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Demokratische Republik Kongo; Visum; Kindernachzug; (kein) alleiniges Sorgerecht des Vaters; entscheidungserheblicher Zeitpunkt; Vollendung des 16. Lebensjahres; Ermessensentscheidung; (kein) Begründungserfordernis; Erforderlichkeit der Dokumentation; (kein) Ermessensfehler; (keine) besondere Härte


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 09.11.2011
Aktenzeichen OVG 3 B 11.09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 32 Abs 3 AufenthG, § 77 Abs 2 AufenthG, § 104 Abs 3 AufenthG, § 20 Abs 2 AuslG, § 20 Abs 3 S 1 AuslG, § 20 Abs 4 Nr 2 AuslG

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. September 2008 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt..

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höheleistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu seinem in Deutschland lebenden Vater.

Der am 29. Juli 1992 in Kinshasa geborene Kläger ist Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo. Seine Mutter, Frau Justine …, ist ebenfalls kongolesischer Staatsangehörigkeit. Sie war mit seinem Vater, Herrn Rafael …, nicht verheiratet. Der Vater des Klägers ist angolanischer Staatsangehöriger. Er ist im Jahre 1991 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und Inhaber einer im Dezember 2005 ausgestellten Niederlassungserlaubnis. Er ist mit einer angolanischen Staatsangehörigen verheiratet und hat vier weitere, in Deutschland geborene Kinder. Über seinen in Deutschland gestellten Einbürgerungsantrag ist noch nicht entschieden.

Der Kläger beantragte mit anwaltlichem Schreiben vom 15. August 2006 bei der Botschaft der Beklagten in Kinshasa die Familienzusammenführung in der Bundesrepublik Deutschland. Dem Antrag war u.a. die Kopie einer vom 26. Mai 2006 datierenden „Urkunde zur Übertragung des elterlichen Sorgerechts“ beigefügt, aus der sich ergibt, dass an diesem Tag vor dem Notar der Stadt K… Frau Justine … erschienen sei und erklärt habe, sie sei die Mutter des Klägers, sie habe dessen Vater, Herrn Rafael M…, wohnhaft in W…, mit der elterlichen Sorge betraut, und sie stimme freiwillig zu, ihm die elterliche Sorge für den Kläger zu übertragen.

Unter dem 12. März 2007 stellte der Kläger einen formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines Visums bei der Botschaft der Beklagten in Kinshasa. In einer daraufhin am 21. März 2007 durchgeführten Befragung erklärte er u.a., er habe seinen Vater zuletzt bei dessen Besuch im Jahre 2002 gesehen. Zu diesem Zeitpunkt habe er von seinem Vater erfahren, dass er zu ihm nach Deutschland kommen solle. Er habe bisher nicht mit seinem Vater zusammengelebt, dieser habe sich bereits vor der Geburt des Klägers nach Deutschland begeben. Den Kontakt mit seinem Vater halte er per Telefon und Internet; sie telefonierten etwa zehnmal pro Woche und sprächen dann über seine Reise nach und das Leben in Deutschland, oder er (der Kläger) bitte seinen Vater um Geld. Sein Vater schicke ihm Geld für den Schulbesuch. Bei seiner Mutter lebe er nicht gut, deren Ehemann möge ihn nicht.

