Gericht | OLG Brandenburg Vergabesenat | Entscheidungsdatum | 15.03.2011 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | Verg W 5/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 25.1.2011 - VK 64/10 - aufgehoben.
Der Auftraggeber wird verpflichtet, die Wertung der Angebote in dem Vergabeverfahren betreffend den maschinellen Holzeinschlag einschließlich Rückung von Holz auf vom Kampfmittelräumungsdienst freigegebenen Flächen im Bereich des Landesbetriebes Forst … - Betriebsteil W… -, Lose 1, 2, 3 und 9 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenats zu wiederholen.
Die Gebühren und Auslagen des Verfahrens vor der Vergabekammer hat der Auftraggeber zu tragen. Der Auftraggeber hat der Antragstellerin deren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung vor der Vergabekammer des Landes Brandenburg notwendigen Auslagen zu erstatten. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin war notwendig. Der Auftraggeber und die Beigeladenen tragen ihre im Verfahren vor der Vergabekammer entstandenen Auslagen selbst.
Die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde einschließlich der Kosten des Verfahrens der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde trägt der Auftraggeber mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.
I.
Der Landesbetrieb Forst … schrieb u. a. im Ausschreibungsblatt Brandenburg/Berlin vom 4. Oktober 2010 den maschinellen Holzeinschlag einschließlich Rückung von Holz auf vom Kampfmittelräumdienst freigegebenen Flächen in neun den Gebieten der Oberförstereien des ehemaligen Betriebsteiles W… entsprechenden Territoriallosen für den Zeitraum Januar bis Dezember 2011 öffentlich nach VOL/A aus. Angebote konnten auf ein oder mehrere Lose oder auf die Gesamtleistung abgegeben werden und waren bis zum 2. November 2010, 13.00 Uhr einzureichen.
Die Leistungsbeschreibung enthielt den in fetter Schrift hervorgehobenen Hinweis, dass "eine Vorortbesichtigung der Bestände zu den Losen 1 bis 9 zwingend erforderlich" sei. Dabei wurden für jedes Los Besichtigungstermine vorgegeben. Die Besichtigungstermine waren auf insgesamt fünf Tage angesetzt. Ferner hieß es in der Leistungsbeschreibung, dass die Teilnahme an der Vorortbesichtigung durch ein vorbereitetes Formblatt zu dokumentieren und mit dem Angebot vorzulegen sei. In den Vergabeunterlagen war eine Liste von Unterlagen genannt, die zur Beurteilung der Eignung vorzulegen seien. Die Bescheinigung der Vorortbesichtigung war darin nicht enthalten. Die Bekanntmachung enthielt keinen Hinweis auf diese Vorortbesichtigungen.
Die Antragstellerin reichte ein Angebot für alle Lose ein und fügte diesem die von den einzelnen Oberförstereien abgestempelten bzw. abgezeichneten neun Bescheinigungen bei, mit denen die Teilnahme an der jeweiligen Flächenbesichtigung bestätigt wurde.
Dem Angebot der Beigeladenen zu 1.) lag keine Bescheinigung über eine Teilnahme an den Vorortbesichtigungen bei. Der Beigeladene zu 2.) gab mit dem Angebot zwei Teilnahmebescheinigungen über Vorortbesichtigungen für die Lose 2 und 4 ab. Für die streitigen Lose legte er seinem Angebot je eine von der zuständigen Oberförsterei abgezeichnete "Bestätigung zur Vorlage bei der Vergabestelle" bei, aus der sich ergab, dass der Einsatzleiterin seines Unternehmens die örtlichen Bedingungen in der Oberförsterei hinreichend bekannt seien, weil sein Unternehmen auf den Ausschreibungsflächen im Jahr 2010 die maschinelle Holzernte sowie die Rückung durchführt hat.
