. und 2. gebunden, weil die Voraussetzungen für eine Abänderung nach § 1696 Abs. 1 BGB nicht vorlägen. Die Tatsachenlage habe sich seit Abschluss der Vereinbarung nicht wesentlich verändert.
Gegen diesen Beschluss hat der Vater mit Schriftsatz vom 16.06.2010 Beschwerde eingelegt, mit der er sein Begehren auf Übertragung der elterlichen Sorge auf sich weiterverfolgt. Er wiederholt im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen. Die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge entspreche nicht dem Wohl des Kindes, weil die Mutter sämtliche Entscheidungen allein treffe und das Kind für sich vereinnahme. Sie versuche, J… den Vater zu nehmen. Die Mutter misshandele das Kind seelisch und körperlich, missachte seine Persönlichkeit und französische Identität. Das Kind müsse dringend in die Obhut des Vaters wechseln, um keine bleibenden Schäden zu nehmen.
Die Mutter hat mit Schriftsatz vom 09.07.2010 die Zurückweisung der Beschwerde beantragt und die erstinstanzliche Entscheidung verteidigt.
Mit Beschluss vom 23.08.2010 (15 UF 77/10) hat der 3. Familiensenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts der Beschwerde des Vaters stattgegeben und ihm das alleinige Sorgerecht für J… eingeräumt.
Auf die Rechtsbeschwerde der Mutter ist dieser Beschluss durch den Bundesgerichtshof aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an den erkennenden Beschwerdesenat zurückverwiesen worden. Die Aufhebung ist mit Aufklärungsmängeln und verschiedenen Verfahrensfehlern begründet worden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16.03.2011 (XII ZB 407/10) Bezug genommen.
Durch Beschluss vom 21.06.2011 hat der Senat den Sachverständigen Dipl. Psych. Dr. M… W… mit der Erstattung eines ergänzenden Gutachtens beauftragt zu der Frage, welcher Elternteil unter Berücksichtigung des Kindeswohls besser geeignet ist, das elterliche Sorgerecht für J… in Zukunft auszuüben. Dem Sachverständigen ist dabei gestattet worden, das in der Beschwerdesache 15 UF 32/10 zur Beschulung des Kindes erstellte schriftliche Gutachten vom 21.06.2010 einzubeziehen.
In der Folgezeit entspann sich zwischen den Eltern ein Streit über die gymnasiale Beschulung des Kindes. Der Vaters hatte angekündigt, J… nach der vierten Klasse in das Französische Gymnasium in B… umzuschulen. Die Mutter widersetzte sich diesem Vorhaben, da der Schulweg für das Kind noch länger und beschwerlicher sei als zur K…-Grundschule in B….
Seit Anfang September 2012 besucht J… - auf Veranlassung des Vaters - das Französische Gymnasium in B….
Dies hat die Mutter zum Anlass genommen, erstmals im laufenden Beschwerdeverfahren (Schriftsatz vom 11.09.2012) um Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge anzutragen.
Der Sachverständige Dipl. Psych. Dr. M… W… hat am 18.01.2012 sein schriftliches Gutachten vorgelegt, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 1087 ff). Unter dem 10.04.2012 ist eine schriftliche Ergänzung des Gutachtens erfolgt (Bl. 1266 ff).
Der Verfahrenspfleger hat eine schriftliche Stellungnahme abgegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf seinen Bericht vom 28.02.2012 verwiesen (Bl. 1162 f).
Der Senat hat das Kind, seine Eltern, den Verfahrenspfleger, den Vertreter des Jugendamtes und den Sachverständigen Dipl. Psych. Dr. M… W… am 13.09.2012 angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift von diesem Tage Bezug genommen.
II.
Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG das bis Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht anzuwenden, weil das Verfahren vor diesem Zeitpunkt und zwar im November 2007 eingeleitet worden ist.
Die befristete Beschwerde des Vaters ist gemäß § 621 e ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die deutschen Gerichte sind für die Entscheidung des Sorgerechtsstreits zuständig. Es ist gemäß Art. 53 Abs. 1; 16 Abs. 1 KSÜ deutsches Recht anzuwenden. Wegen der Begründung wird auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16.03.2011, XII ZB 407/10, verwiesen.
Soweit die Mutter mit Schriftsatz vom 11.09.2012 die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge beantragt hat, handelt es sich der Sache nach um eine (unselbständige) Anschlussbeschwerde, die auch zulässig ist. Die Mutter hat damit unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie sich nicht nur gegen die Beschwerde des Vaters zur Wehr setzen will, sondern auch ihr erstinstanzliches Begehren auf Einräumung der alleinigen elterlichen Sorge nicht aufgegeben hat. In der Sitzung vom 13.09.2012 hat die Verfahrensbevollmächtigte der Mutter auch klargestellt, dass mit dem vorgenannten Schriftsatz Anschlussrechtsmittel eingelegt werden sollte.
In der Sache führt die Beschwerde des Vaters nicht zum Erfolg. Demgegenüber ist die Anschlussbeschlussbeschwerde der Mutter begründet. Die elterliche Sorge für J… ist der Mutter allein zu übertragen.
