Gericht | FG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 15.12.2011 | |
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Aktenzeichen | 7 K 7007/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 287 AO, § 288 AO, § 100 Abs 1 S 4 FGO |
Wenn das ordentliche Gericht über Rechtmäßigkeit einer Durchsuchungsanordnung entschieden hat, besteht kein Feststellungsinteresse des Vollstreckungsschuldners, dass das FG über die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung als solche entscheidet.
Sachpfändungen, die im Rahmen von Durchsuchungen vorgenommen werden, für die eine später durch das ordentliche Gericht aufgehobene Durchsuchungsanordnung bestand, sind auch dann rechtswidrig, wenn die Durchsuchungsanordnung nur an formellen Mängeln litt.
Es wird festgestellt, dass die am 24.11.2006 auf dem Grundstück des Klägers vorgenommene Durchsuchung in der Weise rechtswidrig vorgenommen wurde, dass der Beklagte entgegen § 288 der Abgabenordnung weder zwei Erwachsene noch einen Gemeinde- oder Polizeibeamten als Zeugen zugezogen hat.
Es wird festgestellt, dass die am 24.11.2006 vorgenommene Pfändung der Versicherungspolice der Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung AG Nr. 1 FL-2390963 rechtswidrig war.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden zu 88 % dem Kläger und zu 12 % dem Beklagten auferlegt.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war notwendig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 23.508,00 € festgesetzt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen.
Der Kläger war Geschäftsführer der B… GmbH. Über das Vermögen der GmbH wurde am 10.04.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet. Ihre steuerlichen Zahlungsverpflichtungen erfüllte die GmbH nicht mehr vollständig. Daher erließ der Beklagte am 09.11.2004 Haftungsbescheide betreffend Umsatzsteuer, Lohnsteuer und Nebenleistungen über 16.013,06 € bzw. 1.157,10 €, gegen die der Kläger Einspruch einlegte. Die Haftungsbescheide enthalten jeweils die Aufforderung, den angegebenen Haftungsbetrag bis zum 10.12.2004 auf das Konto der Finanzkasse L… einzuzahlen. Die Einsprüche hatten nur in der Weise Erfolg, dass der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 27.06.2006 die Haftungssumme für Lohnsteuer zuzüglich Nebenleistungen auf 1.061,69 € herabsetzte. Im Übrigen wies er die Einsprüche als unbegründet zurück, worauf der Kläger beim Finanzgericht - FG – des Landes Brandenburg unter dem Az. 3 K 1334/06 Klage erhob, über die schließlich am 17.08.2010 der 8. Senat des erkennenden Gerichts mündlich verhandelte. Als Ausfluss dieser Verhandlung wurden die Haftungssummen auf 4.747,27 € bzw. 703,61 € reduziert. Anträge auf Aussetzung der Vollziehung beim FG wegen dieser Haftungsbescheide sind nicht ersichtlich.
Da der Kläger der Zahlungsaufforderung keine Folge leistete, erließ der Beklagte am 08.03.2005 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegenüber der … Sparkasse, die jedoch nicht zum Erfolg führte. Gleiches galt für eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegenüber der VR-Bank … e. G.
Am 14.09.2006 beantragte der Beklagte die Eintragung einer Sicherungshypothek auf einem Grundstück des Klägers in R…, dem das Amtsgericht - AG – L… entsprach.
Am 08.09.2006 suchten zwei Vollziehungsbeamte des Beklagten das vom Kläger bewohnte Grundstück auf, forderten den Kläger erfolglos zur Zahlung auf und forderten ihn weiter auf, freiwillig die Durchsuchung der Wohnräume zu gestatten. Dies verweigerte der Kläger, ebenso die Unterschrift auf der entsprechenden Niederschrift, die ihm vorgelesen und zur Durchschrift vorgelegt wurde (vergleiche Bl. 16 ff. der Gerichtsakte).
Am 15.09.2006 beantragte der Beklagte beim AG L… eine richterliche Durchsuchungsanordnung für das Wohngrundstück des Klägers. Diesem Antrag entsprach das AG mit Beschluss vom 12.10.2006 15 M …/06, ohne im Rahmen des Beschlussverfahrens den Kläger angehört zu haben.