Die vom Auftraggeber vorgenommene Angebotswertung nach dem günstigsten Preis vom 8.11.2010 ergab, dass die Beigeladene zu 1.) den Zuschlag auf die Lose 1 und 2 und der Beigeladene zu 2.) den Zuschlag auf die Lose 3, 6, 8 und 9 erhalten sollte. Darüber informierte der Auftraggeber die Antragstellerin mit Vorinformationen gemäß § 101 a GWB vom 11. November 2010.
Mit Schreiben vom 19. November 2010 rügte die Antragstellerin die beabsichtigte Zuschlagserteilung. Sie verwies auf die nach den Verdingungsunterlagen zwingend vorzunehmenden Vorortbesichtigungen an den in der Leistungsbeschreibung vorgegebenen Terminen. Hinsichtlich der streitigen Lose sollten jedoch ausnahmslos Unternehmen berücksichtigt werden, die bei keinem vorgegebenen Vororttermin anwesend gewesen seien. Die für den Zuschlag vorgesehenen Angebote entsprächen nicht den Auftrags- und Vergabebedingungen. Bei der Antragstellerin habe sich der mit der Wahrnehmung der Ortstermine verbundene erhebliche Zeitaufwand auch kalkulatorisch auf die Preisbildung in den Angeboten ausgewirkt.
Der Auftraggeber beabsichtigte zunächst, der Rüge der Antragstellerin hinsichtlich der Lose 1 und 2 abzuhelfen und fertigte hierüber einen Vermerk vom 29.11.2010. Nachdem er der Beigeladenen zu 1.) mitgeteilt hatte, dass er ihr Angebot für diese Lose ausschließen und die Beigeladene zu 1.) dagegen eine Rüge erhoben hatte, teilte er jedoch den Beteiligten mit Schreiben vom 7. Dezember 2010 mit, dass die Nichtteilnahme an den Vorortbesichtigungen nicht als Ausschlussgrund zu qualifizieren sei. Zwingende formale Ausschlussgründe ergäben sich nur auf Grundlage des § 19 EG Abs. 3 VOL/A. Die Wertung, die mit Schreiben vom 11. November 2010 mitgeteilt worden sei, bleibe aufrechterhalten.
Daraufhin hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2010 bei der Vergabekammer des Landes Brandenburg einen Nachprüfungsantrag gestellt. Zur Begründung hat sie sich im Wesentlichen auf den Inhalt ihres Rügeschreibens berufen. Sie hat gemeint, die Angebote der Beigeladenen seien wegen ihrer Unvollständigkeit und wegen einer Abänderung der Vertragsunterlagen auszuschließen.
Sollten den Zuschlagsbietern Ausweichtermine zur Besichtigung angeboten worden sein, liege ein Verstoß gegen das Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot vor, denn die Informationsgleichheit sei nicht sichergestellt. Die Wertung sei unter Ausschluss der Angebote der Bieter, die sich nicht an den offiziell benannten Besichtigungsterminen beteiligt hätten, zu wiederholen. Die beanstandete Ungleichbehandlung und Intransparenz bestehe auch wegen ausdrücklich unterschiedlich erteilter Auskünfte und Informationen über die Notwendigkeit der Teilnahme an den Ortsterminen. Auf Nachfrage des Geschäftsführers der Antragstellerin im Vorfeld der Termine sei diesem mehrfach vom Auftraggeber bestätigt worden, dass auf der Teilnahme an der Ortsbesichtigung bestanden werde.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. dem Auftraggeber zu untersagen, den Zuschlag in den Losen 1, 2, 3, 6, 8 und 9 zu erteilen,
2. für den Fall der bereits erfolgten Zuschlagserteilung festzustellen, dass die zustande gekommenen Verträge unwirksam sind und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist,
3. die Angebotswertung nach der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen.
Der Auftraggeber hat keinen Antrag gestellt.