Es steht außer Streit, dass die Eltern die gemeinsame Sorge für das Kind innehaben. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 16.03.2011 (XII ZB 407/10) die Auffassung des 3. Familiensenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts bestätigt, dass der gerichtlich gebilligten Elternvereinbarung vom 06.06.2005 ohne Weiteres eine gemeinsame Sorgeerklärung nach § 1626 a Abs. 1 Nr.1 BGB entnommen werden kann.
Nach § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge bzw. eines Teilbereichs von dieser und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
Eine dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und eine insgesamt tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus (BGH FamRZ 2008, 592). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
Vor dem Hintergrund der erheblichen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern ist es vorliegend geboten, die gemeinsame elterliche Sorge insgesamt aufzuheben. Das sieht der Sachverständige Dipl. Psych. Dr. M… W… mittlerweile nicht anders. Soweit er in seinem schriftlichen Gutachten vom 18.01.2012 noch für die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge plädiert hat, weil J… durch den Elternkonflikt aufgrund hoher Resilienz-Faktoren noch keinen Schaden genommen habe, hält er daran nicht länger fest. In seiner Anhörung vor dem Senat am 13.09.2012 hat sich der Sachverständige für eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge ausgesprochen, weil das Kind durch die Streitereien der Eltern emotional stark belastet sei.
Nach Auffassung des Verfahrenspflegers sollte die gemeinsame elterliche Sorge nicht aufgehoben werden, weil es der Mitsprache des Vaters – vor allem in schulischen Angelegenheiten – bedürfe. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die besondere Heftigkeit des inzwischen über Jahre ausgetragenen Elternkonflikts macht eine Auflösung des gemeinsamen Sorgerechts unumgänglich. Nur so besteht überhaupt eine Chance, dass etwas Ruhe in das Leben von J… einkehrt. Zurzeit sitzt sie bildlich gesprochen „zwischen allen Stühlen“. Zwar teilt der Senat durchaus die Auffassung, dass es gerade angesichts der unterschiedlichen Nationalität und Erziehungsvorstellungen der Eltern für die Persönlichkeitsentwicklung J… vorteilhaft wäre, wenn beide Eltern für sie sorgeberechtigt wären. Jedoch würde dies gerade angesichts der unterschiedlichen Vorstellungen der Eltern voraussetzen, dass die Eltern in der Lage sind, gemeinsam verantwortlich im Interesse ihrer Tochter zu handeln, sich zu verständigen, Kompromisse zu suchen und zu finden, kurz: ihre Elternschaft gemeinsam so auszuüben, dass J… keinen Schaden erleidet. Die bloße Verpflichtung der Eltern zur Konsensfindung vermag jedoch eine tatsächlich nicht bestehende Verständigungsmöglichkeit nicht zu ersetzen. Denn nicht schon das Bestehen der Pflicht allein ist dem Kindeswohl dienlich, sondern erst die tatsächliche Erfüllung dieser Pflicht, die sich in der Realität nicht verordnen lässt (BGH, FamRZ 2008, 592 m.w.N.; Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 5. A., § 1671 BGB Rz. 36c m.w.N.). Eine positive Prognose für ein vernünftiges Zusammenwirken der Eltern kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht getroffen werden:
Die Eltern kämpfen seit ihrer Trennung, die schon lange zurückliegt, um das Kind. Sie trennten sich bereits wenige Monate, nachdem J… am ….10.2002 in D…/Frankreich geboren wurde. Die Mutter kehrte im April 2003 mit dem Kind nach Deutschland zurück.
Die mit der Sache befassten französischen Gerichte hatten zuvor einstweilen entschieden, dass die Eltern gemeinsam sorgeberechtigt seien und der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes bei der Mutter liege. Zudem hatten sie ein umfangreiches Umgangsrecht zugunsten des Vaters beschlossen (Landgericht Nanterre, Einstweilige Verfügung vom 04.04.2003, Bl. 32 ff. GA, und Berufungsgericht Versailles, Urteil vom 23.10.2003, Bl. 39 ff. GA). In der Folgezeit stritten die Eltern über den Umfang des Umgangs. Auch die Übergaben waren ständig Anlass für heftige Auseinandersetzungen. Um eine möglichst konfliktfreie Übergabe des Kindes zu gewährleisten, ist inzwischen vom Amtsgericht Potsdam durch einstweilige Anordnung vom 21.09.2009 ein Umgangspfleger bestellt worden (Beiakte 43 F 105/09, Bl. 347 ff.). Eine Beruhigung der Situation trat auch nicht durch die oben angeführte - gerichtlich gebilligte - Elternvereinbarung ein. In einem vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht geführten Verfahren hatten die Eltern am 06.06.2005 eine Vereinbarung zu der gemeinsamen elterlichen Sorge und zu dem Lebensmittelpunkt von J… geschlossen sowie eine weitreichende Umgangsregelung getroffen. Ungeachtet dieser Elternvereinbarung stritten die Eltern in der Folgezeit über den Umgang, die Auswahl der Kita, die Beschulung des Kindes und über das Sorgerecht. Es gab unzählige Gerichtsverfahren, die teilweise noch nicht abgeschlossen sind. Zu nennen sind hierbei die Beschwerdeverfahren bezüglich des Umgangs (Brandenburgisches Oberlandesgericht, 15 UF 135/09) und der Beschulung (Brandenburgisches Oberlandesgericht, 15 UF 32/10) sowie das vorliegende Beschwerdeverfahren hinsichtlich des Sorgerechts. Die Eltern