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Knappschaftliche Tätigkeit - knappschaftlicher Betrieb - knappschaftliche Versicherung - Tagebau - Braunkohletagebau - Maßnahmen in der Sanierung - Maßnahmen für die Sanierung - Zuständigkeit der Bundesknappschaft - Zuordnung zur knappschaftlichen Rentenversicherung


Metadaten

Gericht SG Cottbus 5. Kammer Entscheidungsdatum 06.08.2012
Aktenzeichen S 5 R 666/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 149 Abs 5 SGB 6, § 137 Nr 2 SGB 6, § 138 Abs 4 SGB 6, § 138 Abs 1 bis 3 SGB 6, § 133 SGB 6, § 134 SGB 6

Tenor

1. Der Bescheid vom 21. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 2011 wird dahingehend abgeändert, dass die Tätigkeit des Klägers bei der Firma B S GmbH im Zeitraum 1. Juli 2002 bis 31. Dezember 2002 der knappschaftlichen Rentenversicherung zuzuordnen ist.

2. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zuordnung der Beschäftigungszeit des Klägers vom 1. Juli 2002 bis 31. Dezember 2002 bei der Beigeladenen zur knappschaftlichen Rentenversicherung.

Der am 22. Juli 1971 geborene Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum bei der Beigeladenen gegen Arbeitsentgelt sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die Beigeladene war in dieser Zeit vor allem im Bereich der bergbaulichen Renaturierung, Spezialtiefbau/Erdbau, Wasserbau sowie Landschaftsgestaltung tätig. Hauptauftraggeber waren im Braunkohletagebau tätige Energieunternehmen wie die L B AG L AG (jetzt firmierend unter V M AG - im Folgenden nur L AG - ), in deren Auftrag Rekultivierungsmaßnahmen durchgeführt wurden sowie die öffentliche Hand. Einsatzorte der Beigeladenen waren u. a. die Tagebaurestlöcher Bärwalde, Lohsa, Partwitz, Spreetal, Lichterfeld, Meuro, Skado, Sedlitz, Berzdorf, Bughammer, Schlabendorf, Nachterstedt, die Außenkippe Scheibe und Wulfersdorf. Der Kläger hat in der streitgegenständlichen Zeit schwerpunktmäßig Lanzen gebaut, gewartet und repariert sowie Rüttler eingesetzt gewartet und repariert.

Mit Bescheid vom 21. März 2011 stellte die Beklagte, die in dem beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als 6 Kalenderjahre zurückliegen, nach § 149 Abs. 5 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) verbindlich fest, soweit sie nicht bereits früher festgestellt worden sind. Dabei ordnete sie die hier streitgegenständliche Zeit der allgemeinen Rentenversicherung zu. Den gegen diese Zuordnung eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. September 2011 zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde mit Verfügung vom 16. September 2011 zur Post gegeben.

Mit seiner am 19. Oktober 2011 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Er ist der Auffassung die von ihm im streitgegenständlichen Zeitraum ausgeübte Tätigkeit sei der knappschaftlichen Rentenversicherung zuzurechnen. Er meint, die von ihm ausgeübten Tätigkeiten unterfielen §§ 137 Nr. 2, 138 Abs. 4 in der bis 31.12.2004 gültigen Fassung des SGB VI i. V. m. § 1 Absatz 1 Nr. 1 bis 11 der Verordnung über knappschaftliche Arbeiten (im Folgenden nur VO). Ferner sei die Beigeladene ein knappschaftlicher Betrieb.

Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 21.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2011 zu verurteilen dem Kläger die Zeiten vom 01.07.2002 bis 31.12.2002 als knappschaftlich versicherte Zeiten anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand sowie dem Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen, wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, welche Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 21. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 2011 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit der streitgegenständliche Zeitraum der allgemeinen Rentenversicherung und nicht der knappschaftlichen Rentenversicherung zugeordnet wurde. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Durchsetzung dieser Zuordnung im Rahmen der von ihm erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

II.