Der Auftraggeber hat zur Vorgabe der verpflichtenden Vorortbesichtigungen vorgetragen, dass es in der Vergangenheit mangels ausreichender Kenntnisse über die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort durch die Auftragnehmer zu Schwierigkeiten bei der Auftragsabarbeitung gekommen sei. Allerdings hätten die mit der Leistungsbeschreibung bekannt gegebenen Termine individuelle Abweichungen nicht ausgeschlossen. Der weiter geforderte Nachweis der Teilnahme an den Vorortbesichtigungen sei in der abschließenden Wertung der Preisangebote nachrangig gewesen. Ausschlaggebendes Kriterium sei die Wirtschaftlichkeit. Die Ortsbesichtigung habe somit in der Wertung weder eine kalkulatorische noch wettbewerbsrechtliche Relevanz. Sie diene ausschließlich der Information der Bieter für ihre eigene Entscheidungs- und Preisfindung.
Die Beigeladenen haben jeweils beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Der Beigeladene zu 2.) hat sich dem Vortrag des Auftraggebers angeschlossen. Das Einräumen von Ausweichterminen zur Besichtigung stelle keinen Verstoß gegen das Transparenz- und/oder Gleichbehandlungsgebot dar. Eine zwingende Terminfestlegung sei in den Vergabeunterlagen nicht zu sehen. Vermeintliche, durch die Besichtigungen entstandene Mehrkosten seien nicht bewiesen.
Durch Verfügung des Vorsitzenden der Kammer vom 10. Januar 2011 wurde die Entscheidungsfrist nach § 113 Abs. 1 GWB bis zum 28. Januar 2011 verlängert.
Die Vergabekammer hat durch Beschluss vom 25.1.2011 den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei zulässig, aber unbegründet. Aus Zumutbarkeitserwägungen spreche nichts dagegen, dass ein Auftraggeber von Bewerbern fordere, sich spezifische und auch aktuelle Kenntnisse über das Gebiet zu verschaffen, in dem die Bewerber im Zuschlagsfalle den ausgeschriebenen Auftrag ausführen sollten. Nicht zu beanstanden sei auch die Forderung, sich nach der jeweiligen Flächenbesichtigung von der zuständigen Oberförsterei eine Bestätigung ausstellen zu lassen, die zu Nachweiszwecken mit dem Angebot vorgelegt werden sollten. Da es sich dabei um einen Eignungsnachweis handele, hätte dieser jedoch in der Bekanntmachung gefordert werden müssen. Da dies nicht der Fall gewesen sei, vielmehr die Forderung nach diesem Nachweis lediglich in den Verdingungsunterlagen erhoben worden sei, sei der Auftraggeber gehindert, einen Ausschluss eines den Teilnahmenachweis nicht enthaltenen Angebotes zu rechtfertigen.
Gegen diesen Beschluss, ihr zugestellt am 25.1.2011, hat die Antragstellerin durch bei Gericht am 8.2.2011 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, die sich – nur noch - auf die Lose 1, 2, 3 und 9 bezieht.
Die Antragstellerin beanstandet, dass die Vergabekammer ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Sie habe im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht darauf hingewiesen, dass die Ortsbesichtigung als Maßnahme der Eignungsbeurteilung zu werten sei. Die Angebote der Beigeladenen seien wegen Unvollständigkeit auszuschließen. Die Nachweise über die Teilnahme an den Ortsbesichtigungen seien nicht Eignungsnachweise, die Besichtigungen hätten der Beschreibung der Leistung gedient. Dies ergebe sich auch daraus, dass die Bescheinigungen nicht unter der Liste der Eignungsnachweise genannt würden, sondern dem Kapitel der Leistungsbeschreibung zugeordnet worden seien. Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung sei es auch nicht zulässig, den Bietern andere Formen der Kenntniserlangung zu gewähren. Die dem Beigeladenen erteilten Bestätigungen seien nicht als gleichwertige Angebotserklärungen anzuerkennen.
Die Antragstellerin beantragt,
1. den Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 25.1.2011 - VK 64/10 - die Lose 1, 2, 3 und 9 betreffend und die Kostenentscheidung zu Lasten der Antragstellerin sowie in Bezug auf die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen betreffend vollumfänglich, einschließlich der Lose 6 und 8, aufzuheben,
2. für den Fall der bereits erfolgten Zuschlagserteilung festzustellen, dass die zustande gekommenen Verträge unwirksam sind und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt ist,
3. den Auftraggeber zu verpflichten, das Vergabeverfahren nach der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts durchzuführen.
