Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 22.11.2010 | |
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Aktenzeichen | OVG 9 S 29.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 Abs 7 VwGO, § 133 Abs 3 S 1 BauGB |
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 24. März 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde hat der Antragsgegner zu tragen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 33.628,82 EUR festgesetzt.
I.
Der Antragsgegner ist Bürgermeister einer brandenburgischen Gemeinde, die ein Gewerbegebiet durch eine Erschließungsträgerin erschließen ließ. Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen war wegen des Erschließungsvertrages zwischen Gemeinde und Erschließungsträgerin zunächst nicht geplant. Dies änderte sich, nachdem sich der Erschließungsvertrag als nichtig erwiesen und die Erschließungsträgerin die Erstattung ihrer Erschließungsaufwendungen durch die Gemeinde gefordert hatte. Seither beabsichtigt der Antragsgegner die Erhebung von Erschließungsbeiträgen, um die Aufwendungen zu decken, die der Gemeinde aus der Erstattungspflicht gegenüber der Erschließungsträgerin erwachsen.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines Grundstücks in dem Gewerbegebiet. Mit Bescheid vom 3. Januar 2008 zog der Antragsgegner sie zu einer Vorausleistung auf den geplanten Erschließungsbeitrag heran. Die Höhe der Vorausleistung berechnete er auf der Grundlage der Erstattungsforderung der Erschließungsträgerin, gegen die sich die Gemeinde allerdings ihrerseits zur Wehr setzte.
Die Antragstellerin erhob Widerspruch gegen den Vorausleistungsbescheid und beantragte beim Verwaltungsgericht zunächst erfolglos die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs. Seinen diesbezüglichen Beschluss hat das Verwaltungsgericht indessen mit Beschluss vom 24. März 2010 von Amts wegen abgeändert und dem Eilantrag der Antragstellerin teilweise stattgegeben, nachdem es zuvor eine (Teil-)klage der Erschließungsträgerin in Bezug auf deren Erstattungsforderung (mit einem noch nicht rechtskräftigen Urteil) abgewiesen hatte. Da sich der zu erwartende Erstattungs- gleich Erschließungsaufwand der Gemeinde durch das Urteil verringert habe, müsse auch die geforderte Vorausleistung reduziert werden. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.
II.
Die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist beschwerdefähig. Mit ihrer gegenteiligen Auffassung übersieht die Antragstellerin, dass sich der Antragsgegner dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht unter Abänderung seines Beschlusses vom 13. August 2008 vorläufigen Rechtsschutz zum Teil gewährt hat, während die von ihr zitierte Rechtsprechung die Frage betrifft, ob eine in einem Abänderungsverfahren getroffene Entscheidung des Gerichts, seinen Beschluss nicht von Amts wegen zu ändern, im Beschwerdeweg überprüft werden kann (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Februar 1995 – Bs VII 2.95 -, Juris Rn. 13 ff.; OVG Münster, Beschlüsse vom 1. August 2006 – 18 B 510.06 -, Juris Rn. 5 und vom 4. Dezember 2001 – 18 B 287.01 -, Juris Rn. 3 f. m. w. Nachw.; siehe ferner Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., Rn. 1197; Redeker, NVwZ 1991, 526, 528).
Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO nur im Rahmen der fristgerechten Darlegungen des Beschwerdeführers entscheidet, ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Beschluss hält einer auf das Vorbringen des Antragsgegners bezogenen Überprüfung stand.
Der Einwand des Antragsgegners, eine Abänderung gem. § 80 Abs. 7 VwGO verlange stets eine - vorliegend angeblich fehlende - Änderung der Sach- und Rechtslage, überzeugt nicht. Die Kammer hat „aus Anlass des geäußerten Änderungsinteresses der Antragstellerin von Amts wegen ihre Änderungsbefugnis nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO“ wahrgenommen (S. 2 BA). Der insoweit missverständliche Tenor des angefochtenen Beschlusses berührt die verfahrensrechtliche Grundlage, die der Abänderung des Ausgangsbeschlusses zugrundeliegt, nicht. Die Änderung von Amts wegen steht im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichts, das nach den gleichen Grundsätzen auszuüben ist, wie sie für das Verfahren bezüglich der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO maßgebend sind (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. Juli 1994 - BVerwG 4 VR 1.94 -, Juris Rn. 14 m. w. Nachw., VGH Mannheim, Beschluss vom 8. November 1995 - 13 S 494.95 -, NVwZ-RR 1996, 603, 604; OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Februar 1995 - Bs VII 2.95 -, Juris Rn. 14; enger OVG Münster, Beschluss vom 4. Februar 1999 - 11 B 74.99 -, NVwZ 1999, 894 f.; OVG Greifswald, Beschluss vom 18. November 2004 - 1 M 287.04 -, NVwZ-RR 2006, 365, 367).