Die Botschaft Kinshasa übersandte den Visumsantrag unter dem 28. März 2007 an die Beigeladene mit der Bitte um Stellungnahme. In dem Schreiben ist ausgeführt, dass der Vater des Klägers nicht allein sorgeberechtigt sei, da nach kongolesischem Familienrecht ein im Ausland lebendes Elternteil nie sorgeberechtigt sein könne. Als Rechtsgrundlage für den Nachzug komme daher nur § 32 Abs. 4 AufenthG in Frage. Die danach gebotene Ermessensausübung habe sich am Kindeswohl und der familiären Situation zu orientieren. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Kläger mittlerweile 14 Jahre alt sei und seine Sozialisation vollständig in der Demokratischen Republik Kongo stattgefunden habe. Sein Vater sei bereits vor seiner Geburt ausgereist, sei ihm also im Wesentlichen unbekannt. Der Kläger lebe bei seiner Mutter, wo es ihm nach eigenen Angaben recht gut gehe. Schulbesuch und Versorgung schienen gesichert. Zwar werde beklagt, dass der Stiefvater sich mit ihm nicht verstehe, doch seien Familien mit verschiedenen Elternteilen hier recht häufig, so dass kein Nachteil gegenüber anderen Kindern zu sehen sei. Durch die Geldzuwendungen seines Vaters sei der Kläger sogar besser gestellt als andere Jugendliche seines Alters. Andere als wirtschaftliche Vorteile seien mit der begehrten Übersiedlung nach Deutschland nicht verbunden. Diese würden durch die zu erwartenden sozialen Nachteile (Integration in den deutschen Alltag, Spracherwerb etc.) aufgewogen. Insgesamt komme die Botschaft bei der Ermessensausübung zu einem negativen Ergebnis. Die Beigeladene erklärte daraufhin mit Schreiben vom 19. April 2007, aus Gründen des Kindeswohls (spärlicher Kontakt zum Vater, fehlende Deutschkenntnisse) rege sie an, den Visumsantrag abzulehnen. Mit Bescheid der Botschaft Kinshasa vom 10. Juli 2007, das unter Hinweis auf § 77 Abs. 2 AufenthG keine Begründung enthielt, lehnte die Beklagte den Antrag auf Erteilung eines Visums ab.

Daraufhin hat der Kläger am 25. Juli 2007 Klage erhoben. Den zugleich gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 11. Oktober 2007 abgelehnt, zu dessen Begründung es im Wesentlichen ausgeführt hat, es sei nicht belegt, dass Herr M… der Vater des Antragstellers sei; zudem sei der Lebensunterhalt nicht gesichert.

Im Rahmen des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 7. November 2007 vorgetragen, nach kongolesischem Familienrecht könne das Sorgerecht nicht auf ein im Ausland lebendes Elternteil eines Kindes übertragen werden. Da diese Unmöglichkeit eine besondere Härte im Sinne des § 32 Abs. 4 AufenthG begründe, sei eine Ermessensentscheidung über den Nachzug zu treffen, bei der maßgeblich das Kindeswohl zu berücksichtigen sei. Diesem sei nach Einschätzung der Beklagten besser mit dem Verbleib des Klägers in der Demokratischen Republik Kongo gedient, wo er sein gesamtes bisheriges Leben verbracht habe. Seinen Vater habe der Kläger zuletzt im Jahr 2002 gesehen; er habe nie mit ihm zusammengelebt und sich auch nicht auf das Leben in Deutschland vorbereitet. Anhaltspunkte dafür, dass er nicht mehr - wie bisher - bei seiner Mutter leben könnte, bestünden nicht. Die Behauptung, der Ehemann seiner Mutter möge ihn nicht, reiche dafür nicht aus.

Durch DNA-Kurzgutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz vom 1. April 2008 wurde die Vaterschaft der Herrn Rafael M… zu dem Kläger für mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen erklärt. Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 24. April 2008 mit, ungeachtet dieses Gutachtens könne das Visum für den Kläger „aus den bereits schriftsätzlich vorgetragenen Punkten (keine wirksame Sorgerechtsübertragung, Kindswohlprüfung, mangelnde Sicherung des Lebensunterhalts) derzeit nicht erteilt werden“.

