Gericht | OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 13.10.2010 | |
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Aktenzeichen | 9 UF 33/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Antrag des Kindesvaters auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der befristeten Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 14.12.2009 - Az.: 35 F 87/09 - wird als unzulässig verworfen.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
Die Kindeseltern streiten über das Sorgerecht für ihre drei Kinder A…, J… und F…. Während der Kindesvater in erster Linie die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Sorge in allen Belangen begehrt, hilfsweise zumindest die Aufrechterhaltung betreffend Schul- und Berufsausbildungsangelegenheiten sowie für Operationen und stationäre Heilbehandlungen, beantragt die Kindesmutter die Übertragung der alleinigen Sorge für alle drei Töchter auf sich selbst. Einen entsprechenden Antrag hat die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 28.04.2009, eingegangen am Folgetag, beim Amtsgericht Oranienburg gestellt. Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 14.12.2009 dem Begehren der Kindesmutter stattgegeben, die gemeinschaftliche Sorge der Kindeseltern aufgehoben und diese der Kindesmutter allein übertragen.
Der Vertreterin der Kindesmutter ist der angefochtene Beschluss am 07.01.2010 zugestellt worden. Er war mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, die auszugsweise wie folgt lautet:
„Die Beschwerde ist beim Amtsgericht Oranienburg, … durch Einreichen einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Gerichts einzulegen. …“
Die Beschwerdeschrift ist am 07.02.2010 (Sonntag) beim dem Amtsgericht Oranienburg eingereicht worden. Dieses hat sie am 07.04.2010 dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Auf entsprechenden Hinweis des Senats hat der Kindesvater mit am 19.04.2010 eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist beantragt.
Die Beschwerde des Kindesvaters ist unzulässig. Auf das zweitinstanzliche Verfahren ist gem. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG das bis zum 31.08.2009 geltende Recht weiter anzuwenden, weil das Verfahren in erster Instanz vor dem 01.09.2009, nämlich im April 2009, eingeleitet worden ist (BGH, FamRZ 2010, 192; OLG Köln, FamRZ 2009, 1852; Schleswig-Holstei-nisches OLG, NJW 2010, 242; OLG Stuttgart, FamRZ 2010, 324). Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 14.12.2009 war deshalb das Rechtsmittel der befristeten Beschwerde statthaft. Diese hätte gem. § 621 e Abs. 3 S. 1 ZPO i.V.m. § 517 ZPO binnen eines Monats bei dem Beschwerdegericht eingelegt werden müssen. Da die Zustellung des angefochtenen Beschlusses an die Vertreterin der Kindesmutter gemäß deren Empfangsbekenntnis am 07.01.2010 erfolgt war, lief die Frist am Montag, dem 08.02.2010 ab. Beim Oberlandesgericht ist die Beschwerde jedoch erst am 07.04.2010, also deutlich nach Fristablauf, eingegangen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist zurückzuweisen, weil der Kindesvater diese Frist nicht schuldlos versäumt hat. Gem. § 233 ZPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten. Auch wenn die Fristversäumung auf einem Rechtsirrtum beruht, kann Wiedereinsetzung nur bewilligt werden, wenn der Irrtum unverschuldet ist (BGH, MDR 2004, 348 m.w.N.; FamRZ 2010, 1425 - zu § 17 FamFG). Dem Verschulden der Partei ist das Verschulden ihres Rechtsanwalts gem. § 85 Abs. 2 ZPO gleichzustellen (Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., § 233 Rn. 13; OLG Koblenz, NJW 2010, 2594). Ob ein Verschulden der Partei oder ihres Vertreters vorliegt, ist nach dem objektiv-abstrakten Maßstab des § 276 Abs. 2 BGB zu beurteilen. Maßgeblich ist die Sorgfalt einer ordentlichen Prozesspartei. Hinsichtlich eines zuzurechnenden anwaltlichen Verschuldens ist die übliche, also berufsbedingte strenge Sorgfalt vorauszusetzen (Zöller, a.a.O., Rn. 13 m.w.N.). Nach dem Gebot des fairen Verfahrens darf das Gericht allerdings aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern, Unklarheiten oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten (BVerfG, NJW 2004, 2887).
