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Entscheidung 3 T 9/15


Metadaten

Gericht LG Potsdam 3. Zivilkammer Entscheidungsdatum 03.03.2015
Aktenzeichen 3 T 9/15 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

1. Der Begriff des notwendigen Unterhalts in § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO stimmt mit demjenigen in § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO überein; dieser entspricht grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des 3. und 11. Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch.

2. Das Spannungsverhältnis zwischen § 850f Abs. 1 und § 850 Abs. 2 ZPO ist dahingehend zu lösen, dass es zunächst bei den Grundsätzen des § 850 f Abs. 2 ZPO und dem Verweis auf den notwendigen Unterhalt gemäß den Sozialhilfesätzen zu verbleiben hat, bei der Bemessung dieses notwendigen Unterhalts aber die zu § 850f Abs. 1 ZPO entwickelten Maßstäbe zu beachten sind. Denn Intention sowohl von § 850f Abs. 1 als auch von § 850f Abs. 2 ZPO ist, dass dem Schuldner das Existenzminimum im Rahmen der Pfändung zu belassen ist und er nicht auf die Inanspruchnahme von ergänzender Sozialhilfe verwiesen werden soll.

3. Bei einem berufstätigen Schuldner sind bei der Berechnung des notwendigen Unterhalts die prozentualen Zuschläge aus § 11b SGB II zu beachten. Dass § 850f Abs. 1 ZPO nur auf Kapitel 3 des SGB II verweist, § 11b SGB II jedoch im Kapitel 2 des SGB II steht, dürfte ein gesetzgeberisches Redaktionsversehen sein.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners wird der Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 13.10.2014 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG Brandenburg a.d.H. vom 27.6.2014 (Az. 14 M 1683/14) wird dahingehend geändert, dass dem Schuldner vom errechneten Nettoeinkommen bis zur Deckung des Gläubigeranspruchs für seinen eigenen notwendigen Unterhalt

- für die Zeit bis zum 31.12.2014 monatlich 880,50 €
- und für die Zeit ab dem 1.1.2015 monatlich 887,50 €

verbleiben.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben der Schuldner zu 88 % und die Gläubigerin zu 12 % zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18.9.2007.

Sie beantragte am 16.6.2014 den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, den das Amtsgericht am 27.6.2014 erließ. Darin wurde ein dem Schuldner zu verbleibender pfandfreier Betrag von 800 € monatlich festgesetzt.

Mit Schreiben vom 18.7.2014 rügte der Schuldner, vor Beschlusserlass nicht angehört worden zu sein und legte Erinnerung, hilfsweise Beschwerde ein und stellte zudem einen Antrag nach § 765a ZPO. In dem Schreiben macht der Schuldner folgendes geltend:

Seine notwendigen Kosten für einen angemessenen bescheidenen Lebensunterhalt seien deutlich höher als der festgesetzte Betrag. An Wohnkosten würden monatlich 412,36 € anfallen. Ferner müsse er mit dem PKW zu seiner 78 km entfernt liegenden Arbeitsstelle in Berlin-Adlershof fahren. Berufsbedingt müsse er ein Mobiltelefon besitzen und an Fortbildungen teilnehmen. Insgesamt entstünden ihm an berufsbedingten Kosten 735,31 €. Für medizinische Leistungen müsse er im Durchschnitt monatlich 20 € aufwenden. Unter Ansetzung des Regelbedarfs der Stufe 2 von 353 € monatlich bedürfe er für die bescheidene Lebensführung monatlich demnach 1.520,67 €. Er beantragt, diesen Betrag nach § 850f Abs. 1 ZPO festzusetzen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Schreiben Bezug genommen.

Die Gläubigerin nahm zu diesem Schreiben am 1.8.2014 Stellung. Besondere Bedürfnisse, die eine Betragserhöhung rechtfertigen könnten, seien nicht gegeben. Es sei auch zu beachten, dass vorliegend nach § 850f Abs.2 ZPO vollstreckt werde.

