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GdB - Höhe


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 13.12.2012
Aktenzeichen L 13 SB 206/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 69 SGB 9

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin erstrebt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Telebusberechtigung (Merkzeichen „T“) nach Berliner Landesrecht durch den Beklagten.

Bei der 1964 geborenen Klägerin wurde zuletzt mit Bescheid vom 22. Januar 2003 wegen eines Asthma Bronchiale, eines seelischen Leidens mit Angst- und psychosomatischen Anteilen, einer Herzminderleistung sowie eines Hautleidens ein GdB von 70 festgestellt. Die Klägerin bezieht seit dem Jahr 1996 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung von ihrem Rentenversicherungsträger und erhält seit Juni 2008 Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I.

Am 18. September 2008 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Neufeststellung des GdB sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen „B“, „G“, „H“ und „T“. Nach Beiziehung des Pflegegutachtens vom 29. Juli 2008 sowie eines Befundberichtes der die Klägerin behandelnden Fachärztin für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. P vom 10. Dezember 2008 ließ der Beklagte die Klägerin durch die Neurologin und Psychiaterin seines versorgungsärztlichen Dienstes F begutachten. Die Sachverständige beschreibt in ihrem Gutachten vom 8. August 2009 ein in der Untersuchungssituation vorgebeugtes, auf einen Rollator gestütztes, langsames, aber ausreichend raumgreifendes Gangbild ohne Schwanken. Darüber hinaus teilt die Sachverständige in ihrem Gutachten mit, sie hätte bei einer zufälligen Beobachtung der Klägerin auf dem Weg zur etwa 250 Meter entfernten U-Bahn ein aufrechtes Gangbild mit langsamen, aber flüssigen Bewegungen gesehen, wobei der Rollator nicht mehr als Stütze verwendet, sondern von der Klägerin geschoben worden sei. Die Sachverständige empfahl die Anerkennung folgender Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin:

Psychosomatische Störungen, psychische Störungen,
Persönlichkeitsstörung

        

 (Einzel-GdB 40)

Asthma Bronchiale

        

 (Einzel-GdB 40)

Herzminderleistung

        

 (Einzel-GdB 30)

Hautleiden

        

 (Einzel-GdB 10)

Darüber hinaus ließ der Beklagte die Klägerin durch den in seinem versorgungsärztlichen Dienst beschäftigten Arzt S begutachten. Der Sachverständige beschreibt in seinem Gutachten vom 10. Februar 2010 einen am Rollator demonstrativ langsamen, schlurfenden, mäßig raumgreifenden, jedoch insgesamt noch ausreichend sicheren Gang und empfahl die Anerkennung folgender Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin:

Psychosomatische Störungen, psychische Störungen,
Persönlichkeitsstörung

        

 (Einzel-GdB 40)

Asthma Bronchiale

        

 (Einzel-GdB 40)

Herzminderleistung

        

 (Einzel-GdB 30)

Funktionsbehinderung des rechten Hüftgelenkes,
Funktionsbehinderung der Knie beidseits

        

 (Einzel-GdB 20)

Hautleiden

        

 (Einzel-GdB 10)

Der Gesamt-GdB sei weiterhin mit 70 zu bewerten. Eine Limitierung der Gehstrecke aufgrund eines Hüft- und Kniegelenkleidens könne ebenso wenig festgestellt werden, wie eine Verschlechterung auf kardiopulmonalem Gebiet. Beide Sachverständige sahen keine Voraussetzungen für die Feststellung von Nachteilsausgleichen als gegeben an. Der Beklagte lehnte daraufhin die begehrte Feststellung eines höheren GdB sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen „G“, „B“, „H“ und „T“ mit Bescheid vom 28. April 2010 ab. Den dagegen von der Klägerin am 10. Mai 2010 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2010 zurück.