Der Auftraggeber beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Der Auftraggeber hält die Entscheidung der Vergabekammer für richtig.
Er meint, die Antragstellerin habe nach Erhalt der Vorabinformation gemäß § 101a GWB vom 11.11.2010 am 19.11.2010 schon keine unverzügliche Rüge erhoben. Das Verhalten der Antragstellerin sei auch widersprüchlich, wenn sie ihren Nachprüfungsantrag im Beschwerdeverfahren auf die Lose 1, 2, 3 und 9 beschränke.
Die Teilnahmebescheinigung über eine Ortsbesichtigung sei ein Eignungsnachweis. Fehle einem Angebot ein Eignungsnachweis, der nicht in der Bekanntmachung enthalten sei, sei dies vergaberechtlich unerheblich. Der Beigeladene zu 2.) sei in den Gebieten der Lose 3 und 9 bereits im Jahr 2010 für den Auftraggeber tätig und kenne sich mit den örtlichen und waldbaulichen Gegebenheiten aus. Er habe deshalb nach Rücksprache mit dem Auftraggeber keine Ortsbesichtigung mehr durchführen müssen. Damit habe er, der Auftraggeber, sich auch gegenüber dem Beigeladenen zu 2.) gebunden. Er, der Auftraggeber, habe im übrigen in vergaberechtlich unzulässiger Weise die Ortstermine zeitlich so kurz vor den Ablauf der Frist zur Einreichung der Angebote gelegt, dass kein weiterer Bieter mehr am Vergabeverfahren teilnehmen konnte, wenn er diese Termine versäumt habe. Deshalb könne die unterbliebene Teilnahme an den Ortsbesichtigungen auch nicht zum Ausschluss eines Bieters führen. Diese Termine als Sammeltermine verstießen auch gegen das im Vergabeverfahren geltende Vertraulichkeitsgebot.
Die Antragstellerin könne jedenfalls deshalb nicht zum Zuge kommen, weil ihr die Eignung fehle. Sie müsse wegen Unzuverlässigkeit ausgeschlossen werden.
Die Beigeladenen verteidigen die Entscheidung der Vergabekammer.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß den §§ 116, 117 GWB zulässig, weil sie fristgerecht eingelegt und begründet worden ist.
II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat auch in der Sache Erfolg.
1.) Der Senat ist befugt, in der Sache zu entscheiden, auch wenn die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 1.3.2011 ihre schriftsätzlich angekündigten Sachanträge nicht verlesen haben. Zwar beginnt im Zivilprozess die mündliche Verhandlung damit, dass die Parteien ihre Anträge stellen, § 137 Abs. 1 ZPO, wobei die Anträge aus den vorbereitenden Schriftsätzen zu verlesen sind, § 297 Abs. 1 ZPO.
Diese zivilprozessualen Vorschriften sind jedoch im Beschwerdeverfahren vor den Nachprüfungsinstanzen nicht anwendbar. Dies ergibt sich mittelbar aus § 69 Abs. 2 GWB, der gemäß § 120 Abs. 2 GWB im Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat des Oberlandesgerichts anwendbar ist. Nach dieser Vorschrift kann sogar dann in der Sache verhandelt und entschieden werden, wenn ein Beteiligter trotz rechtzeitiger Benachrichtigung in der mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist. Dies muss erst recht gelten, wenn ein Beteiligter erschienen ist, aber seinen schriftsätzlich angekündigten Antrag nicht verlesen hat (Willenbruch/ Wieddekind/Kuhlig, Vergaberecht, 2. Aufl. 2011, § 120 GWB Rn 36; ähnlich BVerwG, Beschluss vom 28.6.1974, II B 81.73, NJW 1974, 1916, zitiert nach Juris).