Mit Schreiben vom 1.9.2014 legte der Schuldner verschiedene, vom Amtsgericht erbetene Belege vor, nämlich Lohn- und Gehaltsabrechnungen und die Kopie eines Mietvertrages. Hierzu nahm die Gläubigerin mit Schriftsatz vom 10.10.2014 im Einzelnen Stellung. Auf den Schriftsatz wird Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 13.10.2014 lehnte das Amtsgericht sodann die Anträge des Schuldners auf Erhöhung des pfandfreien Betrages nach § 850f ZPO und auf Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO ab. Bei der Festsetzung der 800 € sei bereits der Regelbedarf zugrunde gelegt worden, ferner sei die Erwerbstätigkeit des Schuldners berücksichtigt worden.

Der Beschluss ist dem Schuldner am 17.10.2014 zugestellt worden.

Mit einem Schreiben, das das (offensichtlich unrichtige) Datum 1.9.2014 trägt und das bei Gericht am 2.11.2014 eingegangen ist, hat der Schuldner gegen den Beschluss vom 13.10.2014 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus:

Wegen Lage und Dauer der Arbeitszeiten sei ihm die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich, zudem wegen der dann langen Fahrtzeit auch nicht zumutbar. Die Nutzung des PKW sei deshalb notwendig. Die Gesamtmiete betrage aktuell 485 €.

Mit Schreiben vom 19.12.2014 hat der Schuldner sodann noch weitere, vom Amtsgericht angefragte Belege vorgelegt. Auf die Schreiben und Belege wird Bezug genommen.

Die Gläubigerin hat mit Schriftsatz vom 12.11.2014 die Zurückweisung der Beschwerde beantragt. Die Beschwerde sei bereits wegen Fristversäumung unzulässig.

Mit Beschluss vom 29.1.2015 hat das Amtsgericht der Beschwerde teilweise abgeholfen: es hat den pfändungsfrei zu belassenden Betrag für die Zeit bis 31.12.2014 auf monatlich 814 € und für die Zeit ab dem 1.1.2015 auf monatlich 826 € festgesetzt. Im Übrigen hat es der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht vorgelegt. Das Amtsgericht hat dabei ausweislich der Gründe den Regelbedarf der Stufe 1 von 399 € ab dem 1.1.2015 zugrunde gelegt. Ferner hat es einen arbeitsbedingten Mehrbedarf von 50 % angesetzt und ausgeführt, dass damit die weiteren Werbungskosten abgedeckt seien. Hinsichtlich der Fahrtkosten sei dem Schuldner die Nutzung der Zugverbindung ab Werder/Havel zumutbar, so dass die Autofahrt sich auf 20 km reduziere. Bei den Wohnkosten seien 30 € für die Garage enthalten und nicht zu berücksichtigen.

Die Akte ist am 2.2.2015 beim Beschwerdegericht eingegangen. Der Schuldner hat mit Schreiben vom 12.2.2015 noch ergänzend Stellung genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache nur zu einem Teil, nämlich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Hinsichtlich der Fristgemäßheit wird auf den zutreffenden Hinweis des Amtsgerichts vom 5.1.2015 (Bl. 189 d.A.) Bezug genommen, wonach zu berücksichtigen war, dass der 31.10.2014 in Brandenburg gesetzlicher Feiertag ist.

1.

Hinsichtlich des Ausgangspunktes, nämlich der Anwendung von § 850 f Abs. 2 ZPO und der dabei zu beachtenden Grundsätze kann auf die überzeugenden Ausführungen in der Entscheidung des BGH v. 25.10.2012 (Az. VII ZB 12/10) verwiesen werden, denen sich die Kammer vollumfänglich anschließt. Danach gilt grundsätzlich Folgendes:

