Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 15.12.2011 | |
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Aktenzeichen | L 3 U 147/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 56 SGB 7 |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2009 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
I.
Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen einer anerkannten Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) – durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können – (BK 4301).
Der 1966 geborene Kläger war seit 1983 als Bäcker beschäftigt. Im Jahr 2001 trat erstmals Arbeitsunfähigkeit wegen akuter Sinusitis und akuter Bronchitis ein. Nach einer erneuten annähernd drei Monate andauernden Arbeitsunfähigkeit wegen einer Bronchitis und chronischen Rhinitis im Jahr 2003 informierte die vom Kläger im Herbst 2003 wegen Hauterscheinungen aufgesuchte Hautärztin Dr. R die Beklagte im Oktober 2003, dass beim Kläger eine Rhinitis allergica bestehe und die von ihr durchgeführten Testungen eine Mehlstauballergie ergeben hätten. Ab dem 04. November 2003 war der Kläger wegen verschiedener Erkrankungen, u. a. Hauterscheinungen, Hypertonie, Hausstaubmilbenallergie und Asthma bronchiale bis zum 15. November 2004 und dann vom 03. Februar bis zum 02. März 2005 wegen einer anderen akuten Infektion der oberen Atemwege sowie einer Dermatitis arbeitsunfähig. Ab dem 16. November 2004 absolvierte der Kläger eine von der Beklagten als Leistung zur Teilhabe gewährte Qualifikation zur Werkschutzfachkraft.
Die Beklagte holte zunächst Behandlungsberichte von dem Internisten Dr. H vom 13. November 2003 und der Hals-Nasen-Ohrenärztin Dr. K vom 12. November 2003 nebst einem Entlassungsbericht des Bkrankenhauses B vom Juli 2003 (Diagnosen: chronische Sinusitis maxillaris, chronische Sinusitis ethmoidalis, chronisches Asthma bronchiale, essentieller Hypertonus) ein, des Weiteren zog sie ein Vorerkrankungsverzeichnis der IKK Brandenburg und Berlin vom 24. November 2003 bei.
Im Auftrag der Beklagten erstellte der Internist und Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. S am 08. März 2004 ein fachärztliches Gutachten über den Kläger (Untersuchungen am 19. und 20. Februar 2004), in dem er zu dem Schluss gelangte, bei dem Kläger bestehe eine BK 4301. Seit Beendigung der Berufstätigkeit vor drei bis vier Monaten liege Beschwerdefreiheit vor ohne ständige Medikationspflichtigkeit. Die kardiopulmonale Untersuchung habe keine krankheitswertigen Befunde ergeben. Eine unspezifische Hyperreaktivität könne ebenso ausgeschlossen werden wie eine belastungsinduzierte Gasaustauschstörung. Unabhängig von den beruflich verursachten Gesundheitsstörungen lägen ein arterieller Hypertonus, ein Zustand nach Leistenbruchoperation sowie ein leichtes Übergewicht mit leichter Hypercholesterinämie vor. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei angesichts der Beschwerdefreiheit nicht anzusetzen. Mit Bericht vom 14. Oktober 2004 teilte Dr. R der Beklagten mit, seit Tätigkeitsaufgabe seien die Hauterscheinungen abgeheilt. Asthmatische Beschwerden träten nur noch im Frühjahr und bei feuchter Witterung auf.
Mit Bescheid vom 03. Dezember 2004 erkannte die Beklagte bei dem Kläger eine BK 4301 an. Als Folgen der BK wurden „berufsbedingtes Asthma bronchiale und allergische Rhinitis, bei nachgewiesener Sensibilisierung gegenüber Mehlen“ anerkannt. Ein Anspruch auf Verletztenrente wurde abgelehnt. In seinem Widerspruch trug der Kläger unter anderem vor, er benötige eine ständige Medikation. Die Beklagte zog daraufhin von Dr. H die Ergebnisse aktueller Lungenfunktionstests vom 02. November 2004 bei. Nachdem der beratende Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. L in einer Stellungnahme vom 11. April 2005 ausführte, die aktuellen Werte entsprächen einer leichtgradigen Obstruktion, die jedoch erst nach der Berufsaufgabe entstanden und daher nicht Folge der BK sei, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2005 zurück.