scheuten auch nicht vor Strafanzeigen zurück. Das von der Staatsanwaltschaft Potsdam gegen den Vater eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Entziehung Minderjähriger wurde eingestellt, nachdem dieser eine erhebliche Geldbuße bezahlt hatte. Der Vater stellte gegen die Mutter Strafanzeige wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen. Er bezichtigte die Mutter, J… körperlich zu misshandeln. Das Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Potsdam unter dem Aktenzeichen: 476 Js 14405/09 geführt und im Dezember 2009 wegen mangelnden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt (Beiakte 43 F 203/09, Bl. 500). Auch der Geburteneintrag von J… in Deutschland war Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Im November 2005 hatte die Mutter beim Standesamt … die Ausstellung einer deutschen Geburtsurkunde für das Kind J… S… beantragt. Angaben zum Vater machte sie nicht. Das Verfahren wurde an das Standesamt I von B… abgegeben und der Geburteneintrag - wie beantragt - vorgenommen. Hiergegen legte der Vater erfolgreich Rechtsmittel ein. Durch Beschluss vom 23.09.2010 (1 W 70/08) hat das Kammergericht Berlin letztinstanzlich entschieden, dass der vorgenommene Eintrag im Geburtenbuch zu berichtigen sei. Der Familienname des Kindes J… laute C… und der Beteiligte zu 1. sei als Vater des Kindes im Geburtenbuch zu vermerken (Beiakte 43 F 105/09, Bl. 547 ff.).
Die aufgezeigten Umstände machen deutlich, dass die Eltern stark zerstritten sind und einander keinerlei Wertschätzung entgegenbringen. Sie können nicht miteinander kommunizieren, geschweige denn kooperieren. Dies sehen die Beteiligten zu 1. und 2. letztlich nicht anders. Dem Sachverständigen gegenüber haben beide Eltern eingeräumt, dass sie nicht miteinander reden können, ein Dialog sei nicht möglich (Gutachten vom 18.01.2012, dort Bl. 16 und Bl. 25). Für die Ausübung der gemeinsamen Sorge ist es aber unerlässlich, dass die Eltern willens und in der Lage sind, über wichtige Belange des Kindes zu kommunizieren und zu kooperieren. Anderenfalls macht die gemeinsame elterliche Sorge keinen Sinn. Wie sollen die Eltern wichtige Entscheidungen für das Kind gemeinsam treffen, wenn sie sich schon nicht über die Dinge des täglichen Lebens, wie den Kauf von Schulbüchern, Heften oder Badesachen, verständigen können. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Übergaben des Kindes in letzter Zeit problemlos verlaufen sein sollen. In der Sitzung vom 13.09.2012 haben die beteiligten Rechtsanwälte übereinstimmend bekundet, die Umgangspflegschaft könne aufgehoben werden, weil sich die Eltern seit geraumer Zeit bezüglich der Übergaben verständigten. Der Senat sieht dies (nur) als kleines Anzeichen für eine wachsende Kompromissbereitschaft der Eltern. Derzeit ist aber bezüglich anderer wichtiger Fragen das gemeinsame Kind betreffend keine Einigungsbereitschaft der Eltern erkennbar, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Eltern in überschaubarer Zeit über wichtige Belange des Sorgerechts Einvernehmen erzielen können.
J… leidet unter den äußerst heftig geführten Auseinandersetzungen ihrer Eltern. Der Sachverständige wie auch der Verfahrenspfleger haben das Kind durch den Elternkonflikt als emotional belastet beschrieben. Es sei angespannt und kaue an den Fingernägeln bzw. -knochen. Auch der Senat hat das Kind anlässlich seiner Anhörung am 13.09.2012 als angespannt, verunsichert und nervös erlebt. J… nestelte die überwiegende Zeit an ihren Fingern und schaute zu Boden. Das Verhalten war nicht nur der besonderen Situation der gerichtlichen Anhörung geschuldet. Wenn unverfängliche Themen (z.B. Aktivitäten in den zurückliegenden Sommerferien, Hobbys etc.) zur Sprache kamen, blühte das Kind förmlich auf. Es stellte das Beschäftigen mit den Fingern ein, bezog eine lockere Sitzhaltung und lächelte auch einmal. Dass das Kind bereits psychische Auffälligkeiten zeigt, stellen selbst die streitenden Eltern nicht in Abrede. Der Vater hat das Kind als zunehmend verschlossener beschrieben und zeitweise wie erstarrt. Die Mutter hat berichtet, dass J… oftmals müde und gereizt sei und an ihren Fingernägeln kaue. Das Kind leide unter Kopfschmerzen und Einschlafstörungen. Beide Eltern sind allerdings nur bemüht, die Schuld beim jeweils anderen Elternteil zu suchen. Der Vater bezichtigt die Mutter, das Kind zu manipulieren und zu unterdrücken. Die Mutter wirft dem Vater vor, das Kind ständig zu überfordern. Beide Eltern verteidigen verbissen ihre Positionen. Der Vater möchte um jeden Preis eine französische Erziehung des Kindes in Deutschland sicherstellen. Die Mutter kämpft um ihre Handlungsfreiheit und persönlichen Freiräume. Das Wohl des Kindes haben die Eltern bei ihrem Streit aus den Augen verloren, ohne dies allerdings zu realisieren. Der Kampf um das Kind wird rücksichtslos geführt. So hat sich der Vater keine Gedanken darüber gemacht, wie das Kind eine Umschulung im laufenden Schuljahr auf die K…-Grundschule in B… verkraftet oder ob dort ein Hortplatz zur Verfügung stand, weil die Mutter seinerzeit vollschichtig arbeitete. Die Mutter hat ihrerseits ihren Unmut über die vom Vater getroffene Schulwahl dergestalt ausgelebt, dass sie den Schulbesuch nach besten Kräften boykottierte.