Mit diesem Durchsuchungsbeschluss begaben sich am 24.11.2006 vormittags zwei Vollziehungsbeamte wiederum zum Wohngrundstück des Klägers, wo sie jedoch keinen Bewohner antrafen. Während einer der Vollziehungsbeamten als Zeuge fungierte, stieg der andere durch ein Kellerfenster in das Haus ein. Im Haus fand der Vollziehungsbeamte drei Versicherungspolicen und 28 € Bargeld vor, die er pfändete und mitnahm. Das Gericht nimmt auf die Pfändungsniederschrift (Blatt 19 ff. der Gerichtsakte) Bezug.
Am 27.11.2006 erließ der Beklagte Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gegenüber den aus den gepfändeten Versicherungsscheinen ersichtlichen Versicherungsunternehmen, nämlich der Hamburg-Mannheimer Versicherungs AG - im Folgenden: H - und der Zurich Deutscher Herold Lebensversicherungs-AG – im Folgenden: Z. Die Pfändung gegenüber H ging ins Leere, da bezugsberechtigt allein die Ehefrau des Klägers war. Demgegenüber erkannte Z die Pfändung als begründet an und erklärte sich bei Vorlage der Original-Versicherungspolice zur Zahlung bereit. Daraufhin kündigte der Beklagte unter Übersendung des Versicherungsscheins am 14.12.2006 die bei Z geführte Lebensversicherung.
Ebenfalls am 27.11.2006 legte der Kläger gegen die am 24.11.2006 durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen Einspruch ein. Er rügte die Durchsuchung als rechtswidrig.
Ferner legte der Kläger beim AG L… Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ein, der das AG L… mit Beschluss vom 14.12.2006 stattgab, da der Beklagte keine Gegenäußerung abgegeben habe. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten hob das AG L… den Abhilfebeschluss mit weiterem Beschluss vom 25.01.2007 (datiert auf den 25.11.2007) wieder auf und legte die Beschwerde dem Landgericht - LG – P… vor. Dieses hob mit Beschluss vom 11.01.2008 5 T 70/07 den Beschluss des AG vom 25.01.2007 wieder auf und wies die sofortige Beschwerde des Beklagten zurück. Der ursprüngliche Beschluss vom 12.10.2006 sei zu Recht aufgehoben worden, da dieser nicht erkennen lasse, dass das AG sein richterliches Ermessen hinsichtlich der Frage ausgeübt habe, ob der Beschluss ohne vorherige Anhörung des Klägers ergehen solle. Auch lasse der Beschluss nicht erkennen, dass das AG das Vorliegen der formellen allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen geprüft habe. Schließlich habe kein Rechtsschutzbedürfnis für die sofortige Beschwerde des Beklagten bestanden, da durch den Beschluss vom 14.12.2006 der Durchsuchungsbeschluss vom 12.10.2006 endgültig untergegangen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten verweist das Gericht auf die Kopie des Beschlusses (Blatt 30 f. der Gerichtsakte).
Im April 2007 leistete Z auf die Pfändungs- und Einziehungsverfügung einen Betrag von 9.759,89 €. Weitere Zahlungen leistete der Kläger freiwillig bzw. wurden durch Umbuchungen erbracht, so dass Ende November 2007 keine Rückstände aus den Haftungsbescheiden mehr bestanden.
Der Beklagte wies den Einspruch vom 27.11.2006 gegen die am 24.11.2006 durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen mit Einspruchsentscheidung vom 04.12.2007 als unbegründet zurück.
Darauf hat der Kläger am 07.01.2008 Klage erhoben.