Eine ausdrückliche Antragstellung in der mündlichen Verhandlung ist jedenfalls im vorliegenden Fall entbehrlich, weil sich Gegenstand und Ziel des Beschwerdebegehrens aus den Schriftsätzen hinreichend klar ergibt. Die Antragstellerin hat in ihrer Beschwerdeschrift einen den Anforderungen des § 117 Abs. 2 Nr. 1 GWB genügenden Antrag gestellt. Der Auftraggeber hat bereits mit seinem dem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde entgegentretenden Schriftsatz beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen. Aus dem Inbegriff des Vorbringens der Beigeladenen ergibt sich ebenfalls, dass sie die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin erstreben.
2.) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zulässig. Insbesondere hat sie den von ihr beanstandeten Vergaberechtsverstoß rechtzeitig nach § 107 Abs. 3 GWB gerügt. Sie hat nachgewiesen, dass sie das Vorabinformationsschreiben des Auftraggebers gemäß § 101a Abs. 1 GWB frühestens am 16.11.2010 erhalten hat, so dass die drei Tage später am 19.11.2010 erhobene Rüge als unverzüglich erhoben anzusehen ist. Die Antragstellerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung Briefumschläge vorgelegt, auf denen der Auftraggeber als Absender angegeben und ein Poststempel vom 15.11.2010 aufgebracht war.
Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Sie hat sich am Vergabeverfahren beteiligt und vorgetragen, dass ihr dadurch ein Schaden droht, dass der Auftraggeber ihr Angebot für die Lose 1, 2, 3 und 9 nicht berücksichtigen wolle. Bei diesen Losen hätte sie Aussicht auf die Erteilung des Zuschlages, wenn die Beigeladenen bei der Zuschlagserteilung nicht berücksichtigt werden können.
3.) Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Die beabsichtigte Vergabe des Auftrags betreffend die Lose 1, 2, 3 und 9 an die Beigeladenen verstößt gegen Bestimmungen über das Vergabeverfahren. Aus diesem Grund war auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin anzuordnen, dass der Auftraggeber die Wertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Vergabesenates zu wiederholen hat.
a.) Bei der zu wiederholenden Angebotswertung darf der Auftraggeber die Angebote der Beigeladenen nicht berücksichtigen. Er würde mit einer Vergabe der streitgegenständlichen Aufträge an die Beigeladenen die im Vergaberecht geltenden Grundsätze des Transparenz- und des Gleichbehandlungsgebotes verletzen.
Zwar gilt für die Vergabe von Dienstleistungen nach dem Anhang I Teil B der VOL/A 2009, um die es vorliegend geht, gemäß § 4 Abs. 4 VgV nur ein eingeschränktes Vergaberegime. So gelten allein die §§ 8, 15 Abs. 10 und 23 VOL/A-EG 2009. Im Übrigen gelten die Regelungen des Abschnittes 1 der VOL/A 2009 mit Ausnahme von deren § 7. Die vergaberechtlichen Grundprinzipien wie das Diskriminierungsverbot und das Transparenzgebot gelten jedoch auch bei der Vergabe nachrangiger Dienstleistungen.
Der Auftraggeber hat in den Verdingungsunterlagen erklärt, dass eine Vorortbesichtigung an bestimmten Tagen an bestimmten Orten "zwingend" erforderlich sei. Er hat außerdem mitgeteilt, dass die Teilnahme an der Vorortbesichtigung "in der Anlage zu dokumentieren und mit dem Angebot" vorzulegen sei. Er hat damit unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass ein Angebot unvollständig ist, das die Bescheinigungen, die die Teilnahme an den Vorortbesichtigungen nachweist, nicht enthält.