Der Senat vermisst bei beiden Eltern die Bereitschaft, im Interesse des Kindes Abstriche an den eigenen Forderungen zu machen. So könnte die Förderung der französischen Seite des Kindes auch auf andere Weise erfolgen als durch den Besuch des Französischen Gymnasiums in B…. Zu denken wäre etwa an privaten Sprachunterricht oder den Besuch eines Sprachinstituts. Dies lehnt der Vater aber kategorisch ab. Andererseits könnte der Schulweg zum Französischen Gymnasium in B… deutlich verkürzt und damit die Lebensbedingungen des Kindes erheblich erleichtert werden, wenn die Mutter mit ihrer Familie nach B… umziehen würde. Ein solches Ansinnen hält sie aber für unzumutbar.
Bei diesen Gegebenheiten sieht der Senat keine andere Möglichkeit, als die gemeinsame elterliche Sorge insgesamt aufzuheben. Er verkennt dabei nicht, dass eine gerichtliche Entscheidung nicht immer das Mittel der Wahl ist. Allerdings gibt es vorliegend keine Alternative, weil die Fronten völlig verhärtet sind.
Im Ergebnis der angestellten Ermittlungen und der Anhörung des Kindes, seiner Eltern, der weiteren Beteiligten und des Sachverständigen Dipl. Psych. Dr. M… W… ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass es dem Kindeswohl am dienlichsten ist, wenn die Mutter die elterliche Sorge für J… ausübt.
Maßstab für die Entscheidung nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist stets das Kindeswohl. Hingegen ist es nicht Aufgabe des Gerichts, durch die Entscheidung zum Sorgerecht ein Gleichgewicht zwischen den streitenden Eltern herzustellen oder darüber zu entscheiden, wessen Erziehungskonzept vorzuziehen ist. Auch geht es nicht um Belohnung bzw. Bestrafung elterlichen Verhaltens. Allein das Wohl des vom elterlichen Streit belasteten Kindes ist ausschlaggebend.
Gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls sind die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung (Erziehungseignung) und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens (BGH, Beschluss vom 16.03.2011, XII ZB 407/10; FamRZ 1990, 392). Die einzelnen Kriterien stehen allerdings nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Vielmehr kann jedes von ihnen im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam sein für die Beurteilung, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (BGH, FamRZ 2010, 1060). Erforderlich ist eine alle Umstände des Einzelfalls sorgsam abwägende Entscheidung.
Der Förderungsgrundsatz ist vorliegend nicht geeignet, den Vorrang eines Elternteils bei der Frage, wem das Sorgerecht eingeräumt werden soll, zu begründen. Beide Eltern sind geeignet und auch bereit, die Erziehung und Betreuung des Kindes zu übernehmen. In der Vergangenheit haben sich sowohl die Mutter als auch der Vater um die Belange des Kindes gekümmert. Sie haben beide für die Förderung des Kindes – wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten - gesorgt. Die Mutter hat dem Kind schon früh den Kitabesuch ermöglicht und seine musischen Interessen gefördert. J… hat eine Ballett- und Musikschule besucht. Auch die Pflege von Freundschaften unterstützt die Mutter. Schulfreunde dürfen bei J… übernachten. Zum Geburtstag des Kindes gibt es ein Fest. Bei der Erledigung der Hausaufgaben steht die Mutter dem Kind bei Bedarf zur Verfügung. Sie ist der französischen Sprache mächtig, sodass sie J… auch noch unterstützen kann, seitdem diese eine deutsch/französische Schule besucht. Der Vater hat dafür gesorgt, dass das Kind die französische Sprache erlernen kann. In den Jahren 2005 bis 2008 während des 10-tägigen Aufenthalts in Frankreich hat J… die école maternelle besucht und später in den deutschen Herbst- und Winterferien die Schule in D… (Beiakte 43 F 105/09, Bl. 579). Der Vater besucht mit dem Kind Museen und Theater und fördert insgesamt ihre kulturelle Bildung. J… verreist auch mit dem Vater und seiner Familie. In den vergangenen Sommerferien verbrachten sie gemeinsam einige Wochen auf Réunion und Mauritius. Das Reiten hat J… in der Normandie gelernt; auch fährt sie mit dem Vater Ski.
