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Antrag auf Zulassung der Berufung; Ordnungsverfügung; von einem Haus herabfallende Steine, lose Dachziegel; drohende Gefahr; Zustandsstörer; Eigentum; Erbbaurecht; Erbbauberechtigter


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 27.09.2012
Aktenzeichen OVG 1 N 8.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 17 OBG BB, § 17 VwV OBG, § 946 BGB, § 94 BGB, § 12 ErbbauV, § 8 Abs 2 S 3 KAG BB, § 12 Abs 3 Nr 3 EnteigG BB

Leitsatz

Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren, die von einem Gebäude ausgehen, das auf einem mit einem Erbbaurecht belasteten Grundstück steht, sind nicht gegen den Eigentümer des Grundstücks, sondern gegen den Erbbauberechtigten als Zustandsstörer gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Ordnungsbehördengesetz des Landes Brandenburg zu richten.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 29. November 2011 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 3.793,60 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Ordnungsverfügung vom 25. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Januar 2008 (richtig: 2009) zu Recht abgewiesen, mit der die Beklagte den Kläger unter Androhung der Ersatzvornahme aufgefordert hatte, die losen Dachziegel und losen Steine der Fensterbänke von dem in seinem Erbbaurecht stehenden Haus zu entfernen. Die dagegen gerichteten Einwendungen des Zulassungsvorbringens begründen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

1. Die Beklagte durfte den Kläger als Zustandsstörer zur Beseitigung der durch herabfallende Ziegel und Steine hervorgerufenen Gefahr anhalten, weil die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren, die von einer Sache ausgehen, gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (Ordnungsbehördengesetz - OBG -) vorrangig gegen den Eigentümer zu richten sind. Wer Eigentümer einer Sache ist, richtet sich nach den Vorschriften des Zivilrechts (vgl. auch Ziff. 17.1 Satz 2 der aufgrund von § 48 OBG erlassenen Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Ordnungsbehördengesetzes - VwV OBG -). Richtiger Adressat einer ordnungsrechtlichen Verfügung zur Beseitigung der von einem Gebäude ausgehenden Gefahr, das auf einem mit einem Erbbaurecht belasteten Grundstück steht, ist hiernach nicht der Eigentümer des Grundstücks, sondern der Erbbauberechtigte (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. November 2008 - 7 A 103/08 -, juris Rn. 43; einschränkend für den Fall, dass der Erbbauberechtigte nicht zugleich Inhaber der tatsächlichen Gewalt über die störende Sache ist: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Mai 1997 - 8 S 272/97 -, juris Rn. 18 ff.); denn das auf einem solchen Grundstück befindliche Bauwerk gilt gemäß § 12 Abs. 1 und 2 Erbbaurechtsgesetz (ErbbauRG) als wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts und nicht des Grundstücks, so dass der Erbbauberechtigte in entsprechender Anwendung von §§ 946, 94 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit§ 11 Abs. 1Satz 1 ErbbauRG Eigentümer des Bauwerks ist (Näheres bei Rapp in: Staudinger, BGB-Kommentar, 2009, ErbbauRG, Rn. 2, 7 und 10 ff.). Da das zu sichernde Gebäude hiernach im Eigentum des unbestritten erbbauberechtigten Klägers steht, hat dieser aufgrund seiner sich aus dem Eigentum ergebenden Verkehrssicherungspflicht dafür zu sorgen, dass von dem Bauwerk keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.

Dem kann der Kläger nicht überzeugend entgegenhalten, dass Ziff. 17.1 Satz 2 VwV OBG nicht auf das Erbbaurechtsgesetz, sondern auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches verweise, denn dazu zählen jedenfalls in materiell-rechtlicher Hinsicht auch die ursprünglich in §§ 1012–1017 BGB geregelten, dann in der Verordnung über das Erbbaurecht vom 15. Januar 1919 und mittlerweile umfassend im Erbbaurechtsgesetz enthaltenen und hier maßgeblichen Regelungen des § 12 ErbbauRG (zur geschichtlichen Entwicklung vgl. Rapp, in: Staudinger, a.a.O., ErbbauRG, Einleitung Rn. 3 und 5; von Oefele in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage, 2009, Anhang nach § 1011, Vorbemerkung Rn. 1 ff., jeweils m.w.Nachw.; a.A. wohl VGH Baden-Württemberg, a.a.O. Rn. 19).