Betreibt der Gläubiger die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, darf er nach § 850f Abs. 2 Halbsatz 1 ZPO in einem gegenüber der Vorschrift des § 850c ZPO erweiterten Umfang auf das Arbeitseinkommen des Schuldners zugreifen. Diesem ist jedoch so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen eigenen Unterhalt und zur Erfüllung laufender gesetzlicher Unterhaltspflichten bedarf, § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO. Die Regelung in § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO ist Bestandteil der Vorschriften über den Pfändungsschutz bei Arbeitseinkommen. Sie dient als Ausdruck des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 GG) auch dem Zweck, dem Schuldner ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen (hierzu und zum Folgenden BGH v. 25.10.2012, VIII ZB 12/10, Rn. 9ff.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. März 2004 - IXa ZB 321/03, NJW-RR 2004, 789; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn. 872; Kindl in Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 1. Aufl., § 811 Rn. 1). Darüber hinaus soll im öffentlichen Interesse verhindert werden, dass dem Schuldner durch Vollstreckungsmaßnahmen das Existenzminimum genommen wird mit der Folge, dass das Fehlende durch Sozialhilfe ersetzt und die Forderung des Gläubigers letztlich von der Allgemeinheit aus Steuermitteln bedient werden müsste (Musielak/Becker, ZPO, 9. Aufl., § 850c Rn. 1; Schuschke/Walker/Kessal-Wulf, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., § 850f Rn. 14). Durch den dem Schuldner nach § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO zu belassenden Freibetrag ist dieser davor geschützt, dass sein verbleibendes Resteinkommen unter den Sozialhilfebedarf absinkt (vgl. Stöber, aaO, Rn. 1196 i.V.m. 1094, 1176 i; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850f Rn. 2 und 17). Dem Schuldner ist wenigstens der Betrag zu belassen, den er auch seitens der Sozialleistungsträger bekäme (Schuschke/Walker/Kessal-Wulff, aaO, § 850f Rn. 14; Stein/Jonas/Brehm, aaO, § 850f Rn. 17).

Aus § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO ergibt sich nicht, wie hoch der dem Schuldner pfandfrei verbleibende Betrag ist. Maßgebend ist, wie viel der Schuldner für seinen notwendigen Unterhalt benötigt. Der Begriff des notwendigen Unterhalts in § 850f Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO stimmt mit demjenigen in § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO überein (BGH, Beschluss vom 25. November 2010 - VII ZB 111/09, NJW-RR 2011, 706; BGH, Beschluss vom 5. August 2010 - VII ZB 101/09, FamRZ 2010, 1654). Für den Begriff des notwendigen Unterhalts in § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dieser grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des 3. und 11. Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch entspricht (BGH, jeweils aaO; BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2007 - VII ZB 38/07, NJW-RR 2008, 733; BGH, Urteil vom 23. Februar 2005 - XII ZR 114/03, BGHZ 162, 234). Dem Schuldner darf danach nicht weniger, aber auch nicht mehr belassen werden, als er zur Deckung seines notwendigen Unterhalts benötigt (BGH v. 25.10.2012 aaO Rn. 14; BGH v. 25.11.2010, VII ZB 111/09, Rn. 10).

2.

Nach § 850 f Abs. 1 ZPO kann das Vollstreckungsgericht dem Schuldner auf Antrag von dem nach den Bestimmungen der §§ 850c, 850d und 850i ZPO pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einen Teil belassen, wenn er nachweist, dass bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen, wie sie sich aus der Tabelle in der Anlage zu § 850c ergeben, der notwendige Lebensunterhalt für sich und für die Personen, denen er Unterhalt zu gewähren hat, im Sinne des 3. und 11. Kapitels des XII. SGB nicht gedeckt ist (Buchst. a), oder sonstige besondere Bedürfnisse aus persönlichen oder beruflichen Gründen es erfordern, die Pfändungsfreigrenze heraufzusetzen (Buchst. b). Die Bestimmung des § 850f Abs. 1 ZPO steht im Zusammenhang mit der des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO und geht der Regelung in § 850d Abs. 1 Satz 3 ZPO vor. Die Vorschrift soll im Interesse des Schuldners sicherstellen, dass diesem nach Durchführung der Pfändungsmaßnahme das Existenzminimum verbleibt, und im Interesse der Allgemeinheit, die die Mittel für ergänzende Sozialhilfeleistungen aufzubringen hat, verhindern, dass der Gläubiger zu ihren Lasten befriedigt wird. Reicht der aus § 850c ZPO in Verbindung mit der dazu gehörigen Tabelle zu ermittelnde pfändungsfreie Teil des Arbeitseinkommens nicht aus, um den individuellen Lebensbedarf des Schuldners zu decken, und sind seine Bedürfnisse bei Bemessung des notwendigen Unterhalts nach § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht hinreichend berücksichtigt worden, kann dies über § 850f Abs. 1 ZPO ausgeglichen werden. Es ist dann der Schuldner, der - etwa durch Bescheinigung des für ihn zuständigen Sozialhilfeträgers - den Beweis zu erbringen hat, dass die ihm belassenen Mittel das Existenzminimum unterschreiten (hierzu ausdrücklich BGH v. 12.12.2003, IXa ZB 225/03, Rn. 6; vgl. auch BGH v. 18.7.2003 - IXa ZB 151/03 - NJW 2003, 2918 unter III 1; OLG Frankfurt am Main Rpfleger 2001, 38; Schuschke/Walker, aaO Rdn. 6; Musielak/Becker, ZPO 3. Aufl. § 850f Rdn. 2; Thomas/Putzo, aaO Rdn. 2).