Der Auftraggeber kann nicht mit Erfolg geltend machen, dass die vorgegebenen Termine für die Ortsbesichtigungen zeitlich zu knapp vor dem Termin zur Abgabe der Angebote lagen, oder dass die Durchführung von Sammelortsterminen gegen das den §§ 12 Abs. 4, 13 Abs. 2 VOL/A 2009 zugrunde liegende Vertraulichkeitsgebot verstößt, so dass im Ergebnis die unterbliebene Vorlage der geforderten Nachweise unbeachtlich sei. Es kann offen bleiben, ob diese Gestaltung des Vergabeverfahrens vergaberechtsfehlerhaft ist. Das Vorliegen von Vergaberechtsverstößen rechtfertigt nur Maßnahmen des Auftraggebers zur Herstellung eines vergaberechtskonformen Vergabeverfahrens, nicht jedoch seine Rechtsverteidigung im Nachprüfungsverfahren zu Lasten eines die Nachprüfung aus anderen Gründen betreibenden Bieters. Die geltend gemachten Fehler sind hier infolge Zeitablaufs irreparabel, weil die Frist zur Abgabe der Angebote abgelaufen und das Vertraulichkeitsgebot bereits verletzt ist.
Die Forderung des Auftraggebers nach Vorlage von Nachweisen über die Teilnahme an den Vorortbesichtigungen ist in den Verdingungsunterlagen wirksam erfolgt. Denn die vom Auftraggeber geforderten Nachweise über die Teilnahme an Ortsbesichtigungen stellen keine Eignungsnachweise dar, deren Vorlage er gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 lit. l VOL/A 2009 bereits in der Bekanntmachung hätte fordern müssen.
Hierfür spricht zunächst schon, dass der Auftraggeber diese Nachweise weder im Ausschreibungstext noch in der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots bei den mit dem Angebot vorzulegenden, die Eignung der Bieter belegenden Unterlagen aufgeführt hat. Dort hat er vielmehr die Vorlage einer Reihe von anderen Unterlagen gefordert.
Diese Nachweise lassen sich auch der Sache nach nicht als Nachweise der Eignung qualifizieren. Eignungskriterien sind Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit. Die Fachkunde besitzt ein Bieter, wenn er die in dem betreffenden Fachgebiet notwendigen technischen Kenntnisse verfügt, um den ausgeschriebenen Auftrag ordnungsgemäß erbringen zu können. Leistungsfähig ist ein Unternehmen, wenn es in technischer, kaufmännischer, personeller und finanzieller Hinsicht so ausgestattet ist, dass es die Gewähr für die ordnungsgemäße Erbringung der geforderten Leistung bietet. Zuverlässig ist ein Bewerber, wenn er seinen gesetzlichen Verpflichtung nachkommt und wenn er eine sorgfältige und einwandfreie Ausführung der ausgeschriebenen Leistung entsprechend den rechtlichen und technischen Normen einschließlich Gewährleistung erwarten lässt. Daraus ergibt sich, dass ein Bieter die Eignung für die Durchführung eines konkreten Auftrages vor dem Vergabeverfahren erworben hat, in dem er seine Eignung nachweisen soll. Die durch die geforderten Nachweise belegte und erst im laufenden Vergabeverfahren zu erwerbende Kenntnis von den Örtlichkeiten, an denen die ausgeschriebenen Holzschlag- und Rückungsarbeiten durchgeführt werden sollen, lassen sich deshalb unter keines der vorgenannten Eignungskriterien subsumieren.
Der Sinn der Vorortbesichtigungen war es nach dem eigenen Vortrag des Auftraggebers im Verfahren vor der Vergabekammer vielmehr, geeignete Bieter in die Lage zu versetzen, ordnungsgemäß kalkulierte und vorhandenen Risiken Rechnung tragende Angebote abzugeben. So hat der Auftraggeber vorgetragen, dass alle Interessenten vor Abgabe eines Angebotes über die örtlichen Verhältnisse umfänglich informiert werden sollten, deshalb sei in die Leistungsbeschreibung die Forderung nach einer Vorortbesichtigung der Bestände aufgenommen worden. Dadurch habe sichergestellt werden sollen, dass die verbal beschriebenen Besonderheiten in den jeweiligen Losen Berücksichtigungen finden. Grund für diese Forderung sei gewesen, dass es in Einzelfällen in der Vergangenheit zur Schwierigkeiten in der Auftragsabarbeitung gekommen sei, da keine ausreichenden Kenntnisse über die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort vorhanden gewesen seien. Daraus ergibt sich, dass der Auftraggeber mit der Forderung nach einer Vorortbesichtigung von ihm als unzulänglich erachtete textliche Beschreibungen der Örtlichkeiten durch eine obligatorische Ortsbesichtigung durch alle potentiellen Bieter beheben wollte. Die Vorortbesichtigungen hatten mithin den Zweck, die Leistungsbeschreibung zu ergänzen und präziser zu gestalten. Der Nachweis über die Teilnahme an den Vorortbesichtigungen stellt mithin der Sache nach einen Nachweis der Kenntnisnahme von Einzelheiten der für die Durchführung des Auftrages maßgeblichen Umstände dar.
