Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung OVG 9 S 61.12


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 24.10.2012
Aktenzeichen OVG 9 S 61.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. Juni 2012 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 07. Oktober 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2012 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 418,81 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 7. Oktober 2011 enthaltene Anforderung eines Schmutzwasserbeitrages. Auf ihren Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Juni 2012 die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage angeordnet, weil die Beitragssatzung wegen unzureichender Berücksichtigung bestimmter Außenbereichsgrundstücke unwirksam sei. Gegen den am 5. Juli 2012 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 6. Juli 2012 Beschwerde eingelegt und diese am 3. August 2012 begründet.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg.

Nach § 146 Abs. 4 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - muss die Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts beschränkt sich gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO in einer ersten Stufe darauf, ob die Beschwerde geeignet ist, die Begründung des angefochtenen Beschlusses zu erschüttern; nur wenn dies der Fall ist, ist auf einer zweiten Stufe nach allgemeinem Maßstab zu prüfen, ob sich der Beschluss auf der Grundlage der Erkenntnisse des Beschwerdeverfahrens im Ergebnis als richtig erweist oder geändert werden muss (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 1. August 2005 - OVG 9 S 2.05 -).

1. Das Verwaltungsgericht hält die Abwasserbeitragssatzung vom 11. Januar 2010 für nichtig, weil ihr § 4, der den Gegenstand der Herstellungsbeitragspflicht umschreibt, keine Anschlussbeitragspflicht für bebaute Grundstücke im Außenbereich vorsieht, die an die zentrale öffentliche Abwasserentsorgungsanlage angeschlossen werden können (aber nicht angeschlossen sind). Hierin sieht das Verwaltungsgericht keine Lücke im Sinne einer Unbestimmtheit der Satzung, sondern geht mit Recht davon aus, dass das Schweigen der Satzung beredt ist, der Satzungsgeber insoweit also eine Beitragspflicht nicht vorsehen wollte. Das soll nach Ansicht des Verwaltungsgerichts indessen gegen § 8 Abs. 6 Satz 5 KAG verstoßen, wonach das Beitragsgebiet auch Grundstücke oder Teile von Grundstücken im Außenbereich umfasst, soweit für diese die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der Einrichtung oder Anlage besteht.

Demgegenüber hat der Antragsgegner geltend gemacht, dass es einer betreffenden Satzungsregelung nicht bedürfe. Dies sei schon nach der früheren Rechtslage nicht erforderlich gewesen; die Einfügung des § 8 Abs. 6 Satz 5 KAG habe daran nichts geändert. Dieser Einwand erschüttert die Entscheidungsbegründung des Verwaltungsgerichts.

Bis zur Einfügung des § 8 Abs. 6 Satz 5 KAG enthielt das KAG keine Regelung zur Beitragspflichtigkeit von Außenbereichsgrundstücken. Gleichwohl gingen Rechtsprechung und Literatur übereinstimmend davon aus, dass einerseits Außenbereichsgrundstücke, die durch eine Straße erschlossen waren, durch die Straße grundsätzlich einen wirtschaftlichen Vorteil im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG erlangten und deshalb grundsätzlich auch straßenausbaubeitragspflichtig waren, andererseits Außenbereichsgrundstücke durch in ihrer Nähe liegende Wasserversorgungs- und Schmutzwasserentsorgungsleitungen grundsätzlich keinen wirtschaftlichen Vorteil im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG erlangten und deshalb grundsätzlich nicht anschlussbeitragspflichtig waren, auch wenn für sie eine Anschlussmöglichkeit bestand (vgl. Beschlüsse des Senats vom 16. August 2006 - 9 S 17.06 -, S. 4 des EA und vom 21. Dezember 2006 - 9 S 68.06 -, S. 7 des EA mit dem Hinweis auf eine ständige Rechtsprechung). Eine diesbezügliche Ausnahme (mit der Folge bestehender Anschlussbeitragspflicht) sah man nur dann als gegeben an, wenn ein Außenbereichsgrundstück tatsächlich an eine leitungsgebundene Wasserversorgungs- oder Abwasserentsorgungsanlage angeschlossen gewesen ist (vgl. OVG Brandenburg, Urteil vom 7. Dezember 2004 - 2 A 168/02 -, S. 25 des EA; Becker in Becker/Benedens u.a., Kommunalabgabengesetz für das Land Brandenburg, Loseblatt-Kommentar, Stand: Juli 2012, § 8 Rn. 325).