Ob der Erbbauberechtigte dem Grundstückseigentümer in allen (anderen) Belangen gleichzustellen ist, wie der Kläger bezweifelt, ist hier nicht zu entscheiden. Entscheidend ist vielmehr, dass seine Verantwortlichkeit als Zustandsstörer auch nicht aufgrund der von der Zulassungsbegründung herangezogenen landesrechtlichen Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg (KAG) und des Enteignungsgesetzes des Landes Brandenburg (EntGBbg) in Frage gestellt wird. Dies ist nicht der Fall, denn der brandenburgische Landesgesetzgeber sieht den Erbbauberechtigten auch in anderer Hinsicht als sachnäheren Verantwortlichen bzw. Betroffenen an, ohne dass es einer Klarstellung in § 17 Abs. 1 Satz 1 OBG bedurft hätte. So wird der Erbbauberechtigte anstelle des Grundstückseigentümers bei der Erhebung von Beiträgen gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 KAG in Anspruch genommen, was insofern mit der hier mit Blick auf § 17 Abs. 1 Satz 1 OBG getroffenen Wertung übereinstimmt. Ein Wertungswiderspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass der (nach dem Enteignungsgesetz grundsätzlich entschädigungsberechtigte) Erbbauberechtigte in der Überschrift zu § 12 Abs. 3 Nr. 3 EntGBbg als Nebenberechtigter bezeichnet wird. Soweit der VGH Baden-Württemberg dem dortigen Landesgesetzgeber trotz eines vom Gericht nicht festzustellenden eindeutigen Willens (vgl. das zitierte Urteil, a.a.O. Rn. 21) unterstellt, er hätte die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit des Erbbauberechtigten bei der Polizeirechtsnovelle im Jahr 1992, wenn er dies denn gewollt hätte, ausdrücklich im Gesetz festschreiben müssen, so kann dies für § 17 Abs. 1Satz 1 OBG wegen des eindeutig auf das Eigentum an der gefahrträchtigen Sache abstellenden und für die Gesetzesauslegung vorrangigen Wortlauts nicht angenommen werden. Ob die Rechtsausführungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg im Übrigen nur für den dort zugrunde liegenden Sachverhalt gelten sollen, bei dem die Gefahr - anders als hier - (wohl) von dem Grundstück ausging, kann dahinstehen.

Der Kläger hat ferner die das Urteil zudem tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage gestellt, dass er auch als Inhaber der tatsächlichen Gewalt nach § 17 Abs. 2 Satz 1 OBG anzusehen und auch unter diesem Aspekt als Zustandsstörer hätte in Anspruch genommen werden können. Dass er sich die Hausschlüssel hätte besorgen und sich folglich ungehindert Zugang zu seinem Haus hätte verschaffen können, ist nicht streitig. Entscheidend für seine Inanspruchnahme als Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft (vgl. dazu auch Ziff. 17.2 Satz 2 VwV OBG) ist, dass er wegen seines Eigentumsrechts am Haus und weil ihm - soweit ersichtlich - niemand anderes die tatsächliche Sachherrschaft streitig machte, darauf jederzeit Zugriff nehmen und die Gefahr hätte beseitigen können. Dass er sich weigerte, die Hausschlüssel zu übernehmen, entlässt ihn nicht aus der Verantwortung für den Zustand seines Hauses, wie ein Vergleich mit § 17 Abs. 3 OBG zeigt, wonach ordnungsrechtliche Maßnahmen im Interesse effektiver Gefahrenabwehr auch gegen denjenigen gerichtet werden können, der das Eigentum an der Sache aufgegeben hat. Diese nachwirkende Verantwortlichkeit für den Zustand einer Sache im Fall der Dereliktion muss erst recht gelten, wenn sich der Eigentümer lediglich weigert, die ihm zustehende Sachherrschaft auszuüben.

2. Der Kläger hat schließlich nicht dargelegt (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage dann, wenn für die Entscheidung des vorinstanzlichen Gerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint (st.Rspr. des BVerwG, vgl. nur Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 -, BVerwGE 13, 90 [91 f.] und juris). Daran fehlt es vorliegend bereits deshalb, weil die aufgeworfene Frage, ob der Erbbauberechtigte Zustandsstörer im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 OBG ist, auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens anhand der eindeutigen Gesetzeslage ohne weiteres im Zulassungsverfahren beantwortet werden kann. Einen weitergehenden Klärungsbedarf zeigt der Kläger nicht auf. Abgesehen davon hängt der Ausgang des Rechtsstreits nicht allein von der Beantwortung dieser Frage ab, die folglich nicht entscheidungserheblich ist, weil die Ordnungsbehörde den Kläger auch als Inhaber der tatsächlichen Gewalt hätte in Anspruch nehmen können.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).