Im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Berlin (SG) ist zunächst die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen und Auszüge hieraus zur Gerichtsakte genommen worden. Ferner hat das SG ein Vorerkrankungsverzeichnis der IKK Brandenburg und Berlin vom 24. August 2005 sowie Befundbericht des Dr. H vom 29. August 2005, der Frau Dr. K vom 08. September 2005 sowie der Frau Dr. R vom 13. September 2005 eingeholt. Der Kläger hat noch weitere Lungenfunktionsbefunde des Dr. H vom 21. März 2003 und 13. November 2003 zu den Akten gereicht.
Anschließend hat das SG Beweis erhoben und ein pneumologisch-allergologisches Gutachten von Prof. Dr. P eingeholt. In dem im Mai 2006 aufgrund von Untersuchungen des Klägers am 22. und 30. März 2006 fertig gestellten Gutachten ist dieser zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger bestehe ein gemischtförmiges, mäßig schweres Asthma bronchiale. Der funktionsanalytische Befund hierzu weise neben einer Obstruktion eine mäßige Restriktion auf. Der letztgenannte Befund stehe in keinem erkennbaren ursächlichen Zusammenhang mit dem Asthma bronchiale und lasse sich nicht auf eine zusätzliche strukturelle Lungenerkrankung zurückführen, sondern sei am ehesten durch mangelnde Mitarbeit sowie das deutliche Übergewicht begründet. Das Asthma bronchiale weise neben einer berufsbedingten Komponente (Mehlstauballergie) eine deutliche nicht-allergische Komponente auf. Neben den beruflichen Allergenen ergäben sich Hinweise für weitere allergische Zusammenhänge i. S. e. Graspollenallergie wie auch Tierallergie (Pferd). Die unspezifische (nicht-allergische) Komponente komme in dem weitgehend unveränderten klinischen Verlauf nach Eliminierung der beruflichen Allergene und Karenzmaßnahmen hinsichtlich weiterer Allergene zum Ausdruck. Sie äußere sich in der Empfindlichkeit gegen witterungsbedingte und anderweitige bronchiale Irritationen. Gemessen am Belastungsverhalten, den klinischen Angaben und den objektiven Einschränkungen der Lungenfunktion sei dem Asthma bronchiale nach den Kriterien der deutschen Asthmaliga und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie eine MdE von 30 v. H. zuzuordnen.
Die Beklagte hat das Gutachten insbesondere wegen der auf der Grundlage der Maßgaben des „Reichenhaller Merkblattes“ unzureichenden Einschätzung der MdE kritisiert und hierzu Stellungnahmen des Dr. L vom 24. Juli 2006 und vom 17. November 2006 sowie von Dr. S vom 30. Juni 2006 vorgelegt.
