Gericht | VG Cottbus 7. Kammer | Entscheidungsdatum | 05.10.2010 | |
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Aktenzeichen | 7 K 239/07 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 127 BauGB, § 135 BauGB |
Der Beitragsbescheid vom 13. November 2006 und der Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2007 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; die Hinzuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des 1,1fachen des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Der Kläger wehrt sich gegen ihre jeweilige Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die Errichtung einer Lärmschutzwand. Er ist Eigentümer des im Baugebiet "Wohngebiet B." gelegenen Grundstücks ... Str. 1a, Gemarkung A-Stadt Flur 11 Flurstücke 749 und 750.
Die Stadt A-Stadt stellte Mitte der 1990er Jahre einen Bebauungsplan für die Erschließung des Baugebietes "Wohngebiet B." auf. Wegen der Schallimmissionen, denen das Baugebiet durch die an seinem Rand unmittelbar entlangführende Bundesstraße B96 ausgesetzt war (und ist), forderte das seinerzeitige Amt für Immissionsschutz B-Stadt die Errichtung einer Lärmschutzwand entlang der Bundesstraße; diesem Ansinnen entsprach die Stadt durch entsprechende Festsetzungen in dem Bebauungsplan. Dessen erstmalige Bekanntmachung 1995 war unwirksam, weil die Ausfertigung erst danach erfolgte; eine Neubekanntmachung, deren Wirksamkeit umstritten ist, erfolgte im Juli 2001. Im Jahre 2004 beschloss die Stadtverordnetenversammlung die Aufhebung des Aufstellungsbeschlusses und die Einstellung des Plangebungsverfahrens.
Für die Errichtung der Lärmschutzwand forderte der Beklagte erstmals mit Bescheiden aus dem November 2000 in der Gestalt von Widerspruchsbescheiden aus dem Dezember 2000 einen Erschließungsbeitrag an; diese Bescheide hob der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Cottbus vom 19. Juli 2001 auf, nachdem die seinerzeit zuständige Kammer auf Bekanntmachungsfehler des Satzungswerks hingewiesen hatte. Mit weiteren Bescheiden aus dem Februar 2003 in der Gestalt von Widerspruchsbescheiden aus dem Juni 2003 forderte der Beklagte erneut einen Erschließungsbeitrag für die Errichtung der Lärmschutzwand; das Verwaltungsgericht hob diese Bescheide durch Urteile vom 29. Januar 2004 mit der Begründung auf, die maßgebliche Satzung enthalte keine Bestimmung der Merkmale der endgültigen Herstellung der Anlage.
Der Beklagte forderte sodann mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 13. November 2006 zum dritten Male einen Erschließungsbeitrag für die Errichtung der Lärmschutzwand in Höhe von 4.744,54 EUR an. Den fristgerecht eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 2007 zurück.
Der Kläger hat am 15. März 2007 Klage erhoben.
Er verteidigt sich weiterhin gegen die Erschließungsbeitragsforderung und lässt zur Begründung vortragen: Er halte die Satzungen der Stadt A-Stadt nach wie vor für formell und materiell unwirksam. Die Lärmschutzwand sei nicht beitragsfähig, weil sie eine zu geringe Lärmminderung bewirke, insbesondere bezweifele er, dass auf seinem Grundstück tatsächlich die behauptete Lärmminderung um mindestens 3 dB(A) eingetreten sei. Ferner halte er den Gemeindeanteil für zu niedrig bemessen vor dem Hintergrund des Umstandes, dass die Stadt A-Stadt in dem Baugebiet auch als Grundstücksverkäufer aufgetreten sei und wegen der Lärmschutzwand höhere Kaufpreise habe erzielen können. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Wortlaut des Klagebegründungsschriftsatzes vom 8. Mai 2007, Blatt 16 bis 18 der Gerichtsakte, verwiesen.
Der Kläger beantragt,
den Erschließungsbeitragsbescheid vom 13. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2007 aufzuheben sowie die Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt das der Bescheidung zugrundeliegende Satzungswerk; wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf den Wortlaut des Klageerwiderungsschriftsatzes vom 14. Mai 2007, Blatt 19 ff. der Gerichtsakte, verwiesen.
Die Kammer hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 17. August 2010 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des gegenwärtigen und der am selben Tage verhandelten Parallelverfahren sowie der sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten – namentlich zur Lärmschutzbegutachtung die Beiakte II des vorliegenden Verfahrens und zum B-Plan-Verfahren die Beiakte III des Verfahrens 4 K 299/04 – Bezug genommen.