Mit notariell beurkundeter Erklärung vom 31. Juli 2008 (UR Nr. 585/2008 des Notars W…, Wiesbaden) erklärte der Vater des Klägers, dass er die notariell beurkundete Erklärung der Mutter vom 26. Mai 2006 über die Übertragung des elterlichen Sorgerechts für den Kläger auf ihn annehme, das Sorgerecht tatsächlich ausüben und den Kläger künftig allein vertreten werde.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 18. September 2008 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides ihrer Botschaft in Kinshasa verpflichtet, dem Kläger ein Visum zum Familiennachzug zu seinem Vater zu erteilen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe einen Anspruch aus § 6 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. §§ 27 Abs. 1, 32 Abs. 3 AufenthG auf Erteilung einer Visums zum Familiennachzug zu seinem Vater. In den notariellen Erklärungen der Mutter vom 26. Mai 2006 und des Vaters vom 31. Juli 2008 liege eine wirksame Vereinbarung des alleinigen Sorgerechts auf den Vater. Der Lebensunterhalt sei nunmehr gesichert.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer durch Beschluss des Senats vom 10. März 2009 zugelassenen Berufung. Zur Begründung trägt sie vor, der Kläger habe keinen Anspruch auf Visumserteilung, da sein Vater nicht allein personensorgeberechtigt sei. Mit den notariellen Erklärungen seiner Mutter vom 26. Mai 2006 und seines Vaters vom 31. Juli 2008 liege keine wirksame Übertragung des alleinigen Sorgerechts vor, denn hierfür sei nach kongolesischem Recht eine gerichtliche Entscheidung erforderlich. Im Übrigen sei die Annahme der Übertragungserklärung der Mutter durch den Vater erst am 31. Juli 2008 und damit zwei Tage nach Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers erfolgt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. September 2008 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Soweit sich die Beklagte auf das Fehlen einer wirksamen Sorgerechtsübertragung jedenfalls bis zur Vollendung des 16. Lebensjahrs und die Erforderlichkeit einer gerichtlichen Sorgerechtsentscheidung berufe, sei ihr Vorbringen verspätet, zumal sie (die Beklagte) noch mit Schriftsatz vom 12. September 2008 erklärt habe, sie prüfe derzeit, ob das Sorgerecht nunmehr auch aus ihrer Sicht als hinreichend geklärt angesehen werden und ein Vorschlag zur gütlichen Einigung gemacht werden könne. Im Übrigen liege eine wirksame Sorgerechtsübertragung vor. Weder im deutschen noch im kongolesischen Familienrecht sei vorgesehen, wirksame notarielle Erklärungen nochmals vom Gericht bestätigen zu lassen. Nach Art. 320 des kongolesischen Familiengesetzbuchs dürfe die Kindesmutter die Ausübung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater übertragen. Bereits die Sorgerechtserklärung der Mutter im Kongo sei also in dem Sinne wirksam gewesen, dass sie eine wirksame Sorgerechtserklärung für den Vater allein beinhaltete. Angesichts dieser wirksamen Erklärung sei unbeachtlich, dass die Sorgerechtsübertragung aufgrund der Urkunde des Notars W… zwei Tage nach Vollendung des 16. Lebensjahres erfolgt sei.

Der Kläger bezieht sich zudem auf das von ihm in Kopie vorgelegte Urteil des Friedensgerichts von K… vom 22. Mai 2009, in dem er (u.a.) heißt, auf das Ersuchen der Mutter des minderjährigen Kindes M… (des Klägers) vom 20. Mai 2009 hin, die ausführe, dass sie nach ihrer Trennung allein das Sorgerecht und die elterliche Gewalt über das Kind ausübe und dass sie beschließe, die Sorge über das Kind seinem Vater anzuvertrauen, weil sie aus finanziellen Gründen nicht mehr für dessen materielle Bedürfnisse aufkommen könne, werde die Sorge für das genannte Kind auf seinen derzeit in Deutschland wohnhaften Vater übertragen.

Ergänzend trägt der Kläger vor, er sei zwischenzeitlich von seinem Stiefvater verstoßen worden. Er lebe jetzt bei Bekannten, gehe weiterhin zur Schule und lerne Deutsch. Die familiäre Lebensgemeinschaft könne nur in Deutschland gelebt werden. Sein Vater könne nicht nach Angola einreisen; da sein Vater dort keine Verwandten mehr hätte, könne auch er selbst nicht in Angola leben. In Deutschland wäre der Arbeitgeber seines Vaters bereit, ihn nach seiner Einreise zumindest auf 400-Euro-Basis zu beschäftigen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Beigeladenen (jeweils ein Heft) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug ablehnende Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug gemäß § 32 Abs. 3 AufenthG. Nach dieser Bestimmung ist dem minderjährigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Einreise gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ein Visum - zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzen. Außerdem müssen zusätzlich die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels erfüllt sein (§§ 5, 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).