Er macht geltend, die am 24.11.2006 durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen seien rechtswidrig. Dies ergebe sich aus dem Beschluss des LG P…. Im Übrigen seien die der Vollstreckung zugrunde gelegten Haftungsbescheide gefälscht worden und wiesen kein wirksames Leistungsgebot aus. Die Vollziehungsbeamten hätten am 08.09.2006 keinen Vollstreckungsauftrag vorgezeigt, sondern lediglich eine Kopie des Haftungsbescheids. Sie hätten sich auch nicht auf die Aufforderung des Klägers hin ausgewiesen. Daher sei er legitimiert gewesen, sie des Grundstücks zu verweisen. Da der Kläger und seine Frau bekanntlich erwerbstätig seien, könne ihre Anwesenheit an einem Vormittag nicht erwartet werden. Dass das Grundstück am 24.11.2006 vormittags aufgesucht worden sei, deute darauf hin, dass es von vornherein beabsichtigt gewesen sei, es in seiner Abwesenheit zu betreten. Ferner sei der zweite Vollziehungsbeamte als Zeuge i. S. des § 288 der Abgabenordnung – AO – untauglich, da er in eigener Sache tätig sei. Zu beanstanden sei weiterhin, dass durch das Eindringen das Kellerfenster zerstört und das Haus ungesichert zurückgelassen worden sei. Der Beklagte habe keinen Anspruch, das rechtswidrig Erlangte behalten zu dürfen.
Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, da der Kläger sich in seinem Persönlichkeitsrecht, seiner persönlichen Freiheit und der Unversehrtheit seiner Wohnung verletzt fühle und ein Rehabilitierungsinteresse habe. Ferner solle wegen der angerichteten Schäden Schadensersatz begehrt und der Einziehung der gepfändeten Lebensversicherung die Grundlage entzogen werden.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die am 24.11.2006 durchgeführte Durchsuchung des Wohngrundstücks …. in R… sowie die bei dieser Gelegenheit ausgebrachten Pfändungen von Bargeld in Höhe von 28,- € sowie der Versicherungspolicen der Hamburg-Mannheimer-Versicherungs-AG Nr. LV … und LV … sowie der Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung AG Nr. … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.12.2007 rechtswidrig waren,
den Beklagten unter Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahmen vom 24.11.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.12.2006 zu verpflichten, an den Kläger den gepfändeten Bargeldbetrag von 28 € sowie die Versicherungspolicen der Hamburg-Mannheimer-Versicherungs-AG Nr. LV … und LV… und der Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung AG Nr. … zurückzugeben,
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beschluss des LG P… sei unzutreffend, da rechtliches Gehör auch außerhalb des Beschlussverfahrens beim AG gewährt werden könne. Im Streitfall sei rechtliches Gehör vor der Beantragung des Durchsuchungsbeschlusses durch den Beklagten gewährt worden. Jedenfalls habe im Zeitpunkt der Durchsuchung ein wirksamer Durchsuchungsbeschluss vorgelegen, ebenso ein Leistungsgebot, das mit den Haftungsbescheiden verbunden gewesen sei. Eine Mahnung sei am 10.01.2005 erfolgt. Es könne dahinstehen, ob der Kläger diese erhalten habe, da die Mahnung keine zwingende Voraussetzung sei, denn § 259 AO sei eine sog. Sollvorschrift. Der Vollziehungsbeamte habe davon abgesehen, die Eingangstür des klägerischen Hauses durch den Schlosser öffnen zu lassen, weil dies mit erheblichen Beschädigungen und Kosten verbunden gewesen wäre. Vielmehr habe der Beamte ein lediglich durch ein mit einem Fliegengitter verschlossenes Kellerfenster vorgefunden, durch das er die Wohnräume betreten und wieder verlassen habe. Beschädigt habe er das Fenster nicht.
Dem Gericht haben die Streitakten des Verfahrens 7 K 7203/08 sowie 4 Bände Vollstreckungsakten und ein Heftstreifen mit Einspruchsvorgängen, die vom Beklagten für den Kläger als Haftungsschuldner unter der Steuer-Nr. … geführt werden, vorgelegen.
Die Klage ist teilweise zulässig und teilweise begründet.
Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 Finanzgerichtsordnung - FGO - zulässig, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Art und Weise der Zwangsvollstreckung rechtswidrig war und soweit der Kläger sich gegen die Pfändung der Versicherungspolice der Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung AG Nr. … wendet.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die streitbefangenen Vollstreckungsmaßnahmen erledigt sind. Ihre Aufhebung kommt daher nicht mehr in Betracht. Es kann lediglich im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO die Rechtswidrigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen begehrt werden. Insoweit muss aber als besondere Sachentscheidungsvoraussetzung das berechtigte Interesse i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO vorliegen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - genügt jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, um einen Antrag nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO stellen zu können. Die begehrte Feststellung muss geeignet sein, in einem der genannten Bereiche zu einer Positionsverbesserung des Klägers zu führen (BFH, Urteile vom 02.06.1992 VII R 35/90, BFH/NV 1993, 46; vom 22.07.2008 VIII R 8/07, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFHE - 222, 46, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2008, 941).