Liegt, wie hier, eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung des Ausgangsgerichts vor, welches irrtümlich eine Belehrung nach FamFG erteilt und fehlerhaft auf die Einlegung der Beschwerde beim Amtsgericht statt beim Oberlandesgericht hingewiesen hat, so ist zu berücksichtigen, dass sich ein Rechtsanwalt nicht ohne weiteres auf eine derartige Rechtsmittelbelehrung verlassen darf. Er ist vielmehr verpflichtet, eigenständig zu prüfen, welches Rechtsmittel statthaft ist und unter welchen Voraussetzungen es eingelegt werden kann. Die Kenntnis vom zutreffenden Rechtsmittel und dessen Zulässigkeitsvoraussetzungen kann von einem Rechtsanwalt regelmäßig erwartet werden (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.07.2010, Az.: 16 UF 76/10, zitiert nach Juris; BVerfG, a.a.O.; OLG Stuttgart, NJW 2010, 1978; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.07.2010, Az.: 16 UF 76/10, zitiert nach Jurist; OLG Koblenz, NJW 2010, 2594; Zöller/Geimer, 28. Aufl., § 17 FamFG, Rz. 3; Musielak/Borth, Familiengerichtliches Verfahren, § 17 Rn. 2 - Die Entscheidungen sind überwiegend zu § 17 FamFG ergangen, der ausdrücklich eine Verschuldensvermutung für fehlende oder fehlerhafte Rechtsmittelbelehrungen enthält und insoweit noch strenger gefasst ist als § 233 ZPO).
Nach den Umständen des Streitfalles durfte sich der anwaltlich vertretene Kindesvater nicht auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts verlassen. Weder mit dem Wiedereinsetzungsantrag vom 19.04.2010 noch im Schriftsatz vom 08.09.2010 ist schlüssig dargelegt worden, dass die Vertreterin des Kindesvaters tatsächlich einer Rechtsmittelbelehrung bedurfte oder dass diese jedenfalls für die Fristversäumnis kausal geworden ist. Von ihr als Rechtsanwältin war zu verlangen, dass sie unabhängig von einer Belehrung durch das Gericht überprüft, welches Rechtsmittel in welcher Form einzulegen ist. Wie in dem Schriftsatz, mit dem Wiedereinsetzung beantragt wird, ausdrücklich angeführt worden ist, waren der Rechtsanwältin „Irritationen“ hinsichtlich der Anwendbarkeit des ab dem 01.09.2009 geltenden Rechts bekannt. Insoweit kann festgestellt werden, dass vereinzelt in der Kommentarliteratur vertreten wurde, Art. 111 Abs. 1 FGG-RG sei dahin auszulegen, dass auf Beschwerdeverfahren, die nach dem 01.09.2009 „eingeleitet“ worden (also in die höhere Instanz gelangt) seien, das neue Verfahrensrecht anzuwenden sei. Zutreffend ist aber auch, dass nach der ganz herrschenden Ansicht in der Rechtsprechung und in der überwiegenden Literaturmeinung für die Anwendung des Verfahrensrechts auf die Einleitung des erstinstanzlichen Verfahrens abgestellt wurde (vgl. insoweit nur die von dem Kindesvater selbst angeführte Zusammenstellung bei Nickel, FamRB 2010, 91 ff). Das neue Verfahrensrecht war bei Fristablauf für die Beschwerdebegründung (08.02.2010) bereits seit gut fünf Monaten in Kraft. Der Bundesgerichtshof hatte bereits mit einer Entscheidung vom 25.11.2009 darauf hingewiesen, dass es auf die Einleitung des Verfahrens und nicht des Rechtsmittels ankommt (FamRZ 2010, 192) Heft 3 vom 1.2.2010. Auch einige der oben zusätzlich zitierten Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte waren bereits im November und Dezember 2009 veröffentlicht worden. Die von der Vertreterin des Kindesvaters selbst in Bezug genommene Zusammenstellung in FamRB 2010, 91 ist zwar erst Anfang März 2010 veröffentlich worden, zeigt jedoch nach ihrem Inhalt, dass bereits zuvor nach einhelliger ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung von der Anwendbarkeit alten Rechts auszugehen war.
War der Vertreterin des Kindesvaters aber bekannt - und dies musste ihr als Rechtsanwältin auch bekannt sein - dass zumindest erheblicher Zweifel daran bestand, dass im vorliegenden Verfahren, welches noch im April 2009 eingeleitet worden war, tatsächlich die Beschwerde nach FamFG und nicht die befristete Beschwerde nach ZPO einzulegen war, so hätte es anwaltlicher Sorgfalt entsprochen, zumindest die Beschwerdefrist nicht fast bis zum Ende (Einlegung am Sonntag vor Fristablauf am Montag) auszuschöpfen oder ggf. vorsorglich die Beschwerde auch gleichzeitig zum Oberlandesgericht einzulegen. Auf eine zweifelhafte Rechtsmittelbelehrung durfte sich die Rechtsanwältin dagegen nicht verlassen.