§ 8 Abs. 6 Satz 5 KAG ist durch Art. 5 des Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben vom 17. Dezember 2003 (GVBl. I S. 294) in das Kommunalabgabengesetz eingefügt worden. Die Einfügung sollte nach der Begründung des Gesetzentwurfs (lediglich) der rechtlichen Klarstellung dienen und den Gemeinden sowie Gemeindeverbänden eine rechtssichere Beitragserhebung ermöglichen (vgl. Landtags-Drucksache 3/6324 vom 28. August 2003 zu Nr. 4 Buchstabe e, Doppelbuchstabe aa, dritter Absatz). Auch im Übrigen gibt es bei überschlägiger Prüfung keinen Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber den Gemeinden und Gemeindeverbänden mit der Einfügung des § 8 Abs. 6 Satz 5 KAG vorgeben wollte, Außenbereichsgrundstücke abweichend von der bisherigen Praxis stets dann schon als anschlussbeitragspflichtig bewerten zu müssen, wenn lediglich eine (tatsächlich nicht wahrgenommene) Anschlussmöglichkeit besteht. Eine solche Vorgabe dürfte für unbebaute Feld-, Wald- und Wiesengrundstücke, an denen "zufälligerweise" eine Wasserversorgungs- oder Schmutzwasserentsorgungsleitung vorbeiläuft, die aber nicht an diese Leitung angeschlossen sind, erkennbar über das Ziel hinausschießen, weil die Leitungen für solche Grundstücke bei typisierender Betrachtung praktisch keinen wirtschaftlich spürbaren Vorteil haben dürften. Das gleiche dürfte für solche Außenbereichsgrundstücke gelten, die zwar bebaut sind, deren Bebauung aber praktisch keinen Trinkwasserbedarf oder Schmutzwasserentsorgungsbedarf erzeugt, wie es etwa bei Windenergieanlagen der Fall sein könnte. Bei bebauten Außenbereichsgrundstücken mit bestehendem Trinkwasserversorgungs- oder Schmutzwasserentsorgungsbedarf dürfte eine vorbeilaufende Leitung mit Anschlussmöglichkeit zwar als vorteilhaft bewertet und deshalb vom Satzungsgeber auch als beitragsauslösend angesehen werden können. Es ist indessen bei überschlägiger Prüfung nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit § 8 Abs. 6 Satz 5 KAG gerade für diese Fälle in Abkehr von dem bis dahin Üblichen (Beitragspflicht nur bei tatsächlichem Anschluss) eine zwingende Beitragspflicht vorsehen und damit die insoweit bestehende Typisierungsbefugnis der Satzungsgeber einschränken wollte (vgl. auch Becker, a.a.O., § 8 Rn. 328). Mit dieser konkreten Fallgestaltung, die eher im Randbereich des beitragsrechtlich zu Regelnden liegt, hat der Gesetzgeber sich – soweit ersichtlich – überhaupt nicht befasst. Auch das Oberverwaltungsgericht ist bislang davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber insoweit nichts ändern wollte (vgl. Beschlüsse des Senats vom 16. August 2006 - 9 S 17.06 -, vom 15. Dezember 2006 - 9 S 50.06 -, vom 19. Dezember 2006 - 9 S 58.06 -, und vom 21. Dezember 2006 - 9 S 68.06 -). Namentlich hat der Senat betont, dass es für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für (bisherige) Außenbereichsgrundstücke im Anschlussbeitragsrecht - weiterhin - darauf ankommt, dass sie entweder „Baulandqualität erworben haben und angeschlossen werden konnten“ oder - wenn sie nach wie vor Außenbereichsgrundstücke und daher als solche kein Bauland sind - „ihrerseits angeschlossen wurden“ (Beschluss vom 15. Dezember 2006, ebd., S. 8 des EA); davon abzugehen, sieht der Senat bei überschlägiger Prüfung keine Veranlassung.

2. Nachdem die Beschwerde die Begründung des Verwaltungsgerichts erschüttert hat, ist hier die nach allgemeinem Maßstab vorzunehmende weitere Überprüfung, ob sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend erweist, veranlasst. Dabei ist zu beachten, dass im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kein Raum für aufwendige Tatsachenfeststellungen und die Beantwortung schwieriger Rechtsfragen ist und dass die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage mit Blick auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 80 Abs. 5 und § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO - vorbehaltlich eines hier nicht dargetanen Härtefalls - nur anzuordnen ist, wenn an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ernstliche Zweifel bestehen, d.h. der Bescheid bei überschlägiger Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist. Danach ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und der Antrag der Antragstellerin abzulehnen.

Hinsichtlich der Frage des Satzungsmaßstabes betreffend Außenbereichsgrundstücke wird auf das Obenstehende verwiesen. Der Beitragsbescheid ist insoweit nicht überwiegend wahrscheinlich rechtswidrig.

Auch im Hinblick auf das Vorbringen der Antragstellerin, die auf ihr Widerspruchsschreiben vom 2. März 2012 verweist, stellt sich der Bescheid nicht als überwiegend wahrscheinlich rechtswidrig dar.

Auf das Schreiben vom 10. November 2011, mit dem der Antragsgegner den Aussetzungsantrag der Antragstellerin abgelehnt hat, und den Zeitpunkt dessen Bekanntgabe kommt es insoweit ebenso wenig an wie auf ein späteres Mahnschreiben; dies berührt jeweils die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides nicht. Soweit die Antragstellerin geltend macht, dass „weder ein Anschluss vorliegt noch jemals“ vom Antragsgegner „eine Leistung erbracht wurde“, greift dies nicht. Die Antragstellerin verkennt, dass es für die sachliche Beitragspflicht ihres nach unwidersprochenen Angaben des Antragsgegners im bauplanungsrechtlichen Innenbereich liegenden Grundstücks genügt, dass das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann (§ 8 Abs. 7 Satz 2 KAG); eines tatsächlichen Anschlusses bedarf es insoweit nicht. Mit Blick auf §§ 5 und 6 der Abwasserbeseitigungssatzung des Zweckverbandes vom 11. Januar 2010 ist nichts ersichtlich, das einem Anschlussrecht entgegenstünde. Darauf, ob eine Leistung gleichsam „vor der Haustür“ erbracht worden ist, kommt es für den Anschlussbeitrag ebenfalls nicht an, da mit dem Beitrag anteilig und solidarisch mit allen anderen Anliegern eine Zahlung für die Herstellung der gesamten zentralen öffentlichen Abwasserentsorgungsanlage als solche entrichtet wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).