Ein berechtigtes Feststellungsinteresse kann insbesondere dann anzuerkennen sein, wenn die Feststellung des FG dazu dienen soll, die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen vor den Zivilgerichten zu erleichtern. Voraussetzung ist, dass die Schadensersatzklage anhängig oder mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist, dass die finanzgerichtliche Entscheidung für das zivilgerichtliche Urteil nicht unerheblich und die Rechtsverfolgung vor dem Zivilgericht nicht offensichtlich aussichtslos ist (BFH, Urteile vom 27.07.1994 II R 109/91, BFH/NV 1995, 322; vom 22.07.2008 VIII R 8/07, BFHE 222, 46, BStBl II 2008, 941).
Ferner ist ein solches Interesse dann anzuerkennen, wenn aufgrund eines erheblichen Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre des Klägers dessen Rehabilitierung durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Behörde geboten erscheint (BFH, Urteile vom 17.01.1995 VII R 47/94, BFH/NV 1995, 737; vom 27.01.2004 VII R 56/05, juris). Diese Rechtsprechung betrifft zum einen Sachverhaltsgestaltungen, in denen der angefochtene, erledigte Verwaltungsakt einen diskriminierenden Bedeutungsgehalt hat, zum anderen Verwaltungsakte, die eine besondere Beziehung zum Recht des Klägers aufweisen, als Persönlichkeit mit einem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung anerkannt zu werden, oder bei denen es sonst der Bedeutung betroffener elementarer Grundrechte entspricht, auch nach einer Erledigung der Hauptsache im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage eine Klärung darüber herbeizuführen, ob die betreffenden Grundrechte verletzt worden sind (BFH, Urteil vom 27.01.2004 VII R 56/05, juris). Dabei spricht für ein berechtigtes Feststellungsinteresse, wenn hoheitliche Maßnahmen nicht unwesentlich in den Grundrechtsbereich des Betroffenen eingreifen, sich jedoch typischerweise kurzfristig erledigen und dadurch eine gerichtliche Überprüfung der Maßnahme und eine Beseitigung ihrer Folgen erschwert werden (BFH, Urteil vom 11.12.2007 VII R 52/06, BFH/NV 2008, 749).
Angesichts des Eindringens in die besonders geschützte Privatsphäre des Klägers zieht jede Vollstreckungshandlung, die der Art und Weise nach nicht rechtmäßig war, ein Rehabilitierungsinteresse nach sich. Andernfalls wäre ein effektiver Rechtsschutz kaum möglich.
Die Klage ist dagegen unzulässig, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Durchsuchung dem Grunde nach rechtswidrig war. Denn insoweit ist kein Rehabilitierungsinteresse des Klägers erkennbar, nachdem die ordentlichen Gerichte die Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung in dem vom Kläger angestrengten Beschwerdeverfahren überprüft und dabei die Durchsuchungsanordnung aufgehoben haben. Denn dass die gegen die bereits vollzogene Durchsuchungsanordnung eingelegte Beschwerde einer Sachprüfung zugeführt wurde, beruhte gerade darauf, dass damit dem Rehabilitierungsinteresse des Klägers Rechnung getragen werden soll (vgl. Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 30.04.1997 2 BvR 817/90, 2 BvR 728/92, 2 BvR 802/95, 2 BvR 1065/95, Entscheidungen des BVerfG – BVerfGE – 96, 27, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 1997, 2163). Dass daneben ein besonderes geschütztes Interesse an einer finanzgerichtlichen Entscheidung besteht, ist nicht ersichtlich. Soweit die Auswirkungen der Aufhebung der Durchsuchungsanordnung für die durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen von Bedeutung sind, wird dies bei Bedarf im Rahmen einer Inzidentprüfung bei den einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Der Kläger kann auch nicht einwenden, das rechtliche Interesse resultiere daher, dass ihm gegenüber Vollstreckungskosten festgesetzt worden seien, da dies eine eigenständige, gesondert mit Rechtsbehelfen angreifbare Festsetzung darstellt. Ferner wäre das Verfahren nach § 346 AO eröffnet gewesen. Im Rahmen dieser Verfahren hätte sich der Kläger auf die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung berufen können. Im Rahmen eines etwaigen Amtshaftungsprozesses kann der Kläger auf die Aufhebung der Durchsuchungsanordnung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens verweisen.