Da die Beigeladenen weder an den Vorortbesichtigungen teilgenommen noch ihre Teilnahme in der vom Auftraggeber geforderten Form nachgewiesen haben, können ihre Angebote für den Zuschlag nicht berücksichtigt werden. Da die Termine, an denen die Vorortbesichtigungen stattgefunden haben, bereits verstrichen sind, ist den Beigeladenen die Nachreichung entsprechender Nachweise unmöglich, so dass es nicht darauf ankommt, ob der Auftraggeber nach § 16 Abs. 2 VOL/A 2009 berechtigt gewesen wäre, fehlende Nachweise nachzufordern.
Der Auftraggeber ist deshalb im Hinblick auf die im Beschwerdeverfahren noch streitbefangenen Lose gehindert, den Zuschlag auf Angebote von solchen Bietern zu erteilen, die - wie die Beigeladenen im vorliegenden Verfahren - an diesen Vorortbesichtigungen nicht teilgenommen haben und die entsprechenden Bescheinigungen weder vorgelegt haben noch diese vorlegen können. Deren Angebote sind unvollständig und deshalb gemäß § 16 Abs. 3 lit. a) VOL/A 2009 auszuschließen.
Der Auftraggeber ist aus Gleichbehandlungsgründen nicht berechtigt, einzelnen Bietern Befreiung von der Vorlage dieser verlangten Bescheinigung zu erteilen.
b.) Die Begründetheit des Nachprüfungsantrages scheitert nicht daran, dass der Auftraggeber im Beschwerdeverfahren erstmals geltend macht, der Antragstellerin fehle die Eignung und sie könne aus diesem Grunde nicht zum Zuge kommen, so dass ihr infolge eines unterbliebenen Zuschlags an sie ein Schaden nicht drohe.
Die Prüfung der Eignung eines Bieters ist Aufgabe des Auftraggebers. Die Nachprüfungsinstanzen haben sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die vom Auftraggeber getroffene Prognose, ob ein Bieter eine fachgerechte und reibungslose Vertragserfüllung gewährleistet oder nicht, eine hinreichende Tatsachengrundlage hat und innerhalb des der Vergabestelle zustehenden Bewertungsspielraums liegt. Die Nachprüfungsinstanzen dürfen jedenfalls nicht ihre Bewertung an die Stelle derjenigen des Auftraggebers setzen. Prüfungsgrundlage für die Nachprüfungsinstanzen ist dabei der Vergabevermerk, nicht das Vorbringen des Auftraggebers im Nachprüfungsverfahren (OLG Koblenz, Beschluss vom 15.10.2009, 1 Verg 9/09, VergabeR 2010, 696, zitiert nach Juris).
Im vorliegenden Fall kann eine solche Prüfung durch den Vergabesenat nicht stattfinden, weil eine Eignungsprüfung im ursprünglichen Vergabevermerk vom 8.11.2010 überhaupt nicht, im – auf die Rüge der Antragstellerin hin - überarbeiteten Vermerk vom 29.11.2010 allenfalls eine Prüfung der technischen Leistungsfähigkeit stattgefunden hat, die die Vergabestelle bei der Antragstellerin bejaht hat.