Die Klägerin hat am 13. Oktober 2010 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie die Feststellung eines GdB von 80 sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „T“ mit der Begründung geltend gemacht hat, sie sei in ihrer Mobilität so weit eingeschränkt, dass sie ohne Fremdhilfe nicht mehr in der Lage sei, ihre Wohnung zu verlassen und sich selbst zu versorgen.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben über die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei dem Allgemeinmediziner Dr. B. Der Sachverständige beschreibt in seinem Gutachten vom 23. Juni 2011, dass die Klägerin 26 Altbaustufen zur Praxis zwar langsam und etwas mühevoll absolviert habe, eine stärkere Dyspnoe bei der Ankunft in der Praxis jedoch nicht feststellbar gewesen sei. Den Weg aus der Praxis zum wartenden Krankenwagen habe die Klägerin – durch das Praxisfenster beobachtet – deutlich zügiger als während der Begutachtungsuntersuchung, nämlich recht zügig, und hinkfrei am Rollator in recht gut aufgerichteter Haltung zurückgelegt. Innerhalb der Praxis sei das Gangbild stärker, keinesfalls aber außergewöhnlich beeinträchtigt gewesen. Der Sachverständige empfahl die Anerkennung folgender Funktionsbeeinträchtigungen bei der Klägerin:

Seelisches Leiden (Depression, Angstneurose,
somatoforme Schmerzstörung)

        

 (Einzel-GdB 40)

Asthma Bronchiale, Herzminderleistung

        

(Einzel-GdB 40)

Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden
(bei freier Beweglichkeit)

        

 (Einzel-GdB 20)

Harninkontinenz

        

 (Einzel-GdB 20)

Hautleiden

        

 (Einzel-GdB 10)

Auch wenn die Lungenfunktionswerte der Klägerin unter Medikation annähernd normal seien und eine Leistungsminderung bereits bei alltäglicher leichter Belastung selbst in Kombination der Herz- und Lungenleiden nicht bestehe, führe die hinzugekommene Blasenentleerungsstörung dazu, dass der Gesamt-GdB zumindest seit September 2008 weiterhin mit 70 zu bewerten sei. Am Bewegungsapparat hätten sich kaum altersuntypische Befunde erheben lassen, so dass die Beschwerden anteilig Ausdruck der erheblichen statischen Überlastung seien, in erster Linie aber auf eine chronifizierte, dabei tendenziös ausgestaltete somatoforme Schmerzstörung zu beziehen seien und somit Teil des seelischen Hauptleidens. Das Asthma Bronchiale sowie die Gelenks- und Wirbelsäulenschmerzen wirkten sich negativ auf die Fortbewegungsfähigkeit der Klägerin aus. Deren Gangbild sei jedoch nur mäßig beeinträchtigt. Sie könne sich mit dem Rollator hinreichend zügig und sicher sowie hinkfrei fortbewegen.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 11. Oktober 2011 abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht unter Bezugnahme auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. B dargelegt, dass der GdB der Klägerin mit 70 weiterhin zutreffend bewertet sei. Zudem lägen die Voraussetzungen für die Erteilung des Merkzeichens „T“ nicht vor, da die dafür wesentliche Voraussetzung des Bestehens einer außergewöhnlichen Gehbehinderung nicht gegeben sei. Für den Zeitraum seit September 2008 lägen mehrere Einschätzungen des Gehvermögens der Klägerin durch unterschiedliche Ärzte vor, die übereinstimmend belegten, dass die Klägerin über ein weit besseres Gehvermögen als außergewöhnlich gehbehinderte Menschen verfüge, da sie unter Zuhilfenahme ihres Rollators durchaus in der Lage sei, längere als nur kurze Wegstrecken zumutbar zurückzulegen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 10. November 2011 zugestellte Urteil am 28. November 2011 Berufung zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt mit der sie vorträgt, nur mit sehr großen Kraftanstrengungen mittels Hilfsmittel sich zumindest auf kürzeren Strecken zu bewegen. Das Ein- und Aussteigen aus öffentlichen Verkehrsmitteln sowie das Treppensteigen seien ihr ohne fremde Hilfe überhaupt nicht möglich. Im Jahre 2012 sei sie jedenfalls zweimal beim Laufen am Rollator gestürzt.

Der Senat hat Beweis erhoben über die bei der Klägerin bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bei der Arbeitsmedizinerin Dr. F. Die Sachverständige beschreibt in ihrem Gutachten vom 10. April 2012 zunächst, dass sie die Klägerin zufällig beobachtet habe, wie sie aus dem Taxi gestiegen sei und den Praxiseingang gesucht habe. Dabei sei die Klägerin in die falsche Richtung gelaufen, wobei die Körperhaltung aufrecht sowie der Gang nicht auffallend langsam und insbesondere ohne Hinken gewesen seien, die Wendebewegungen beim Richtungswechsel seien ausreichend flüssig gewesen und der Rollator sei geschoben worden. Beim Eintreffen in der Praxis habe sich die Klägerin dann in demonstrativer Weise sehr langsam, unregelmäßig hinkend und auf dem Rollator abstützend fortbewegt und dabei eine deutlich vertiefte/hechelnde Atmung präsentiert, während später bei der gesamten körperlichen Untersuchung und beim Gehen zu ebener Erde keine Dyspnoe aufgetreten sei. Die Sachverständige bewertet den Gesamt-GdB weiterhin mit 70 und legt dem die folgenden Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

