Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 09.01.2014 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | OVG 3 N 91.13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 60 Abs 1 AufenthG, § 60 Abs 2 AufenthG, § 78 Abs 3 Nr 1 AsylVfG |
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. Juni 2013 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Beklagte.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) wäre erforderlich, dass eine bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich beantwortete konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.
Dies hat die Beklagte hinsichtlich der Frage nicht hinreichend substanziiert dargetan, ob es sich bei der anlässlich der Rückkehrbefragung durch die syrischen Behörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden menschenrechtswidrigen Behandlung der Wiedereinreisenden um Maßnahmen handelt, denen der Charakter (drohender) politischer Verfolgung zukommt, oder ob es den zu befürchtenden Repressionen an einer Anknüpfung an asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich geschützte Merkmale fehlt.
Die Beklagte macht zur Begründung des Zulassungsantrags geltend, den syrischen Behörden sei bekannt, dass der Auslandsaufenthalt in der weit überwiegenden Zahl der Fälle von dem Bestreben bestimmt gewesen sei, die eigenen Lebensumstände zu verbessern. Ebenso bestehe Kenntnis, dass das Betreiben eines Asylverfahrens im Regelfall auf der Grundlage der Behauptung politischer Verfolgung in Syrien erfolge. Unpolitischen Rückkehrern werde seitens der syrischen Behörden „gerade kein politisch motiviertes Interesse“ entgegengebracht. Ihre Befragung sei vielmehr „ausschließlich“ von der behördlichen Motivation bestimmt, Informationen über „Vorgänge und Gegebenheiten im früheren Gastland“ zu erlangen.
Auf welcher Erkenntnisgrundlage die Beklagte diese Annahmen - zumal mit Ausschließlichkeitscharakter - über die Einstellung des syrischen Regimes gegenüber Rückkehrern getroffen hat, erschließt sich nicht hinreichend substanziiert. Die Beklagte geht ausweislich ihres Bescheides über die Schutzgewährung nach § 60 Abs. 2 AufenthG selbst davon aus, den Klägern drohe aufgrund der in Syrien eskalierten Gewalt bei der Einreisekontrolle menschenrechtswidrige Behandlung. Woher sie ihre Kenntnis der unpolitischen Motive jener Behandlung nimmt, hätte in diesem Lichte näherer Darlegung bedurft. Aus den von ihr angeführten obergerichtlichen Entscheidungen ergibt sich dies nicht nachvollziehbar.
Sie geht auch nicht in ausreichendem Maße darauf ein, dass das Verwaltungsgericht zwei Verfolgungsgründe politischer Art gesehen hat, nämlich neben den schon erwähnten Versuchen zur Erlangung von Informationen über die Exilszene auch die Erlangung eines Geständnisses der eigenen regimefeindlichen Betätigung durch Arbeit für einen ausländischen Geheimdienst. Zu diesem Verdacht eigener politischer Aktivitäten äußert sich auch der von der Beklagten - zudem ohne Auseinandersetzung mit der ausführlichen Argumentation auf S. 14 f. des Urteilsabdrucks - in Anspruch genommene Beschluss des OVG Münster vom 9. Juli 2012 (14 A 2485/11.A, juris Rn. 15) nicht, wonach bei Maßnahmen zur Aufklärung von Verdächten für die Annahme politischer Verfolgung zumindest erforderlich sei, dass die politisch verfolgten (dritten) Personen, derentwegen die Aufklärungsmaßnahme erfolge, dem persönlichen Umfeld des Verhörten zugerechnet würden. Auch das Urteil des OVG Münster vom 14. Februar 2012 (14 A 2708/10.A, juris Rn. 50) stellt für die Schutzgewährung nach § 60 Abs. 2 AufenthG lediglich auf die Gefahr unmenschlicher Behandlung zur Abschöpfung von Kenntnissen über die syrische Exilszene ab.
Unabhängig von alledem räumt die Beklagte selbst ein, das syrische Regime habe ein politisches Interesse an Wiedereinreisenden, wenn diese im Zufluchtsland durch einen besonders öffentlichkeitswirksamen Auftritt in Erscheinung getreten seien oder besonders massive Vorwürfe gegen ihren Heimatstaat vorgebracht hätten. Hiernach lässt sich die aufgeworfene Grundsatzfrage, die keine Einschränkung hinsichtlich der exilpolitischen Betätigung enthält, nicht allgemeingültig beantworten.
