Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Beitragserlass

Beitragserlass


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 04.02.2015
Aktenzeichen L 9 KR 179/14 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 5 Abs 1 Nr 13 SGB 5, § 256a SGB 5

Leitsatz

Die Regelung über den Beitragserlass in § 256a SGB V gilt nicht für Beitragsrückstände, die erst nach Erfassung und Feststellung der Auffang-Pflichtversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V) entstanden sind.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. April 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt den Erlass von Beitragsschulden.

Vom 1. April 2007 bis zum 24. April 2008 war die Klägerin auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) bei der Beklagten krankenversichert. Im Mai 2010 zeigte die Klägerin der Beklagten an, seit dem 1. April 2009 nicht krankenversichert zu sein. Hierauf behandelte die Beklagte die Klägerin als seit 1. April 2009 (und bis 31. Januar 2014) auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V pflichtversichert. Beitragsforderungen für die Zeiträume 1. April 2007 bis 24. April 2008 und 1. April 2009 bis 30. Juni 2010 schlug die Beklagte im Juli 2010 nieder.

Seit dem 1. Februar 2014 ist die Klägerin bei der BKK VBU krankenversichert.

Mit Schreiben vom 8. November 2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten den Erlass von Beitragsschulden für den Zeitraum vom 1. Juli 2010 bis zum 31. Oktober 2013 auf der Grundlage von § 256 a SGB V. Zugleich zeigte sie den Eintritt einer Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB XI bei der Beklagten an.

Nachdem die Beklagte hierauf zunächst nicht reagiert hatte, erhob die Klägerin am 29. November 2013 Klage bei dem Sozialgericht Berlin, mit der sie die Verpflichtung der Beklagten begehrt, offene Beitragsschulden umgehend zu erlassen. Sie müsse in den Genuss der Regelung in § 256 a SGB V kommen. Demjenigen, der sich – wie sie – bis zum 31. Dezember 2013 bei der Krankenkasse gemeldet habe, seien die Beiträge zu erlassen. Sie habe keinerlei Leistungen von der Beklagten erhalten und mehrere andere Gläubiger, denen sie Geld schulde, die ihr wirklich geholfen hätten. Dass sie irgendwann zu Geld komme, sei unwahrscheinlich.

Die Beklagte hat erklärt, die Klage sei wegen fehlender Durchführung eines Vorverfahrens unzulässig. Die Anzeige der Klägerin zur Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V vom 8. November 2013 könne keine Wirkung entfalten, weil zu diesem Zeitpunkt bereits eine solche Krankenversicherung für sie bestanden habe. Für den Zeitraum 1. Juli 2010 bis 30. September 2013 beliefen sich die offenen Beitragsforderungen auf 5.777,01 Euro, für den Zeitraum vom 1. November 2013 bis zum 31. Januar 2014 auf 467,55 Euro, mithin insgesamt auf 6.244,56 Euro, ohne Berücksichtigung von Säumniszuschlägen bzw. Mahngebühren.

Mit Bescheid vom 27. Februar 2014 lehnte die Beklagte den von der Klägerin beantragten Beitragserlass für die Zeit vom 1. Juli 2010 bis zum 31. Januar 2014 nach § 256 a Abs. 2 SGB V ab. Am 19. Juli 2010 habe die Klägerin eine Einstufung über die Beitragshöhe ab 1. Juli 2010 erhalten. Der persönliche Nacherhebungszeitraum der Klägerin betreffe die Zeit vor dieser Einstufung vom 1. April 2009 bis zum 30. Juni 2010; die offenen Beiträge für diesen Zeitraum seien bereits im Jahre 2010 erlassen worden, weshalb ein Erlass für alle laufenden Beiträge ab dem Beitragsmonat Juli 2010 ausgeschlossen sei. Dieser Bescheid enthielt einen Hinweis auf die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 29. April 2014 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Soweit das Klagebegehren dahingehend zu verstehen sei, dass die Beklage im Sinne einer Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG dazu habe verpflichtet werden sollen, über den Antrag auf Beitragserlass vom 08. November 2013 zu entscheiden, habe die Klage keine Erfolg, denn die Beklagte habe mit dem Bescheid vom 27. Februar 2014 über diesen Antrag entschieden. Anders als die Klägerin meine, trete ein Beitragserlass auch nicht automatisch ein, sondern erfordere eine Verwaltungsentscheidung der Krankenkasse. Diese sei nun erfolgt, hiergegen sei ggfs. Widerspruch einzulegen. An der Durchführung des Vorverfahrens fehle es. Soweit das Klagebegehren dahingehend zu verstehen sei, dass die Beklagte rechtswidrig gehandelt habe, sei die Klage unzulässig, denn ein Feststellungsinteresse für diesen Antrag sei nicht ersichtlich.