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Erschließungsbeitragsbescheid vom 13. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der angegriffene Bescheid ist schon deshalb rechtswidrig, weil er sich nicht auf wirksames Satzungsrecht der Stadt A-Stadt stützen kann.
Es kann dahinstehen, ob die als satzungsmäßige Grundlage der angegriffenen Besscheide allein in Betracht kommende Satzung – die Satzung der Stadt A-Stadt über die Erhebung der Erschließungsbeiträge für die Immissionsschutzanlage im Bebauungsplan Nr. 2 (Wohngebiet B.) vom 12. Dezember 2002 in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 25. Februar 2004 – unter den Gesichtspunkten ihrer Beschlussfassung – einschließlich des ordnungsgemäßen Ablaufs des kommunalaufsichtlichen Ersatzvornahmeverfahrens –, Ausfertigung und Bekanntmachung – einschließlich des Vorhandenseins einer wirksamen Hauptsatzung mit Bekanntmachungsregelung – schon formell unwirksam sein könnte, denn jedenfalls weist die Satzung durchgreifende materielle Mängel auf.
Diese materiellen Mängel ergeben jedoch nicht schon aus dem Fehlen eines wirksamen Bebauungsplans oder aus dem Fehlen wirksamer Regelungen zu Art und Umfang der Erschließungsanlage. Der B-Plan Nr. 2 "Wohngebiet B." ist vorhanden und wirksam. Zwar gehen die Beteiligten zu Recht übereinstimmend davon aus, dass dieser B-Plan wegen Bekanntmachungsmängeln 1994 bzw. 1995 zunächst nicht in Kraft treten konnte. Der B-Plan ist jedoch im Amtsblatt für die Stadt A-Stadt Nr. 16/2001 vom 17. Juli 2001 erneut bekanntgemacht worden. Zweifel an der Wirksamkeit dieser Bekanntmachung sind weder bei der Prüfung von Amts wegen zutage getreten noch in dem vorliegenden oder einem der parallelen Klageverfahren geltend gemacht worden. Insbesondere brauchte der erneuten Bekanntmachung keine erneute Abwägungsentscheidung der Stadtverordnetenversammlung vorauszugehen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10. August 2000 – 4 CN 2/99 –, juris). Dass die Stadtverordnetenversammlung im Jahre 2004 beschlossen hat, den Aufstellungsbeschluss aufzuheben und das Plangebungsverfahren einzustellen, steht der Wirksamkeit des B-Plans nicht entgegen. Dieser Beschluss fußte ersichtlich auf der – ihrerseits wohl auf Unkenntnis der Neubekanntmachung vom 17. Juli 2001 gründenden – Vorstellung, der B-Plan sei mangels wirksamer Bekanntmachung nicht in Kraft getreten. Nachdem der B-Plan jedoch in Kraft getreten ist, konnte er nur in einem satzungsgebungsförmlichen Verfahren und nicht mehr durch einfachen Beschluss beiseitigt werden (vgl. dazu Hessischer VGH, Urteil vom 6. März 2003 – 3 N 1891/01 –, juris, Randnr. 28); der vermeintliche Aufhebungsbeschluss ging daher ins Leere. Die in einem Teil der Parallelverfahren vermissten Regelungen zu Art und Umfang der Erschließungsanlage finden sich in diesem B-Plan, auf den die Erschließungsbeitragssatzung verweisen durfte.
Die Satzung erweist sich vielmehr deshalb als unwirksam, weil die in ihr enthaltene Verteilungsregelung unwirksam ist. Dabei mag dahinstehen, ob dieses Ergebnis schon daraus folgt, dass die Satzung hinsichtlich der allgemeinen Verteilungsvorschrift eine Verweisung auf die allgemeine Erschließungsbeitragssatzung vom 20. Februar 1996 vornimmt, deren Wirksamkeit erheblichen Zweifeln begegnet; angesichts des Umstandes, dass die durch Verweisung in Bezug genommene Satzungsvorschriftt (nur) die Geschoßzuschläge regelt und im Abrechnungsgebiet – soweit ersichtlich, ausschließlich – stets nur ein Vollgeschoß zum Ansatz gelangt ist, dürfte dieser Teil der Verteilungsregelung hinweggedacht werden können, ohne dass die Verteilungsregelung unvollständig würde. Die in der Erschließungsbeitragssatzung selbst enthaltenen, immissionsschutzspezifischen Ergänzungen erweisen sich als fehlerhaft wegen Verstoßes gegen das Prinzip der Vorteilsgerechtigkeit. Das Erschließungsbeitragsrecht ist geprägt vom Grundsatz einer vorteilsgerechten Beitragsbemessung. Verletzungen dieses Gebots führen zur Unwirksamkeit der in der Erschließungsbeitragssatzung enthaltenen Verteilungsregelung, weil § 131 Abs. 2 BauGB vorteilsungerechte Maßstäbe nicht gestattet.