Dabei ist zu beachten, dass die Pfändungsschutzerweiterung des § 850f Abs. 1 nur unter der Maßgabe erfolgt, dass überwiegende Belange des Gläubigers nicht entgegenstehen.

3.

Dem Gesetz nicht unmittelbar zu entnehmen ist das Verhältnis von § 850f Abs. 1 ZPO (Schuldnerschutz) zu § 850 f Abs. 2 ZPO (Gläubigerprivilegierung). Dieses Spannungsverhältnis ist letztlich mit Blick auf § 850 f Abs. 2 Satz 2 ZPO dahingehend zu lösen, dass es zunächst bei den Grundsätzen des § 850 f Abs. 2 ZPO und dem Verweis auf den notwendigen Unterhalt gemäß den Sozialhilfesätzen zu verbleiben hat, bei der Bemessung dieses notwendigen Unterhalts aber die zu § 850f Abs. 1 ZPO entwickelten Maßstäbe zu beachten sind (so auch Prütting/Gehrlein-Ahrens, ZPO 1.A., § 850f ZPO Rn. 52; vgl. auch LG Darmstadt v. 2.1.2003, 5 T 684/02), wobei im Rahmen der Abwägung jedenfalls auch der Aspekt der bevorzugten Vollstreckung aus Abs. 2 als ein besonderer Belang des Gläubigers im Sinne des Abs. 1 angesehen werden kann und zu berücksichtigen ist (insoweit auch Saenger-Kemper, ZPO 3. A, § 850f ZPO Rn. 7; Musielak-Becker, ZPO 11.A., § 850f ZPO Rn. 8; weitergehend Baumbach ZPO 69.A., § 850f Rn. 12: Antrag nach Abs. 1 ist bei gleichzeitig gestelltem Antrag nach Abs. 2 regelmäßig abzulehnen). Denn im Kern ist die Intention sowohl von Abs. 1 als auch von Abs. 2, dass dem Schuldner das Existenzminimum im Rahmen der Pfändung zu belassen ist und er nicht auf die Inanspruchnahme von ergänzender Sozialhilfe verwiesen werden soll.

4.

Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das Amtsgericht die Pfändungsfreigrenze geringfügig zu niedrig angesetzt und war eine weitere Erhöhung dieser Grenze in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang vorzunehmen.

a)

Dabei hat das Amtsgericht rechtsfehlerhaft einen zu hohen Regelsatz angesetzt, da es von der Regelsatzstufe 1 ausgegangen ist, obwohl der Schuldner selbst in seinen Schreiben auf die Regelsatzstufe 2 verwiesen hat und diese Stufe 2 in der Tat die hier einschlägige ist, da der Schuldner mit seinem Lebenspartner einen gemeinsamen Haushalt führt.

Der anzusetzende Regelsatz beträgt deshalb vorliegend bis zum 31.12.2014 nur 353 € und nicht 391 € und ab dem 1.1.2015 nur 360 € und nicht 399 €.

b)

Das Amtsgericht hat dann den Regelsatz wegen der beruflichen Tätigkeit des Schuldners pauschal um 50 % erhöht. Dem vermag die Kammer so nicht zu folgen. Anzusetzen sind vielmehr insgesamt 300 €.

aa)

Dass zusätzlich zum Regelsatz dem erwerbstätigen Schuldner ein bestimmter Prozentsatz des an sich pfändbaren Einkommens zu belassen ist, wird dabei teilweise begründet mit einer analogen Anwendung des § 82 Abs. 3 SGB XII bzw. der Anwendung des darin liegenden Rechtsgedankens (vgl. LG Stendal v. 29.10.2012, 25 T 150/12 Rn. 12-15;).

§ 82 Abs. 3 SGB XII regelt im 11. Kapitel unter dem Kapiteltitel „Einsatz des Einkommens und des Vermögens“, was zum Einkommen zählt und was insoweit von diesem Einkommen abzusetzen ist und demnach vom Leistungsberechtigten neben seinem Anspruch auf Sozialhilfe ohne Anrechnung behalten werden darf.