Dagegen ist die Klage zulässig, soweit der Kläger sich gegen die Pfändung der Versicherungspolice der Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung AG Nr. … wendet. Das Gericht kann nicht ausschließen, dass die Frage der Rechtmäßigkeit dieser Pfändung relevant ist für die Prüfung eines Amtshaftungsanspruchs. Denn es liegt auf der Hand, dass die vorzeitige Kündigung eines Lebensversicherungsvertrags wirtschaftlich nachteilige Folgen für den Versicherungsnehmer hat. Ob der Kläger diese durch eine nachträgliche Einzahlung (z. B. aus den nach der Teilabhilfe vom 17.08.2010 ausgekehrten Beträgen) wieder rückgängig machen kann oder konnte, ist ungewiss. Es bleibt auch der Prüfung durch die Zivilgerichte vorbehalten, ob die Rechtswidrigkeit der Pfändung der Police kausal für den Schaden war (oder nicht, weil die Pfändung der Versicherungsforderung rechtmäßig war).
Davon abweichend ist die Klage unzulässig, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Pfändungen von Bargeld in Höhe von 28,- € sowie der Versicherungspolicen der Hamburg-Mannheimer-Versicherungs-AG Nr. LV … und LV … rechtswidrig gewesen seien bzw. die Aufhebung dieser Pfändungen begehrt. Dem Aufhebungsantrag steht entgegen, dass die Pfändungen erledigt sind. Die Versicherungsscheine sind nach Aktenlage dem Kläger wieder ausgehändigt worden. Das Bargeld ist durch Einzahlung auf ein Konto der Finanzkasse nicht mehr greifbar und steht daher für eine Herausgabe nicht mehr zur Verfügung. Der Kläger hat sein (Allein-)Eigentum nach § 948 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – verloren. Ein Miteigentumsanteil ist nicht bestimmbar. An seine Stelle ist nach § 951 BGB ein Wertersatzanspruch getreten. Über diesen wäre im Rahmen eines Abrechnungsbescheides nach § 218 Abs. 2 AO zu entscheiden. Auch ein rechtliches Interesse an einer Feststellung der Rechtswidrigkeit ist nicht erkennbar. Denn es ist nicht ersichtlich, dass durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit einzelner, im Rahmen der Durchsuchung durchgeführter Vollstreckungsmaßnahmen ein zusätzliches schützenswertes Rehabilitierungsinteresse des Klägers befriedigt würde, nachdem die Durchsuchungsanordnung aufgehoben wurde. Anhaltspunkte für Schadensersatzansprüche in dem vorstehend skizzierten Zusammenhang sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Herausgabeklagen sind unzulässig, weil sie sich auf unmögliche Leistungen beziehen, da der Beklagte nicht mehr im Besitz der Versicherungspolicen ist, die er entweder bei der Versicherung eingereicht oder dem Kläger zurückgegeben hat, und auch nicht mehr im Besitz des Bargelds ist, da er dieses auf ein Konto der Finanzkasse eingezahlt hat.
Die Klage ist begründet, soweit der Kläger sich dagegen wendet, dass der Vollziehungsbeamte lediglich einen weiteren Kollegen als Zeugen hinzugezogen hat.