In einer vom SG veranlassten ergänzenden Stellungnahme vom 20. September 2007 hat Prof. Dr. P in Erwiderung auf die Kritik der Beklagten die MdE nunmehr auf unter 20 v. H. eingeschätzt.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 27. März 2009 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die beim Kläger als Folge der BK anerkannten Gesundheitsstörungen allergische Rhinitis und allergisches Asthma bronchiale bedingten keine MdE von wenigstens 20 v. H. Es hat seine Auffassung auf das Gutachten des Dr. S vom 08. März 2004 sowie dessen von der Beklagten im Klageverfahren eingereichte gutachterliche Stellungnahme vom 30. Juni 2006 und die Ausführungen des Dr. L gestützt. Deren Einschätzung sei zuletzt durch Prof. Dr. P in dessen ergänzender Stellungnahme vom 20. September 2007 zugestimmt worden. Soweit dieser in seinem Gutachten vom Mai 2006 eine MdE von 30 v. H. angenommen habe, könne dies schon deshalb nicht überzeugen, weil dieser Befund nur durch eine massive Verschlechterung der Atemwegsfunktion, beginnend ca. ein Jahr nach der Aufgabe der Tätigkeit als Bäcker und der damit verbundenen Mehlstaubexposition zu erklären sei, die nicht mehr der beruflichen Exposition zugerechnet werden könne. Die beruflich bedingte Atemwegserkrankung habe sich nämlich zunächst nach dem Ende der beruflichen Mehlstaubexposition deutlich zurückgebildet, so dass bereits bei der Untersuchung zum Gutachten von Dr. S vom 08. März 2004 ohne spezifische Provokation durch Mehlstäube keine klinischen Befunde der Atemwege von Krankheitswert mehr zu erheben gewesen seien. Eine Obstruktion habe damit ausgeschlossen werden können, während eine allenfalls festzustellende, aber auch fragliche leichtgradige restriktive Ventilationsstörung einer BK 4301, die nur obstruktive Amtwegserkrankungen erfasse, nicht zugerechnet werden könne. Im Übrigen hätten sowohl die den Kläger behandelnde Hautärztin Dr. Runter dem 14. Oktober 2004 als auch die Internistin Dr. A in einem für das Versorgungsamt erstellten Gutachten vom 18. Juli 2004 ausgeführt, dass das Asthma bronchiale nach dem Ende der Mehlstaubexposition abgeklungen sei und keine Obstruktion bestehe (Dr. A) bzw. der Kläger nur noch im Frühjahr bzw. bei feuchter Witterung unter asthmatischen Beschwerden leide (Dr. R). Letzteres dürfte eindeutig nicht auf berufliche Atemwegsbelastungen zurückzuführen, sondern Ausfluss der vielfältigen außerberuflichen Sensibilisierungen insbesondere gegenüber Pollen sein. Seien aber das Asthmaleiden des Klägers und auch seine Rhinitis nach dem Ende der beruflichen Mehlstaubexposition im November 2003 ohne weitere relevante funktionelle Einschränkungen der Atmwege praktisch vollständig abgeklungen, könne die erst wesentlich später, nämlich erstmals im November 2004 dokumentierte Verschlechterung nicht mehr auf die berufliche Exposition zurückgeführt werden.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren fort. Er trägt u. a. vor, entgegen den Ausführungen des Dr. S in seinem Gutachten vom 08. März 2004 sei er damals nicht beschwerdefrei gewesen. Es sei durchgehend zumindest gelegentlich zu Asthmaanfällen gekommen, die witterungsabhängig und stark unterschiedlich ausgeprägt gewesen seien. Auch sei die Obstruktion entgegen der Auffassung des Dr. S und des SG berufsbedingt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 03. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2005 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der BK Nr. 4301 der Anlage 1 zur BKV Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von wenigstens 20 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat zunächst Befundberichte von Frau Dr. K vom 26. August 2009, von Frau Dr. R vom 11. August 2009 sowie von Dr. H vom 31. August 2009 eingeholt.
Daran anschließend hat der Senat den Arzt für Innere Medizin – Lungen- und Bronchialheilkunde - Prof. Dr. P mit der Untersuchung des Klägers und Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In dem nach einer Untersuchung des Klägers am 04. Juni 2010 erstellten Gutachten vom 19. August 2010 ist dieser zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger bestünden ein Mehlstaub-Asthma sowie eine durch Mehlstaub bedingte chronische Sinusitis und Rhinitis. Die unter Allergenkarenz und Pausierung der antiasthmatischen Medikation durchgeführten Lungenfunktionsuntersuchungen zeigten – wie bei den Voruntersuchungen – eine leichtgradige restriktive Ventilationsstörung, aber keine dem Asthma zuzuordnende obstruktive