Das Nachzugsbegehren ist insoweit nicht vorrangig nach der Vorgängerregelung des § 20 Abs. 3 Satz 1 Ausländergesetz (AuslG) zu prüfen. Der Vater des im Jahr 1992 geborenen Klägers - an dessen Vaterschaft angesichts des DNA-Gutachtens vom 1. April 2008 keine Zweifel bestehen - hat sich vor dem 1. Januar 2005 rechtmäßig in Deutschland aufgehalten. Damit gilt nach § 104 Abs. 3 AufenthG hinsichtlich der personen- und familienbezogenen Nachzugsvoraussetzungen weiterhin § 20 AuslG, es sei denn, das Aufenthaltsgesetz gewährt eine günstigere Rechtsposition. Dies ist hier der Fall, da § 32 Abs. 3 AufenthG bei Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis vermittelt, während § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG den Nachzug zu einem allein sorgeberechtigten Elternteil in das Ermessen der Ausländerbehörde stellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009 - 1 C 17.08 -, juris, Rn. 9).

Die gesetzliche Altersgrenze von 16 Jahren ist eingehalten, denn zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 10) im August 2006 - wie auch bei Ausfüllung und Einreichung des Antragsformulars in der Botschaft im März 2007 - hatte der Kläger das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet. Der Vater des - inzwischen volljährigen - Klägers verfügte zudem seit (jedenfalls) Dezember 2005 über eine Niederlassungserlaubnis gemäß § 24 Abs. 4 AufenthG. Er war jedoch weder zu diesem Zeitpunkt noch bei Vollendung des 16. Lebensjahres des - nach seinen eigenen Angaben im Visums- und Klageverfahren wie auch nach den vorgelegten Geburtsurkunden und sonstigen Personalpapieren einschließlich seines befindlichen Reisepasses - am 29. Juli 1992 geborenen Klägers allein sorgeberechtigt im Sinne des § 32 Abs. 3 AufenthG.

Dass der Vater des Klägers, der bereits seit 1991, also vor der Geburt des Klägers, in Deutschland lebte, und nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten nie mit der Mutter des Klägers verheiratet war, nach dem insoweit maßgeblichen (Art. 21 EGBGB) kongolesischen Familienrecht vor dem Jahr 2006 Inhaber des alleinigen Sorgerechts für den Kläger gewesen wäre, behauptet der Kläger selbst nicht; hierfür spricht unter Berücksichtigung der einschlägigen Vorschriften des kongolesischen Familiengesetzbuchs von 1987 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht) auch nichts. Dessen Art. 317 sieht als Grundregel die gemeinschaftliche elterliche Sorge des Vaters und der Mutter für das minderjährige Kind (bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, Art. 219 Familiengesetzbuch) vor. Der Vater des Klägers hat das alleinige Sorgerecht für den Kläger auch nicht bis zur Vollendung seines 16. Lebensjahres durch Übertragung erlangt.

Nach Art. 320 des kongolesischen Familiengesetzbuchs können die Eltern des Kindes die Ausübung der elterlichen Sorge an eine volljährige und voll geschäftsfähige Person ganz oder teilweise übertragen (Abs. 1), wobei die allgemein geltenden Sach- und Formvoraussetzungen zu beachten sind (Abs. 2). Art. 325 Abs. 1 des Familiengesetzbuchs bestimmt für den Fall, dass Vater und Mutter geschieden sind oder getrennt leben, dass die elterliche Sorge von dem Elternteil ausgeübt wird, dem das Gericht die Aufsicht zugesprochen hat. Detailliertere Regelungen enthalten Art. 584 ff. des Familiengesetzbuchs für den - hier indessen nicht gegebenen - Fall der Scheidung. Art. 584 sieht vor, dass das Sorgerecht und die elterliche Gewalt über die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder vom Gericht gemäß den Art. 585 bis 589 zugesprochen werden. Nach Art. 585 Abs. 1 können Vater und Mutter bis zum Zeitpunkt des die Scheidung aussprechenden Urteils hinsichtlich des Sorgerechts über ihre minderjährigen Kinder eine Vereinbarung treffen, die dem Gericht zur Bestätigung unterbreitet wird.