Nach § 288 AO hat der Vollziehungsbeamte bei einer Vollstreckungshandlung in den Wohn- oder Geschäftsräumen des Vollstreckungsschuldners, bei der weder der Vollstreckungsschuldner noch eine Person, die zu seiner Familie gehört oder bei ihm beschäftigt ist, gegenwärtig ist, zwei Erwachsene oder einen Gemeinde- oder Polizeibeamten als Zeugen zuzuziehen. Daran hat es im Streitfall gefehlt. Der weitere Vollziehungsbeamte ist jedenfalls kein Gemeinde- oder Polizeibeamter. Es fehlt auch ein zweiter Erwachsener. Der Bedienstete des Schlüsseldienstes scheidet insoweit aus, weil dieser dem Vollziehungsbeamten Zutritt zur Wohnung verschaffen sollte, was mit dem Risiko behaftet ist Schäden zu verursachen. Um den Verursacher solcher Schäden ggf. dingfest machen zu können, dient u. a. auch die Zeugenpflicht i. S. des § 288 AO. Im Übrigen ist der Bedienstete des Schlüsseldienstes vom Vollziehungsbeamten selbst nicht als Zeuge eingestuft worden, wie die Pfändungsniederschrift ergibt.
Dagegen ist die Klage unbegründet, soweit sich der Kläger dagegen wehrt, dass der Vollziehungsbeamte durch ein Kellerfenster in sein Haus eingestiegen ist und dieses danach ungesichert zurückgelassen hat. Der Beklagte hat vorgetragen, dass der Vollziehungsbeamte das Fenster offen oder jedenfalls nur mit einem Fliegengitter verschlossen vorgefunden habe. Diese Darstellung wird durch die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fotos bestätigt. Es mag sein, dass das Fliegengitter wieder erneut auf seinem Rahmen befestigt werden musste. Eine der Art und Weise nach rechtswidrige Vollstreckungsmaßnahme stellt das Eindringen durch das Fenster gleichwohl nicht dar, da das gewaltsame Öffnen einer Tür oder eines Fensters mit weit größeren Schäden verbunden gewesen wäre. Der Kläger kann auch nicht einwenden, dass der Vollziehungsbeamte das Haus ungesichert zurückgelassen habe, da auch ein intaktes Fliegengitter keinen Einbruchsschutz darstellt. Dass der Vollstreckungsmaßnahme keine rechtmäßige Durchsuchungsanordnung zugrunde lag, ist unerheblich, da dies nicht Gegenstand der Sachprüfung ist, vielmehr allein die Art und Weise der Zwangsvollstreckung.
Ferner ist die Klage unbegründet, soweit der Kläger beanstandet, dass der Vollziehungsbeamte die Durchsuchung am späten Vormittag vorgenommen hat. Nachdem der Beamte den Kläger beim ersten Pfändungsversuch um die Mittagszeit (Ende des Vollstreckungsversuchs um 13:30 Uhr) angetroffen hatte, musste er nicht zwingend davon ausgehen, am späten Vormittag niemanden anzutreffen.
Die Einwendungen gegen die Vollstreckung als solche sind unbegründet. Die Haftungsbescheide waren nach den vom Kläger mit der Klageschrift eingereichten Ablichtungen mit Zahlungsaufforderungen, mithin mit Leistungsgeboten i. S. des § 254 Abs. 1 Satz 1 AO, versehen. Für die von der Vollstreckung ebenfalls umfassten Vollstreckungskosten bedurfte es keines Leistungsgebots (§ 254 Abs. 2 AO). Warum die Haftungsbescheide gefälscht sein sollen, bleibt unergründlich. Allein die Reduzierung des Haftungsbetrags durch eine der Einspruchsentscheidungen lässt die Haftungsbescheide nicht unwirksam werden. Vollstreckungstitel war der Haftungsbescheid vom 11.04.2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung.
Es kann dahinstehen, ob dem Kläger Mahnungen zugegangen sind. Nachdem der Beklagte bereits im Jahre 2005 Pfändungs- und Einziehungsverfügungen in Konten des Klägers ausgebracht hatte, bedurfte es der von einer Mahnung ausgehenden Warnfunktion nicht mehr.
Ferner kann der Kläger nicht einwenden, die angefochtenen Vollstreckungsmaßnahmen seien unverhältnismäßig, weil der Beklagte bereits einen Antrag auf Eintragung einer Sicherungshypothek gestellt hatte. Denn die Verwertung einer solchen Sicherungshypothek, insbesondere durch eine Zwangsversteigerung, stellt gegenüber den hier streitigen Vollstreckungsmaßnahmen kein milderes Mittel dar. Vielmehr ergibt sich aus § 322 Abs. 4 AO, dass die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen vor der Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen im Regelfall vorrangig ist. Jedenfalls hätte eine Realisierung einen wesentlich längeren Zeitraum erfordert als die hier streitigen Vollstreckungsmaßnahmen.