Ventilationsstörung. In der Spiroergometrie sei die kardiopulmonale Leistungsfähigkeit geringgradig eingeschränkt bei leichtgradiger ventilatorischer Limitation. Ursache sei am ehesten ein Trainingsmangel. Nach den Empfehlungen des „Reichenhaller Merkblattes“ sei keine relevante MdE gegeben, da unter Allergenkarenz auch ohne antiasthmatische Therapie keine obstruktive Ventilationsstörung nachweisbar sei und keine wesentliche Einschränkung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit bestehe. Die von Prof. Dr. P erhobenen Befunde ergäben zwar eine leichtgradige Restriktion, jedoch keine ob-struktive Ventilationsstörung. Dem Gutachten ist ein radiologisches Zusatzgutachten des Prof. Dr. A vom 21. Juni 2010 beigefügt worden.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat außerdem den Arzt für Innere Medizin, Pneumologie, Allergologie und Infektiologie Prof. Dr. L mit der Untersuchung des Klägers und Erstellung eines Gutachtens betraut. In seinem am 20. Januar 2011 nach einer Untersuchung des Klägers am 07. und 09. Dezember 2010 fertig gestellten Gutachten hat dieser ausgeführt, bei der jetzigen klinischen Untersuchung habe sich insbesondere über der Lunge kein krankhafter Befund ergeben und lediglich in der Lungenfunktion eine leichte gemischtförmige restriktiv-obstruktive Ventilationsstörung gefunden. Die geringe Obstruktion habe mittels eines inhalativen ß-II-Sympathikomimetikums komplett beseitigt werden können und habe ausschließlich die kleinen Atemwege betroffen. Die nachgewiesene leichte, voll reversible obstruktive Ventilationsstörung ausschließlich der kleinen, peripheren Atemwege trete offensichtlich periodisch auf und sei nur gering ausgeprägt. Sie entspreche letztlich einer ganz milden Form des Asthma bronchiale, wobei ursächlich drei Faktoren bedeutsam sein könnten: bronchiale Hyperreagiblität, bronchiale Inflammation und allergische Disposition. Eine bronchiale Hyperreagibilität sei mehrfach ausgeschlossen worden. Eine allergische Sensibilisierung bestehe gegenüber den Berufsallergenen und in geringem Umfang auch gegenüber Gräsern. Bei Allergenkarenz seien von dem Kläger keine Beschwerden mehr angegeben worden, außerdem werde in der typischen Pollenflugzeit nicht über vermehrte Beschwerden geklagt. Daher sei die allergische Komponente zu vernachlässigen. Ursache für die sehr geringe Obstruktion könnte die Adipositas des Klägers sein. Zu beachten sei auch, dass bei der ersten gutachterlichen Beurteilung durch Dr. S im März 2004 keine obstruktive Ventilationsstörung bestanden habe. Die jetzt nachgewiesenen geringen Veränderungen könnten demnach nicht mehr mit der beruflichen Exposition zusammenhängen. Auf der Grundlage der Kriterien des „Reichenhaller Merkblattes“ (Anamnese, Klinik, Lungenfunktion, Belastungsuntersuchung und Therapie) bestehe hier eindeutig eine MdE von unter 20 v. H.
Auf die Kritik des Klägers hin hat der Senat zum einen eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. L vom 31. Mai 2011 eingeholt, in der dieser darauf hinweist, die Einschätzung der MdE auf 30 v. H. durch Prof. Dr. P in seinem Gutachten vom Mai 2006 sei nicht zutreffend. Damals habe tatsächlich keine Obstruktion bestanden. Nach den Maßstäben des „Reichenhaller Merkblattes“ lasse sich – wie von ihm ausführlich in seinem Gutachten vom 20. Januar 2011 aufgezeigt - eine MdE von 20 v. H. gerade nicht begründen. Zum anderen hat der Senat eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. P vom 05. September 2011 zur Frage der MdE-Einschätzung auf der Grundlage des „Reichenhaller Merkblattes“ eingeholt. Darin verweist dieser darauf, dass er bereits in seiner Stellungnahme vom 20. September 2007 seine MdE-Einschätzung revidiert habe.
Der Kläger vertritt daraufhin die Auffassung, die bei ihm weiterhin bestehende chronische Sinusitis sei nicht genügend berücksichtigt worden.
Mit Schreiben vom 01. Juli 2011, 02. November 2011 und 06. Dezember 2011 ist den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung des Senats durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG gegeben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, denn er hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Die Berufung des Klägers ist zulässig aber unbegründet. Zutreffend hat das SG entschieden, dass der Bescheid der Beklagten vom 03. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2005 nicht zu beanstanden ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen der bei ihm anerkannten BK 4301.
Nach § 56 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Nach § 56 Abs. 1 S. 2 SGB VII besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert ist und die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen. Nach § 56 Abs. 1 S. 3 SGB VII sind die Folgen eines Versicherungsfalls nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).
Die Bemessung des Grades der MdE im Rahmen des § 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist eine Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und im einschlägigen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze (vgl. Urteile des BSG vom 18. März 2003 – B 2 U 31/02 R – in Breithaupt 2003, 565; vom 02. November 1999 – B 2 U 49/98 R – in SozR 3-2200 § 581 Nr. 6) trifft. Diese sind für die Entscheidung im Einzelfall zwar nicht bindend. Sie bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis. Im Hinblick auf eine Gleichbehandlung aller Versicherter sind dabei insbesondere auch von Medizinern und Juristen entwickelte Begutachtungsempfehlungen und Konsenspapiere heranzuziehen, für die hier relevante Erkrankung ist dies das sog. „Reichenhaller Merkblatt“, Begutachtungsempfehlungen für die BKen der Nrn. 1315 (ohne Alveolitis), 4301 und 4302 der Anlage zur BKV, herausgegeben vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften und mittlerweile in der Auflage April 2006 erschienen. Darin wurden aktuellste medizinische Erkenntnisse verarbeitet, insbesondere vollzog sich gegenüber der Vorauflage insofern ein Paradigmenwechsel, als nunmehr hinsichtlich der MdE-Bewertung nicht ausschließlich auf aktuell feststellbare Funktionseinschränkungen abgestellt wird. Eine tabellarische Übersicht zur MdE-Bewertung findet sich im „Reichenhaller Merkblatt“ auf Seite 44 unter 6.2.2.
Die erste Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente - das Vorliegen eines Versicherungsfalls, hier: einer BK 4301 - ist erfüllt und von der Beklagten auch anerkannt. Mit Bescheid vom 03. Dezember 2004 hat die Beklagte insoweit bestandskräftig festgestellt, dass bei dem Kläger eine solche BK - durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können – vorliegt mit den Folgen „berufsbedingtes Asthma bronchiale und allergische Rhinitis, bei nachgewiesener Sensibilisierung gegenüber Mehlen“.
Diese anerkannten Folgen der BK bedingen nach dem Ergebnis der medizinischen Beweiserhebung im Verwaltungs- sowie im gerichtlichen Verfahren, insbesondere den Gutachten des Dr. S vom 08. März 2004, des Prof. Dr. P vom Mai 2006 einschließlich seiner ergänzenden Stellungnahmen vom 20. September 2007 und 05. September 2011 sowie des Prof. Dr. P vom 19. August 2010 einschließlich eines radiologischen Zusatzgutachtens des Prof. Dr. A vom 21. Juni 2010, keine MdE von wenigstens 20 v. H.
Nach übereinstimmender Auffassung der Sachverständigen leidet der Kläger unter einem Mehlstaub-Asthma und einer durch Mehlstaub bedingten chronischen Sinusitis sowie Rhinitis. Jedoch war unter Allergenkarenz weder bei Dr. S im Februar 2004) noch bei Prof. Dr. P im März 2006 bzw. Prof. Dr. P im Juni 2010 eine Obstruktion feststellbar. Soweit Prof. Dr. P davon ausgeht, die von ihm veranlasste Lungenfunktionsuntersuchung vom 22. März 2006 zeige eine Obstruktion, so sind dem alle anderen Sachverständigen entgegen getreten. Lediglich die Lungenfunktionsuntersuchung vom 02. November 2004 durch den behandelnden Arzt und die wesentlich später durchgeführte Lungenfunktionsuntersuchungen durch Prof. Dr. L vom 07. und 09. Dezember 2010 zeigten eine geringe Obstruktion, die zuletzt mittels Bronchospasmolyse komplett reversibel war und vorwiegend die kleinen Atemwege betraf.