Allerdings sieht § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII diese prozentualen Abschläge nur für Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderungen vor, also nur bei besonderen Personengruppen (dies auch erkennend, allerdings den Abschlag dennoch als ermessensfehlerfrei anzuerkennen auch bei anderen Erwerbstätigen LG Dessau-Roßlau v. 29.8.2011 aaO Rn. 9). Die Berücksichtigung von mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben ist vielmehr in § 82 Abs. 2 Nr. 4 geregelt, allerdings ohne Angabe von Prozentsätzen oder Pauschalen. Diese Regelung gab es auch schon nach der früheren Gesetzeslage in § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG; der dort vorgesehene weitere Abzug für Erwerbstätige generell in angemessener Höhe (§ 76 Abs. 2a Nr. 1 BSHG) ist hingegen nicht in das SGB XII übernommen worden (zur damaligen Regelung und einem darauf basierenden prozentualen Abschlag vgl. auch BGH v. 12.12.2003, IXa ZB 225/03, Rn. 11-13). § 30 SGB II, der Freibeträge bei Erwerbstätigkeit vorsah, ist zum 1.1.2011 aufgehoben worden. Die Freibeträge sind nunmehr seit dem 1.1.2011 als Absetzbeträge vom Einkommen in § 11b Abs. 3 SGB II vorgesehen. Danach werden bis zu einem Einkommen von 1.000 € 20 % und ab dem Einkommen von über 1.000 € bis 1.200 € 10 % abgezogen.

bb)

Will man nach heutiger Gesetzeslage demnach auf Grundsätze aus den SGB II und/oder SGB XII abstellen, käme hier allenfalls die Anwendung der Prozent-Regel aus § 11b SGB II in Betracht, da § 82 Abs. 3 SGB XII schon von dem Regelgehalt und den Voraussetzungen her zu stark abweicht (so auch Stöber, Forderungspfändung, 16 A., Rn. 1176d). Soweit in der Rechtsprechung hiervon abweichende Prozentsätze angenommen wurden (25 % vom LG Münster, Beschluss v. 29.5.2009, 5 T 18/09 Rn. 34; 30 % vom LG Frankfurt, Beschluss v. 6.4.2011, 2/9 T 78/11 Rn. 9 und vom LG Meiningen v. 18.7.2007, 4 T 185/07, Rn. 11 sowie vom LG Stuttgart v. 10.2.2005, 10 T 144/04, Rn. 12; 40 % vom LG Detmold, Beschluss vom 6.10.2008, 3 T 136/08, Rn. 6), lässt sich dieser jedenfalls nicht aus den aktuellen Sozialgesetzen ableiten.

Aus § 11b SGB II ergibt sich vorliegend ein Zuschlag von 20 % aus 900 € (= 180 €) sowie von weiteren 10 % auf das Einkommen zwischen 1.000 und 1.200 € (= 20 €), rechnerisch also von insgesamt 200 € (für die Anwendung der Prozentsätze aus § 11b SGB II auch LG Darmstadt v. 26.4.2007, 5 T 53/07 Rn. 53 und LG Aschaffenburg v. 16.4.2007, 4 T 191/06, Rn.33 ff.). Indem dieser Prozentsatz dem erwerbstätigen Leistungsberechtigten belassen wird, soll vor allem ein Anreiz für die Fortsetzung der Erwerbstätigkeit geschaffen werden (vgl. LG Dessau-Roßlau v. 29.8.2011, 1 T 175/11, Rn. 10 m.w.N.; so auch zur früheren Regelung in § 76 Abs. 2 BSHG BGH v. 12.12.2003, IXa ZB 225/03, Rn. 12).

cc)

Allerdings verkennt das reine Abstellen auf § 11b SGB II, dass es sich dabei um eine Vorschrift zur Berechnung des Einkommens und damit zur Beantwortung der Frage handelt, ob eine Person überhaupt hilfsbedürftig im Sinne des § 9 SGB II ist. Denn nach § 19 Abs. 3 SGB II erhalten die Personen nur Hilfe, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen gedeckt ist. Die Frage, wie hoch der Bedarf ist, wird an sich nur aus den §§ 20 ff. SGB II heraus beantwortet. Auch verweist § 850f Abs. 1 ZPO gerade nicht auf § 11 SGB II, der im Kapitel 2 des SGB II unter „Anspruchsvoraussetzungen“ steht, sondern nur auf Kapitel 3 des SGB II.

