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Rentenwert (Ost) - Rentenwert (West) - UN-Recht - UNO-Recht - Sozialpakt - europäisches Recht - EU-Recht - EG-Recht - Diskriminierungsverbot - Anwendungsvorrang - direkte Geltung einer Richtlinie der europäischen Union


Metadaten

Gericht SG Cottbus 5. Kammer Entscheidungsdatum 23.07.2014
Aktenzeichen S 5 R 11/14 ECLI
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen § 254b SGB 6, § 254d SGB 6, § 255a SGB 6, § 256a SGB 6, § 33c SGB 1, Art 3 GG, Art 16 EGRL 43/2000, Art 9 WiSoKuPakt, Art 10.3 WiSoKuPakt

Leitsatz

Die Berechnung einer Rente nach dem Rentenwert Ost statt dem Rentenwert West verstößt weder gegen Verfassungsrecht noch gegen europäisches Recht noch gegen UN-Recht (Sozialpakt).

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, im Überprüfungswege, über die Berechnung der Rentenhöhe des Klägers, insbesondere die Anwendbarkeit der §§ 254b, 254d, 255a, 256a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI).

Der 1952 geborene Kläger ist deutscher Staatsbürger und erhält von der Beklagten Regelaltersrente für schwerbehinderte Menschen (Bescheid vom 8. Juni 2012) und erhielt Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (Bescheid vom 23. Mai 2011). Er beantragte gegenüber der Beklagten die Überprüfung dieser Bescheide hinsichtlich der Rentenhöhe. Er war der Auffassung, dass den Berechnungen Entgeltpunkte West statt Entgeltpunkte Ost zu Grunde gelegt werden müssten. Mit Bescheid vom 28. Februar 2013 lehnte die Beklagte eine Änderung der Rentenhöhen ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2013 zurückgewiesen.

Mit seiner am 9. Januar 2014 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel auf die Zugrundelegung von Entgeltpunkten West statt Ost weiter. Er ist der Auffassung, dass §§ 254b, 254d, 255a, 256a SGB VI sowohl gegen UN- als auch gegen EU- als auch gegen Verfassungsrecht verstießen.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2013 und unter Abänderung der Bescheide vom 23. Mai 2011 und 8. Juni 2012 zu verurteilen, dem Kläger Rente nach Westniveau zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig.

Die Beteiligten sind zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid, unter weiterer Fristsetzung, angehört worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand sowie dem Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen, wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, welche Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

I.

Die Kammer kann gemäß § 105 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt hinreichend geklärt ist und die Beteiligten dazu angehört wurden.

Die Klage ist zulässig aber nicht begründet. Der angegriffene Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da dem Kläger kein Anspruch auf Rente nach Westniveau zusteht und damit auch nicht auf Abänderung der Bescheide vom 23. Mai 2011 und 8. Juni 2012.

II.

Die Beklagte wendet die §§ 254b, 254d, 255a, 256a SGB VI einfachgesetzlich zutreffend an. Die entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt, dies steht unter den Beteiligten nicht im Streit. Im Streit steht die Anwendbarkeit (Wirksamkeit) der §§ 254b, 254d, 255a, 256a SGB VI.

1.