Gegen den ihr am 6. Mai 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 4. Juni 2014 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen an, die Beklagte und auch das Sozialgericht hätten das „Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung“ zu ihren Lasten ignoriert. Sie fühle sich in ihren Grundrechten verletzt, insbesondere in ihrem Recht auf Gleichbehandlung sowie in ihrem Recht auf Gehör und daraus folgend in ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. In der Berufung liege zugleich eine Anklage an das Sozialgericht Berlin. Angesichts all dessen und des langjährig fehlenden Versicherungsschutzes in der Vergangenheit sei ein aufwändiges Widerspruchsverfahren unangemessen und unzumutbar.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. April 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Beitragsschulden für den Zeitraum 1. Juli 2010 bis 31. Januar 2014 in Höhe von 6.244,56 Euro zu erlassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Für die Zeit ab 1. Juli 2010 habe der Klägerin bewusst sein müssen, Beiträge in gesetzlicher Höhe zu schulden.

Mit Beschluss vom 15. Dezember 2014 hat der Senat den Rechtsstreit dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten sowie auf den Inhalt der beigezogenen Streitakte S 211 KR 963/13 Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe

Der Senat hat über die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Besetzung durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entschieden, weil das Sozialgericht über die Klage durch Gerichtsbescheid entschieden und der Senat durch Beschluss vom 15. Dezember 2014 die Berufung dem Berichterstatter zur Entscheidung übertragen hat. Der Senat durfte zudem in Abwesenheit der Klägerin verhandeln und entscheiden, weil sie ordnungsgemäß geladen war und die Ladung den Hinweis enthielt, dass auch bei Ausbleiben eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden darf (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126 SGG).

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht Berlin die Klage schon als unzulässig abgewiesen.

Nach § 88 SGG ist eine Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts zulässig, wenn ein solcher Antrag ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden wurde. Hier hatte die Klägerin am 8. November 2013 den Beitragserlass beantragt und schon drei Wochen später, am 29. November 2013, eine als Untätigkeitsklage zu verstehende Klage gegen die Beklagte erhoben. Dies war, gemessen an § 88 Abs. 1 SGG, unzulässig. Noch innerhalb der Sechsmonatsfrist aus § 88 Abs. 1 SGG lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 27. Februar 2014 den beantragten Beitragserlass ab. Damit blieb es bei der Unzulässigkeit der zuvor erhobenen Klage (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 11. Aufl. 2014, Rdnr. 10a zu § 88).

Die Klage ist aber auch unbegründet, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf den begehrten Beitragserlass. Die zum 1. August 2013 eingeführte Regelung in § 256a SGB V trägt dem Umstand Rechnung, dass das Vorliegen der Voraussetzungen für die mit dem 1. April 2007 eingeführte Auffang-Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V häufig nicht oder verspätet angezeigt wurde und daher im Falle einer nachträglichen Erfassung solcher Mitgliedschaften hohe Beitragsrückstände und Säumniszuschläge aufgelaufen sind. Die Regelung in § 256a SGB V ermöglicht oder erleichtert die Ermäßigung und den Erlass solcher Beitragsschulden und Säumniszuschläge, um die Erfassung und Abwicklung dieser Auffang-Versicherungspflichten möglichst bis Ende 2013 zu fördern (vgl. Peters in Kasseler Kommentar, Rdnr. 2 zu § 256a SGB V).

Es liegt auf der Hand, dass die Klägerin von dieser Regelung nicht erfasst ist, weil sie bei deren Einführung bereits seit Jahren auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V bei der Beklagten krankenversichert war. Der Zweck der Vorschrift, bislang nicht krankenversicherte Menschen über das Versprechen des Beitragserlasses in die gesetzliche Krankenversicherung zu integrieren, konnte daher bei der Klägerin gar nicht mehr erreicht werden. Die Vorschrift gilt nicht für Beitragsrückstände, die – wie bei der Klägerin – erst nach Erfassung und Feststellung der Auffang-Pflichtversicherung entstanden sind (Peters, a.a.O., Rdnr. 6).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision, § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.