Soweit das LG Stuttgart (Beschluss vom 10.2.2005 aaO Rn. 13) darauf verweist, dass der Mehrbedarf für Erwerbstätige zum sozialhilferechtlichen Mindestbedarf zählt und das BVerfG zitiert, stellt die Entscheidung des BVerfG vom 25.9.1992 (Az 2 BvL 5/91, dort Rn. 69) auf den Mehrbedarf des Erwerbstätigen ab, der in § 23 Abs. 4 Nr. 1 BSHG in der damals gültigen Fassung berücksichtigt wurde. Diese Norm ist jedoch schon 1995 in der damaligen Fassung abgeändert worden. Nachdem diese Norm in dieser Fassung gestrichen wurde, wurde daraufhin von einigen Gerichten die Ansicht vertreten, dass nunmehr dieser Zuschlag für Erwerbstätige jedenfalls nicht mehr pauschal zu erfolgen habe, sondern nur bei einem konkret zu belegenden Mehraufwand (so ausdrücklich OLG Köln v. 13.8.1999, 2 W 165/99). Hingegen ist von anderen Gerichten die Auffassung vertreten worden, dass nach Abschaffung der Regelung eines konkreten Mehrbedarfszuschlags für Erwerbstätige die Vorschriften, die nunmehr diesen Mehraufwand nur noch als Abschlag beim Einkommen berücksichtigen, anzuwenden seien (so ausdrücklich OLG Frankfurt v. 17.8.2000, 26 W 16/00 und insbesondere BGH v. 12.12.2003, IXa ZB 225/03, Rn. 11 ff.). Insoweit wird darauf verwiesen, dass es bei diesem Mehraufwand um die Verschonung des Existenzminimums gehe und eine Gleichstellung des Schuldners mit einem Sozialhilfeempfänger erreicht werden solle.

Dieser letztgenannten Auffassung schließt sich die Kammer an. Sie dient vor allem der Praktikabilität bei der Bemessung des berufsbedingten Mehraufwandes. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in § 850f Abs. 1 auch auf das 11. Kapitel des SGB XII und damit auf die Einkommensberechnung nach § 82 SGB XII abgestellt. Soweit er hinsichtlich des SGB II nur auf das 3. Kapitel abstellt, § 11b SGB II jedoch im 2. Kapitel steht, ist zu berücksichtigen, dass diese Freibeträge für Erwerbstätige noch bis zum 31.12.2010 in § 30 SGB II und damit im 3. Kapitel standen und erst dann neu geregelt wurden; die Fassung des § 850f ZPO mit dem Verweis auf das SGB II geht jedoch auf das Jahr 2009 zurück. Insofern dürfte es sich um ein redaktionelles Versehen handeln (vgl. auch OLG Frankfurt v. 17.8.2000 aaO zum vorherigen Verweis auf das BSHG).

dd)

Neben den oben nach § 11b Abs. 3 SGB II errechneten 200 € sind zudem noch gemäß § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II 100 € für die in den § 11b Abs. 1 Nr. 3 bis 5 SGB II genannten Aufwendungen anzusetzen. Darin enthalten sind auch die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben wie beispielsweise Fahrtkosten.

c)

Dass dem Schuldner höhere notwendige Ausgaben als dieser angesetzte Betrag entstehen, kann nicht angenommen werden. Insoweit macht der Schuldner vor allem erhöhte Fahrtkosten geltend. Diese sind, ebenso wie die weiteren Unterhaltskosten für das Fahrzeug, aber grundsätzlich von den oben errechneten Pauschalen bereits als abgedeckt anzusehen, soweit sie nicht den Rahmen des Üblichen überschreiten. In einem Flächenland wie Brandenburg sind Fahrtwege zur Arbeit bis zu 50 km noch als üblich anzusehen. Für den Arbeitsweg ist von den vom Schuldner angegebenen 77 km als kürzeste Entfernung auszugehen; sie entspricht auch den Angaben der gebräuchlichen Routenplaner im Internet. Demnach sind als Mehraufwand pro Arbeitstag 54 km anzuerkennen. Ein Verweis auf öffentliche Verkehrsmittel erscheint hingegen weder im Hinblick auf die geltend gemachten Arbeitszeiten noch im Hinblick auf die vorgetragenen notwendigen Fahrten als Betriebsratsmitglied als zumutbar. Bei durchschnittlich 22 Arbeitstagen ergibt sich hieraus ein Fahrtaufwand von 1.188 km. Pro KM ist eine Pauschale von 0,20 € gemäß der ALG-II-VO anzusetzen, so dass hieraus ein Mehrbedarf von 237,60 € resultieren würde.