Dies betrifft zum einen die Frage der Differenzierung nach dem Ausmaß der durch die Lärmschutzanlage bewirkten Schallimmissionsminderung ("horizontale Differenzierung"). Die Satzung sieht insoweit die Bildung von drei Schallschutzklassen vor, mit mindestens 3, mindestens 6 und mindestens 9 dB(A) Minderung des maßgeblichen Beurteilungspegels, und kombiniert dies mit einem Zuschlag auf den Vollgeschoßfaktor von 0,00 bei 3 dB(A) Schallminderung, 0,25 bei 6 dB(A) Schallminderung und 0,50 bei 9 dB(A) Schallminderung. Diese Differenzierung ist deutlich zu gering. Sie benachteiligt die Grundstücke bei denen nur eine Schalldruckminderung von 3 bis unter 6 dB(A) verwirklicht wird, und begünstigt die Grundstücke, bei denen eine Schalldruckminderung von mindestens 9 dB(A) verwirklicht wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat bei der Bildung derartiger Schallschutzklassen eine Beitragsstaffelung im Verhältnis 3:2:1 für angemessen erachtet (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. August 1988 – 8 C 51/87 –, juris, Randnr. 12 f, 25 f.); die in der hier zu prüfenden Satzung enthaltene Regelung führt – da jedenfalls in allen fünfzehn parallel zur Prüfung gestellten Beitragsbescheiden stets nur ein Vollgeschoß beitragsrelevant ist – zu einer Staffelung im Verhältnis 6:5:4. Eine derart abgeflachte Staffelung überdehnt den Ermessensspielraum des kommunalen Satzungsgebers und widerspricht dem Grundsatz der Vorteilsgerechtigkeit.
Dies betrifft zum anderen die Frage, in welchem Umfang das einzelne bebaute Grundstück durch die Lärmschutzanlage einen Vorteil erfährt ("vertikale Differenzierung"). Lärmschutzanlagen sind dazu bestimmt, eine modernen Vorstellungen angemessene Nutzung (Wohnnutzung und gewerbliche Nutzung) von Grundstücken zu ermöglichen. Deshalb drängt sich die Annahme auf, sie vermittelten Sondervorteile, die eine Beitragserhebung erlauben, mit Blick auf eine Wohnnutzung lediglich insoweit, als sie dieser Nutzung in erster Linie dienenden Bereichen, d.h. den Geschossen in Wohngebäuden, einen merkbaren Lärmschutz verschaffen. Insoweit fehlt es der Verteilungsregelung der Erschließungsbeitragssatzung an einer Differenzierung insofern, ob überhaupt ein Vollgeschoß in den Genuß der Lärmminderung kommt, oder ob diese Lärmminderung lediglich einen Teil der Außenanlagen eines Grundstückes erfasst (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 23.06.1995 – 8 C 18/94 –, juris, Randnr. 16-18, mwN). Indem es der Satzungsgeber unterlassen hat, insoweit eine Differenzierung vorzunehmen, werden diejenigen – ausweislich der Lärmkartierung im Abrechnungsgebiet auch vorhandenen – Grundstücke, bei denen kein Gebäude, sondern lediglich ein Teil der Außenanlagen eine Lärmminderung erfährt ("angeschnittene Grundstücke"), gegenüber solchen Grundstücken, bei denen wenigstens ein Vollgeschoß eine Lärmminderung erfährt, unangemessen benachteiligt.
Die übrigen, zwischen den Beteiligten umstrittenen Rechts- und Tatsachenfragen können mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Hinzuziehung des Prozeßbevollmächtigten für das Vorverfahren ist in Kommunalabgabenangelegenheiten regelmäßig notwendig, vgl. OVG für das Land Brandenburg, Beschlüsse vom 6. Dezember 1999 – 2 E 34/99, 2 E 36/99, 2 E 38/99 –).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Berufungszulassungsgründe sind nicht ersichtlich, weitere Nebenentscheidungen nicht veranlasst.
BESCHLUSS
Der Streitwert wird auf 4.744,54 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Streitwertfestsetzung entspricht dem streitbefangenen Geldbetrag (§ 52 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes).