Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 05.03.2013 | |
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Aktenzeichen | L 1 KR 155/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 109 SGG |
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin begehrt Krankengeld für die Zeit vom 14. März 2008 bis zum 30. Juni 2008.
Sie ist 1955 geboren und ist als Sachbearbeiterin beim L beschäftigt. Sie ist Mitglied der Beklagten.
Sie war ab 04. Oktober 2007 arbeitsunfähig. Seit 15. November 2007 erhielt sie von der Beklagten Krankengeld.
Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Z teilte der Beklagten auf Nachfrage mit, Arbeitsunfähigkeit bestehe aufgrund Cholezystektomie (Z. nach Gallensteinentfernung) sowie seit 29. Oktober 2007 wegen Nüchternschmerz und Dyspepsie (Verdauungsstörung) mit pankreatischer Reizung. Auf weitere Anfrage teilte sie unter dem 10. Dezember 2007 mit, die Klägerin leide zusätzlich an Spondylolyse L5S1 sowie seit 07. Dezember 2007 an einer Herpesvirusinfektion mit Gastroenteritis. In der weiteren Stellungnahme vom 01. Februar 2008 gab sie die Diagnosen K80.20 (Gallenblasenstein) sowie seit 15. November 2007 M54.5 (Kreuzschmerz) sowie Anpassungsstörung und Somatisierung, sowie ab 31. Januar 2008 Herpesvirusinfektion mit gastrointensitaler Beteiligung.
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) stellte am 07. Februar 2008 eine „Rückinformation für den behandelnden Arzt aus“, wonach es keine konkrete Befunddokumentation mit Belegen für eine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit vorlägen. Die Fachärztin für Neurologie P bescheinigte daraufhin Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Diagnosen F32.9 (depressive Störung), F45.9 (psychosomatische Störung) und 40.1 (soziale Phobie). Als Maßnahme sei eine Psychotherapie angezeigt.
Der Facharzt für Neurologie/Psychiatrie des MDK MR V untersuchte daraufhin die Klägerin am 27. Februar 2008 und gelangte zu den Diagnosen F34.1 (Dysthymie) sowie F45.9 und F60.7 (abhängige [asthenische] Persönlichkeitsstörung). Als Sozialanamnese enthält die Stellungnahme die Angaben: „Schreibarbeiten am PC, Betriebsklima schlecht, (…). Während der Arbeitsbefreiung habe die große Direktorin sie nur runter gemacht. Man suche inzwischen im Betrieb Ersatz für sie.“ Bei der Klägerin bestehe eine multiple Somatisierung auf dem Boden einer nachgewiesenen organischen abdominellen Symptomatik. Ein akuter organischer Prozess abdominal sei zur Zeit nicht belegt. Die Wirbelsäulensymptomatik bedürfe zeitweiliger Therapie, schließe jedoch eine Tätigkeit am Schreibtisch in wechselnden Körperhaltungen nicht aus. Die Klägerin sei arbeitsfähig. Auch eine Gefährdung/Minderung der Erwerbsfähigkeit nach § 51 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) liege nicht vor. Die Klägerin sei mit dem Begutachtungsergebnis nicht einverstanden.
Diese widersprach mit Schreiben vom 27. Februar 2008 einer Gesundschreibung zum 01. März 2008. Die Untersuchung habe nicht einmal eine halbe Stunde gedauert. Der Gutachter könne nicht behaupten, dass sie ein nervöser und unruhiger Typ sei. Ihr sei es in dem Gespräch vorrangig um ihre Gallenoperation und deren Folgen und die Rückenprobleme gegangen. Ihrem Mann sei die Anwesenheit während der Untersuchung verwehrt worden.
Die Fachärztin P wiederholte unter dem 28. Februar 2008 die Diagnosen F32.9 und F45.9 sowie einer bestechenden Arbeitsunfähigkeit. Der MDK gab am 03. März 2008 eine weitere Stellungnahme ab. Die Fachärztin für Neurologie habe keine spezifischen Befunde mitgeteilt.
Mit förmlichem Bescheid vom 05. März 2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Krankengeldzahlung zum 29. Februar 2008 geendet habe. Am 06. März 2008 bestätigte der MDK in einer weiteren Stellungnahme sein Ergebnis.
Gegen die Ablehnung erhob die Klägerin am 10. März 2008 Widerspruch. Die Beklagte sei auf ihr Vorbringen nicht eingegangen. Die Personalabteilung ihres Arbeitgebers habe ihr geraten, auf alle Fälle nicht arbeiten zu gehen, wenn sie nicht hundertprozentig fit sei. Mündlich teilte die Klägerin am 12. März 2008 der Beklagten mit, sie sei nicht in der Lage, wieder bei ihrem Arbeitgeber zu arbeiten. Sie könne sich nicht konzentrieren, keinen klaren Gedanken fassen und fühle sich überfordert. Ausschlaggebend seien die Belastungen in der Familie. Ihre Eltern seien vor einigen Monaten verstorben, ihr Ehemann seit längerer Zeit ebenfalls arbeitsunfähig als Folge einer schweren Kopfverletzung nach Fahrradsturz. Auch ihr Sohn habe vor kurzem einen Verkehrsunfall gehabe. Sie könne nicht schlafen und habe Schlafmittel verordnet bekommen.
Die Fachärztin P bescheinigte unter dem 10. März 2008 Arbeitsunfähigkeit wegen F32.9. Ab 17. April 2008 könne die Klägerin voraussichtlich vier Stunden täglich nach dem Hamburger Modell arbeiten.
Aufgrund des Teilabhilfebescheids vom 13. März 2008 der Beklagten sollte die Krankengeldzahlung erst mit dem 13. März 2008 enden.
Mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14. April 2008 bescheinigte die Neurologin P eine voraussichtliche Arbeitsunfähigkeit noch bis 27. April 2008 (Diagnosen F32.9 G, 40.1 G).
Sie verordnete unter dem 28. April 2008 Maßnahmen zur stufenweisen Widereingliederung in das Erwerbsleben (Widereingliederungsplan) für die Zeit vom 07. Mai 2008 bis 05. Juni 2008 (vier Stunden täglich, maximal zwei Stunden Computertätigkeit). Sie verlängerte das Attest unter dem 29. Mai 2008 für die Zeit vom 06. Juni 2008 bis 30. Juni 2008.
Die Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell wurde in der Zeit vom 07. Mai 2008 bis zum 30. Juni 2008 durchgeführt.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2008 zurück. Aufgrund der Untersuchung durch den MDK und dessen Zweitbegutachtungen sei davon auszugehen, dass die Klägerin ungeachtet ihrer Beschwerdesymptomatik als Sachbearbeiterin beim L tätig sein könne.
Hiergegen hat die Klägerin am 15. Juli 2008 Klage beim Sozialgericht Cottbus (SG) erhoben.
Sie hat vorgetragen, auf ihren persönlichen Wunsch sei sie zum 01. Juli 2008 gesund geschrieben worden, um einen vergüteten Urlaubsanspruch über mehrere Wochen in Anspruch nehmen zu können.
Das SG hat Befundberichte eingeholt. Der Facharzt für Orthopädie Dr. K teilte mit, für die Monate März bis Juni 2008 die Diagnosen eines thorakalen vertebragenen Schmerzsyndroms bei akuter Blockierung der BWS gestellt zu haben. Seinerseits seien keine Angaben zur Arbeitsunfähigkeit möglich. Die Fachärztin P schrieb, in den genannten Monaten die Diagnosen F32.9 und G43.9 gestellt zu haben (Untersuchungstage: 07. April, 14. April, 16. April und 13. Mai 2008, danach erst wieder am 19. Februar 2009). Arbeitsunfähigkeit habe zwischen den 11. Februar 2008 bis zum 06. Mai 2008 wegen F32.9 und F40.1 bestanden. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Z teilte im Befundbericht vom 19. Februar 2010 mit, in den genannten Monaten eine bleibende somatoforme Schmerzstörung nach Cholezystektomie (10/07) mit rezidivierenden Reizgastritiden und pankreatischen Störungen sowie eine Vertiefung der depressiven Haltung mit Anpassungsstörungen in Beruf und Alltag festgestellt zu haben. Arbeitsunfähigkeit in dieser Zeit habe sie nicht attestiert.
Die Beklagte hat unter anderem darauf hingewiesen, dass die Neurologin P weder im März 2008 noch in ihrem Befundbericht vom 22. April 2009 begründet habe, warum sie von den Feststellungen des MDK abweiche. Sie habe insbesondere entgegen § 7 Nr. 2 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien der Spitzenverbände der Krankenkasse kein Zweitgutachten beantragt.
Mit Beweisanordnung vom 29. Juli 2010 hat das SG den Psychologen und Facharzt für Allgemeinmedizin B mit der Erstellung eines allgemeinmedizinisch-psychotherapeutischen Sachverständigengutachtens nach Aktenlage beauftragt. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 11. August 2010 zum Ergebnis, dass die Klägerin in den Monaten März bis Juni 2008 ohne auf Kosten der Gesundheit mit näher definierten Einschränkungen zur körperlichen Belastung ohne Zeitdruck und mit durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein täglich acht Stunden arbeiten konnte, insbesondere auch eine Tätigkeit mit häufigem Publikumsverkehr ausüben konnte. Zum seelischen Beschwerdebild hat er ausgeführt, bei einem Schweregrad der seelischen Störung, der einen arbeitsunfähigen Krankenstand rechtfertige, wäre eine fachspezifische psychiatrische oder psychotherapeutische und auch eine angemessene medikamentöse Versorgung zu erwarten gewesen. Diese habe nicht stattgefunden. Eine psychotherapeutische Behandlung im Sinne einer Richtlinientherapie sei den Unterlagen nicht zu entnehmen. Behandelt worden sei die Klägerin mit Nervenkapseln, diese enthielten Baldrian und hätten auf depressive Störungen keinerlei Wirkung. Soweit nachts Mirtazepin 15 mg verschrieben worden sei, sei diese Dosierung nicht annähernd antidepressiv wirksam.