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Kammer danach die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Vorausleistungsbescheid vom 3. Januar 2008 teilweise angeordnet hat. Die Rüge der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe dabei den für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheides maßgeblichen Zeitpunkt verkannt, trägt nicht. Auch überzeugt der Einwand nicht, es könne nicht richtig sein, für die Bewertung der Rechtmäßigkeit eines Vorausleistungsbescheides einen über Jahre hinweg offenen Ausgang eines Klageverfahrens gegen Kostenpositionen abwarten zu müssen. Es kann ferner keine Rede davon sein, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu einer laufenden Aktualisierung der Vorausleistungsbescheide mittels wechselnder Kostenberechnungen führen muss und entsprechende neue Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Folge hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheides ist der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung. Ist - wie hier - über einen Widerspruch gegen einen Vorausleistungsbescheid noch nicht entschieden und daher das ihm zugrundeliegende Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen, steht die maßgebliche letzte behördliche Verfügung noch aus. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, das - wie vorliegend - die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Vorausleistungsbescheid betrifft, ist daher zu berücksichtigen, ob eine ursprünglich sachgerechte Schätzung des voraussichtlich entstehenden Aufwands infolge einer bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens eingetretenen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse überholt ist und der Anforderung der Vorausleistung nicht mehr zugrunde gelegt werden darf (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl., § 21 Rn. 34 m. w. Nachw.). Dass die Vorausleistungspflicht nicht bereits kraft Gesetzes, sondern erst mit Erlass des Vorausleistungsbescheides begründet wird, ist entgegen der sinngemäßen Auffassung des Antragsgegners insoweit nicht erheblich. Vielmehr lässt der Umstand, dass die Vorausleistungspflicht erst mit Erlass eines Vorausleistungsbescheides und nicht kraft Gesetzes entsteht, gerade Raum dafür, späteren Änderungen Rechnung zu tragen.
Der Antragsgegner kann sich auch nicht mit Erfolg auf die geltend gemachte Schätzungsbefugnis und den mit ihm einhergehenden Schätzungsspielraum berufen. Zwar kommt es für die Rechtmäßigkeit der Vorausleistung nur auf die sachgerechte Schätzungsgrundlage an. Das bedeutet aber nicht, dass alle späteren Änderungen insoweit unbeachtlich sind. Haben sich bis zum Abschluss eines Widerspruchsverfahrens die einer Schätzung zugrundeliegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse derart geändert, dass die ursprüngliche Schätzung nunmehr in einem deutlichen Missverhältnis zu den tatsächlich zu erwartenden Kosten steht, hat die Gemeinde dem Rechnung zu tragen (vgl. Driehaus, a. a. O.), da gem. § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB Vorausleistungen nur bis zur Höhe des voraussichtlich endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden können. Danach ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigt hat, dass der Antragsgegner nach dem Urteil der Kammer vom 16. Februar 2010 (7 K 2381/04) der Erschließungsgesellschaft wesentlich geringere Aufwendungspositionen zu erstatten hat, so dass ihr ein gegenüber ihrer ursprünglichen Kalkulation verringerter beitragsfähiger Aufwand entstanden sein wird. Dass der Betrag von 218.346,46 Euro, den die Antragstellerin nach der ursprünglichen Kalkulation als Vorausleistung zu erbringen hatte, in einem deutlichen Missverhältnis zu den nach der unbestrittenen Berechnung des Verwaltungsgerichts tatsächlich zu erwartenden Kosten von lediglich 83.831,16 Euro steht, bedarf keiner Begründung. Aus dem in diesem Zusammenhang geltend gemachten Einwand des Antragsgegners, das Urteil vom 16. Februar 2010 sei nicht rechtskräftig, ergibt sich nichts zu seinen Gunsten. Zum einen betrifft die Vorausleistung gem. § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB den voraussichtlich endgültigen Erschließungsbeitrag. Zum anderen verteidigt der Antragsgegner das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 16. Februar 2010 in dem insoweit anhängigen Berufungszulassungsverfahren zu OVG 10 N 33.10.
Soweit der Antragsgegner sich darauf stützt, dass die angefochtene Entscheidung im Widerspruch zu den Beschlüssen des Senats in den Verfahren OVG 9 S 1.09, OVG 9 S 2.09 und OVG 9 S 3.09 stehe, weil der Senat dort die Vorausleistungsbescheide auch in Hinblick auf die Höhe der geforderten Beiträge einer summarischen Prüfung unterzogen und im Ergebnis keine ernstlichen Zweifel an deren Rechtmäßigkeit gehabt habe, ergibt sich auch daraus nichts zu seinen Gunsten. Der Senat hatte in den zitierten Verfahren über die dortigen Beschwerden gem. § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO nur im Rahmen der fristgerechten Darlegungen der Beschwerdeführer zu entscheiden und insoweit auch noch den eingeschränkten Prüfungsrahmen des Eilverfahrens zu beachten. Soweit sich die Prüfungspunkte der damaligen Senatsentscheidungen überhaupt mit denen des Verwaltungsgerichts im Urteil vom 16. Februar 2010 decken, liegt auf der Hand, dass die Kammer im Hauptsacheverfahren durchaus zu anderen Ergebnissen kommen konnte; dass sie insoweit falsch läge, behauptet der Antragsgegner – wie schon gesagt – selbst nicht.
Die Rüge des Antragsgegners schließlich, das Verwaltungsgericht habe „so lange mit einer Entscheidung zugewartet, bis ein vermeintlich – neuer – Fehler gefunden zu sein schien, um sodann einen für den Antragsgegner negativen Beschluss verfassen zu können“ hat keinen Bezug zum Inhalt der angefochtenen Entscheidung und liegt neben der Sache.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).