Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 32. Senat | Entscheidungsdatum | 29.11.2013 | |
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Aktenzeichen | L 32 AS 2879/13 B ER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 38 SGB 2 |
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das gesamte einstweilige Rechtsschutzverfahren vorbehaltlich der erstinstanzlichen Kostenentscheidung nicht zu erstatten.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
I.
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).
Der Antragsteller steht im Leistungsbezug beim Antragsgegner. Er lebt getrennt von seiner Ehefrau und seinen Kindern M A B B (geboren am 10. Juli 1996), M F B (geboren 11. Oktober 1999) und F B (geboren 16. März 2001). Mit Bescheiden vom 25. Juli 2013 vom 23. August 2013 wurden dem Antragsteller für die Zeit vom 01. August 2013 bis 31. Januar 2014 Leistungen für den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts und Bedarfe für Unterkunft und Heizung bewilligt. Mit dem am 29. August 2013 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz verfolgt der Antragsteller ebenso wie mit seinem Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Juli 2013 sein Anliegen auf weitere Leistungen: Bei dem Antragsteller bestünden konkrete Rechtsnachteile durch die Nichtberücksichtigung der mit seinen Kindern gebildeten temporären Bedarfsgemeinschaft bei fehlender Bewilligung und Auszahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Er sei ohne diese Leistungen nicht in der Lage, den Unterhalt für seine Kinder und für sich zu bestreiten.
Der Antragsteller hat erstinstanzlich beantragt,
1. Dem Antragsteller wird für das Antragsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und die Kanzlei ... – Rechtsanwälte beigeordnet.
2. Unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 25. Juli 2013 wird der Antragsgegner einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen für den Zeitraum vom 01. September 2013 bis 30. September 2013 in Höhe von 1.196,57 Euro zu bewilligen und auszuzahlen.
3. Unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 25. Juli 2013 wird der Antragsgegner einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen für den Zeitraum vom 01. Oktober 2013 bis 10. Oktober 2013 in Höhe von 398,86 Euro zu bewilligen und auszuzahlen.
4. Unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 25. Juli 2013 wird der Antragsgegner einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen für den Zeitraum vom 11. Oktober 2013 bis 31. Oktober 2013 in Höhe von 803,72 Euro zu bewilligen und auszuzahlen.
5. Unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 25. Juli 2013 wird der Antragsgegner einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen für den Zeitraum vom 01. November 2013 bis 31. Januar 2014 in Höhe von 1.205,58 Euro monatlich zu bewilligen und auszuzahlen.
Der Antragsgegner hat auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hingewiesen, wonach die Kinder bei temporärer Bedarfsgemeinschaft grundsätzlich der Bedarfsgemeinschaft zuzuordnen sind, bei der sie sich mehr als 12 Stunden für den Kalendertag aufhalten. In Weiterzahlungsanträgen vom 20. Dezember 2012 und 18. Juli 2013 habe der Antragsteller die Frage nach besonderen Bedarfen beispielsweise Wahrnehmung des Umgangsrechts verneint.
Aufgrund der Bitte des Sozialgerichts um Übersendung eidesstattlicher Versicherungen des Antragstellers und der getrennt lebenden Ehefrau zum Aufenthalt der Kinder beim Antragsteller übersandte dieser seine eidesstattliche Versicherung. Der Antragsgegner übereichte eine „wahrheitsgemäße Erklärung“ der Kindesmutter. Danach lehnt diese Kontakt zum Antragsteller ab.
Mit Beschluss vom 15. Oktober 2013 hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom 01. Oktober 2013 bis 31. Januar 2014 über die mit Bescheid vom 23. August 2013 bereits bewilligten Leistungen hinaus vorläufig weitere 100 Euro pro Monat für Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt.