Danach spricht bereits Vieles dafür, dass es nach dem Familienrecht der Demokratischen Republik Kongo für die Übertragung des Sorgerechts stets, namentlich nach Art. 325 Abs. 1 des Familiengesetzbuchs im hier vorliegenden Fall des Getrenntlebens der Eltern, einer gerichtlichen Entscheidung bedarf, die im Falle des Klägers erst durch das Urteil des Friedensgerichts von K…vom 22. Mai 2009, und damit nach Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers erfolgt ist. Ob eine Übertragung des Sorgerechts auf den Vater des Klägers auch ohne gerichtliche Entscheidung, durch übereinstimmende Erklärungen der Eltern, bewirkt werden konnte, kann dahinstehen, denn dies ist jedenfalls vor Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers nicht geschehen.

Bei der vom Kläger im Visumsverfahren vorgelegten „Urkunde zur Übertragung des elterlichen Sorgerechts“ vom 26. Mai 2006 handelt es sich nicht um eine gerichtliche Entscheidung, sondern lediglich um die notarielle Beurkundung einer Erklärung der Mutter des Klägers, sie habe den Vater „mit der elterlichen Sorge betraut“ und stimme freiwillig zu, ihm die elterliche Sorge für den Kläger zu übertragen. Unabhängig von der Frage, ob die anschließende „Ermächtigung“ der deutschen Behörden, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Klärung des Rechtsstatus des Klägers herbeizuführen, sich auf die Sorgerechtsübertragung oder andere - etwa aufenthaltsrechtliche - Fragen beziehen soll, ist der Urkunde jedenfalls nicht zu entnehmen, dass sie selbst eine Sorgerechtsübertragung bewirken sollte. Beurkundet wird allein die freiwillige Zustimmung der Kindsmutter zu einer solchen - noch zu bewirkenden - Übertragung. Die notariell beurkundete Erklärung des Vaters des Klägers, er nehme die Sorgerechtserklärung der Mutter an, ist jedoch erst am 31. Juli 2008 abgegeben worden, könnte also einen Übergang des Sorgerechts allenfalls zu diesem Zeitpunkt - zwei Tage nach Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers - bewirkt haben. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass nach den Ausführungen in dem Urteil des Friedensgericht K… vom 22. Mai 2009 zu diesem Zeitpunkt nicht nur das die Sorgerechtsübertragung aussprechende Gericht, sondern auch die Mutter des Klägers noch davon ausging, dass sie das Sorgerecht und die elterliche Gewalt über den Kläger allein ausübe.

Dem Kläger kommt auch kein Anspruch aus § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG zu. Danach kann abweichend von § 20 Abs. 2 Nr. 1 AuslG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Eltern - wie hier - nicht miteinander verheiratet sind. Auch diese Vorschrift ist über § 104 Abs. 3 AufenthG weiterhin anwendbar. Sie gewährt zwar nur einen Anspruch auf ermessenfehlerfreie Entscheidung. Dennoch ist sie gegenüber der Anspruchsregelung in § 32 Abs. 2 AufenthG hier günstiger, da sie abgesehen von der - aufgrund rechtzeitiger Antragstellung eingehaltenen - Altersgrenze von 16 Jahren (vgl. § 20 Abs. 2 Nr. 2 AuslG) von keinen weiteren Tatbestandsvoraussetzungen abhängt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, a.a.O., Rn. 24).