Die Zuordnung von rentenversicherungsrechtlich relevanten Zeiten zur knappschaftlichen oder allgemeinen Rentenversicherung wurde in der streitgegenständlichen Zeit (vor der Rententrägerreform) an der Zuständigkeit der Bundesknappschaft festgemacht. Nur in den ausdrücklich normierten Fällen hat eine Zuordnung zur knappschaftlichen Rentenversicherung zu erfolgen, andernfalls erfolgt die Zuordnung zur allgemeinen Rentenversicherung. Nach § 137 SGB VI a.F. war und ist die Bundesknappschaft für Beschäftigte, unter anderem, zuständig wenn die Versicherten in einem knappschaftlichen Betrieb beschäftigt sind oder ausschließlich oder überwiegend knappschaftliche Arbeiten verrichtet haben.

1.

Die Beigeladene ist kein knappschaftlicher Betrieb im Sinne des § 138 Absätze 1 bis 3 SGB VI (a. F.). Insofern schließt die Kammer sich der Entscheidung des Sozialgerichts Dresden zu dem Aktenzeichen S 24 KN 2010/11 ausdrücklich an. Auch die Entscheidung des Sozialgerichts Cottbus zu dem Aktenzeichen S 13 R 659/06 (zu der Firma E O GmbH) ordnet den dortigen Betrieb, der von seinem Geschäftsbereich mit dem der Beigeladenen hier nahezu identisch ist, nicht der knappschaftlichen Betriebsform zu und steht damit dieser Zuordnung ebenfalls nicht entgegen.

2.

Der Kläger unterfällt trotzdem der knappschaftlichen Versicherung, denn er hat in der streitgegenständlichen Zeit knappschaftliche Tätigkeiten im Sinne des § 138 Absatz 4 a. F. verrichtet.

Die Kammer kann den Schlussfolgerungen des Sozialgerichts Dresden hierzu (im Gegensatz zur betrieblichen Zuordnung) nicht folgen. Wie auch das Sozialgericht Dresden und die 13. Kammer des Sozialgerichts Cottbus, geht auch die 5. Kammer davon aus, dass sich die Zuständigkeit der Beklagten hier nur aus der Reglung des § 138 Absatz a.F. i. V. m. Nr. 7 oder Nr. 11 der VO ergeben kann.

Die Kammer ist zunächst davon überzeugt, dass die vom Kläger ausgeführten Arbeiten räumlich und betrieblich mit einem Bergwerksbetrieb zusammenhängen. Die L AG, in deren Auftrag die Beigeladene tätig geworden ist, war ein Bergwerksbetrieb dessen Hauptzweck die Gewinnung von Kohle war (welcher im Übrigen unter der neuen Firma V M AG auch weiter verfolgt wird). Die Tätigkeiten wurden auf den ehemaligen Tagebauen verrichtet. Tagebaue sind den Untertagebergwerken gleichgestellt (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 12 RJ 22/04). Der räumliche und betriebliche Zusammenhang sind damit gegeben.