Die Klage ist jedoch begründet, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass die Pfändung der Versicherungspolice der Zurich Deutscher Herold Lebensversicherung AG Nr. … rechtswidrig war. Sachpfändungen, die im Rahmen von Durchsuchungen vorgenommen werden, für die später die Durchsuchungsanordnung aufgehoben wird, sind rechtswidrig. Denn sie stehen einer Pfändung ohne Durchsuchungsanordnung gleich (zu dieser Konstellation vgl. FG München, Urteil vom 08.12.2009 12 K 3470/05, juris, Nichtzulassungsbeschwerde verworfen durch BFH, Beschluss vom 18.11.2010 VII B 12/10, BFH/NV 2011, 406). Da sie die unmittelbare Folge der rechtswidrigen Durchsuchungsanordnung sind, können sie auch nicht als bloße Fernwirkungen von der Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung unberührt bleiben. Dies gilt auch dann, wenn die Aufhebung der Durchsuchungsanordnung lediglich auf formellen Mängeln beruht (Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 287 Rz 62; Kruse in Tipke/Kruse, AO, § 287 Tz 36; a. A. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.08.1987 IX K 38/86, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 1988, 102). Damit entspricht die Rechtslage derjenigen, die gilt, wenn Prüfungsanordnungen aufgehoben bzw. ihre Rechtswidrigkeit festgestellt wird (vgl. Klein/Rüsken, AO, 10. Auflage 2009, § 171 Rz 42, § 196 Rz 45, 49). Dem entsprechend kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, dass im Zeitpunkt der Durchsuchung die Durchsuchungsanordnung noch bestand. Das FG ist auch nicht befugt, die Entscheidung des LG auf Richtigkeit zu überprüfen, da die ordentlichen Gerichte für Beschwerden gegen die von ihnen erlassenen Durchsuchungsanordnungen sachlich zuständig sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 136 Abs. 1 Satz 1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
Das Gericht hat den Streitwert gemäß §§ 63, 52 Gerichtskostengesetz - GKG - festgesetzt. Dabei ist es von folgenden Einzelstreitwerten ausgegangen:
Für die Durchsuchung als solche setzt das Gericht im Anschluss an die Rechtsprechung zur Anfechtung von Anordnungen von Außenprüfungen und zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses (BFH, Beschlüsse vom 21.05.1996 IV R 42/65, juris; vom 23.10.2003 VII E 14/03, BFH/NV 2004, 351) die Hälfte der rückständigen Haftungsschulden an.
Wegen der Art und Weise der Durchsuchung setzt das Gericht den Auffangstreitwert von 5.000,- € gemäß 52 Abs. 2 GKG an. Das gleiche gilt auch jeweils wegen der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungen und des Herausgabeverlangens, da ein materieller Wert der Versicherungspolicen nicht feststellbar ist. Denn die zugrunde liegenden Forderungen konnten nur im Wege der Forderungspfändung beigetrieben werden.
Hinsichtlich der Art und Weise der Durchsuchung hat der Kläger zu einem Drittel und hinsichtlich der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungen zu einem Viertel obsiegt.
Daraus ergeben sich zusammengefasst folgende Berechnungen:
Durchsuchung als solche | 8.508,00 € |
Art und Weise der Durchsuchung | 5.000,00 € |
Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungen | 5.000,00 € |
Herausgabeverlangen | 5.000,00 € |
Summe | 23.508,00 € |
Obsiegen: | |
Art und Weise der Durchsuchung | 1.666,67 € |
Feststellung der Rechtswidrigkeit der Pfändungen | 1.250,00 € |
Summe | 2.916,67 € |
entspricht einer Obsiegensquote von | 12 % |
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO - analog.
Das Gericht hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil es die hier streitigen Rechtsfragen im Wesentlichen als nicht höchstrichterlich geklärt ansieht.