In Bezug auf die Bindungstoleranz sieht der Senat bei beiden Elternteilen Defizite. Unter Bindungstoleranz versteht man die Bereitschaft, den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil zuzulassen und das Kind erforderlichenfalls hierzu auch zu motivieren (Johannsen/Henrich/Jaeger, Familienrecht, 5. Auflage, § 1671 Rz. 61).
Der Vater würdigt die Mutter im Elternkonflikt ständig herab. Dies tut er auch in Gegenwart des Kindes. Er vermittelt dem Kind den Eindruck, dass alles was die Mutter macht, schlecht ist. Weder die von der Mutter ausgewählte Kita noch die Grundschule in M… genügten seinen Ansprüchen. Diese Einrichtungen sind nach Meinung des Vaters anspruchslos (provinziell) und eröffnen keine Zukunftschancen. Den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass er sich jemals mit dem Erziehungskonzept der Kita in M… oder den Lerninhalten der dortigen Grundschule auseinander gesetzt hätte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Vater selbst auf dem Land lebt. V… ist ein kleines Dorf, das ungefähr fünf Kilometer von D… (Normandie) entfernt liegt, einer Stadt mit ca. 33.000 Einwohnern. Die Schulen, die J… bislang in Frankreich besucht hat - école maternelle und Grundschule in D… - sind vermutlich ebenfalls „ländlich gefärbt“, wenn auch französisch. Der Vater bezeichnet die Kindesmutter als engstirnig und abhängig. Nach seiner Ansicht steht sie unter dem Einfluss ihrer eigenen Mutter. Die Großmutter mütterlicherseits dominiere die Kindesmutter und bestimme ihr Leben. An J… kann das nicht spurlos vorübergehen. Der Vater bedenkt nicht, dass das Kind die Großmutter liebt. Die Großmutter ist für das Kind eine wichtige Bezugsperson, wovon sich der Senat im Rahmen der Anhörung am 13.09.2012 überzeugen konnte. Seit jeher hat die Großmutter ihre Tochter, die Kindesmutter, bei der Versorgung und Betreuung von J… unterstützt.
Soweit der Vater der Mutter mangelnde Bindungstoleranz vorwirft, weil sie anlässlich der Beantragung der deutschen Geburtsurkunde für J… einen falschen Nachnamen des Kindes angegeben und keine Angaben zum Vater gemacht hat, kann man dem nur zustimmen. Es handelt sich dabei um eine besondere Grobheit der Mutter, die die Absicht erkennen lässt, den Vater aus dem Leben des Kindes ausblenden zu wollen und damit seine Identität in Frage zu stellen. Eine plausible Erklärung für ihr Verhalten hat die Mutter bis heute nicht abgegeben, auch keine Äußerung des Bedauerns. Ungeachtet dieses Fehlverhalten der Mutter muss sich der Vater aber vor Augen halten, dass er es war, der J… im Alter von nicht einmal zwei Jahren der Mutter für mehrere Monate vorenthielt. Die Mutter hatte damals keinerlei Kontakt zu dem Kind. Während dieser Zeit versuchte der Vater auch, mit Hilfe französischer Gerichte die alleinige Sorge für das Kind zu erlangen. Dieses Verhalten spricht auch für eine Nichtachtung der Rechte und der Person des anderen Elternteils.
Trotz dieser Vorkommnisse hat die Mutter dem Vater in der Folgezeit großzügig Umgang gewährt. Sie ließ sich auf die - gerichtlich genehmigte - Elternvereinbarung vom 06.06.2005 ein, die ein weitreichendes Umgangsrecht des Vaters vorsah. Von einem erzwungenen Umgang - wie der Vater meint - kann in diesem Zusammenhang nicht die Rede sein. Die Mutter hielt sich auch an die getroffene Vereinbarung. Nur so war es möglich, dass der Vater zu seiner Tochter eine Beziehung aufbauen konnte. J… wäre nicht Teil seines Lebens geworden, wenn die Mutter den Umgang nicht toleriert bzw. nicht gefördert hätte. Bei allen Unstimmigkeiten sollte der Vater nicht vergessen, dass die Mutter die Bedeutung des Vaters für das Kind nicht in Frage stellt. J… nennt den neuen Lebensgefährten der Mutter nicht Papa, sondern bei seinem Vornamen. Die Mutter ermöglicht dem Kind auch heute einen großzügigen Umgang mit dem Vater. Das Kind verbringt die überwiegende Zeit der Schulferien bei ihrem Vater und dessen Familie in Frankreich. In der ferienfreien Zeit sieht J… den Vater alle drei Wochen für ein paar Tage in B… oder Umgebung. Ob der Vater den Umgang ebenso großzügig gestalten würde, wenn das Kind seinen Lebensmittelpunkt in seinem Haushalt hätte, ist fraglich. Er behauptet dies seit längerem durchaus glaubhaft. Allerdings ist nicht erkennbar, dass er sich auch mit den praktischen Schwierigkeiten seiner Vorschläge – z.B. hinsichtlich der Schulpflicht – tatsächlich auseinander gesetzt hat. Jedenfalls darf die Mutter nicht mit dem Kind telefonieren, wenn es sich für längere Zeit beim Vater aufhält, obwohl dies so vereinbart wurde. In dem Beschwerdeverfahren 15 UF 32/10 verständigten sich die Eltern am 01.07.2010 vor dem 3. Familiensenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts u.a. darauf, dass die Mutter während der Umgänge, die eine Woche dauern und länger, mittwochs und sonntags ein Telefonat mit dem Kind führen darf. Auch hat der Vater gegenüber dem Sachverständigen zum Ausdruck gebracht, dass die Mutter mit dem Kind möglichst wenig Zeit verbringen sollte. Dies sei gut für dessen Persönlichkeitsentwicklung (Gutachten vom 18.01.2012, dort Bl. 19). Das Verhalten des Vaters macht deutlich, dass er der Mutter wenig Wertschätzung entgegen bringt.
