Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 6 TaBV 1027/11


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 6. Kammer Entscheidungsdatum 15.07.2011
Aktenzeichen 6 TaBV 1027/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 76 Abs 5 S 3 BetrVG, § 76 Abs 5 S 4 BetrVG, § 87 Abs 1 Nr 4 BetrVG

Leitsatz

Der Spruch einer Einigungsstelle, wonach der Arbeitgeber die festen Vergütungsbestandteile jeweils zum 1. des Folgemonats und die variablen Vergütungsbestandteile jeweils zum 1. des übernächsten Monats auf ein Konto des Arbeitnehmers zu überweisen hat, ist wirksam, auch wenn in einem nachwirkenden Manteltarifvertrag bislang geregelt war, dass die Vergütung jeweils am 5. Werktag des Folgemonats fällig wird.

Tenor

1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 16.03.2011 - 7 BV 17982/10 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit des Spruches einer Einigungsstelle vom 11. November 2010. Danach wurde der Auszahlungstermin für die Vergütung der Arbeitnehmer wie folgt geregelt:

„Die Arbeitgeberin überweist den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern jeweils zum 1. des Folgemonats die aus festen Bestandteilen bestehende monatliche Vergütung auf ein von der Arbeitnehmerin bzw. dem Arbeitnehmer mitzuteilendes Konto bei einem Geldinstitut. Im Laufe eines Monats entstandene variable Vergütungsbestandteile, insbesondere Zeitzuschläge, werden jeweils am 1. des übernächsten Monats auf dieses Konto überwiesen.“

Das Arbeitsgericht Berlin hat die auf Feststellung von Nichtigkeit oder Unwirksamkeit gerichteten Anträge der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, durch die Regelung in § 3 der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche vom 15. Juli 2010 (PflegeArbbV), wonach das in § 2 geregelte Mindestentgelt zum 15. des Folgemonats fällig werde, schließe eine für die Arbeitnehmer günstigere Regelung nicht aus. Auch die Bestimmung des fünften Werktags des Folgemonats als Auszahlungszeitpunkt in § 13a des Manteltarifvertrags für den Betrieb der Arbeitgeberin vom 24. September 2004 stehe nicht entgegen, weil dieser Tarifvertrag gekündigt sei und seine Regelungen deshalb lediglich nachwirkten und durch eine andere Abmachung ersetzt werden könnten.

Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG umfasse auch die Fälligkeit der Vergütung innerhalb der gesetzlichen und tariflichen Grenzen einschließlich eines dazugehörigen Initiativrechts des Betriebsrats. Die grundgesetzlich garantierte unternehmerische Freiheit bestehe nur innerhalb der gesetzlichen Ausgestaltung der Mitbestimmungsrechte. Deren Umfang und Grenzen seien von einer Unterscheidung zwischen formellen und materiellen Arbeitsbedingungen nicht abhängig. Durch die getroffene Regelung werde die sich aus § 614 Abs. 2 BGB ergebende Vorleistungspflicht der Arbeitnehmer nicht beseitigt.

Der Spruch der Einigungsstelle sei auch nicht etwa deshalb ermessensfehlerhaft, weil darin von der Fälligkeitsregelung im gekündigten Tarifvertrag abgewichen werde, da das Ermessen der Einigungsstelle nicht auf eine Übernahme einzelner aus dem tarifvertraglichen Kontext herausgelöster Regelungen beschränkt sei. Eine Ermessensüberschreitung liege auch nicht darin, dass nicht darauf abgestellt worden sei, wann die Arbeitgeberin selbst Zahlungen der Bewohner ihrer Einrichtung erhalte.

Gegen diesen ihr am 13. April 2011 zugestellten Beschluss richtet sich die am 11. Mai 2011 eingelegte und am 9. Juni 2011 begründete Beschwerde der Arbeitgeberin. Sie tritt der Begründung des angefochtenen Beschlusses in allen Punkten mit Rechtsausführungen entgegen und spricht dem Betriebsrat bereits ein Initiativrecht für eine Regelung der Auszahlung der Arbeitsentgelte ab. Mit den meisten Beschäftigten des Betriebs seien inzwischen neue Arbeitsverträge geschlossen worden, wonach die Vergütung jeweils am fünften Werktag des Folgemonats fällig werde. Damit sei § 614 BGB Satz 2 BGB abbedungen worden und verstoße der Spruch der Einigungsstelle gegen § 271 Abs. 2 BGB. Schließlich habe die Einigungsstelle ihr Ermessen überschritten, weil dieses aufgrund der Anerkennung der Vorfinanzierung im Pflegebereich durch die Gewerkschaft ver.di im Manteltarifvertrag auf Null reduziert gewesen sei.

Die Arbeitgeberin beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Beschlusses festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 12. November 2010 zu einer Betriebsvereinbarung über Zeitpunkt und Art der Auszahlung der Arbeitsentgelte nichtig bzw. unwirksam sei.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung gegen die Angriffe der Arbeitgeberin.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die tatbestandliche Darstellung im angefochtenen Beschluss und ihre in der Beschwerdeinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

2. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet.