Soweit sich die Vertreterin des Kindesvaters auf eine abweichende (ältere) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu beruft, dass ein Anwalt sich grundsätzlich auf eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung verlassen dürfe, so ist dem zum einen entgegenzuhalten, dass ein derartiger Grundsatz nie uneingeschränkt vertreten wurde. So beruhte beispielsweise die Wiedereinsetzung in der Entscheidung vom 23.09.1993 (NJW 1993, S. 3206) darauf, dass die Rechtsmittelbelehrung von einem Fachsenat beim Oberlandesgericht (Landwirtschaftssenat) stammte. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof stets ausgeführt, durch eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung könne ein Vertrauenstatbestand nur dann geschaffen werden, wenn die Belehrung einen unvermeidbaren oder zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum aufseiten einer Partei hervorgerufen habe und die Fristversäumnis darauf beruhe (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, MDR 2004, 348).
Hier fehlt es, wie dargestellt, an einer ausreichenden Darlegung dazu, dass der Rechtsirrtum der Vertreterin des Kindesvaters entschuldbar war. Außerdem hat der Bundesgerichtshof mehrfach betont, der Belehrungsmangel müsse auch ursächlich für die Versäumung der Rechtsmittelfrist geworden sein. Dies sei nur dann der Fall, wenn ein Beteiligter zur effizienten Verfolgung seiner Rechte der Unterstützung durch eine Rechtsmittelbelehrung tatsächlich bedürfe. Dabei könne der geringeren Schutzbedürftigkeit eines anwaltlich vertretenen Beteiligten Rechnung getragen werden (BGH, WM 2008, 1567; BGHZ 180, 199; BGH, FamRZ 2010, 1425). Auch hierzu fehlt es an schlüssiger Darlegung.
Der Kindesvater kann sich auch nicht darauf berufen, dass das Amtsgericht die Beschwerde nicht unmittelbar dem Oberlandesgericht zugeleitet habe. Zwar trifft das Gericht aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens die Pflicht zur Weiterleitung von Schriftstücken an das zuständige Gericht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf der Einsender bei Eingang eines Antrages beim unzuständigen Gericht aber nur darauf vertrauen, dass das Schriftstück von diesem Gericht im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weitergeleitet wird (BGH, FamRZ 2009, 320; OLG Stuttgart, NJW 2010, 1978). Besonderer Bemühungen des unzuständigen Gerichts bedarf es nicht. Im vorliegenden Fall sprechen zwei Gründe gegen eine kausal gewordene Pflichtverletzung des Amtsgerichts nach Einreichung der Beschwerdeschrift. Zum einen ist diese an einem Sonntag eingereicht worden, so dass der Absender davon ausgehen musste, dass das Schriftstück erst am Montag, dem Tag des Fristablaufs überhaupt in den ordentlichen Geschäftsgang gelangte. Zum anderen war es für die Bediensteten des Amtsgerichts nicht ersichtlich, dass das Schriftstück fehlerhaft an dieses Gericht gelangt war. Es handelte sich nicht etwa um einen Schriftsatz, der zutreffend an das Oberlandesgericht adressiert, aber beim Amtsgericht eingereicht worden war. Solche offensichtlich fehlgeleiteten Schreiben können auch durch die Bediensteten, die zunächst damit befasst sind, ohne weiteres und zügig an das richtige Gericht weitergeleitet werden. Hier hätte es aber zunächst einer vertieften Überprüfung des zuständigen Gerichts durch einen Richter bedurft, um die Fehladressierung festzustellen. Die Vorlage eines Schriftsatzes an den zuständigen Richter erfolgt jedoch im ordentlichen Geschäftsgang eines Gerichts bei nicht als besonders eilig gekennzeichneten Schriftsätzen keinesfalls am Tag des Eingangs. Ein Rechtsanwalt, der mit den internen Gerichtsabläufen zumindest insoweit vertraut sein muss, weiß, dass an einem Sonntag eingereichte Schriftsätze zwar den Eingangsstempel dieses Tages erhalten, jedoch eine weitere Bearbeitung nicht als eilig gekennzeichneter Schriftsätze erst am darauffolgenden Montag erfolgt. Erst an diesem Tag werden die Schriftsätze den Umschlägen entnommen, den Geschäftsstellen zugeordnet und diesen vorgelegt. Die Geschäftstelle hat sodann die Schriftsätze der richtigen Akte zuzuordnen und veranlasst die Vorlage an den Richter. Dies geschieht im gewöhnlichen Ablauf nicht mehr am Tag des Einganges. Da es sich hier nicht um ein als besonders eilig erkennbares Schriftstück handelte, war auszuschließen, dass ein Richter sich noch am Tag des Fristablaufs mit der Frage des richtigen Rechtsmittels befasst und eine Vorlage beim Oberlandesgericht - die ebenfalls noch am selben Tag hätte erfolgen müssen - veranlasst hätte.
Da ein unverschuldeter kausaler Irrtum für die Fristversäumnis somit ausscheidet, liegt kein Wiedereinsetzungsgrund vor. Die Beschwerde des Antragsgegners war deshalb wegen Fristversäumung als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG.
Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 30 Abs. 2 KostO.