Andererseits ist die Mutter aber auch nicht bereit, die französische Seite des Kindes zu fördern. In der Vergangenheit machte sie keinerlei Anstalten, dem Kind den Besuch einer deutsch/französischen Kita zu ermöglichen, obwohl sie erst im November 2007 wieder eine Erwerbstätigkeit aufnahm. Während der Kita-Zeit war die Mutter weitestgehend zeitlich nicht gebunden. Auch hinsichtlich der Wahl der Grundschule in M… nahm sie auf den Vater keine Rücksicht. Für sie standen allein pragmatische Erwägungen im Vordergrund. Sie war bzw. ist nicht willens, eine bilinguale Erziehung des Kindes in einer deutsch/französischen Schule in B… zu unterstützen. Die von ihr ins Feld geführten Argumente, weiter Schulweg, Verlust von Sozialkontakten, Einbuße von Freizeit, sind zwar verständlich. Sie zeigen aber auch, dass die Mutter nicht bereit ist, für das Kind Opfer zu erbringen. Mit einem Umzug nach B… könnte sie den Schulweg verkürzen und damit die Lebensbedingungen des Kindes erleichtern. In diesem Zusammenhang darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass J… an der deutsch/französischen K…-Grundschule sehr gute Schulleistungen erbrachte und sich damit für den Besuch des Französischen Gymnasiums in B… qualifiziert hat. Dieser Erfolg dürfte J… auch Selbstvertrauen geben. Die Mutter sollte diesen Aspekt für die weitere Entwicklung des Kindes nicht unterschätzen. Ferner möge sie sich einmal vor Augen halten, dass der Vater keine Mühe und auch keine Kosten scheut, den Kontakt mit J… zu pflegen. Zu jedem Umgang muss er mehr als 2.000 Kilometer reisen, um seine Tochter sehen zu können.
Auf Seiten des Vaters gibt es aber auch keine belastbaren Anzeichen dafür, dass er die deutschen Wurzeln von J… fördern würde, wenn sie ihren Lebensmittelpunkt bei ihm hätte. Die deutsche Sprache hat der Vater bis heute nicht gelernt. Es mag sein, dass der Beteiligte zu 1. auch deutsche Freunde hat. Dem Senat erschließt sich aber nicht, was das mit der deutschen Seite des Kindes zu tun hat. J… hat bei ihrer Anhörung jedenfalls erklärt, in Frankreich rede niemand mit ihr deutsch. Wie sich der Schulalltag von J… in Frankreich gestalten würde, dazu hat der Vater nichts Konkretes vorgetragen. Nach seinen Angaben gibt es in R… ein Gymnasium für binationale Kinder. Die Schule soll 70 km von seinem Wohnort entfernt sein. Das Kind wäre in diesem Fall mindestens ebenso großen Belastungen ausgesetzt wie derzeit durch den Besuch des Französischen Gymnasiums in B…. Der Vater kann auch nicht ernsthaft davon ausgehen, dass die Mutter wieder ihren Wohnsitz nach Frankreich verlegt, um ein Wechselmodell praktizieren zu können.
Soweit der Sachverständige in seinem Gutachten vom 18.01.2012 zu dem Schluss gelangt ist, der Vater weise die höhere Bindungstoleranz auf, weil er eine längere Zeit des Umgangs für die Mutter vorschlage (Mutter: 7 Monate, Vater: 5 Monate), vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Die Argumentation ist nicht plausibel. Abgesehen davon, dass die Einlassung des Vaters allenfalls als Absichtserklärung zu werten ist, kann sein Vorschlag nur als unrealistisch eingestuft werden. Im Konkreten würde das für J… eine fortgesetzte Entwurzelung aus dem gewohnten Lebenskreis mit sich bringen, die selbst einem Erwachsenen kaum zumutbar ist. Das Kind wäre gezwungen, sich immer wieder auf neue Bezugspersonen einzustellen, Freundschaften nicht pflegen zu können und sich immer wieder auf eine neue Unterrichtssprache einstellen zu müssen.