Bei der Ermessensentscheidung hat die Behörde die familiären Belange, namentlich das Wohl des nachzugswilligen Kindes, sachgerecht abzuwägen mit den gegenläufigen öffentlichen Interessen, insbesondere den einwanderungs- und integrationspolitischen Belangen der Bundesrepublik Deutschland. Für die Frage, welches Gewicht den familiären Belangen des Kindes und den geltend gemachten Gründen für einen Nachzug in die Bundesrepublik zukommt, ist die Lebenssituation des Kindes im Heimatland von wesentlicher Bedeutung. Zur maßgeblichen Lebenssituation gehört u.a., ob ein Elternteil im Heimatland lebt, inwieweit das Kind seine soziale Prägung im Heimatland erfahren hat, inwieweit das Kind noch auf Betreuung und Erziehung angewiesen ist, wer das Kind im Heimatland betreut hat und dort weiter betreuen kann und wer das Sorgerecht für das Kind hat. Bedeutsam ist vor allem auch das Alter des Kindes. Für Kinder, die 14 oder 15 Jahre alt sind, hat die elterliche Betreuung typischerweise nicht mehr das gleiche Gewicht wie für jüngere Kinder. Auch integrationspolitisch ist das Alter relevant: Je jünger die Kinder bei ihrem Nachzug sind, desto eher wird eine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse gelingen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 1997 - 1 C 22.96 -, juris, Rn. 24). Bei der gerichtlichen Überprüfung des Ermessens ist vorliegend die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers zugrundezulegen, später eintretende Sachverhaltsänderungen zu Gunsten des Betroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, a.a.O., Rn. 37).

Danach unterliegt die Entscheidung der Beklagten, die Visumserteilung abzulehnen, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar enthält das Schreiben der Botschaft Kinshasa vom 10. Juli 2007, mit dem der Visumsantrag des Klägers abgelehnt wurde, keine Ausführungen zu Ermessenserwägungen. Dies war aber auch nicht erforderlich. Die in § 39 VwVfG geregelte Pflicht, einen schriftlichen Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen, die bei Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen soll, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (§ 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG), gilt nach § 2 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG nicht unmittelbarfür die Vertretungen des Bundes im Ausland. Spezialgesetzlich regelt § 77 Abs. 2 AufenthG, dass die Versagung eines Visums keiner Begründung bedarf. In einem solchen Fall der Entbehrlichkeit der Begründung bedarf es indessen einer sonstigen Dokumentation der Ermessenserwägungen, mit der sich nachvollziehen lässt, dass überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, und welche Erwägungen ihr zu Grunde lagen. Diese Anforderungen sind erfüllt. Aus dem beim Visumsvorgang der Beklagten befindlichen, dem Prozessbevollmächtigten des Klägers im verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Wege der Akteneinsicht zugänglich gemachten Schreiben der Botschaft Kinshasa vom 28. März 2007 an die Beigeladene ergibt sich, dass die Botschaft ihr Ermessen ausgeübt und sich dabei an Gesichtspunkten des Kindeswohls und der familiären Situation orientiert hat. Keinen rechtlichen Bedenken unterliegt es, dass die Botschaft ihr Ermessen nicht unter Zugrundelegung des § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG, sondern des § 32 Abs. 4 AufenthG angestellt hat, denn nach beiden Vorschriften sind bei der Ermessensausübung die Gesichtspunkte des Kindeswohls und der familiären Situation maßgeblich zu berücksichtigen. Da die Botschaft ausweislich ihres Schreibens (ausdrücklich) eine Ermessensentscheidung getroffen hat, kommt es auch nicht darauf an, dass § 32 Abs. 4 AufenthG - anders als § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG - die Erforderlichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Vermeidung einer besonderen Härte als Tatbestandsvoraussetzung normiert. Die Entscheidung gegen die Erteilung des begehrten Visums lässt auch im Übrigen keine Ermessensfehler (§ 114 S. 1 VwGO) erkennen. Sie ist darauf gestützt, dass der Kläger bereits 14 Jahre alt sei, seine bisherige Sozialisation vollständig in der Demokratischen Republik Kongo stattgefunden habe, sein Vater bereits vor seiner Geburt ausgereist sei und der Kläger ihn nie als Bezugsperson erlebt habe, und dass andererseits der Kläger bislang bei seiner Mutter lebe, wo es ihm nach eigenen Angaben trotz der beklagten Differenzen mit dem Stiefvater recht gut gehe, und - auch dank der finanziellen Unterstützung durch den Vater - Schulbesuch und Versorgung gesichert seien. Diese - im Schriftsatz der Beklagten vom 7. November 2007 wiederholten - Erwägungen berücksichtigen die für die Ermessensausübung wesentlichen Gesichtspunkte; die hierauf gestützte Einschätzung der Beklagten, dass dem Kindeswohl durch einen Verbleib in der Heimat besser gedient sei als mit der Übersiedlung nach Deutschland, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere bestanden - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres - keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass er nicht mehr - wie bisher - bei seiner Mutter leben könne. Die Angabe des Klägers in seiner Befragung durch die Botschaft im März 2007, er lebe dort nicht gut, weil deren Ehemann ihn nicht möge, ist insoweit wenig aussagekräftig und lässt, wie die Beklagte zutreffend festgestellt hat, diesen Schluss nicht zu. Soweit der Kläger (erstmals) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat behauptet hat, er sei von seinem Stiefvater verstoßen worden, ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass die Mutter des Klägers dem von ihm vorgelegten friedensgerichtlichen Urteil zufolge als Grund für die von ihr am 20. Mai 2009 beantragte Sorgerechtsübertragung nicht etwa familiäre Probleme, sondern fehlende finanzielle Mittel genannt hat.