Der Spruch der Einigungsstelle vom 12. November 2010 ist wirksam.

2.1 Der Betriebsrat hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG über Zeit, Ort und Art der Arbeitsentgelte mitzubestimmen, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht.

2.1.1 § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV regelt lediglich die Fälligkeit des in § 2 dieser Verordnung verbindlich vorgeschriebenen Mindestentgelts. Damit ist keine Regelung für einen Anspruch des Arbeitnehmers auf darüber hinausgehendes, gleich hohes oder niedrigeres Entgelt aufgrund Arbeits- oder Tarifvertrags getroffen worden. Abgesehen davon, dass dies durch die gesetzliche Ermächtigung in § 11 AEntG nicht gedeckt wäre, sollte mit dem hinausgeschobenen Fälligkeitstermin erkennbar lediglich ein Ausgleich für die Belastung des Arbeitgebers durch seine Verpflichtung zur Zahlung eines zusätzlichen Entgelts geschaffen werden.

2.1.2 Ein nach seinem Ablauf gemäß § 4 Abs. 5 TVG bloß noch nachwirkender Tarifvertrag stellt keine dem Mitbestimmungsrecht entgegenstehende tarifliche Regelung dar (BAG, Beschluss vom 24.02.1987 – 1 ABR 18/85 – BAGE 54, 191 = AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 21 zu B II 6 b der Gründe).

2.1.3 Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG hinsichtlich der Auszahlung der Arbeitsentgelte umfasst auch materielle Arbeitsbedingungen wie etwa eine Kostenerstattung bei bargeldloser Zahlung (dazu BAG, Beschluss vom 08.03.1977 – 1 ABR 33/75 – BAGE 29, 40 = AP BetrVG 1972 § 87 Auszahlung Nr. 1 zu II 2 der Gründe) und damit auch eine Bestimmung des Fälligkeitstermins. Dies jedenfalls bis zur Grenze der sich aus § 614 Satz 2 BGB grundsätzlich ergebenden Vorleistungspflicht der Arbeitnehmer, die hier entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin gerade nicht überschritten worden ist.

2.1.4 Das Recht des Betriebsrats, bei einer Regelung über die Zeit der Auszahlung der Arbeitsentgelte mitzubestimmen, umfasst auch ein Initiativrecht (BAG, Beschluss vom 25.04.1989 – 1 ABR 91/87 – BAGE 62, 1 = AP ArbGG 1979 § 98 Nr. 3 zu B II 4 der Gründe).

2.1.5 Ein Verstoß gegen § 271 Abs. 2 BGB liegt entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin nicht vor. Zwar hat sie im Anschluss an den inzwischen gekündigten Manteltarifvertrag mit den meisten Beschäftigten ihres Betriebs neue Arbeitsverträge geschlossen, wonach die Vergütung jeweils am fünften Werktag des Folgemonats fällig wird. Die Aufnahme einer Regelung mit kollektivem Bezug in die Arbeitsverträge vermag jedoch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht auszuschließen (BAG, Beschluss vom 21.12.1982 – 1 ABR 14/81 – BAGE 41, 200 = AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 9 zu B II 3 b der Gründe). Anders verhält es sich erst, wenn im Einzelfall individuelle Regelungen vereinbart werden. Das auch für Betriebsvereinbarungen geltende Günstigkeitsprinzip (dazu BAG, Beschluss vom 07.11.1989 – GS 3/85 – BAGE 63, 211 = AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 46 zu C II 1 der Gründe) schützt allein die Arbeitnehmer und steht deshalb für sie günstigeren Regelungen in einer Betriebsvereinbarung nicht entgegen.

2.2 Der Einigungsstelle ist schließlich auch kein Ermessensfehler unterlaufen (§ 76 Abs. 5 Satz 3 und 4 BetrVG). Sie hat mit ihrem Spruch dem Zweck des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG Rechnung getragen (dazu BAG, Beschluss vom 17.10.1989 – 1 ABR 31/87 (B) – BAGE 63, 140 = AP BetrVG 1972 § 76 Nr. 39 zu B II 1 der Gründe). Indem sie zum Ausgleich dafür, dass die festen Vergütungsbestandteile vier Tage früher als nach dem Manteltarifvertrag fällig werden sollen, die Fälligkeit der variablen Vergütungsbestandteile um fast vier Wochen hinausgeschoben hat, sind die Belange des Betriebs und der Arbeitnehmer angemessen berücksichtigt und zu einem billigen Ausgleich gebracht worden.

3. Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht, weil im Beschlussverfahren gem. § 2 Abs. 2 GKG, § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG Kosten nicht erhoben werden (vgl. BAG, Beschluss vom 30.10.1972 – 1 ABR 7/71 – BAGE 24, 459 = AP BetrVG 1972 § 40 Nr. 7 zu C der Gründe).

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. §§ 72 Abs. 2, 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG waren nicht erfüllt. Die Auslegung der Fälligkeitsregelung in der PflegeArbbV steht außer Zweifel und ist deshalb nicht höchstrichterlich klärungsbedürftig.