Die Tätigkeiten des Klägers erfolgten auch „in der Sanierung“ im Sinne des § 11 der VO. Die von dem Kläger in den Boden eingebrachten (und gewarteten sowie reparierten) Rüttler und Lanzen dienen der Verdichtung des Bodens zur späteren Nutzbarmachung der Fläche. Im Rahmen des Tagebaus wird unter anderem der komplette Boden einmal völlig „umgegraben“. Hieraus ergibt sich physikalisch eine Auflockerung des Bodenaushubes. Ohne diese Auflockerung wäre die zu fördernde Braunkohle nicht von den übrigen Sand- und Gesteinsschichten zu trennen. Der Aushub wird nach Abschluss der aktiven Förderung nach und nach (Abschließend erst bei den Sanierungsarbeiten eines Tagebaus, sofern solche Arbeiten durchgeführt werden) wieder in die entstanden Gruben verbracht. Durch die Auflockerung des ausgehobenen Bodens kann dieser auch nur in der aufgelockerten Form wieder in die Gruben verbracht werden. Die so wieder aufgefüllte Fläche weißt physikalisch eine geringere Verdichtung auf, wodurch eine Belastung des Geländes erschwert wird, da die Gefahr von Absackungen oder Verrutschungen des Bodens besteht. Durch die Verdichtung des Bodens soll dem entgegengetreten werden. Der Begriff „Lanze“ bezeichnet dabei ein (vereinfacht) mächtiges Rohr an dessen Ende sich ein Rüttler befindet. Durch das Rohr werden, je nach Zustand und Beschaffenheit des Bodens, Luft oder Wasser gepumpt und unterstützen dabei den Rüttler, wenn dieser durch seine Vibrationen die Sandkörner in Schwingungen versetzt und damit die Zwischenräume zwischen den einzelnen Sandkörnern verringert. Die Folge ist das physikalische „Zusammenrutschen“ der einzelnen Sandkörner, so dass die Dichte der einzelnen Sandkörner im Volumen zunimmt. Dadurch erreicht der Boden eine größere Festigkeit. Je nach Bedarf und Bodenbeschaffenheit kann damit eine Festigkeit erreicht werden, die auch Bebauungen in dem Gebiet wieder zulässt, die vorher wegen des Stabilitätsverlustes des Bodens nicht (mehr) möglich gewesen wären (Quellen: http://www.lmbv.de/pages/pressemitteilung.php?idpage=3312; http://www.lmbv.de/componenten/download.php?filedata=1188983203.pdf&filename=broschuere_lohsa_web.pdf&mimetype=application/pdf ). Durch die Bedienung, die Wartung und die Verbringung von Lanzen und Rüttlern in den Boden partizipierte der Kläger mit seiner Arbeitskraft daher direkt an der Widernutzbarmachung des Bodens in Tagebaugebieten. Die Tätigkeit des Klägers ist dabei auch nach dem Sinn und Zweck der knappschaftlichen Versicherung als knappschaftliche Tätigkeit zu werten. Die von dem Kläger benutzten und gewarteten Geräte erreichen Eigengewichte von bis zu 500 Tonnen. Der Umgang mit diesen Geräten, regelmäßig unter freiem Himmle und den Witterungsbedingungen ohne besonderen Schutz ausgesetzt, erfordert große körperliche Anstrengungen. Auch der Zweck der knappschaftlichen Versicherung als „Berufsversicherung der Bergarbeiter“, der den besonderen Gefahren des Bergbaus und der besonderen körperlichen Anstrengung Rechnung zollen soll, wird damit erfüllt. Ungeachtet dessen hält die Kammer diese Zwecksetzung allerdings für kein geeignetes Kriterium zum Ausschluss knappschaftlicher Tätigkeiten (anders Sozialgericht Dresden aaO). Denn nach § 137 Nr. 1 und 3 SGB VI a.F. werden von dieser Versicherung auch „Mitarbeiter der Bundesknappschaft“ (Nr. 1), die keine körperlich schweren Tätigkeiten, sondern in der Regel körperlich sehr wenig anspruchsvolle sitzende Tätigkeiten verrichten und „Mitarbeiter von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen, die berufsständische Interessen des Bergbaus wahrnehmen sowie Mitarbeiter in Bergämtern, Oberbergämtern und bergmännischen Prüfstellen (Nr. 3)“, die ebenfalls zu großen Teilen alles andere als körperlich schwere Arbeiten unter erschwerten Bedingungen und unter starkem Verschleiß der Körperkraft ausführen, erfasst. Die Frage der rein körperlichen Beurteilung der Tätigkeit kann daher nicht zum „Ausschluss“ aus der knappschaftlichen Versicherung führen, wohl aber ein Indiz für das Vorliegen einer solchen darstellen, wenn die Tätigkeit, wie hier, körperlich fordernd ist. Auf die von der Beklagten aufgeworfenen Frage, ob es so etwas wie eine Differenzierung nach Tätigkeiten für die Sanierung oder in der Sanierung gibt, kommt es daher nicht an, da der Kläger tatsächlich in der Sanierung gearbeitet hat. Weiter ist es unbehelflich, wenn die Beklagte darauf hinweißt, dass auch eine andere „x-beliebige“ Handwerksfirma die Aufträge der L AG hätte ausführen können. Die Beklagte vermengt hierbei die unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Einbeziehung in die knappschaftliche Versicherung. Dies ist entweder durch die Tätigkeit für einen knappschaftlichen Betrieb möglich oder aber durch die Zuordnung der eigenen Tätigkeit zur knappschaftlichen Tätigkeit. Würde also ein Handwerker eines nicht knappschaftlichen Betriebes (wie es auch die Beigeladene ja nicht ist) trotzdem knappschaftliche Tätigkeiten ausführen, so würde das seine Versicherungspflicht in der knappschaftlichen Versicherung begründen.

Gegen die übrigen Feststellungen im Versicherungsverlauf bestehen keine rechtlichen oder tatsächlichen Bedenken.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.