Gegen den Beschluss richtet sich die am 01. November 2013 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Beschwerde. Der Antragsteller sei nach § 38 Abs. 2 SGB II für seine Kinder antragsberechtigt und auch berechtigt, Leistungen nach dem SGB II für diese entgegenzunehmen, soweit diese im Rahmen einer temporären Bedarfsgemeinschaft dem Haushalt des Antragstellers angehörten. Die Kindesmutter sei bisher nicht bereit gewesen, die von ihr für die drei Kinder bezogenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts anteilig an den Antragsteller herauszugeben. Mithin liege in diesem Zusammenhang die Eilbedürftigkeit vor. Nach Urteil des Bundessozialgerichts vom 02. Juli 2009 (B 14 AS 75/08 Rdnr. 16 f.) sei in Fällen des Vorliegens einer temporären Bedarfsgemeinschaft für die Tage, an denen sich die Kinder beim Antragsteller aufhielten, die vollen Leistungen in Form der Grundsicherung zu gewähren. Vor dem 01. April 2011 habe die Regelung gegolten, dass von Kindern während der Umgangszeit verursachte Kosten nur von deren Sorgeberechtigten geltend gemacht werden konnten. Dafür hätte es vorliegend des Einverständnisses beider Elternteile nach § 1629 Abs. 1 BGB bedurft. Nunmehr gelte nach § 38 Abs. 2 SGB II diese Antragsbefugnis für jeden, der umgangsberechtigt, jedoch nicht notwendigerweise sorgeberechtigt sei und diese für die Zeit ausübe, in der das jeweilige Kind seinem Haushalt angehöre. Mithin könne hiernach jeder Umgangsberechtigte Ansprüche auf die Gewährung von Grundsicherung im Namen der betreffenden Kinder mit dem zuständigen Jobcenter geltend machen. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 38 Abs. 2 SGB II seien hier erfüllt.
Mit der Beschwerdeschrift vom 1.November 2013 wurde beantragt,
1. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und die Kanzlei ... – Rechtsanwälte beigeordnet.
2. Der Beschluss vom 16. Oktober 2013 wird teilweise aufgehoben und der Antragsgegner wird einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller ab sofort die Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe von 601,59 Euro zu bewilligen und auszuzahlen.
3. Der Beschluss vom 16. Oktober 2013 wird teilweise aufgehoben und der Antragsgegner wird einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller ab sofort für seinen Sohn M A B Regelleistungen in Höhe von jeweils 77,07 Euro monatlich zu bewilligen und auszuzahlen.
4. Der Beschluss vom 16. Oktober 2013 wird teilweise aufgehoben und der Antragsgegner wird einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller ab sofort für seinen Sohn M S B Sozialleistungen in Höhe von 77,07 Euro monatlich zu bewilligen und auszuzahlen.
5. Der Beschluss vom 16. Oktober 2013 wird teilweise aufgehoben und der Antragsgegner wird einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller ab sofort für seinen Sohn F B Sozialleistungen in Höhe von 68,00 Euro monatlich zu bewilligen und auszuzahlen.
6. Die außergerichtlichen Kosten trägt der Antragsgegner.
Mit Schriftsatz vom 22. November 2013 wurde der Antrag zu 2 zurückgenommen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsgegner vertritt die Auffassung, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Regelbedarf/Sozialgeld für die Kinder nicht in eigenem Namen geltend machen könne, weil es sich hierbei um Individualansprüche der Kinder handele.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsakten.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Nachdem im Beschwerdeverfahren der Antrag zu 2 zurückgenommen wurde, ist im Beschwerdeverfahren ausschließlich über die Anträge zu 3 bis 5 zu entscheiden. Diese Anträge sind unzulässig. Hierfür fehlt dem Antragsteller die Prozessführungsbefugnis, d.h die prozessuale Berechtigung, den Anspruch im eigenen Namen geltend zu machen. Der Antragsteller macht die Ansprüche der Kinder als Mitglieder einer temporären Bedarfsgemeinschaft geltend, sodass die Ansprüche nach seinem eigenen Vorbringen anderen zustehen: Anspruchsinhaber sind jeweils die einzelnen Kinder als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist Inhaber eigener Ansprüche ( BSG Urteil vom 07. November 2006, B 7 b AS 10/06 R- juris Rz 13 ).
Das einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft und somit der Antragsteller kann deshalb nicht mit einer eigenen Klage bzw. mit eigenen Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die Ansprüche aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verfolgen (Urteil des Bundessozialgerichts November 2006 – B 7 b AS 8/06 R – juris Rz. 18). Die Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II ist auch kein Fall einer gesetzlichen oder gewillkürten Prozessstandschaft ( BSG Urteil vom 07. November 2006, B 7 b AS 10/06 R- juris Rz 13 ).