Der Auftraggeber wird deshalb bei der Wiederholung der Wertung auch eine Eignungsprüfung zu dokumentieren haben. Sollte er dabei Zweifel an der Eignung der Antragstellerin hegen, wird er erläutern müssen, warum er bisher keine Veranlassung gesehen hat, die Antragstellerin auf der zweiten Wertungsstufe bei der materiellen Eignungsprüfung auszuschließen. Denn bei seiner Wertung vom 29.11.2010 hat er zunächst der Rüge der Antragstellerin hinsichtlich der Lose 1 und 2 abhelfen und sie – nach Bejahung der "technischen Voraussetzungen lt. Rahmenvorgaben" für diese Lose für den Zuschlag vorsehen wollen. Er hat auch im Nachprüfungsverfahren Zweifel an der Eignung der Antragstellerin erst geäußert, nachdem er aufgrund des Beschlusses des Vergabesenates, mit dem die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin verlängert worden ist, von einem Erfolg des Nachprüfungsantrages der Antragstellerin ausgehen musste. Erläuterungsbedarf würde auch deshalb bestehen, weil die nunmehr vorgetragenen Umstände, die Zweifel an der Eignung der Antragstellerin begründen sollen, dem Auftraggeber schon bei seiner ersten Wertung am 8.11.2010 und teilweise auch schon seit vielen Monaten bekannt waren.
III. Die Entscheidung über die Tragung der vor der Vergabekammer entstandenen Gebühren und Auslagen richtet sich nach § 128 Abs. 3 und 4 GWB.
Der Senat hat es aus Billigkeitserwägungen für richtig gehalten, die Gebühren und Auslagen der Vergabekammer allein dem Auftraggeber aufzuerlegen und ihn auch allein zu verpflichten, die Auslagen der Antragstellerin zu erstatten. Es entspricht demgegenüber nicht der Billigkeit, auch die Beigeladenen an diesen Kosten zu beteiligen. Denn der Auftraggeber hat sich - bezogen auf alle im Verfahren vor der Vergabekammer in Streit befindlichen Lose - nicht an die von ihm selbst gestellten Anforderungen an die Vollständigkeit von Angeboten gehalten, sondern ist ohne erkennbaren Grund hiervon abgerückt. Wenn dies nicht geschehen wäre, wären die Beigeladenen von vornherein von der Wertung ausgeschlossen gewesen und hätten nicht an einem Nachprüfungsverfahren beteiligt werden müssen.
Der Auftraggeber muss auch die Kosten des Vergabekammerverfahrens tragen, soweit es die Lose 6 und 8 angeht. Soweit Bei diesen Losen lag die Antragstellerin nach der Preiswertung des Auftraggebers jeweils an dritter Stelle. Soweit es das Los 8 angeht, hätte die Antragstellerin Chancen auf den Zuschlag gehabt, weil die beiden Beigeladenen preislich vor ihr lagen, die wegen Unvollständigkeit ihrer Angebote nicht für den Zuschlag berücksichtigt werden können. Bei dem Los 6 lag zwar – nach dem Beigeladenen zu 2.) – noch ein Bieter vor ihr, der die vom Auftraggeber geforderten Nachweise erbracht hatte, so dass sich die Zuschlagschancen für die Antragstellerin durch einen Ausschluss des Beigeladenen zu 2.) nicht verbessert hätten. Angesichts der vom Auftraggeber zu verantwortenden Verstöße gegen das Vergaberecht entspricht es jedoch nach Auffassung des Senates der Billigkeit, den Auftraggeber auch insoweit mit den Kosten zu belasten.
Entsprechend § 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG ist außerdem zu bestimmen, dass die Hinzuziehung der von der Antragstellerin mit der Vertretung im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer betrauten Rechtsanwälte notwendig war.
Für die Tragung der im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten gelten die §§ 120 Abs. 2, 78 GWB. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vollständig obsiegt hat. Es entspricht - wie im Verfahren vor der Vergabekammer – auch im Beschwerdeverfahren der Billigkeit, dass der Auftraggeber die Kosten bis auf die außergerichtlichen Auslagen der Beigeladenen allein trägt.