Seelische Störung

        

 (Einzel-GdB 40)

Asthma Bronchiale

        

 (Einzel-GdB 40)

Insulinpflichtiger Diabetes mellitus

        

 (Einzel-GdB 30)

Knie- und Hüftgelenksverschleiß

        

 (Einzel-GdB 20)

Harninkontinenz

        

 (Einzel-GdB 10)

Hautleiden

        

 (Einzel-GdB 10)

Bei der Bildung des Gesamtbehinderungsgrades sei zu berücksichtigen, dass sich die seelische Störung und das Asthma Bronchiale wechselseitig negativ in ihren Auswirkungen verstärkten, so dass insoweit ein GdB von 60 zu bilden sei. Der orthopädisch interpretierte Knie- und Hüftgelenksverschleiß ohne relevantes Funktionsdefizit erweise sich im Hinblick auf die subjektive Beschwerdewahrnehmung eher als psychisch überlagert und führe zu keiner weiteren GdB-Erhöhung. Hinzugetreten sei seit Dezember 2011 ein insulinpflichtiger Diabetes Mellitus mit doch deutlicheren Auswirkungen auf den Alltag, so dass insgesamt weiterhin ein GdB von 70 als angemessen erscheine. Die Klägerin sei zum Gehen ohne Einlegen von Pausen ohne weiteres in der Lage. Objektiv bestünden keine Fähigkeitsstörungen beim Treppensteigen. Die Beingelenke seien frei beweglich. Die Beschwerden seien deutlich aggraviert, Luftnot stelle sich bei Ablenkung überhaupt nicht dar. Das Ausmaß der Schmerzen und der Leidensdruck relativierten sich auch angesichts seit Jahren fehlender adäquater Behandlungsmaßnahmen. In einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 27. August 2012 hat die Sachverständige an ihrer Einschätzung festgehalten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 11. Oktober 2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 28. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei der Klägerin einen GdB von 80 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „T“ festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Sozialgericht mit dem angegriffenen Urteil vom 11. Oktober 2011 die Klage abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 28. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 80 sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „T“. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils Bezug, denen er folgt, und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Absatz 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Auch die weitere medizinische Sachaufklärung im Berufungsverfahren hat zu keinem abweichenden Ergebnis geführt. Die Sachverständige Dr. F hat überzeugend dargelegt, weshalb der Gesamt-GdB auch unter Berücksichtigung des neu hinzugetretenen insulinpflichtigen Diabetes mellitus weiterhin zutreffend mit 70 bewertet ist, zumal die von der Sachverständigen als „doch deutlicher“ angenommenen Auswirkungen auf den Alltag nicht konkret im Gutachten beschrieben werden, so dass zweifelhaft erscheint, inwieweit tatsächlich von „weiteren Einschnitten“ in der Lebensführung ausgegangen werden kann, die für die Annahme eines Einzel-GdB von 30 nur für den Diabetes unabdingbare Voraussetzung sind. Jedenfalls erscheinen die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander mit 70 angemessen und ausreichend bewertet, da das führende und sich auf die anderen Leidenskomplexe entscheidend – weil im Übrigen kaum altersuntypische Befunde vorliegen – auswirkende seelische Leiden durch die erfolgte Erhöhung auf 70 bereits maximal bewertet erscheint. Damit entspricht die Bewertung bereits der von schweren seelischen Störungen mit mittelgradigen, an der Grenze zu schweren sozialen Anpassungsstörungen. Eine weitere Erhöhung erscheint vor dem Hintergrund der tatsächlichen Teilhabebeeinträchtigungen der Klägerin nicht gerechtfertigt.

Hinsichtlich der Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „T“ ist den Ausführungen des Sozialgerichts nichts hinzuzufügen, weil die Beobachtungen und Feststellungen von Dr. B durch Dr. F vollumfänglich bestätigt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Absatz 2 SGG nicht gegeben sind.