Die Klägerin hat gegen dieses Gutachten eingewendet, der Gutachter habe sich nur unzureichend mit ihrer depressiven Störung beschäftigt. Mit dem Antidepressivum Mirtazepin sei die Klägerin sowohl von der Haus- wie der Fachärztin versorgt worden. Seit Dezember 2007 erfolge eine psychotherapeutische Behandlung. Sie hat beantragt, ein Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei der Fachärztin für Neurologie P einzuholen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 13. April 2011 abgewiesen und den Antrag nach § 109 SGG abgelehnt. Von Arbeitsunfähigkeit sei aufgrund des Gutachtens des MDKs vom 27. Februar 2008 und den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht auszugehen. Der Antrag nach § 109 SGG sei verspätet gestellt worden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Dem Antrag nach § 109 SGG hätte nachgegangen werden müssen. Ihre geistige und psychische Belastbarkeit habe im streitgegenständlichen Zeitraum für ihre Arbeit als Sachbearbeiterin mit exakter Bearbeitung, häufigem Publikumsverkehr und dem Erfordernis, sich kurzfristig auf neue Situationen und Wünsche der Kunden und ihrer Eigenarten einzustellen, nicht ausgereicht.
Mit Schreiben vom 07. September 2011 hat der Senat die Klägerin darauf hingewiesen, dass eine Begutachtung durch einen Behandler wohl weniger dienlich sein dürfte, da die erforderliche Neutralität regelmäßig fehle. Die Klägerin hat dazu die Auffassung vertreten, alleine die behandelnde Ärztin sei in der Lage, eine sachgerechte Einschätzung des damaligen Gesundheitszustandes abgeben zu können.
Mit Beweisanordnung vom 22. März 2012 hat der Senat die Fachärztin für Neurologie P mit einem schriftlichen Sachverständigengutachten nach § 109 SGG beauftragt. Diese hat daraufhin zunächst geschrieben, als neutrale Sachverständige das Gutachten nicht erstellen zu können, da die Klägerin bis heute ihre Patientin sei. Die Klägerin hat daraufhin erklärt, es solle bei der Beauftragung bleiben.
In Gutachten vom 19. Juni 2012 hat die Sachverständige mitgeteilt, bei der Klägerin die Diagnosen depressive Störung, soziale Phobie, psychosomatische Störung sowie Migräne-Kopfschmerzen diagnostiziert zu haben. Sie habe die Klägerin in der Zeit krank geschrieben, allerdings habe sie bei ihr eine stufenweise Widereingliederung beantragt.
Die Klägerin hat gebeten, die Sachverständige zur Ergänzung ihres Gutachtens aufzufordern, da sie ihren Begutachtungsauftrag nicht hinreichend nachgekommen sei.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. April 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05. März 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juni 2008 zu verurteilen, auch für die Zeit vom 14. März 2008 bis 30. Juni 2008 Krankengeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es konnte im schriftlichen Verfahren durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entschieden werden. Die Beteiligten sind hierauf mit Hinweisschreiben vom 20. August 2012 sowie vom 01. November 2012 hingewiesen worden.
Der Berufung muss Erfolg versagt bleiben. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das SG hat die Klage mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung bloßer Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird,
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig mache. Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte seine zuletzt ausgeübte Erwerbstätigkeit oder eine ähnlich geartete Tätigkeit nicht mehr oder nur auf die Gefahr hin, seinen Zustand zu verschlimmern, verrichten kann. Die Beweislast für das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit trifft auch beim Vorliegen einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Versicherten.
Hier kann nicht – wie dies erforderlich wäre– zweifelsfrei von Arbeitsunfähigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum ausgegangen werden. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie des MDK hat die Klägerin zeitnah untersucht.
Auch die Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen B deckt sich mit dem Ergebnis der MDK-Begutachtungen. Dass die Klägerin in dieser Zeit ein Antidepressivum eingenommen hat, ist dabei berücksichtigt worden. Ebenso der Umstand, dass eine Psychotherapie nach den Vorgaben der Psychotherapie-Richtlinie nicht stattgefunden hat.
Der Bitte, die Sachverständige P ergänzend zu befragen, war nicht zu folgen.
Diese hat sich nämlich von Anfang an nicht in der Lage gesehen, ein Sachverständigengutachten im Sinne einer neutralen Beantwortung der gestellten Fragen aufgrund der eigenen Sachkenntnis zu gewährleisten.
Sie hat die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im streitgegenständlichen Zeitraum aus therapeutisch/wohlwollender Sicht einer Behandlerin erstellt.
Zudem hat sie selbst diese Feststellungen in ihrem Gutachten leicht relativiert, indem sie ausdrücklich darauf abgestellt hat („allerdings beantragte ich…“), dass eine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben habe stattfinden sollen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG liegen nicht vor.