Letztlich kommt es auf die Einschätzung des Sachverständigen auch nicht Streit entscheidend an. Selbst wenn der Vater die höhere Bindungstoleranz aufweisen sollte, würde das nicht zur Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf ihn führen. Die Senat misst vorliegend dem Gesichtspunkt der Kontinuität - was noch auszuführen sein wird - den größeren Stellenwert zu. Von daher spielt auch der vom Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 13.09.2012 angesprochene Aspekt, im Verlauf der Begutachtung habe sich der Vater im Vergleich zur Mutter als der entwicklungsfähigere und flexiblere Elternteil erwiesen, keine Rolle. Im Übrigen ist die Einschätzung des Sachverständigen, die Mutter sei bei der erneuten Exploration grundlos unsicher gewesen, kein hinreichender Grund, ihre Erziehungsfähigkeit ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Schließlich lässt sich nicht ausschließen, dass die Mutter durch die zahlreichen Gerichtsverfahren psychisch belastet ist. Das ist nur verständlich. Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang allerdings nicht, dass die Mutter an der Entwicklung der Dinge nicht unschuldig ist.
Der Umstand, dass das Kind während der Exploration in der Umgebung des Vaters entspannter war, wie der Sachverständige ausgeführt hat, kann für einen Aufenthaltswechsel nicht entscheidend sein. Der Sachverständige hat dazu im Ergänzungsgutachten vom 10. April 2012 angegeben, ob dieser Umstand zu einer Zuweisung führen könne, sei aus psychologischer Sicht fraglich (Bl. 1268).
Im Hinblick auf die Bindung des Kindes ergibt sich auch kein Vorrang eines Elternteils. Die Anhörung am 13.09.2012 hat ergeben, dass J… Vater und Mutter gleichermaßen liebt. Sie leidet sehr unter dem Streit der Eltern. Wie schon dem Bericht des Verfahrenspflegers vom 28.02.2012 entnommen werden kann, möchte J… bei ihrer Mutter leben und den Vater häufig besuchen. Ob dies dem wirklichen Willen des Kindes entspricht, vermag der Senat nicht zu beurteilen. Das Kind war auf die gerichtliche Anhörung vorbereitet. Es hat zum Teil wörtlich die Argumente der Mutter vorgetragen. Zum Wortschatz eines noch nicht einmal zehnjährigen Mädchens gehört nicht der Begriff der „wohnortnahen Schule“. Nach Einschätzung des Sachverständigen lässt sich der tatsächliche Wille oder die tatsächliche Bindung des Kindes nicht feststellen. Über dem Elternstreit hat J… Strategien entwickelt, sich zu schützen. Dazu gehört ein ausweichendes Verhalten. Das Kind kann sich auch gut anpassen, was der Vater als besondere Fähigkeit seiner Tochter ansieht (Gutachten vom 18.01.2012, dort Bl. 15). Diese Einschätzung des Vaters lässt sich nicht recht mit seiner Forderung, dass ein Kind möglichst freiheitlich erzogen werden sollte, vereinbaren. Zum Freisein gehört auch ein oppositionelles Verhalten.
Der Kontinuitätsgrundsatz spricht hier eindeutig für die Mutter. Seit der Trennung der Eltern betreut und versorgt sie das Kind. J… lebt fast von Geburt an bei ihrer Mutter. Die Mutter hat Frankreich mit staatlicher Billigung verlassen. Sie hat dem Vater das Kind nicht entzogen. Die mit der Sache befassten französischen Gerichte hatten keine Bedenken, das Kind in die Obhut der Mutter zu geben. Sie waren davon überzeugt, dass die Mutter J… gut versorgt und betreut. Dies haben die verantwortlichen Richter damals auch so niedergelegt: „Es steht außerhalb jeden Zweifels, dass sich Frau S… in vorbildlicher Weise um ihre Tochter kümmert; dies wird durch ihre vorteilhafte Entwicklung belegt …“, obwohl der Vater schon zu dieser Zeit eine psychische Erkrankung der Mutter ins Feld führte. Dass der Vater die Erziehungsfähigkeit der Mutter niemals ernsthaft anzweifelte, zeigt auch die Elternvereinbarung vom 06.06.2005. Die Eltern waren sich damals darüber einig, dass der gewöhnliche Aufenthalt von J… bei der Mutter ist. Als Arzt und engagierter Vater hätte es der Beschwerdeführer mit Sicherheit nicht verantworten können, eine solche Vereinbarung zu treffen, wenn er das Wohl und Wehe seiner Tochter im Haushalt der Mutter gefährdet gesehen hätte. Es spricht vielmehr alles dafür, dass er die Mutter durchaus für fähig hielt, für eine gedeihliche Entwicklung von J… zu sorgen. Diese gemeinsame Einschätzung der Eltern über den Lebensmittelpunkt ihrer Tochter ist zwar für die Zukunft nicht bindend, lässt jedoch die Prognose zu, dass auch künftig ein Aufenthalt J… bei der Mutter ihrem Wohl dienlich ist. Es gibt keinen vernünftigen Grund, die elterlichen Kompetenzen der Mutter heute in Frage zu stellen. Letztlich tut der Vater dies auch nicht. Anderenfalls wäre sein außergerichtlicher Vergleichsvorschlag vom 31.08.2012 nicht verständlich. Der Vater hatte der Mutter eine Einigung dahingehend vorgeschlagen, dass das Kind weiter bei ihr leben kann, wenn die Mutter dem Kind den Besuch des Französischen Gymnasiums in B… ermöglicht und der Umgang mit dem Kind in bestimmter Weise erleichtert wird.