Zu dem gleichen Schluss führt, dass das Verwaltungsgericht es ohne durchgreifende Rügen seitens des Zulassungsvorbringens für unwahrscheinlich gehalten hat, das syrische Regime werde bei dem zehnjährigen Kläger zu 4. mittels unmenschlicher Behandlung Erkenntnisse über die Exilszene oder eigene politische Aktivitäten gewinnen wollen. Es hat ihm mit Rücksicht darauf Schutz (nur) nach § 26 Abs. 4 AsylVfG gewährt. Demnach hängt die Beantwortung der durch die Beklagte aufgeworfenen Frage auch von dem Lebensalter des einzelnen Rückkehrers ab.
In seinem von der Beklagten in Bezug genommenen Urteil vom 14. Februar 2012 (a.a.O., Rn. 41) geht das OVG Münster davon aus, je nach den den syrischen Behörden auf Grund geheimdienstlicher Erkenntnisse bereits vorliegenden Informationen über die Exilszene und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Verhörten, relevante Kenntnis erlangt zu haben, werde die Folter eingesetzt werden, um ein restloses Auspressen aller vorhandenen Informationen zu erreichen. Auch dies scheint sich auf den konkreten Rückkehrer zu beziehen.
In dem von dem Zulassungsvorbringen beanspruchten Beschluss vom 7. Mai 2013 (14 A 1008/13.A, juris Rn. 11) äußert das OVG Münster, es gebe mangels tatsächlich vorgenommener Abschiebungen keine Referenzfälle, die Verwaltungsgerichte müssten ihre Auffassung aufgrund einer wertenden Gesamtschau aller Umstände bilden. Dass diese Wertung einheitlich erfolgen könne, erschließt sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht hinreichend deutlich.
Die von der Beklagten angeführten weiteren Feststellungen des OVG Münster in dessen Beschluss vom 5. Januar 2012 (14 A 2484/11.A, juris) verhalten sich nicht zu dem besonderen Umstand, dass Rückkehrern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrige Behandlung droht, und gehen (a.a.O., Rn. 7) noch davon aus, die Ausreise aus Syrien sei im Regelfall wirtschaftlich motiviert (was den syrischen Behörden bekannt sei, weswegen kein Anlass zu politischer Verfolgung bestehe). Diese Auffassung liegt auch dem Beschluss des OVG Münster vom 9. Juli 2012 zugrunde, der ausdrücklich (a.a.O., Rn. 7) auf die entsprechenden Feststellungen in dem Beschluss vom 5. Januar 2012 (a.a.O., Rn. 7) verweist und seinerseits von dem Beschluss des OVG Münster vom 7. Mai 2013 (a.a.O., Rn. 6) in Bezug genommen wird. Angesichts der allgemeinkundigen bürgerkriegsartigen Zustände kann mittlerweile aber nicht mehr von in der Regel lediglich wirtschaftlichen Gründen für die Ausreise aus Syrien gesprochen werden.
Soweit im Übrigen das OVG Münster in seinem von der Beklagten angeführten Beschluss vom 7. Mai 2013 (a.a.O., Rn. 11) die Annahme des OVG Magdeburg (Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris) für lebensfremd hält, der um das politische Überleben kämpfende syrische Staat habe Veranlassung und Ressourcen, alle zurückgeführten unpolitischen Asylbewerber ohne erkennbaren individuellen Grund aus den in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG genannten Gründen zu verfolgen, berücksichtigt dies nicht hinreichend, dass das Gericht - übrigens gerade mit Rücksicht auf jenen Überlebenskampf (vgl. OVG Münster, Urteil vom 14. Februar 2012, a.a.O., Rn. 41) - selbst davon ausgeht, allen Gruppenmitgliedern drohe aktuell Folter. Wenn demnach Veranlassung und Ressourcen für die Verfolgungshandlung bejaht werden, bedürfte es der Darlegung, warum der politische Überlebenskampf einen politischen Verfolgungsgrund ausschließe.
Das Urteil des VG Braunschweig vom 22. Februar 2013 (4 A 4.13) ist unter dem angegebenen Geschäftszeichen nicht in Juris veröffentlicht. Überdies erschließt sich nicht, auf welcher Erkenntnisgrundlage das Gericht - offenbar entgegen der eigenen Auffassung der Beklagten, die den Klägern Schutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG gewährt hat - davon ausgeht, die bisher übliche Befragung durch den Geheimdienst bei der Ankunft und sonstige Recherchen seien wegen der Kriegssituation nicht mehr möglich, was übrigens den obergerichtlichen Klärungsbedarf entfallen lassen würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG, § 152 Abs. 1 VwGO).