Dieser Mehrbedarf ist jedoch nicht anzusetzen, sondern es hat bei der oben berücksichtigen Pauschale von 300 € zu verbleiben, da nicht ersichtlich ist, dass diese Kosten nicht vom Lebenspartner des Schuldners getragen werden können. Denn grundsätzlich ist das Einkommen des Lebenspartners jedenfalls im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 850f Abs. 2 ZPO mit zu berücksichtigen (BGH v. 25.10.2012, VII ZB 12/10). Zu dem Einkommen des Lebenspartners hat der Schuldner keine Angaben gemacht. Im Pfändungsantrag hat die Gläubigerin insofern einen vermuteten Bruttoverdienst von 1.700 € angesetzt. Daraus kann der oben errechnete Mehrbedarf zumutbar beglichen werden.

Im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung war dabei auch zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend um eine priviligierte Gläubigervollstreckung wegen einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Schuldners handelt und die Forderung deutlich über 900.000 € liegt. Diese beiden Aspekte zusammengenommen lassen eine weitere Schonung des Schuldners nicht zu. Insoweit stehen auch überwiegende Belange des Gläubigers entgegen.

d)

Die Kosten der Unterkunft hat das Amtsgericht zutreffend mit 227,50 € berechnet. Dies ergibt sich aus der Monatsmiete von 485 € (einschließlich Betriebskostenvorschuss), abzüglich 30 € für eine nicht notwendige Garage, sodann aufgeteilt auf den Schuldner und seinen Lebenspartner. Weitere Beträge waren nicht hinzuzusetzen. Zwar sind grundsätzlich bei den Kosten für die Unterkunft die tatsächlich geleisteten Beträge anzusetzen (vgl. BGH v. 5.8.2010, VII ZB 17/09, Rn. 5). Trotz Bestreitens seitens der Gläubigerin hat der Schuldner jedoch lediglich eine Abschlagsrechnung für den Strom vorgelegt, wonach hierfür monatlich 171 € zu zahlen seien. Dieser Beleg war schon deshalb nicht ausreichend, da eine Abschlagsforderung nicht belegt, wie hoch schlussendlich tatsächlich der Verbrauch ist.

e)

Die darüber hinaus vom Schuldner geltend gemachten Kosten sind durch die zuerkannten Pauschalen und den Regelsatz grundsätzlich mit abgegolten und nicht als besonderer Mehrbedarf anzuerkennen.

f)

Zusammengefasst errechnet sich damit der Pfändungsfreibetrag für den Schuldner ab dem 1.1.2015 wie folgt:

360 € 

        

Regelbedarf Stufe 2

300 € 

        

Pauschalen wegen Erwerbstätigkeit gem. § 11b SGB II

227,50 €

        

Kosten der Unterkunft

887,50 €

        

= Summe

Bis zum 1.1.2015 ist die Summe 7 € geringer, beträgt also 880,50 €.

Auf diese Beträge war auf die Beschwerde hin der amtsgerichtliche Beschluss abzuändern.

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92, 97 ZPO. Der Erfolg der Beschwerde betrug im Vergleich zur beantragten Abänderung (Anhebung von 800 € auf 1.520,67 €, also um 720,67 €) rund 12 %.

Der Beschwerdewert wird auf 8.648 € festgesetzt (12 x 720,67 €).

6.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 3 und Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO zuzulassen. Sowohl die Frage des Verhältnisses zwischen § 850f Abs. 1 und Abs. 2 ZPO als auch die Frage, inwiefern sich Prozentsätze aus den aktuellen ZPO- und SGB-Normen ableiten lassen haben zum einen grundsätzliche Bedeutung und erfordern im Hinblick auf letztgenannten, von den Instanzengerichten unterschiedlich gehandhabten Aspekt der Prozentsätze eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.