Zwar sind nach dem Meistbegünstigungsprinzip grundsätzlich alle an einer Bedarfsgemeinschaft Beteiligten in das Verfahren einzubeziehen, allerdings sind die Anträge auch dann und zwar mangels ordnungsgemäßer Vertretung unzulässig. Die Klage hätte von den minderjährigen Kindern, gesetzlich vertreten durch ihre Eltern, erhoben werden müssen (im einzelnen: BSG Urteil vom 02. Juli 2009, B 14 As 54/08 R- juris Rz 19.).Dies ist hier nicht erfolgt.
Die gesetzliche Vertretung der Kinder erfolgt gemäß § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB gemeinschaftlich durch die Eltern. Ein Elternteil vertritt das Kind nur dann allein, wenn er die elterliche Sorge allein ausübt oder ihm die Entscheidung nach § 1628 BGB übertragen ist, § 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB. Keine dieser Voraussetzungen ist hier erfüllt.
Auch eine an sich zulässige Bevollmächtigung des einen durch den anderen Elternteil oder nachträgliche Genehmigung vollmachtslosen Handelns kommt hier nicht in Betracht. Eine Genehmigung oder Zustimmung der Kindesmutter wurde nicht vorgelegt, obgleich hierzu Gelegenheit gegeben worden war mit Erteilung des richterlichen Hinweises vom 18. November 2013. Hierin wurde darauf hingewiesen dass eine zulässige Bevollmächtigung oder Genehmigung durch den anderen Elternteil nicht aktenkundig ist und eine Vertretungsbefugnis für das gerichtliche Verfahren nicht aus § 38 SGB II folgt.
Soweit der Antragsteller nach Erhalt des gerichtlichen Hinweisschreibens vom 18. November 2013 auf § 38 Absatz 2 SGB II verweist, hilft dies nicht weiter. Die Vorschrift lautet:
(1) Soweit Anhaltspunkte dem nicht entgegenstehen, wird vermutet, dass die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte bevollmächtigt ist, Leistungen nach diesem Buch auch für die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen zu beantragen und entgegenzunehmen. Leben mehrere erwerbsfähige Leistungsberechtigte in einer Bedarfsgemeinschaft, gilt diese Vermutung zugunsten der Antrag stellenden Person.
(2) Für Leistungen an Kinder im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts hat die umgangsberechtigte Person die Befugnis, Leistungen nach diesem Buch zu beantragen und entgegenzunehmen, soweit das Kind dem Haushalt angehört.
Die Wirkung des § 38 SGB II erstreckt sich allerdings nur auf das Verwaltungsverfahren, zu dem auch das Widerspruchsverfahren gehört( BT Dr.17/43404 zu § 38:“…Die nun ausdrücklich normierte Antragsbefugnis nebst Empfangsberechtigung erfasst alle Verfahrenshandlungen, die mit der Antragstellung und der Entgegennahme der Leistungen zusammenhängen und der Verfolgung des Antrags dienen, mithin auch der Einlegung des Widerspruchs.“).
Die vermutete Bevollmächtigung nach Absatz 1 und die Vertretungsbefugnis nach Absatz 2 ermächtigt nicht zur Klagerhebung, da die Klagerhebung - und damit auch die Antragstellung hier- keine das Verwaltungsverfahren betreffende Handlung mehr darstellt sondern eindeutig eine Prozesshandlung ist. Bei gemeinsamer Ausübung des Sorgerechts getrennt lebender Eltern besteht im sozialgerichtlichen Verfahren kein Alleinvertretungsrecht des umgangsberechtigten Elternteils. Bei fehlendem Einvernehmen kann ein Antrag beim Familiengericht gestellt werden. (Link in Eicher/Spellbrink, SGB II § 38 Rdnr. 47 mit zutreffendem Hinweis auf BSGE 104, 48).
Eine Alleinvertretungsbefugnis des Antragstellers ergibt sich auch nicht aus § 1687 Abs. 1 Satz 4 BGB. Solange sich das Kind mit Einwilligung des Elternteils, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, oder aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung bei dem anderen Elternteil aufhält, hat dieser danach zwar die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung. Diese Befugnis beschränkt sich aber auf tatsächliche Umstände wie Ernährung und andere (Urteil des BSG vom 02. Juli 2009 a.a.O. Rz. 24).
Danach ist auch der Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unbegründet. Der Antrag ist abzulehnen. Nach § 73 a SGG i. V. m. § 114 ZPO ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach den vorangegangenen Ausführungen besteht keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden, § 177 SGG.