Ein Verstoß gegen § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) liegt nicht vor. § 33c SGB I verbietet nicht die Anwendung geltenden Rechts. § 33c und §§ 254b, 254d, 255a, 256a SGB VI stehen gleichberechtigt nebeneinander. § 33c SGB I verbietet die Ungleichbehandlung bei der Inanspruchnahme von sozialen Rechten. Nach §§ 254b, 254d, 255a, 256a SGB VI ist der Rentenversicherungsträger jedoch ebenfalls gesetzlich gezwungen die Berechnung der Rente nach dem Rentenwert Ost (sofern, wie hier, hierfür die Voraussetzungen vorliegen). Der Rentenversicherungsträger darf wegen Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz §§ 254b, 254d, 255a, 256a SGB VI nicht außer Anwendung lassen. Nach § 33c SGB I wäre er dann verpflichtet bei der Erfüllung der sozialen Rechte eine Diskriminierung zu vermeiden. Da Artikel 3 GG ein weitergehendes Diskriminierungsverbot enthält als § 33c SGB I (vgl. Mrozynski SGB I, 4. Aufl. § 33c Rn 3 (a.E.)) kann im „Erst-Recht-Schluss“ gefolgert werden, dass, wenn kein Verstoß gegen Artikel 3 GG vorliegt auch kein Verstoß gegen § 33c SGB I vorliegt. Ein Verstoß gegen Artikel 3 GG ist hier nicht erkennbar. Die Kammer schließt sich insofern der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (B 4 RA 41/04 R) an. Das Gericht ist ferner an geltendes Recht gebunden. Das Verwerfungsmonopol bezüglich eines nachkonstitutionellen, formellen Gesetzes steht alleine dem Bundesverfassungsgericht zu (vgl. Jarass/Pieroth Grundgesetz (GG) Art. 100 Rn 1f.). Die Fachgerichte hingegen, wozu auch das erkennende Gericht gehört, haben nur die Möglichkeit einen Vorlagebeschluss nach Art. 100 GG zu fassen. Notwendig ist hierbei die Überzeugung des Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der streitbehafteten Norm. Bloße Zweifel, oder Unsicherheiten bei der Anwendung reichen nicht aus (vgl. hierzu BVerfGE 78, 104[117]; 80, 54 [59]; 86, 52 [57]. Das Gericht kann hier weder den Ausführungen des Klägers zur Unvereinbarkeit der §§ 254b, 254d, 255a, 256a SGB VI mit Artikel 3 Grundgesetz folgen, noch ist das Gericht von der Verfassungswidrigkeit der §§ 254b, 254d, 255a, 256a SGB VI überzeugt.

2.

Es liegt auch kein Verstoß gegen Artikel 16 der Richtlinie 2000/43/EG vor. Einen direkten Anspruch aus einer Richtlinie gibt es nur in begründeten Ausnahmefällen. Voraussetzung hierfür wäre unter anderem, dass die Richtlinie nicht in innerstaatliches Recht übertragen wurde. Die RL 2000/43/EG wurde durch das AGG im Allgemeinen und durch § 33c SGB I für das Sozialrecht in bundesdeutsches Recht inkorporiert. Der Gesetzgeber hat die RL 2000/43/EG ausreichend inkorporiert (vgl. Mrozynski aaO Rn 2f.), so dass die Herleitung eines direkten Anspruches aus der Richtlinie hieran scheitert.

3.

Es liegt schließlich auch kein Verstoß gegen Artikel 9 und 10.3 des UNO-Paktes vom 16. Dezember 1966 (sog. Sozialpakt) vor. Zutreffend sind die Ausführungen des Bevollmächtigten des Klägers, dass der sog. Sozialpakt in Deutschland geltendes Recht ist und im Rang eines formellen Bundesgesetzes steht. Bezüglich der Anwendbarkeit von §§ 254b, 254d, 255a, 256a SGB VI unter Beachtung des „Sozialpaktes“ ergibt sich das gleiche Gleichrangprinzip wie bei § 33c SGB I (vgl. Oben). Einen Vorrang des Sozialpaktes gegenüber §§ 254b, 254d, 255a, 256a SGB VI kann sicher daher nur ergeben, wenn ein Verstoß gegen Artikel 3 GG oder anderes „höherwertiges“ Recht vorläge, da der Sozialpakt und §§ 254b, 254d, 255a, 256a SGB VI als formelle Bundesgesetze gleichrangig sind. Einen Verstoß gegen Artikel 3 GG kann die Kammer aber, wie bereits ausgeführt, nicht erkennen, so dass auch unter Beachtung des Sozialpaktes kein Anspruch des Klägers gegeben ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.