Der Kläger vermag sein Nachzugsbegehren auch nicht auf § 20 Abs. 4 Nr. 2 AuslG zu stützen. Danach kann dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es auf Grund der Umstände des Einzelfalls zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist (§ 20 Abs. 4 Nr. 2 AuslG). Insoweit enthält das Aufenthaltsgesetz keine günstigere Regelung, denn § 32 Abs. 4 AufenthG macht die Ermessensentscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von den gleichen materiellrechtlichen Voraussetzungen abhängig wie § 20 Abs. 4 Nr. 2 AuslG. § 20 Abs. 4 AuslG kommt hier gegenüber der Ermessensregelung des § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AuslG auch eine eigenständige Bedeutung zu, da die Vorschrift auch für minderjährige Kinder nach Vollendung des 16. Lebensjahrs gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, a.a.O., Rn. 27). Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung ist die Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. April 2009, a.a.O., Rn. 37).

Eine besondere Härte im Sinne des § 20 Abs. 4 Nr. 2 AuslG liegt im Zeitpunkt des Erreichens der Volljährigkeit des Klägers nicht vor. Danach ist zu prüfen, ob nach den Gegebenheiten des Einzelfalls das Interesse des minderjährigen Kindes und des im Bundesgebiet lebenden Elternteils an einem Zusammenleben im Bundesgebiet deswegen vorrangig ist, weil sich die Lebensumstände wesentlich geändert haben, die das Verbleiben des Kindes im Heimatland bisher ermöglichten, und weil dem Elternteil eine Rückkehr in das Heimatland gegenwärtig nicht zumutbar ist. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob nur der im Bundesgebiet wohnende Elternteil zur Betreuung des Kindes in der Lage ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 1994 - 1 B 181.93 -, juris, Rn. 3). Gemessen an diesen Maßstäben ist auch in Ansehung der nunmehr behaupteten Verstoßung des Klägers durch den Stiefvater nicht von einer besonderen Härte auszugehen, weil angesichts seines fortgeschrittenen Alters von über 16 Jahren der Notwendigkeit einer Betreuung durch andere Personen kein durchgreifendes Gewicht beizumessen ist und besondere Gründe in seiner Person selbst, die eine entsprechende Bedürftigkeit nahelegten, nicht ersichtlich sind. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung selbst vorgetragen, dieser lebe jetzt bei einem Freund und gehe weiterhin zur Schule, für die sein Vater das Schulgeld bezahle. Angesichts der so dokumentierten Fähigkeit des Klägers, ein - mit finanzieller Hilfe seines Vaters - eigenständiges Leben zu führen, vermag auch der Umstand, dass sein Vater weder in die Demokratische Republik Kongo übersiedeln noch nach Angola zurückkehren kann, keine besondere Härte zu begründen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.