Der Senat hält hier den Gesichtspunkt der Kontinuität, der auf die Stetigkeit und die Wahrung der Entwicklung des Kindes abstellt, bei der Kindeswohlprüfung für ausschlaggebend. Es waren im Ausgangsfall die Eltern, die mit ihrer Vereinbarung vom 06.06.2005 den Lebensmittelpunkt des Kindes im Haushalt der Mutter einvernehmlich bestimmt haben. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, die seinerzeit getroffene Entscheidung in Frage zu stellen. Den Lebensmittelpunkt eines Kindes verändert man nicht ohne Not. J… wird von der Mutter gut versorgt und betreut. Sie ist in ihrem Lebensumfeld verwurzelt und fühlt sich dort wohl. Dies gilt es zu respektieren.
Bei ihrer Anhörung hat J… dem Senat erklärt, mit dem Lebensgefährten der Mutter und dessen Töchtern verstehe sie sich gut. Auf Nachfrage (nachdem sie zunächst niemanden benennen konnte, an den sie sich bei Kummer wenden könne) meinte sie, A… (dem Lebensgefährten der Mutter) könne sie sich bei Problemen anvertrauen. Bei C… (Lebensgefährtin der Mutter) habe das keinen Sinn, weil diese immer das sage, was auch der Papa sage. Die Söhne C… möge sie zwar, aber nicht so gerne wie T… und Th…. Ihre beiden Halbschwestern in Frankreich treffe sie dort manchmal, aber die seien ja schon erwachsen.
Soweit der Sachverständige Dipl. Psych. Dr. M… W… in der Sitzung vom 13.09.2012 die Auffassung vertreten hat, der Aspekt der Kontinuität komme vorliegend nicht zum Tragen, weil die Mutter mit ihrer Familie umziehen werde, rechtfertigt das kein anderes Ergebnis. Es mag sein, dass sich der Lebensgefährte der Mutter beruflich verändern will. Nach Angaben der Mutter strebt er eine Geschäftsführertätigkeit in einem landwirtschaftlichen Betrieb in Br… oder M… an. Das Vorhaben hat aber überhaupt noch keine konkreten Züge angenommen. Im Übrigen gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der - dann anstehende - Umzug nicht aus beruflichen/familiären Gründen erfolgen wird, sondern um den Umgang des Kindes mit ihrem Vater zu beeinträchtigen.
Die danach gebotene Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter hat zur Folge, dass dieser auch die übrigen Bestandteile des Sorgerechts zu übertragen sind. Zwar scheidet die Übertragung verschiedener Teilbereiche des Sorgerechts auf beide Elternteile nicht von vornherein aus. Hier gebietet es jedoch das Kindeswohl das gesamte Sorgerecht einem Elternteil zu übertragen. Die durch Zwischenentscheidungen erfolgte Aufspaltung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Schulangelegenheiten hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass der fortbestehende Streit auf dem Rücken des Kindes ausgetragen worden ist. Die kompromisslose Haltung beider Eltern hinsichtlich der Schulwahl hat im Wesentlichen dazu geführt, dass J… heute als sehr belastet erscheint und dass sie neben der Schule kaum noch Möglichkeiten der Freizeitgestaltung – und damit der Entwicklung ihrer Persönlichkeit – für sich sieht. Das Kind kann nur dadurch entlastet werden, dass nur noch ein Elternteil die Entscheidungsbefugnis in allen wesentlichen Belangen des Sorgerechts hat. Wegen der vorrangigen Bedeutung des Aufenthaltsbestimmungsrecht, das den zentralen Lebensbereich des Kindes bestimmt, hat der Senat deshalb der Mutter auch das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten und das Sorgerecht insgesamt übertragen.
Der Senat hat in den Tenor ausdrücklich die schulischen Angelegenheiten aufgenommen, weil es ansonsten angesichts des Verfahrens zum Az. 15 UF 32/10 möglicherweise zu Unklarheiten über den Umfang der Übertragung kommen könnte. Da es im hier zu entscheidenden Verfahren um das Sorgerecht insgesamt geht, ist mit der nun getroffenen Entscheidung das Verfahren 15 UF 32/10, das nur einen Teilbereich des Sorgerechts erfasst hat, erledigt.
Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 621 e Abs. 2 ZPO a.F.; 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 13 a Abs. 1 S. 2 FGG a.F.; 21 GKG a.F. Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 30 Abs. 2 KostO. Angesichts der Schwierigkeit des Falles hält der Senat eine moderate Anhebung des Regelwertes für angemessen.