Darüber hinaus war bei dem Kläger weder eine bronchiale Hyperreagibilität noch eine relevante kardiopulmonale Leistungseinschränkung feststellbar. Auch die Blutgasanalyse ergab keine pathologischen Werte. Hauterscheinungen liegen seit langer Zeit nicht mehr vor.
Bei der Untersuchung durch Dr. S am 19. Februar 2004 berichtete der Kläger über Wohlbefinden, d. h. freie Nasenatmung, keine Kurzatmigkeit und keine ekzematösen Hauterscheinungen. An Medikamenten nahm er in Bezug auf den Hypertonus einen ACE-Hemmer, einen Kalziumantagonisten sowie Entwässerungstabletten ein. Gegen das Asthma verwendete er Symbicort bei Bedarf (Kurzatmigkeit).
Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. P am 22. März 2006 gab der Kläger an, weder unter Husten noch unter Auswurf zu leiden. Im Vordergrund der Beschwerden stehe eine deutliche Belastungsdyspnoe und gelegentliche Ruhedyspnoe mit starker Witterungsabhängigkeit im Sinne einer Verstärkung durch feuchtwarme Luft. An Medikamenten nahm der Kläger in Bezug auf den Hypertonus einen ACE-Hemmer, ein Entwässerungsmittel und einen Kalziumantagonisten ein. In Bezug auf das Asthma fand lediglich eine Bedarfsmedikation mit einem kurz wirksamen Beta2-Agonisten statt.
Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. P am 04. Juni 2010 schilderte der Kläger nach wie vor eine Belastungsdyspnoe verbunden mit Hustenattacken bei stärkerer körperlicher Anstrengung oder emotionaler Belastung sowie eine Verschlechterung bei feuchter Umgebungsluft. Auswurf, Fieber, Thoraxschmerzen oder nächtliche Beschwerden wurden verneint. An Medikamenten gegen den Hypertonus nahm der Kläger einen ACE-Hemmer sowie ein Entwässerungsmittel, darüber hinaus in Bezug auf die Lungenerkrankung Allergospasmin 1/Tag sowie 1x bei Bedarf.
Maßgebliche Parameter zur Ermittlung der Höhe der MdE sind die anamnestischen Angaben, die klinischen Befunde, die Lungenfunktionsdaten, die Ergebnisse dermaler und inhalativer Tests sowie von Belastungsuntersuchungen und die gegebenenfalls notwenige Therapie (vgl. hierzu Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. A. 2010, Anm. 17.13.14 S. 1071 sowie Nr. 6.2.1 Seite 40 ff. des „Reichenhaller Merkblatts“). Unter Zugrundelegung dieser Parameter ist bei dem Kläger anhand der oben genannten konkreten Befunde und anamnestischen Angaben allenfalls eine MdE von 10 v. H. gerechtfertigt (vgl. hierzu die Tabelle auf S. 44 des „Reichenhaller Merkblatts“).
Die beim Kläger bestehende restriktive Störung fließt nicht in die MdE-Bewertung mit ein, da sie nicht BK-Folge ist. Von der BK 4301 werden lediglich obstruktive Atemwegserkrankungen erfasst.
Soweit Prof. Dr. P in seinem Gutachten vom Mai 2006 zunächst eine MdE von 30 v. H. veranschlagt hat, ist er von dieser Einschätzung in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 20. September 2007 und 05. September 2011 abgerückt.
Auch der vom Kläger benannte Sachverständige Prof. Dr. L kommt in seinem Gutachten vom 20. Januar 2011 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 31. Mai 2011 zu keiner anderen Beurteilung. Vielmehr schließt er sich mit deutlichen Worten der Beurteilung der Vorgutachter an.
Soweit der Kläger letztlich meint, seine aus der Sinusitis resultierenden Beschwerden seien nicht hinreichend berücksichtigt worden, so ist dem entgegen zu halten, dass alle vom Kläger gegenüber den Sachverständigen geäußerten und nachvollziehbaren Beschwerden gewürdigt worden sind. Welche konkreten weitergehenden – unberücksichtigten – Beschwerden der Kläger hier meint, bleibt unklar.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.